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KRIEG/1707: Militär - der Schuß geht nach hinten los ... (SB)



Wir stehen immer noch dazu, dass wir keine Uniformen hier auf dem Gelände haben wollen. Und wir wollen auch keinen Stand, auf dem die Bundeswehr für sich wirbt und Rekrutierungsarbeit leistet. Wir stehen für eine lebenswerte digitale Gesellschaft und nicht für eine Militarisierung des Internets.
Markus Beckedahl (Mitgründer der Internetkonferenz re:publica) [1]

Kindersoldaten in der Bundeswehr? Dieses böse Wort hört die Truppe ungern, was sie aber nicht daran hindert, derzeit mehr als 2.000 Minderjährige zu beschäftigen. Die Zahl der Soldatinnen und Soldaten ist aktuell um 15 Prozent zurückgegangen, weshalb die Offiziere von der Nachwuchsgewinnung froh über jeden Bewerber sind. Raus aus dem Elternhaus, rein in die Truppe - frei nach diesem Motto werden in 16 Karrierecentern, auch Nachwuchszentren genannt, bundesweit Jugendliche als Soldaten auf Zeit eingestellt. In den Auslandseinsatz schickt die Bundeswehr ausschließlich Soldaten, die bereits 18 Jahre alt sind, doch eine Waffe bekommen auch Minderjährige zu Ausbildungszwecken in die Hand.

Kann man davon ausgehen, daß sich jugendliche Bewerberinnen und Bewerber ausgiebig Gedanken über diese Entscheidung machen, sie mit ihren Eltern beraten und vor der Einstellung weitreichend darüber informiert werden, was sie erwartet? Eher nicht, könnte doch eine intensivere Auseinandersetzung mit Auslandseinsatz und Krieg, Tod, Verwundung und Trauma eine abschreckende Wirkung entfalten, die seitens der Anwerber ganz gewiß nicht erwünscht ist. Eine Recherche des Deutschlandfunks [2] im Nachwuchszentrum Düsseldorf, wenngleich natürlich nur eine Momentaufnahme, aber vermutlich doch typisch für diese Situation, läßt tief blicken. Wenn Jugendliche berichten, daß sie vor zwei Jahren noch mit Playmobil gespielt haben und es für die Mutter sicher schwierig sei, daß der kleine Junge jetzt auf einmal Soldat werden möchte, aber man mit der Bundeswehr rauskomme und Abenteuer erlebe, wie man sie in dieser Art nirgendwo finde, klingt das nicht gerade nach realitätsnaher Aufklärung.

Daß die Eltern besorgt und überhaupt nicht begeistert sind, weil ihr Kind nach Afghanistan geschickt werden könnte, ist dem für die Bewerbungsgespräche zuständigen Oberleutnant bewußt. Sie riefen dann schon mal an, um zu erfahren, was auf die Rekruten zukommt, ob sie auch ins Ausland entsandt werden und ob das wirklich so gefährlich ist. Dabei sei doch ganz klar, daß die meisten Soldaten natürlich auch ins Ausland kommen. Ob sich 17jährige Bewerber darüber Gedanken gemacht haben, was es bedeutet, Soldat zu sein und eine Waffe zu tragen, weiß er nicht. Er frage auch nicht gezielt danach, denn es müsse ja Soldaten geben, die das machen.

Die unausgesprochene Botschaft, daß man rekrutierungswillige Jugendliche besser nicht mit der Nase darauf stößt, was sie tatsächlich erwartet, schwingt auch in den Worten der militärischen Planerin mit, die den Bewerberinnen und Bewerbern die Stellen zuweist. Sie könne nur hoffen und davon ausgehen, daß hier niemand sitzt, der das nicht zu Hause mit den Eltern gedanklich durchgespielt hat. Sie fange jedenfalls keine Diskussion darüber an. Viele dieser 17jährigen hätten zunächst einmal kindliche Vorstellungen und reiften im Laufe der Zeit bei der Bundeswehr: "Es ist so, dass der Soldat reifen wird. Und muss."

