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INTERVENTION/004: Somalia - Fabrikschiffe aus Industriestaaten plündern die Fischgründe (IPS)



IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Februar 2012

Somalia: Freie Hand für Piraten des Nordens - Fabrikschiffe aus Industriestaaten plündern die Fischgründe

von Thalif Deen

New York, 22. Februar (IPS) - Die internationale Gemeinschaft ist nicht bereit, die Ursachen der politischen und wirtschaftlichen Probleme des verfehlten Staates Somalia anzugehen. Diesen Vorwurf erhebt die New Yorker Denkfabrik 'Global Policy Forum' in einem neuen Bericht. Danach setzt man lieber auf die Karte der Gewalt als auf Maßnahmen gegen die illegale Überfischung der somalischen Küstengewässer durch Fangflotten aus den Industrieländern.

Ohne einen effektiven Staat ist die 3.300 Kilometer lange somalische Küstenlinie ungeschützt. Dieser Umstand ist für ausländische Fischereiunternehmen äußerst verlockend. "Nachdem sie ihre heimischen Gewässer überfischt haben, gehen moderne Fabrikschiffe in einem der ressourcenreichsten Meeresgebiete auf Fischfang", heißt es in dem GPF-Report. Sie seien Teil einer Flotte krimineller Fischereiunternehmen, deren Aktivitäten weder registriert noch reguliert würden.

Der von Suzanne Dershowitz und James Paul erstellte Bericht erscheint rechtzeitig zur hochrangigen internationalen Somalia-Konferenz am 23. Februar in London. "Nach 20 Jahren Rückfall braucht Somalia die Hilfe der Internationalen Gemeinschaft und der somalischen Führung für einen schrittweisen Wandel", meinte der Konferenzgastgeber, der britische Premier David Cameron. Trotz aller Bemühungen der Afrikanischen Union (AU), der Vereinten Nationen und der internationalen Gemeinschaft sei es nicht gelungen, das am Horn von Afrika gelegene Land zu einem funktionierenden Staat zu machen.

An dem Treffen werden Vertreter von 40 Staaten, UN, EU, Weltbank, der Zwischenstaatlichen Entwicklungsbehörde, der Organisation der islamischen Konferenz und der Liga afrikanischer Staaten teilnehmen. Eingeladen sind ferner Repräsentanten der somalischen Übergangsregierung, die Präsidenten der autonomen Regionen Somaliland, Puntland und Galmudug sowie Vertreter der Sufi-Miliz Ahlu Sunnah Waljamaa (ASWJ), die weite Teile Zentralsomalias kontrolliert.


Klare Interessen

Dem GPF-Bericht zufolge besteht ein Zusammenhang zwischen den Kämpfen in den somalischen Küstengewässern und der politischen Krise auf dem somalischen Festland, wo es ebenfalls zu ausländischen Militäreinsätzen kommt. Während des Kalten Krieges war Somalia vor allem aus geostrategischer Sicht bedeutend. Inzwischen geht es auch um den Zugang zu den dort lagernden Ressourcen wie Eisenerzen, Zinn, Uran oder Kupfer.

"Vor allem aber werden dort Gas- und Ölreserven von fünf bis zehn Milliarden Barrel vermutet, die den aktuellen Preisen zufolge einen Wert von 500 Millionen Dollar haben könnten", heißt es in dem Bericht. Unternehmen aus Australien, Kanada und den USA sind bereits dabei, den Schatz zu bergen.

Somalia bleibt auch weiterhin der Prototyp eines verfehlten Staates. Die Übergangsregierung kontrolliert lediglich einen winzigen Teil des Landes. Im Zuge des Kalten Krieges wurde das Land in regionale Rivalitäten und Konflikte wie in den äußerst brutalen Ogaden-Krieg mit Äthiopien hineingezogen.

Nachdem eine Militärdiktatur eine der stärksten Armeen Afrikas aufgebaut hatte, kollabierte der Staat. Die sich anschließenden ausländischen Militärinterventionen, die dem Land zu Rechtstaatlichkeit verhelfen sollten, blieben erfolglos. Das gilt sowohl für die UN-Friedenseinsätze von 1992 und 1993 bis 1995 als auch dem US-Militäreinsatz von 1992 bis 1993.


Ewige Gewaltstrategie wirkungslos

Auch die internationale Front gegen die Piraten, die vor der somalischen Küste ihr Unwesen treiben, ist weitgehend erfolglos geblieben - trotz aller raffiniert ausgestatteten Marine- und Luftüberwachungssysteme. Vielmehr ist die Zahl der Piratenangriffe seit 2008 gestiegen. Daran dürften nach Ansicht des GPF-Chefs und Co-Autors Paul auch die auf der Londoner Konferenz getroffenen Entscheidungen wenig ändern. Vielmehr werde dort die ewige Strategie der Gewalt propagiert.

"Anstatt sich mit den Ursachen zu befassen und einen umfassenden Ansatz zu verfolgen, wie von der britischen Regierung angekündigt, wird es auf dem Treffen vor allem darum gehen, die öffentliche Meinung zugunsten von mehr Gewalt, mehr Intervention und mehr Antiterrorismusoptionen zu beeinflussen", sagte Paul. Doch die Gewalt habe in den letzten 20 Jahren nichts bewirkt und werde dies auch in Zukunft nicht tun.

Dem Experten zufolge wird die Konferenz die jüngsten Invasionen der Nachbarländer Äthiopien und Kenia sowie die Drohneneinsätze und geheimen Militäroperationen von Großbritannien, den USA, Frankreich und anderen Staaten gutheißen. Sie wird die Augen vor den geheimen Gefängnissen, gezielten Erschießungen, Söldnern und dem gewalttätigen Einsatz der AU-Truppen verschließen, die der UN-Sicherheitsrat autorisiert hatte.

Paul zufolge kann der auf Konfrontation setzende Marineeinsatz gegen die Piraten nicht funktionieren, solange der illegale ausländische Fischfang und die Giftmüllverklappung vor der somalischen Küste ignoriert werden. Diese kriminellen Machenschaften hätten dazu geführt, dass die somalische Bevölkerung die Piraten inzwischen als nationale Schutzkräfte wahrnähmen.

Bisher haben einflussreiche Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, allen voran die USA und Großbritannien, jedes Vorgehen gegen die rücksichtslose Überfischung durch die eigenen Fangflotten und gegen die Giftmüllentsorgung verhindert. "Sie geben vor, nicht über die notwendigen Informationen zu verfügen, dabei kontrollieren ihre Marineflotten jede noch so kleine Bewegung der Boote in den somalischen Gewässern", sagte Paul. "Soviel zu den Ursachen und zu umfassenden Maßnahmen. Gewalt ist die einzige Option, die auf den Verhandlungstisch in London zugelassen sein wird." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.globalpolicy.org/images/pdfs/Security_Council/GPF_Somalia_illegal_fishing.pdf
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106842

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2012