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KRIEG/1735: Rüstung - europäische Kooperation hat Vorrang ... (SB)



Wir überheben uns moralisch, wenn wir glauben, dass unsere Partner unseren hehren Grundsätzen folgen. National habe ich überhaupt nichts dagegen, aber wir schaden der europäischen Idee, wenn wir uns nicht an weiteren rüstungspolitischen Projekten innerhalb der EU beteiligen.
Roderich Kiesewetter (CDU-Vertreter im Auswärtigen Ausschuß) [1]

Wenngleich Kiesewetter die Folgerung sicher empört zurückweisen würde, er halte Moral für einen Klotz am Bein imperialistischer Ambitionen und die Europäische Union für ein militaristisches Projekt der führenden Nationalstaaten, könnte man seine Aussage im Gespräch mit dem Deutschlandfunk durchaus so werten. Er zitiert denn auch die Kanzlerin mit den Worten, daß eine sehr ernsthafte Debatte darüber vonnöten sei, welche Rüstungsexporte wir noch wollen, was für eine eigene Rüstungsindustrie wir uns leisten wollen und wie wir außenpolitisch wirksam sein wollen. Zugleich läßt er seinem Unmut über den faulen Kompromiß der Großen Koalition im Bundessicherheitsrat freien Lauf und kritisiert, daß dies sicherheitspolitisch oder außenpolitisch überhaupt nichts bringe, weil andere Länder dafür einspringen würden, Deutschland seinen vertraglichen Verpflichtungen insbesondere mit Frankreich und Großbritannien nicht nachkomme und sich deswegen die Frage der Verläßlichkeit stelle.

Da die Sozialdemokraten um ihres politischen Überlebens willen die Friedenstaube mimen und auf einer bei der deutschen Wählerschaft mutmaßlich populären Verlängerung des Lieferstopps mit Saudi-Arabien beharren, muß ein Täuschungsmanöver herhalten, mit dem die Koalitionspartner ihren Platz auf der Regierungsbank retten und mehr schlecht als recht ihr Gesicht wahren. So wird der Lieferstopp um weitere sechs Monate bis Ende September verlängert, jedoch mit zwei Einschränkungen. Zum einen darf die Peene-Werft in Wolgast weitere Patrouillenboote für Riad bauen, die nur vorerst nicht ausgeliefert werden. Zum anderen sollen bereits erteilte Ausfuhrgenehmigungen für Waffen aus Gemeinschaftsprojekten mit EU-Partnern zunächst bis Ende Dezember verlängert werden. Die Firmen sollen sich jedoch verpflichten, bis dahin keine endmontierten Rüstungsgüter an Saudi-Arabien oder die Vereingten Arabischen Emirate auszuliefern. [2]

Diese windige Konstruktion ist letztlich der beiderseitigen Überzeugung geschuldet, daß der Lieferstopp lediglich befristeter Natur ist und man danach wieder auf Teufel komm raus Waffen in eben jene Kriegs- und Krisengebiete liefern wird, wo sie ihrer Natur nach den reißendsten Absatz finden. Wenngleich Kiesewetter argwöhnt, daß schließlich im Herbst wichtige Landtagswahlen stattfänden und die SPD abermals die Rüstungskarte ziehen könnte, denkt selbst er nicht im Traum daran, daß die Skrupel des Koalitionspartners Ausdruck einer pazifistischen Wende in dessen Reihen sein könnten. Die Geschichte der deutschen Waffenverkäufe an Saudi-Arabien, das seit jeher von einem höchst repressiven Regime beherrscht wurde, war selbst angesichts des Jemen-Kriegs voller Hintertüren und Schlupflöcher. Im Grunde warnt der CDU-Politiker die Sozialdemokraten, den wahlkampftaktischen Bogen nicht zu überspannen und am Ende tatsächlich einen Scherbenhaufen zu produzieren, den niemand mehr kitten kann.

Die französische Botschafterin in Berlin, Anne-Marie Descôtes, hatte in undiplomatisch scharfen Worten vor dem Scheitern einer gemeinsamen deutsch-französischen Verteidigungspolitik gewarnt, falls die Bundesregierung nicht zu klaren und verläßlichen harmonisierten Regeln für Rüstungsexporte komme. Wie die Botschafterin in einem Aufsatz kritisierte, der von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik veröffentlicht wurde, werde die Frage von Waffenexporten in Deutschland "oft vor allem als innenpolitisches Thema" behandelt. Dabei habe die Exportfrage "schwerwiegende Folgen" für die Verteidigungskooperation. "Die Unvorhersehbarkeit der deutschen Politik zu Ausfuhrkontrollen" führe "zu Besorgnis bei den europäischen Partnern Deutschlands". Es verstärke sich der Eindruck, "dass das deutsche Exportkontrollsystem nicht restriktiv, sondern unberechenbar ist". [3] Man könne "nicht gleichzeitig eine wettbewerbsfähige und technologisch fortschrittliche europäische Verteidigungsindustrie haben, die in der Lage ist, die Ausrüstungsgüter herzustellen, die wir brauchen, begrenzte Verteidigungsbudgets haben, und andererseits einseitige Ausfuhrkontrollen durchsetzen, die verhindern, dass gemeinsam produzierte Güter exportiert werden", so die französische Diplomatin. Es könnten nur zwei dieser drei Zielsetzungen gleichzeitig umgesetzt werden, nicht alle drei. [4]

