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KRIEG/1761: Funktionsuntüchtige Bundeswehr - Augenwischerei ... (SB)



Die Bundeswehr als Ganzes wäre heute nicht aufgestellt oder gerüstet für kollektive Verteidigung. Für die enormen Kosten, die Deutschlands Steuerzahler für ihre Streitkräfte aufwenden, ist die Bundeswehr als Ganzes bemerkenswert wenig einsatzfähig.
Hans-Peter Bartels (Wehrbeauftragter des Bundestages) [1]

Der Wehrbeauftragte des Bundestages zeichnet in seinem Jahresbericht ein derart düsteres Bild vom beklagenswerten Zustand der Truppe, daß sie einem fast leidtun könnte. Ist der Bundeswehr am Ende eigenhändig gelungen, was Jahrzehnte antimilitaristischer Bestrebungen nicht vermocht haben? Sind die deutschen Streitkräfte dabei, sich selbst zu demontieren? Hans-Peter Bartels hat zum Ende seiner im Mai auslaufenden Amtszeit gewissermaßen ein Meisterstück vorgelegt und die Öffentlichkeit darauf eingeschworen, die sogenannte Parlamentsarmee nicht als Kriegsmaschine, sondern als gebrechlichen Notnagel wahrzunehmen, der den Erfordernissen deutscher Sicherheitspolitik nie und nimmer genügt. Der Bericht wird denn auch als schmerzhafte, aber notwendige Diagnose gelobt, die im besten Sinne eine Zumutung für die Politik sei. Als beharrlicher Anwalt der Soldatinnen und Soldaten trage Bartels die Sorgen und Nöte zusammen, die er bei Truppenbesuchen immer wieder zu hören bekomme: Zu wenig Material, zu wenig Personal, zu viel Bürokratie. [2]

Es räche sich, daß die Bundeswehr 25 Jahre lang kaputtgespart worden sei, schlußfolgert die Presse ganz im gewünschten Sinne. Selbst beim besten Willen könne die angestrebte Trendwende nicht innerhalb weniger Jahre bewerkstelligt werden. Wo mag nur all das Geld geblieben sein, das in sprunghaft wachsendem Maße in den Verteidigungshaushalt gepumpt wird? "Licht und Schatten" sieht der Wehrbeauftragte bei der finanziellen Ausstattung. Zwar sei der Verteidigungsetat von 32,4 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf 43,2 Milliarden im Jahr 2019 gewachsen, zuletzt sogar so kräftig wie nie zuvor binnen eines Jahres. Doch nicht alles fließe in die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte. [3] Gemessen an den zahllosen Mängeln, die Bartels auflistet, drängt sich der Eindruck auf, als sei die immense Aufstockung der Kriegskasse in Richtung Zwei-Prozent-Ziel der NATO nur ein Tropfen auf dem heißen Stein der fadenscheinigen Grundausstattung.

Dabei seien die Probleme seit langem bekannt und die nötigen Trendwenden zur Modernisierung in den Bereichen Material, Personal und Finanzen eingeleitet. Doch bei der Truppe komme kaum etwas an. Wenn jetzt nicht etwas passiere, wenn es keine innere Reform der Bundeswehr gebe, drohen laut Bartels die Trendwenden zu scheitern. Die Vorschläge der Soldaten lägen vor, müßten jetzt aber auch umgesetzt werden. Das größte Problem ist demnach die mangelhafte Ausrüstung: Flugzeuge, die nicht fliegen, Panzer, die nicht fahren, Schiffe, die nicht einsatzfähig sind. Immer noch sind 20.000 Dienstposten oberhalb der Mannschaftsgrade nicht besetzt. Und das Verteidigungsministerium räumt selbst ein, das es bis jetzt nicht gelungen sei, die materielle Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme zu verbessern. Zudem ist die Bundeswehr ein wahres Bürokratiemonster, so die Kritik des Wehrbeauftragten.

Was das Personal betrifft, hatte die Bundeswehr Ende vergangenen Jahres 183.667 Soldaten, darunter 175.330 Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit. Das vom Ministerium selbst gesteckte Ziel sei zwar erreicht, doch seien weiterhin Tausende Dienstposten nicht besetzt. Bei der Zahl der Bewerbungen verzeichne die Truppe das zweitschlechteste Ergebnis seit Aussetzung der Wehrpflicht 2011. Daher sei die Bundeswehr immer mehr darauf angewiesen, daß Zeitsoldaten bei der Stange bleiben. Das wiederum führt dazu, daß das Durchschnittsalter von 30,3 Jahren (2012) auf 32,3 im vergangen Jahr gestiegen ist. Vorgesetzte und Ausbilder bemängeln, daß die "Qualität" der Soldaten schlechter geworden sei. Sie seien "dicker, schwächer und dümmer" als früher, bilanziert Bartels unverblümt. Man muß halt nehmen, wen man kriegen kann, räumt das Verteidigungsministerium sinngemäß ein, da die aufwendigen Werbekampagnen bei der deutschen Jugend eben doch nur begrenzte Wirkung zeitigen.

