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KRIEG/1751: Rüstung - anwachsende Märkte ... (SB)



Es ist extrem bitter, dass der heutigen SPD die Gewinne der Rüstungsindustrie wichtiger sind als Frieden.
Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) [1]

Was deutscher Erfindergeist und Schaffensdrang anpacken, kann sich sehen lassen. Als hätte es dieser Bestätigung bedurft, machte jüngst die Frohe Botschaft die Runde, daß "Made in Germany" wie eh und je ein in aller Welt hochgeschätztes Gütesiegel ist. Das Evangelium des Vertrauens in eine Produktivkraft, die dafür bürgt, daß überall dort, wo "Deutschland" draufsteht, auch Deutschland drin ist, darf selbst in Zeiten wie diesen, in denen die hiesige Volkswirtschaft auf eine Rezession zusteuert, nicht schwächeln. Einspringen muß da eine Branche, die als krisensicher gilt, weil sie nicht nur Krisen mitproduziert, sondern von diesem Kerngeschäft auch noch profitiert. Wenngleich man im Sinne des gleichgültigen Kapitalverhältnisses argumentieren könnte, daß es ein Geschäft wie jedes andere ist und aus Geld mehr Geld machen soll, was immer als warenförmige Zwischenetappe dabei produziert wird, bedarf es doch darüber hinaus einiger Anmerkungen.

Steht der deutschen Rüstungsbranche absehbar ein Rekordjahr ins Haus, reibt sich diese Kapitalfraktion die Hände, um es einmal metaphorisch auszudrücken. Natürlich freut sich auch die Bundesregierung, ist das doch zumindest ein Lichtblick inmitten einer schwer eingetrübten Konjunktur. Eine ökonomistische Sichtweise reicht jedoch nicht hin, die zentrale Bedeutung hochentwickelter Waffengewalt im Dienst der Herrschaftssicherung zu erhellen. Das gilt für die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols nach innen und um so mehr im Außenverhältnis der Staaten, da die weit ausdifferenzierte wirtschaftliche, politische, juristische und administrative Macht nur auf Grundlage militärischer Kapazitäten exekutiert werden kann. Daher ist eine florierende und innovative Rüstungsproduktion eine wichtige Komponente beim Kampf um Produktivitätsvorteile der Volkswirtschaft insgesamt, doch unverzichtbar im Sinne eines Potentials, mit einer Übermacht der Waffen zu drohen oder von ihr Gebrauch zu machen.

Wenn Regierungspolitik also Waffenexporten Tore und Hintertüren öffnet, dient das multiplen Zwecken einer Staatsräson, an der Friedensappelle abperlen wie Regentropfen von Panzerplatten. Ohnehin suggeriert die Dichotomie von Krieg und Frieden zwei diametral entgegengesetzte Zustände, als fordere die zivile Aggression in Handel und Wandel, in Schuldenregimen und Austeritätszwängen und nicht zuletzt in Gestalt der hereinbrechenden Klimakrise gleichermaßen zahllose Opfer, die verdursten, verhungern, an Krankheiten sterben oder armutsbedingt eine sehr viel geringere Lebenserwartung als die Bewohner der hochentwickelten Industriestaaten aufweisen.

Was aber den Krieg im engeren Sinne betrifft, mischt die Bundesrepublik nach einer Exportdelle der Rüstungsindustrie 2018 nun im laufenden Jahr kräftiger denn je mit. Ans Licht gebracht hat das wie immer eine Anfrage der Opposition an das Wirtschaftsministerium, das die Zahlen herausrücken mußte, wobei Ressortchef Peter Altmaier einmal mehr abwiegelte, wie das so seine Art ist. Daß die vom Bundessicherheitsrat erteilten Exportgenehmigungen bereits zur Jahreshälfte 2019 mit 5,3 Milliarden Euro die des gesamten Vorjahres von 4,8 Milliarden Euro übertrafen, führt er beschwichtigend auf die lange Hängepartie bei der Regierungsbildung nach der Wahl 2017 zurück. Dadurch sei ein Entscheidungsstau entstanden und der sprunghafte Anstieg daher "nur scheinbar überraschend".

Den Eindruck, daß folglich alles seine Ordnung habe, mochte Omid Nouripour natürlich nicht teilen, der die Anfrage gestellt hatte. Er nahm zugleich die neuen Exportrichtlinien für Rüstungsgüter aufs Korn, die erstmals seit 20 Jahren und auch erst nach diversen Ankündigungen und einem monatelangen Ringen in der Großen Koalition im Juli endlich doch überarbeitet, jedoch nur geringfügig verschärft wurden. Demnach wird die Lieferung von Kleinwaffen in Länder außerhalb von NATO und EU nun grundsätzlich nicht mehr genehmigt. Zudem soll der Verbleib bereits exportierter Waffen stärker kontrolliert werden. Vor allem die SPD dringt in der Koalition auf eine restriktive Genehmigungspraxis, was jedoch für den Grünen-Politiker angesichts anhaltender Lieferungen an Mitgliedsländer der Jemen-Kriegsallianz "weniger wert als heiße Luft" ist. Daß Nouripour, wie eingangs zitiert, insbesondere die SPD aufs Korn nimmt, hat seinen Grund. Während die Union sowieso voll zur Sache gehen will, was insofern keiner besonderen Erwähnung bedarf, inszenieren sich die Sozialdemokraten als Friedenstauben, indem sie befristet und partiell eine öffentlichkeitswirksame Bremse einlegen, während sie grundsätzlich keine Probleme mit Aufrüstung und Waffenexporten haben.