Während die politischen Führungsetagen unter Krokodilstränen das Schicksal der Kindersoldaten in aller Welt beklagen und deren Einsatz als weiteren Interventionsvorwand ins Feld führen, ist die Zahl minderjähriger Rekruten in der Bundeswehr seit Aussetzung der Wehrpflicht kontinuierlich gestiegen: Von 689 (2011) über 1.907 (2016) auf 2.128 (2017). Bemerkenswert ist zudem, daß sich die Zahl der minderjährigen Soldatinnen in diesem Zeitraum auf 448 verachtfacht hat. Auch nach Absolvieren der sechsmonatigen Probezeit waren im vergangenen Jahr 90 Soldatinnen und Soldaten immer noch nicht volljährig.

Bis 2024 soll die Truppenstärke um rund 12.000 Zeit- und Berufssoldaten und -soldatinnen zulegen. Dazu kommen 1000 Reservisten und noch einmal 5000 zivile Mitarbeiter. 198.000 Soldaten und Soldatinnen soll die Bundeswehr dann umfassen, dazu 61.400 Zivilisten. Da regelmäßig Zeitsoldaten ausscheiden, müssen jedes Jahr etwa 25.000 Menschen neu eingestellt werden, um den Weggang auszugleichen und die Wachstumsvorgaben einzuhalten. Für eine gute Auswahl sind jährlich 100.000 Bewerbungen erforderlich, viel mehr als derzeit eingehen, denn die Gesamtzahl freiwilliger Bewerber ist nach Angaben des Verteidigungsministeriums sogar rückläufig.

Für diesen erfreulichen Trend lassen sich mehrere Gründe anführen, die leider zum geringsten Teil dezidierter Opposition gegen Militarisierung und Kriegshandwerk im Dienst deutschen Hegemonialstrebens entspringen dürften. So führt die günstigere Wirtschaftslage dazu, daß die Bundeswehr heute weniger als noch vor einigen Jahren als Notlösung mangels anderer Arbeitsmöglichkeiten gesehen wird. Ein Haupthindernis für die Streitkräfte ist neben der guten Konjunktur der Facharbeitermangel in der Industrie. Die Bundeswehr steht im Wettstreit mit anderen Unternehmen um qualifizierte Bewerber, wobei die zivile Konkurrenz neben einer oftmals besseren Bezahlung als entscheidenden Vorteil zu bieten hat, nicht mit langen Auslandsaufenthalten in wenig attraktiven Regionen Afghanistans oder Malis samt Gefahren für Leib und Leben durch Sprengfallen oder Hinterhalte in der realen Stellenbeschreibung aufzuwarten. Zudem fällt der wachsende Personalbedarf in eine Zeit mit Jahrgängen stark sinkender Geburtenzahlen, und die veränderte Sicherheitslage im Inland erhöht die Konkurrenz, da Bundes- und Landespolizei wie auch die Nachrichtendienste ebenfalls händeringend Nachwuchs suchen und offensiv dafür werben.

Um den akuten Personalmangel zu beheben, der inzwischen Diskussionen um die Wiedereinführung der ohnehin nur ausgesetzten Wehrpflicht auf den Plan gerufen hat, lassen sich Ministerium und Bundeswehr viel einfallen, jedoch bislang mit mäßigem Erfolg. So wurde ein Etat für Kopfprämien zur Verlängerung von auslaufenden Zeitsoldatenverträgen aufgelegt und die Vorgabe der Bereitschaft für bundesweite Verwendbarkeit gelockert. Entgegen früheren Auflagen werden auch Quereinsteiger, Schulabbrecher ohne Hauptschulabschluß und Ausländer aus der Europäischen Union als neue Zielgruppen der Personalwerbung definiert. Zudem sollen Karrieren flexibler geplant und vor allem mehr Frauen angeworben werden. Hoffnungen setzte das Ministerium nicht zuletzt in die Webserie "Die Rekruten" auf YouTube, die zumindest mit enormen Klickzahlen aufwarten konnte.

