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KRIEG/1745: Bundeswehr - neue Zeiten, andere Seiten ... (SB)



Wie gewährleisten wir in Zukunft die Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land? Und zwar egal, ob im Inneren oder im Äußeren. Und eines kann ich versprechen: Über das Thema Wehrpflicht oder Dienstpflicht, da werden wir ganz intensiv noch mal diskutieren müssen.
Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Video nach ihrer "Zuhör-Tour" durch Deutschland [1]

Hatte man bislang allenfalls hämisch gescherzt, das Kürzel der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer gleiche der russischen Kennzeichnung des weltweit beliebtesten Sturmgewehrs, bleibt einem nun das wohlfeile Lachen im Halse stecken. Der Berliner Coup hat AKK ins Amt der Verteidigungsministerin gespült, und ernsthafte Prognosen lassen befürchten, daß sie diesen Job noch besser als ihre Vorgängerin ausfüllen wird. Schon Ursula von der Leyen war ein Gottesgeschenk an den deutschen Militarismus, hat sie doch in ihrer sechsjährigen Amtszeit die größte Steigerung der Rüstungsausgaben seit dem Anschluß der DDR durchgesetzt. Die jährlichen Militärausgaben stiegen von 30 auf 45 Milliarden Euro. Daß sie in der männerbündischen Bundeswehr dennoch einen schweren Stand hatte, verdankte sich ihrem gescheiterten Ansinnen, mit patriarchalen Strukturen und rechtsextremen Verschwörungszirkeln in der Truppe aufzuräumen. Allein die Dauer ihres Ausharrens auf dem als Schleudersitz verrufenen Posten unterstreicht ihren beachtlichen Wirkungsgrad, auch wenn sie kurz vor ihrer katapultartigen Beförderung zur EU-Kommissionspräsidentin nach Brüssel von sogenannten Affären eingeholt zu werden drohte.

Was qualifiziert die CDU-Vorsitzende, die in jüngerer Zeit nicht gerade den Eindruck erweckte, ihren Laden im Griff zu haben, zur deutschen Kriegsministerin? Weit mehr, als die schwindsüchtige Kritik aus Oppositionskreisen glauben machen möchte. So wünschte ihr der Grünen-Verteidigungspolitiker Tobias Lindner zwar eine "faire Chance", doch machte er deutlich, daß es nicht leicht werde: "Sie erbt ein Haus, das eine Menge offener Baustellen hat, das alles andere als gut bestellt ist", machte sich Lindner bedenkenlos für eine noch effektivere Bundeswehr stark. [2] Am schärfsten griff die FDP die Entscheidung an, deren Vizefraktionschef Alexander Graf Lambsdorff der Kanzlerin vorwarf, sie zeige damit ihre Geringschätzung der Bundeswehr. Die Berufung Kramp-Karrenbauers sei "eine Zumutung für die Truppe und für unsere Nato-Partner". Offenbar ist in seinen adelsgetrübt-reaktionären Augen eine ungediente Frau das Allerletzte, was deutsche Streitkraft gebrauchen kann. Nicht viel besser schlug sich allerdings der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte. "In der Union muss man offenbar mit dem Verteidigungsministerium und der Thematik niemals etwas zu tun gehabt haben, um Verteidigungsministerin zu werden. Die Ministerien werden zu Verschiebebahnhöfen, um die schrägen Personalprobleme der Union zu regeln", argumentierte Korte, als sei ein Lamettaträger der Truppe seine Idealbesetzung für dieses Amt. [3]