Im Sinne ihrer militaristischen Logik legt Descôtes den Finger in die Wunde des machtpolitischen Dilemmas der europäischen Führungsmächte. Deren eigenständige Kriegspolitik brauche eine Rüstungsindustrie mit großen Kapazitäten. Da die europäischen Länder jedoch bislang nicht so weit seien, um diese erweiterte Produktion abzunehmen, brauche man Abnehmer außerhalb Europas. Ohne industrielle und technologische Verteidigungsbasis seien die Europäer weiterhin bei kapazitären Entscheidungen und dem Einsatz ihrer Streitkräfte von äußeren Akteuren, sprich den USA, abhängig. Notwendige Ausrüstung zu vertretbaren Kosten für die Streitkräfte bereitstellen zu können, hänge von einer gemeinsamen Produktion ab, um größtmögliche Kosteneinsparungen zu erzielen, aber auch von der Fähigkeit, die dafür erforderliche Technologiekompetenz und das industrielle Know-how zu bewahren. Der europäische Markt für Verteidigungsgüter reiche jedoch nicht aus, um die dafür notwendige Industrie effizient zu machen und die Stückpreise für militärische Ausrüstungsgüter ausreichend zu senken. Daher stünden die Deutschen vor der Alternative, entweder "innenpolitischen Zielen den Vorrang zu geben und das Europa der Verteidigung zum Kollateralschaden einer Wahlkampfstrategie zu machen oder sich des gegenwärtigen historischen Wendepunkts bewusst zu werden".

Diese elaborierte Steilvorlage der Botschafterin, die der französische Außenminister bei seinem Berliner Kabinettsbesuch um herbe Schelte derselben Stoßrichtung ergänzte, nimmt Kiesewetter dankbar auf. Er warnt eindringlich davor, daß sich die deutsche Rüstungsindustrie völlig neu orientieren müßte, sofern sie keine Drittländer außerhalb von NATO und EU mehr beliefert wie auch von gemeinsamen Projekten mit Frankreich und Großbritannien Abstand nehmen müßte. Franzosen und Briten würden dann die Golfregion allein beliefern, und ein gemeinsamer Kampfpanzer für Europa oder ein gemeinsames Kampfflugzeug mit Frankreich wären dann nicht mehr möglich. Wer das allen Ernstes wolle, müsse so ehrlich sein und ganz klar sagen, daß die deutsche Rüstungsindustrie die Bundeswehr beliefert und vielleicht noch kleinere Projekte innerhalb der NATO und EU realisiert, sich aber von Großprojekten mit europäischen Partnern verabschieden muß. Damit hänge man künftig wieder von teueren Großprojekten aus fremder Produktion ab.

Darf man Diktaturen mit Waffen beliefern? Diese Frage schlägt der Unionspolitiker wie alle Militaristen mit dem fadenscheinigen Argument aus dem Feld, daß es in solchen Staaten und Regionen auch nicht besser werde, falls man sich zurückziehe. Orientierten sich die Golfstaaten nicht weiter an Europa, sprängen andere Interessenten in die Bresche, um Rüstungsgüter zu liefern und Einflußzonen auszubauen. Wollen wir das? Für Kiesewetter kann das nur eine rhetorische Frage im geostrategischen Ringen um hegemoniale Zugriffsgewalt sein. Er will die Gefahr abwenden, daß das expansionistische Streben der Bundesrepublik ins Stocken gerät und womöglich scheitert, weil die Widersprüche auch in der NATO und der EU rascher eskalieren und Brüche hervorrufen, als die deutsche Aufrüstung mit dem Feldzug deutscher Exportstärke Schritt halten kann. Die Strategie, Freund und Feind ökonomisch niederzukonkurrieren, aber ungestört unter dem Schirm verbündeter Waffengewalt auch militärisch nachzuziehen, ist an ihre Grenzen gestoßen.

Jetzt hängt dem hiesigen Rüstungsgewerbe das Damoklesschwert des "German-free" im Nacken, also einer möglichen Kennung von Erzeugnissen, die keine deutschen Komponenten enthalten und folglich keinen Ausfuhr- und Lieferbeschränkungen unterliegen, sofern nicht gerade die USA nach deren "ITAR"-Regelwerk mit Sanktionen drohen. Wenngleich das böse Wort in der Rüstungsbranche längst die Runde macht und eine Abkehr von deutschen Erzeugnissen forcieren könnte, ist für die Protagonisten und Mitläufer deutschen Großmachtstrebens doch der Ofen noch lange nicht aus. Zwar schlägt die Kontroverse um Rüstungsexporte an Saudi-Arabien und dessen Verbündete hohe Wellen, doch muß diese Entwicklung nicht notwendigerweise Antikriegspositionen dauerhaft stärken. Wohl mutet es logisch und konsequent an, nicht nur den Jemen-Krieg und die Herrscherfamilie in Riad zum Anlaß des Widerstands zu nehmen, sondern sämtliche imperialistischen Kriege und Regime. Wahrscheinlicher ist jedoch eine Immunreaktion auf die ellenlange Kontroverse um den bösartigen Saudi-Prinzen in Gestalt eines erleichterten Aufatmens, wenn man hinterher um so unbeschwerter Waffen für honorige Partner, legitime Sicherheitsinteressen und gerechte Kriege produzieren, genehmigen und ausführen kann.


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/cdu-politiker-kiesewetter-zum-stopp-von-ruestungsexporten.694.de.html

[2] www.zeit.de/politik/2019-03/bundesregierung-verlaengert-ruestungsexportstopp-fuer-saudi-arabien

[3] www.faz.net/aktuell/politik/ausland/frankreich-droht-deutschland-mit-ende-der-ruestungskooperation-16109680.html

[4] www.heise.de/tp/features/Waffenexporte-Frankreich-will-freie-Bahn-von-Deutschland-4353193.html?

29. März 2019


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