Auf die Internetserie "Die Rekruten" folgte als Fortsetzung "Mali", der Werbeaufwand war gewaltig: Schautafeln in Innenstädten, Plakate an Bushaltestellen, ganzseitige Anzeigen in Magazinen. Drei Soldaten blicken aus einem grafisch verfremdeten Sandsturm auf den Betrachter. "Bist du bereit für eine ECHTE Herausforderung? Folge unseren Kameradinnen und Kameraden in den Einsatz nach Mali und sei hautnah mit dabei!", lockt die YouTube-Serie mit täglichen Videos aus dem Einsatz. Hatten "Die Rekruten" 1,7 Millionen Euro für die Videoproduktion und 6,2 Millionen für die begleitende Werbung verschlungen, so kostete "Mali" immerhin noch 2 Millionen für die Produktion und 4,5 Millionen Euro für die flächendeckende Reklame. Ob diese aufwendige Kampagne die Generation Y wirklich dafür begeistert, den Platz vor dem Bildschirm mit Gleichschritt und Marschgepäck zu vertauschen, ist ungeklärt.

Die Bundeswehr gibt viel Geld dafür aus, ihr Rekrutierungsproblem zu lösen, und wirbt auf YouTube, Twitter, Facebook, Instagram, Snapchat, kurz auf allen Kanälen um Nachwuchs. Auf Europas größter Netzkonferenz re:publica in der Station Berlin im Mai wurde ihr jedoch auch in diesem Jahr ein eigener Stand verwehrt. Daraufhin postierten sich Soldaten mit einem Bundeswehrtransporter und Flugblättern am Eingang zur Konferenz, was viele Besucher verwunderte. Mit dem Slogan "Zu bunt gehört auch grün" protestierte die Truppe gegen die angebliche Doppelmoral der Veranstalter. Daß ausgerechnet eine Konferenz, die sich Toleranz für Andersdenkende auf die Fahnen geschrieben hat und "Filterblasen platzen lassen" will, dem Militär den Zutritt verweigert, findet die Bundeswehr skandalös. Diese Provokation fand den Beifall der CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer: "Wer für bunte und offene Diskurse eintritt und seine Konferenz unter das Motto PowerOfPeople stellt, sollte dann auch konsequent sein", twitterte sie. "Ausschluss der Bundeswehr von der rp18 ist schlechter Stil gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten."

Johnny Haeusler stellte als re:publica-Gründer klar, daß die Soldaten nicht eingeladen seien, man ihre Werbeaktion im öffentlichen Raum aber nicht verbieten könne. Daß ein Bundeswehr-Stand nicht passend für die Internetkonferenz sei, bekräftigte auch Mitgründer Markus Beckedahl: "Wir stehen immer noch dazu, dass wir keine Uniformen hier auf dem Gelände haben wollen. Und wir wollen auch keinen Stand, auf dem die Bundeswehr für sich wirbt und Rekrutierungsarbeit leistet. Wir stehen für eine lebenswerte digitale Gesellschaft und nicht für eine Militarisierung des Internets."

Anders verhält es sich bei der weltgrößten Computerspielemesse Gamescom in Köln, auf der die Bundeswehr seit deren Auftakt im Jahr 2009 vertreten ist. "So wie andere Arbeitgeber auch, wollen wir dort mit IT-affinen jungen Menschen ins Gespräch kommen und ihnen die beruflichen Chancen bei der Bundeswehr nahebringen", heißt es dazu aus der Presseabteilung. Allerdings sorgte die Werbekampagne in der Kölner Innenstadt für einen Sturm der Entrüstung im Netz, da deren großformatige Plakate nach Auffassung von Kritikern Krieg und gefährliche Einsätze in Krisengebieten verharmlosen.