Was sagt die Bundeswehr selbst dazu? Sie macht keineswegs gute Miene zum bösen Spiel, sondern erkennt die Gunst der Stunde schneller als die Heerschar der Skeptiker, die mit bellizistischem Enthusiasmus gegen AKK hetzt, die beim Blick durch die sexistische Brille womöglich das Männermodell einer militärischen Führungskraft verfehlt. Der Deutsche Bundeswehrverband begrüßte jedenfalls die Personalentscheidung und kündigte an, die Arbeit der neuen Verteidigungsministerin "konstruktiv-kritisch" zu unterstützen. Wie es auf der Website des Soldatenverbands heißt, habe sich der Bundesvorsitzende Oberstleutnant André Wüstner bereits zu ihrer Zeit als CDU-Generalsekretärin mit Annegret Kramp-Karrenbauer zum Gespräch getroffen. Und sein Stellvertreter Jürgen Görlich (Oberstabsfeldwebel a. D.) lobte die neue Ministerin in einem Interview mit dem Deutschlandfunk mit den Worten, an der Spitze des Ministeriums stehe jetzt ein politisches Schwergewicht. Er erwarte von Kramp-Karrenbauer, daß sie mit ihrer Stimme Dinge im Kabinett voranbringen und durchsetzen könne. Sie müsse nun schnell Vertrauen zur Truppe aufbauen und die Situation bei Personal und Ausstattung verbessern. [4]

Görlich, aus dessen Sicht sich die Amtszeit der Vorgängerin aus "Licht und Schatten" zusammensetzt, winkt mit dem Zaunpfahl, was letzteres betrifft. Von der Leyen hatte der Bundeswehr insgesamt ein Haltungsproblem attestiert, was rechtsextreme Tendenzen betrifft, und mußte das später zurücknehmen. Wer gegenüber den Soldatinnen und Soldaten so eine Äußerung von sich gebe, habe es unheimlich schwer, das Vertrauen zurückzugewinnen, so Görlich. Das sei bislang nicht geschehen, und so wabere dieses Haltungsproblem und Führungsproblem bis heute durch die Truppe. Jetzt komme es darauf an, daß Frau Kramp-Karrenbauer so schnell wie möglich ein Vertrauen zur Truppe findet und die Truppe auch Vertrauen zu ihr.

Daß AKK die rechtsextreme Krake in Kreisen der Bundeswehr ins Visier nimmt, steht jedoch ohnehin nicht zu erwarten, und was die "Baustellen" bei der Truppe betrifft, hat sie bereits beim Stabwechsel angekündigt, sie werde die Politik der militärischen Aufrüstung fortzusetzen und verstärken. Um das notorische Personalproblem zu lösen, hat Kramp-Karrenbauer jüngst eine Dienstpflicht für alle ins Gespräch gebracht. Junge Männer und Frauen ab 18 Jahren sollten die Sicherheit des Landes gewährleisten oder auch einen Einsatz in anderen Bereichen leisten, forderte die CDU-Generalsekretärin. Sieben Jahre nach ihrer Abschaffung durch den damaligen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg will AKK eine Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht lostreten.

Das Thema solle als eine von mehreren Leitfragen auf dem Parteitag der Union Ende des Jahres beschlossen werden, auf dem auch über ihr neues Grundsatzprogramm diskutiert wird. Dann solle sich zwei Jahre lang eine breite politische und gesellschaftliche Debatte anschließen. Nach der Vorstellung Kramp-Karrenbauers könnte die allgemeine Dienstpflicht dann Eingang in das Unions-Programm für die nächste Bundestagswahl finden. Er solle auch als Sozialdienst, in der Pflege, bei der Feuerwehr und dem Katastrophenschutz oder in der Entwicklungshilfe abgeleistet werden können, lugt der allgemeine Arbeitsdienst in zeitgemäßem Gewand aus den Kulissen hervor.