Bis Ende September stiegen die Ausfuhrgenehmigungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 75 Prozent auf 6,35 Milliarden Euro. Damit nähert sich das Exportvolumen den bisherigen Rekordwerten aus den Jahren 2015 und 2016 von 7,86 beziehungsweise 6,85 Milliarden Euro an. Die mit Abstand meisten Exporte wurden mit 1,77 Milliarden Euro für den EU- und NATO-Partner Ungarn genehmigt. Die dortige rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban rüstet derzeit massiv auf und will die Verteidigungsausgaben verdoppeln. Dem liegen nicht zuletzt Pläne zugrunde, die deutsche Bundeswehr und die ungarischen Streitkräfte enger zu verzahnen, wofür Ungarns Armee einem rasanten Aufholprozeß unterzogen werden soll. Ungeachtet aller Dissenzen mit Orban bleibt sein Land doch eine unverzichtbare Komponente bei der Abschottung der "Festung Europa", die deshalb mit deutschen Waffen aufgerüstet wird. [2]

Auf dem zweiten Platz folgt Ägypten mit Lieferungen im Umfang von 802 Millionen Euro, was in mehrfacher Hinsicht in eklatantem Widerspruch zu selbstauferlegten Beschränkungen deutscher Regierungspolitik steht. Zum einen führt das Land Krieg auf der Sinai-Halbinsel, was von der internationalen Öffentlichkeit jedoch kaum wahrgenommen wird. Zum anderen gehört es der Koalition an, die Krieg im Jemen führt. Dabei hatten sich Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag im März 2018 vorgenommen, Exporten an die "unmittelbar" am Jemen-Krieg beteiligten Staaten einen Riegel vorzuschieben. Es wurden aber Ausnahmen zugelassen, wobei sich die Bundesregierung bislang sowieso nicht imstande sieht, die unmittelbar beteiligten Staaten zu nennen. Die Mogelpackung eines angeblich kompletten Exportstopps wurde nach der Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi gegen Saudi-Arabien verhängt

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) stehen mit 206 Millionen Euro auf Platz neun der Empfängerländer, obgleich auch sie dem Bündnis angehören, das gegen die Huthi-Rebellen kämpft. Inzwischen haben sich die VAE aber mit Saudi-Arabien überworfen und den Abzug ihrer Truppen aus dem Jemen angekündigt. Der von Kanzlerin Angela Merkel geleitete Bundessicherheitsrat gab grünes Licht für den Export von Stromaggregaten für ein Luftabwehrsystem. Lieferant ist Jenoptik Power Systems mit Sitz im bayerischen Altenstadt. Die Stromaggregate sind für "Patriot"-Batterien aus den USA vorgesehen, welche die VAE ebenso wie die Bundesrepublik als mobilen Schutz vor Luftangriffen nutzen.

Nach dem Drohnenangriff auf Ölanlagen in Saudi-Arabien hat das US-Verteidigungsministerium entschieden, zwei zusätzliche Batterien dieses Typs in den Wüstenstaat zu verlegen. Die VAE spielen in den strategischen Planungen der westlichen Mächte eine herausragende Rolle. Die USA haben dort rund 5000 Soldaten stationiert, und vom Luftwaffenstützpunkt Al Dhafra aus starten den Analysten vom American Security Project zufolge die meisten Überwachungsflüge des US-Militärs weltweit. Frankreich unterhält in Abu Dhabi einen Marinestützpunkt, an dem dauerhaft 650 Soldaten stationiert sind.

Auch Deutschland ist mit von der Partie und hatte mit den VAE bereits 2004 eine strategische Partnerschaft vereinbart, deren Ausbau nun im Juni beim Besuch von Kronprinz Scheich Mohammed bin Said Al Nahjan bei Bundeskanzlerin Merkel in Berlin beschlossen wurde. Trotz der Koalitionsvereinbarung waren die Rüstungsexporte an die VAE nie ganz eingestellt worden, da die von Union und SPD vereinbarte Regelung, wie gesagt, Ausnahmen zuließ. So wurden allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres die bereits erwähnten Exportgenehmigungen von Rüstungsgütern im Wert von mehr als 200 Millionen Euro für die Emirate erteilt. [3]

Da die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition im Unterschied zu ihren Gegnern über Luftstreitkräfte verfügt, ist sie für die Opfer der Bombardierungen wie auch die weitgehende Zerstörung der Infrastruktur verantwortlich. Zudem blockiert sie die Häfen und schneidet damit das Land weitgehend von der Versorgung ab. Die Koalition führt also nicht nur einen Angriffskrieg, sondern die humanitäre Katastrophe gezielt herbei. Dies müßte zur Konsequenz haben, daß Deutschland zumindest keine Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Jordanien, Ägypten, Bahrain, Kuwait, Katar, Marokko, Sudan und Senegal tätigt, die diesem Bündnis angehören. Das ist jedoch keineswegs der Fall, da Saudi-Arabien und die VAE zu den zehn wichtigsten Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte zählen, während Jordanien sogar ein enger Verbündeter in der Region und auch Ägypten ein guter Kunde hiesiger Waffenschmieden ist.


Fußnoten:

[1] www.tagesschau.de/wirtschaft/ruestungsexporte-187.html

[2] www.jungewelt.de/artikel/364287.geschäft-mit-dem-tod-kriegsgewinnler-brd.html

[3] www.tagesschau.de/inland/ruestungsexport-emirate-101~_origin-3610be86-ea76-4f53-b558-c9acc21a3efd.html

9. Oktober 2019


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