Ein Poster trägt die Zeile "Mehr Open World geht nicht!" - eine Anspielung auf beliebte Computerspiele, in denen der Spieler eine offene Welt erkunden kann. Ein zweites Poster zeigt die Schemen von Soldaten in voller Montur, im Hintergrund zeichnet sich ein Panzer ab. Die Optik erinnert stark an Blockbustertitel wie "Call of Duty" und "Battlefield", zwei der meistverkauften Shooter-Spiele. Mittendrin prangt der Werbeslogan "Multiplayer at its best!" und die Web-Adresse Bundeswehrkarriere.de. In Multiplayer-Games müssen Spieler in Teams gegen einen virtuellen Gegner oder ein anderes Spielerteam antreten. Der Slogan im Poster soll wohl andeuten, daß Berufssoldaten in ihrem Alltag einen ähnlichen Teamgeist erfahren. Erleben Soldaten ihren Einsatz als eine Art Multiplayer-Kriegsspiel? Mit dieser gezielten Irreführung eines jungen Publikums spricht die Truppe offensichtlich eine Zielgruppe an, die eine Affinität zu Ego-Shootern hat.

Eine Sprecherin der Bundeswehr mußte beträchtliches ideologisches Inventar ausfahren, um die Werbekampagne zu rechtfertigen: "Die Kernfrage, die wir dabei stellen ist: Krieg spielen oder für den Frieden kämpfen? Mit der Plakatierung wollen wir junge Erwachsene im Umfeld der Gamescom zum Nachdenken bringen, wofür sie ihre Zeit beziehungsweise Zukunft einsetzen." Während die Überschrift absichtlich im Stil einer Spielewerbung gehalten sei, erkenne man darin auf den zweiten Blick "die Werte der Bundeswehr", so die Sprecherin. Um das zu verdeutlichen, werfe das Kleingedruckte des Plakates "Sinnfragen" auf, wie "An deine Grenzen gehen statt in deinem Level festhängen?" oder "Echte Kameradschaft statt Singleplayer-Modus?" Im Kern gehe es also um "Kameradschaft und den Einsatz für eine freie Welt".

Eine pädagogische Hilfestellung für die Jugend, sich spielend mit philosophischen Kernfragen unserer Existenz auseinanderzusetzen und passives Kriegsspielen an der Konsole mit aktivem Friedenseinsatz an der Front zu vertauschen? Darauf muß man erstmal kommen. Jedenfalls seien für Konzeption, Produktion und Social-Media-Betreuung der Kampagne zur Gamescom rund 102.300 Euro Budget eingeplant worden, so die Pressestelle. Auf der Messe selbst sind die umstrittenen Plakate nicht zu sehen. Dort zeigt die Bundeswehr unter anderem einen Panzer und Militärlaster. Besucher können in einem Spiel ihre Reaktionszeit trainieren oder durch eine Virtual-Reality-Brille einen Flug in einem Kampfjet erleben. [3]

Daß überhaupt noch Kritik ihre Stimme erhebt, wenn die Bundeswehr mit allen Mitteln unter Kindern und Jugendlichen auf Rekrutenfang geht, ist erfreulich, sollte aber nicht automatisch mit Antimilitarismus gleichgesetzt werden. Wer keine Kindersoldaten will, müßte sich schon die Anschlußfrage stellen, ob er Soldaten will und wenn ja, zu welchem Zweck. Wenn Minderjährige auf die Idee kommen, Kriegsdienst mit Abenteuer zu verwechseln, mag das verschiedene Gründe haben. Einer davon ist sicher die Akzeptanz deutscher Hegemonialpolitik und Militarisierung in weiten Teilen der Gesellschaft, die "Wir.Dienen.Deutschland" zu einem positiv konnotierten Arbeitgeber und Label macht.


Fußnoten:

[1] www.t-online.de/digital/id_83707372/bundeswehr-motzt-uniform-verbot-bei-re-publica-2018-in-berlin.html

[2] www.deutschlandfunk.de/minderjaehrige-rekruten-bei-der-bundeswehr-vor-zwei-jahren.1773.de.html

[3] rp-online.de/nrw/panorama/koeln-bundeswehr-werbung-rund-um-gamescom-2018-stoesst-auf-kritik_aid-31763575

24. August 2018


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