Das und vieles mehr hat die neue Verteidigungsminsterin lange vor ihrer unverhofften Ernennung gesagt, und je ausgiebiger man sich damit beschäftigt, um so klarer zeichnet sich das Profil einer Amtsinhaberin ab, die jede Menge politischer Aufrüstung mitbringt, die das militaristische Herz höher schlagen läßt. Sie hat sich dazu bekannt, die Verteidigungsausgaben an dem zugesagten Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu orientieren und bei den Haushaltsberatungen im Frühjahr SPD-Finanzminister Olaf Scholz abgewatscht. Dessen Haushaltsentwurf sei nicht ausreichend, weshalb sie sehr froh sei, daß für 2020 der Etat für das Verteidigungsministerium entgegen der ursprünglichen Planung noch mal erhöht worden ist. Bereits nach ihrer Wahl zur CDU-Vorsitzenden Ende letzten Jahres hatte sie erklärt, daß ein Europa notwendig sei, welches mit einem europäischen Sicherheitsrat und einer europäischen Armee sein gemeinsames Sicherheitsinteresse nicht nur formuliert, sondern umsetzt. Es genüge nicht, Ziele und Absichten in ein Regierungsprogramm zu schreiben, es sei notwendig, die beschlossenen Ziele auch durchzusetzen.

Die deutschen Waffenschmieden wird's freuen, daß künftig eine Ressortchefin im Ministerium sitzt, die sich für gelockerte Regeln bei Rüstungsexporten ausgesprochen hat. "Durch unsere sehr strengen Regeln und die noch strengere Auslegung dieser Regeln machen wir gemeinsame europäische Projekte derzeit fast unmöglich", hatte sie geklagt. Sie forderte gemeinsame europäische Regeln, die dann aber "nicht so strikt wie die deutschen Vorschriften sein können". Noch mehr freuen könnten sich die hiesigen Rüstungskonzerne, sollte sich AKKs deutsch-französischer Flugzeugträger aus einem vermeintlichen Hirngespinst der CDU-Vorsitzenden, wie die Presse ignorant urteilte, unversehens in das nächste Megaprojekt nach dem europäischen Kampfflugzeug der Zukunft verwandeln. Nachdem Emmanuel Macron im März sein "Europa-Manifest" vorgestellt und eine enge militärische Zusammenarbeit mit Deutschland zur Rettung "Europas" erklärt hatte, brachte AKK einen Flugzeugträger ins Spiel, um "der globalen Rolle der Europäischen Union als Sicherheits- und Friedensmacht Ausdruck zu verleihen".

Diese überraschend anmutende Idee segnete die Kanzlerin tags darauf ab, womit sie ganz auf der Linie lag, die von der Leyen vor einem Jahr in ihren neuen Richtlinien für die Streitkräfte vorgezeichnet hatte. Wie es darin hieß, sei Deutschland "als außenhandels- und rohstoffabhängige Nation besonders auf die uneingeschränkte Nutzung der See angewiesen". Aufgrund "der maritimen Abhängigkeit Deutschlands" komme "der Bundeswehr beim Schutz der eigenen Küstengewässer, der angrenzenden Seegebiete wie der Ostsee, der Nordsee sowie der Gewässer des Nordflankenraums der NATO sowie der internationalen Seeverbindungslinien eine besondere Verantwortung zu".

Bleibt noch hinzuzufügen, daß sich AKK im ZDF-Sommerinterview sogar für die Entsendung von Bodentruppen der Bundeswehr nach Syrien ausgesprochen hat. Das sei zwar "für uns ein ganz großer Sprung", aber man müsse sich immer wieder "bewusst machen: es geht hier auch ein gutes Stück um unsere eigene Sicherheit in Deutschland und nicht nur um das, was die Vereinigten Staaten möchten". Angesichts solchen Offensivgeistes steht zu erwarten, daß die neue Amtsinhaberin noch ganz andere Seiten aufziehen und der Bevölkerung die verbliebenen Vorbehalte gegen deutsche Soldatenstiefel in fremdem Kriegsgebiet endgültig austreiben wird.


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/bundeswehr-kramp-karrenbauer-will-dienstpflicht-fuer-alle.1766.de.html

[2] www.jungewelt.de/artikel/358906.keine-große-kabinettsumbildung-alles-für-den-krieg.html

[3] www.wsws.org/de/articles/2019/07/18/kram-j18.html

[4] www.deutschlandfunk.de/neue-verteidigungsministerin-kramp-karrenbauer.694.de.html

18. Juli 2019


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