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KRIEG/1790: Waffen und ihr endloser Markt ... (SB)



Der durch Kleinwaffen geforderte Blutzoll stellt den aller anderen Waffensysteme in den Schatten [...]. Hinsichtlich des Blutbads das sie anrichten, können Kleinwaffen sehr wohl als Massenvernichtungsmittel beschrieben werden
Der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan im Oktober 2000

Der Waffenhersteller SIG Sauer stellt seine Produktion in Deutschland aufgrund mangelnder Geschäftsaussichten ein. Genau wie sein einheimischer Konkurrent Heckler & Koch, der seinerseits in schweren wirtschaftlichen Turbulenzen navigiert, hat das Unternehmen jahrelang gegen deutsche Ausfuhrgesetze verstoßen und Waffen auf Umwegen in Krisengebiete exportiert. Erst nachdem Klagen gegen die Firmenleitung zum Erfolg führten und der öffentliche Druck wuchs, so daß sich auch die Bundesregierung zu Korrekturen genötigt sah, beschränkten sich die Waffenschmieden offiziell auf Ausfuhren in genehmigte Länder. Daraufhin brachen die Profite weg, was die Mutmaßung nahelegt, daß in dieser Branche zumindest in Deutschland eher nicht auf legalem Wege erfolgreich gewirtschaftet werden kann. An der Produktion und Verbreitung von Kleinwaffen als solcher ändert sich nach SIG Sauers Weggang nichts. Der weit überwiegende Teil der Umsätze wurde ohnehin längst von der Schwesterfirma in den USA generiert, die einen Großauftrag zur Ausrüstung der Streitkräfte mit Pistolen eingefahren hat. Dorthin wird nun die gesamte Geschäftstätigkeit verlagert. Und selbst wenn es zur Insolvenz eines solchen Herstellers kommen sollte, übernimmt die Konkurrenz das Geschäft.

Das heißt keineswegs im Umkehrschluß, daß Kritik, Recherchen und Klagen gegen die Rüstungsindustrie vergeblich wären. Sie werden insbesondere von Akteuren vorgetragen, die dem Antimilitarismus verpflichtet sind und weitreichende Forderungen wie jener nach einem Verbot jeglicher Rüstungsproduktion und der Konversion der Waffenschmieden damit verbinden. Maßgeblich bleibt allerdings, in welchem Maße entsprechende Fragen bis hin zum Gewaltmonopol des Staates und seiner repressiven Instrumente wie auch der herrschenden Gesellschaftsordnung und Wirtschaftsweise weiterentwickelt werden. Geschieht das nicht, verlaufen sich Erklärungsansätze, woraus sich das Primat vorgehaltener Waffengewalt als Fundament der Herrschaftsverhältnisse und Produktionsweise speist, im Nebel des Ungewissen.

Nichtstaatliche Organisationen wie Amnesty International, Oxfam und IANSA schätzen, daß weltweit täglich 1.000 Menschen an Schußverletzungen durch Kleinwaffen und damit weit mehr als durch den Einsatz leichter und schwerer Kriegswaffen sterben. Nach Schätzung des in Genf ansässigen Regierungsprojekts Small Arms Survey befinden sich über zwei Drittel aller Kleinwaffen in den Händen von Privatpersonen. Von den 650 Millionen Kleinwaffen in Privatbesitz wiederum finden sich über 250 Millionen in den USA. Verwendet wird der Begriff Kleinwaffen häufig im Zusammenhang mit der unerlaubten Verbreitung und dem illegalen Waffenhandel, Genehmigungen für Lizenzproduktionen und den Bürger- und Guerillakriegen sowie Low Intensity Conflicts insbesondere in der Dritten Welt.

Unter die Kategorie Kleinwaffen fallen Handwaffen wie Faustfeuerwaffen (Pistole/Revolver) oder Langwaffen (Gewehr, Karabiner, Sturmgewehr, Maschinenpistole, Schrotflinte, leichte Maschinengewehre), daneben aber auch militärisch genutzte Sprengmittel wie Handgranaten oder Minen. Für Kleinwaffen gelten in Deutschland wegen ihrer Gefährlichkeit und für bessere Rückverfolgungsmöglichkeiten gesonderte gesetzliche Regelungen, wobei die Kennzeichnungsvorschriften für Exportwaffen gegenüber den Waffen, die im Inland verbleiben (für Polizei, Sportschützen etc.), erheblich voneinander abweichen. Die weniger scharfen Kennzeichnungsvorschriften bei Exportwaffen haben zur Folge, daß Kleinwaffen durch Umdeklarieren der Seriennummern geschmuggelt werden können, ohne daß sich die Lieferungen zurückverfolgen lassen. Die UN-Resolution (a60-88), in der eine Kennzeichnungsverschärfung für Exportwaffen gefordert wird, ist in Deutschland seit 2005 nicht umgesetzt worden.