Bei der Beschaffung von Rüstungsgütern plädiert Bartels für eine radikale Entschlackung der bisherigen Prozesse. Das meiste, was die Streitkräfte an Ausrüstung brauchen, vom Rucksack bis zum leichten Verbindungshubschrauber, müsse nicht immer wieder erst in umständlichen "funktionalen Fähigkeits-Forderungen" abstrakt definiert, dann europaweit ausgeschrieben, neu erfunden, vergeben, getestet, zertifiziert und schließlich über 15 Jahre hinweg in die Bundeswehr "eingeführt" werden. "Man kann es auch einfach kaufen", schlägt der Wehrbeauftragte die Einführung des "IKEA-Prinzips" für viele Rüstungsgüter: aussuchen, bezahlen, mitnehmen. Das könne Zeit, Geld und Personal sparen, die Vollausstattung der Truppe beschleunigen und außerdem die Nerven der Soldaten schonen. Für das obere Ende modernster Technik vom Kampfpanzer bis zur Raketenabwehr könne es ja weiterhin die aufwendige Design-Lösung geben.

In seinem Bericht macht Bartels die Überorganisation des gesamten Apparats der Bundeswehr für diese Probleme verantwortlich. So habe das Verteidigungsministerium in den vergangenen Jahren 42 hochrangig besetzte "Sonderorganisationselemente" zusätzlich zu den bereits bestehenden ins Leben gerufen. Das Problem sei durchaus auf höchster Ebene identifiziert. Im Mai 2017 ordnete die damalige Ministerin von der Leyen das Programm "Innere Führung - heute" an. Monatelang diskutierten Hunderte von militärischen und zivilen Führungskräften über Fragen wie "Was hindert Sie an gutem Führen?" Seit Februar 2019 liegt ein "ungebilligter Entwurf" des ministeriellen Abschlußberichts vor, dessen Existenz vom Ministerium allerdings bestritten werde, schreibt der Wehrbeauftragte in seinem Report und veröffentlicht eigenständig Teile dieses Berichts. [4]

"Fehlendes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der eigenen Organisation ist in allen Bereichen der Bundeswehr spürbar", heißt es darin. Die unteren Führungsebenen hätten den Eindruck, daß ihre Vorgesetzten zu wenig gegen die offensichtlichen und bekannten Probleme unternähmen. "Das erschüttert das Vertrauen in die Bundeswehrführung insgesamt erheblich." In der Truppe herrsche das "Gefühl einer gewissen Machtlosigkeit gegen Organisationsstrukturen, die Verantwortung teilen und unklare Zuständigkeiten mit sich bringen". Bartels fordert eine "Trendwende Mentalität": Entscheidungskompetenzen und Ressourcenverantwortung müßten wieder eindeutiger der Truppe zugewiesen werden, und zwar für Personal, Betreuung, Instandsetzung und teilweise auch Infrastruktur.

In manchen Unterkünften blühe der Schimmel an den Wänden, fehlten die Türschlösser. Es sei ein Trugschluß zu glauben, jedem Soldaten stünden in der Kaserne ein Bett und ein Spind zur Verfügung. [5] "Nicht zu verstehen ist, dass es bisher nicht einmal gelungen ist, die Soldatinnen und Soldaten komplett mit neuer persönlicher Ausrüstung auszustatten, etwa mit Schutzwesten." So schlimm steht es demnach um die Bundeswehr, daß fast alle Soldaten mit eigenem Geld moderne Ausrüstung kauften, weil sie mit dem Standardmaterial nicht zufrieden seien. Muß die Truppe am Ende mit veralteter oder gar keiner Ausrüstung kämpfen?

Bartels nennt in seinem Wehrbericht durchaus einige Dinge, die seines Erachtens besser laufen. Im vergangenen Jahr habe es gesetzliche Verbesserungen für die Soldaten gegeben, die Auslandsbesoldung sei höher geworden, einige Zulagen wurden ebenfalls erhöht, andere neu geschaffen. Aber soll man ihnen deswegen zumuten, womöglich das Zubrot für den Kampfeinsatz für die eigene Ausstattung auszugeben? Da sind in der Tat kreative Lösungen gefragt. Sollte man Spenden für unsere notleidenden Soldatinnen und Soldaten sammeln, statt sie an Fremde in aller Welt zu verschwenden? Und wenn Bartels schon das "IKEA-Prinzip" empfiehlt - wie wäre es dann mit einer Anfrage bei Amazon, wo man doch alles zurückschicken kann, was nicht paßt? Womöglich ist sogar der eine oder andere gebrauchte Schützenpanzer zu haben, was immer noch besser als ein sündhaft teurer Puma wäre, der dann doch nicht funktioniert. Und wenn es an Betten für die Truppe fehlt, könnte man vielleicht sogar auf die alte Idee zurückgreifen, ob es sich im Zuge des nicht auszuschließenden Vormarsches nach Osten womöglich in russischen Betten besser schlafen ließe.


Fußnoten:

[1] www.n-tv.de/politik/Bartels-will-Ikea-Prinzip-fuer-Bundeswehr-article21539913.html

[2] www.deutschlandfunk.de/jahresbericht-des-wehrbeauftragten-die-probleme-der.720.de.html

[3] web.de/magazine/politik/dicker-schwaecher-duemmer-bartels-beschreibt-bundeswehr-bemerkenswert-einsatzfaehig-34382252

[4] www.tagesspiegel.de/politik/bericht-des-wehrbeauftragten-bartels-fordert-schnellere-materialbeschaffung-bei-bundeswehr/25482402.html

[5] www.tagesschau.de/inland/wehrbericht-soldaten-101.html

29. Januar 2020


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