SIG Sauer begründet die Schließung des Standorts in Eckernförde mit dem obligatorischen Verweis auf die Coronakrise, insbesondere aber mit "Standortnachteilen", die in Deutschland "für die Zukunft keine wirtschaftliche Produktion von Sport- und Behördenwaffen" erlaubten. Dabei verweist das Unternehmen auch auf das deutsche Waffenrecht, das "die Nutzung von Sportwaffen immer mehr einschränke". Darüber hinaus würden bei der Vergabe von Behördenaufträgen von der Polizei und der Bundeswehr einige wenige lokale Produzenten bevorzugt. Diese Beschwerde verweist auf den Großauftrag der Bundeswehr für ein neues Sturmgewehr, bei dem Sig Sauer einen seiner Ansicht nach unfair besseren Zugang des Konkurrenten Heckler & Koch zu Testmunition öffentlich kritisiert hatte. Der Geschäftsführer des Unternehmens, Tim Castagne, spricht von einer Benachteiligung aufgrund der internationalen Ausrichtung von Sig Sauer. [1] Dabei geht es im Kern darum, daß sich SIG Sauer nicht um das neue Sturmgewehr für die Bundeswehr bewerben konnte, weil in seinem Vorschlag - angeblich eine Variante des Sturmgewehrs MCX - auch US-Technik steckt und dies bei der Ausschreibung explizit ausgeschlossen wurde. [2]

SIG Sauer gilt als das älteste deutsche Waffenunternehmen, seine Wurzeln reichen bis ins Jahr 1751 zurück. Seit 2000 ist die SIG Sauer GmbH & Co. KG Bestandteil einer Holding namens L&O, der auch die amerikanische SIG Sauer Inc. in Newington im US-Bundesstaat New Hampshire und die Swiss Arms im schweizerischen Neuhausen gehören, die in den 1970er Jahren den Namensbestandteil SIG für "Schweizerische Industrie-Gesellschaft" beisteuerte. Hinter dem Waffenhersteller steht die private Dachgesellschaft L&O der beiden als verschwiegen geltenden Unternehmer Michael Lüke und Thomas Ortmeier in Emsdetten (NRW).

Der Standort Eckernförde durchlebte in den vergangenen Jahrzehnten eine wechselvolle Entwicklung. Einst gab es dort über 500 Beschäftigte, doch vor sechs Jahren wurde schon einmal eine Schließung befürchtet. Dann wurden erneut Millionen Euro investiert, worauf sich das Geschäft zeitweise besserte und Neueinstellungen vorgenommen wurden. Soeben wurde den noch 125 Beschäftigten am traditionsreichen norddeutschen Standort mitgeteilt, daß die Fertigung zum Jahresende auslaufen soll.

Laut Unternehmensangaben haben die Gesellschafter in den vergangenen Jahren große finanzielle Beiträge zur Stabilisierung des Unternehmens geleistet. Es seien auch drastische Sparmaßnahmen erfolgt, um die Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern. Wirtschaftsstaatssekretär Thilo Rohlfs (FDP) sprach von einer bitteren Nachricht für die Region, aber auch für den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein insgesamt, der kalt erwischt worden sei. Noch im Februar habe die Koalition aus CDU, Grünen und FDP die amtliche Beschußstelle für Waffen und Böller in Eckernförde mit erheblichen Steuerkosten modernisieren lassen, um ein klares Signal in Richtung SIG Sauer zu setzen.

Laut den zuletzt veröffentlichten Zahlen von 2018 betrug der Umsatz des Konzerns mit rund 2000 Beschäftigten 530 Millionen Euro bei elf Millionen Euro Gewinn, wobei lediglich sechs Prozent des Umsatzes in Deutschland erzielt wurden. Branchenkenner gehen davon aus, daß SIG Sauer im Gegenzug seinen großen US-Standort in Newington, Connecticut, weiter ausbaut. Ob deutsche Behördenkunden künftig komplett mit Pistolen und Gewehren aus den USA versorgt werden, ist offen. Zu den Kunden des Unternehmens gehört die Polizei in Schleswig-Holstein, Berlin oder Rheinland-Pfalz. Sollten die Behörden jedoch auf inländische Produktion bestehen, könnte der Konkurrent Heckler & Koch profitieren.

2018 wurden allein in der US-Produktion mehr Arbeitskräfte zusätzlich eingestellt, als in Eckernförde jetzt noch beschäftigt sind. In den USA punktet der Waffenhersteller insbesondere beim Militär. Dort hatte der Konzern mit dem Modell SIG Sauer P320 ein Auswahlverfahren für eine neue Pistolengeneration für die US-Streitkräfte gewonnen, die über einen Zeitraum von zehn Jahren produziert wird. Insgesamt umfaßt der Auftrag allein für die US Army rund 280.000 Stück sowie weitere 212.000 Stück für die weiteren Teilstreitkräfte im Umfang von rund 580,2 Millionen US-Dollar einschließlich Munition und Zubehör.

Daß Deutschland, die USA und die Schweiz drei Länder mit durchaus unterschiedlichen Rechtsordnungen sind, wenn es um Waffen geht, haben drei ehemalige deutsche SIG-Sauer-Manager laut einem inzwischen rechtskräftigen deutschen Strafgerichtsurteil von 2019 in außenwirtschafts- und kriegswaffenkontrollgesetzwidriger Weise vernachlässigt. Demnach wurden zwischen 2009 und 2011 gut 38.000 Pistolen des Typs SP 2022 nach Kolumbien exportiert, wobei den Beschuldigten bewußt gewesen sein soll, daß von insgesamt 50.000 für den US-Markt deklarierten Pistolen dieses Typs tatsächlich nur knapp 12.000 dort verbleiben würden. Abnehmer der übrigen Pistolen waren staatliche kolumbianische Stellen, und als Weiterverkäufer fungierte die damalige US-Administration von Barack Obama, dessen Außenministerium vorher mit einer "Endverbleibserklärung" versichert hatte, die SP 2022 würden nicht weiterexportiert. Nach einem langjährigen Ermittlungsverfahren wurden die drei Manager, darunter Miteigentümer Lüke, im April 2019 vor einer Wirtschaftsstrafkammer zu Bewährungs- und Geldstrafen in Millionenhöhe verurteilt. Die Angeklagten legten Revision beim Bundesgerichtshof ein.

Ebenfalls über die USA wurden offenbar in Deutschland nicht genehmigte Waffenexporte nach Kasachstan und in den Irak abgewickelt. Nachdem im April 2020 ähnliche Vorwürfe hinsichtlich der Lieferung von 50.000 P320 an mexikanische Behörden laut wurden, verwies der deutsche Unternehmensteil umgehend darauf, daß man diese Waffe weder hier entwickelt noch eine Serienfertigung dafür aufgebaut habe. Dagegen habe SIG Sauer USA ihr eigenes Produkt in größeren Stückzahlen gebaut und streng nach den US-amerikanischen Exportregeln und Genehmigungen der amerikanischen Regierung an das Nachbarland geliefert. Weder die SIG Sauer Deutschland noch die deutsche Regierung habe hierauf Einfluß, noch das Recht, die amerikanischen Aktivitäten zu beeinflussen, hieß es in einer Stellungnahme.

In den USA sorgen Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit und Polizeigewalt dafür, daß der Run auf die Waffengeschäfte derzeit besonders groß ist. Wie die National Rifle Association twitterte, seien in der ersten Hälfte des Jahres 2020 mehr als zwei Millionen Amerikaner zum ersten Mal Waffenbesitzer geworden. Laut der National Shooting Sports Foundation (NSSF), neben der NRA die wichtigste Lobbygruppe der Schußwaffenindustrie, zu der rund 8000 Waffen- und Munitionshersteller und -händler zählen, sollen es sogar 2,5 Millionen Erstkäufer sein.

Diese neuen Kunden geben demnach im Durchschnitt knapp 600 Dollar für einen Kauf aus, wobei halbautomatische Handfeuerwaffen und Shotguns besonders beliebt seien. Laut einer Umfrage gaben 2017 etwa 40 Prozent der Amerikaner an, daß sie eine Waffe besitzen oder mit einer solchen in einem Haushalt leben. Die Rate von Mord oder Totschlag durch Schußwaffen ist die höchste in der sogenannten entwickelten Welt. So wurden 2017 fast 11.000 Todesfälle als Folge von Mord oder Totschlag mit einer Schußwaffe verzeichnet. Hinzu kommt, daß ungefähr 60 Prozent der jährlichen Todesfälle durch Schußwaffen Selbsttötungen sind. Im Jahr 2019 waren es bereits knapp 40.000 Menschen, die durch Schußwaffen starben, davon 24.000 Suizide. [3]

Mit dem Wegfall der Produktion von SIG Sauer in Deutschland verpuffen nun die hiesigen Waffenexportverbote, so daß der Konzern diesen lästigen Klotz am Bein loswird. Demgegenüber müssen die Verhältnisse in den USA zumindest aus Perspektive eines Produzenten von Kleinwaffen geradezu paradiesisch anmuten, und das nicht nur, was den satten Auftrag der Streitkräfte betrifft.


Fußnoten:

[1] www.heise.de/tp/features/Sig-Sauer-wird-amerikanischer-4776114.html

[2] www.welt.de/wirtschaft/article209033709/SIG-Sauer-Waffenhersteller-geht-in-die-USA.html

[3] www.heise.de/tp/features/USA-2-5-Millionen-neue-Waffenbesitzer-4776143.html

8. Juni 2020


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