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WIDERSTAND/003: Kolumbien - FARC-Guerillera Sandra Ramírez im Interview (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. September 2012

Kolumbien: 'Wir greifen zu den Waffen, damit man uns zuhört' - FARC-Guerillera Sandra Ramírez im Interview

von Patricia Grogg


Sandra Ramírez in Havanna - Bild: © Patricia Grogg/IPS

Sandra Ramírez in Havanna
Bild: © Patricia Grogg/IPS

Havanna, 28. September (IPS) - Es ist nicht leicht, sich Sandra Ramírez in Guerillauniform vorzustellen, mit einem 25 Kilo schweren Rucksack auf den Schultern, wie sie um sich schießt oder vor den Luftangriffen des Feindes in Deckung geht. Die Rebellin und ehemalige Gefährtin von Manuel Marulanda, dem Gründer der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), ist nach Kuba gekommen, um über Frieden zu sprechen.

Sie ist bislang die einzige Frau in den Reihen der Rebellen, von der man weiß, dass sie an den Sondierungsgesprächen für einen bevorstehenden Dialog zwischen FARC und der Regierung von Staatspräsident Juan Manuel Santos teilgenommen hat, der Kolumbien den dauerhaften Frieden bringen soll.

Als sie sich mit den FARC-Unterhändlern im August zum ersten Mal den Fragen der Presse stellte, wussten nur wenige Journalisten, wer diese Frau eigentlich ist. Doch die Nachricht, dass sie die Freundin des im März 2008 an einem Herzanschlag gestorbenen FARC-Gründers war, verbreitete sich wie ein Lauffeuer.

"In den 60 Jahren des Kampfes hat er immer nach einer politischen Lösung des bewaffneten Konflikts gesucht", versicherte die 48-Jährige Kämpferin in einem Exklusivinterview mit IPS. "An der Seite des Kommandanten Marulanda habe ich die Liebe zu unserem Anliegen entwickelt."

Ramírez entstammt einer 17-köpfigen Bauernfamilie. Dem bewaffneten Kampf schloss sie sich im Alter von 17 Jahren an - eine Entscheidung, die sie nach eigenen Angaben nie bereut hat. Im Gebirge wurde sie zur Krankenschwester ausgebildet und in die Garde der Kameraden der nationalen FARC-Führung aufgenommen. Sie soll Marulanda alias Pedro Antonio Marín bis zu dessen Tod gepflegt haben.

Es folgen Auszüge aus dem Interview mit der Kämpferin, die schon an den Friedensgesprächen vor zehn Jahren zwischen der FARC und der Regierung von Andrés Pastrana (1998-2002) im südkolumbianischen Bezirk San Vicente del Caguán teilgenommen hatte.

IPS: Jene Gespräche sind gescheitert. Was erwarten Sie von den Verhandlungen, die am 8. Oktober in Oslo beginnen und in Havanna fortgesetzt werden?

Sandra Ramirez: Wir treten in diesen neuen Verhandlungsprozess ein, um zu sehen, ob wir nicht mit der Kraft aller - der Guerilla, der Regierung und dem kolumbianischen Volk - eine politische Lösung des Konflikts herbeiführen können. Diese Möglichkeit bestand schon immer. Problem war nur, dass die kolumbianische Oligarchie keinen Millimeter von ihrer Macht abgeben wollte.

IPS: Halten Sie die Friedensgespräche ohne ein Ende der
Feindseligkeiten für möglich?

Ramirez: Die ehemalige Regierung von Álvaro Uribe (2002-2010) zeichnete sich durch extreme Gewalt aus. Sie hat die Türen zum Frieden nicht aufgestoßen. Inzwischen hat sich das Kräfteverhältnis - sowohl im Land als auch im lateinamerikanischen Umfeld dank demokratischer Regierungen wie in Venezuela, Bolivien oder Ecuador - verändert.

Die Völker bedienen sich anderer Kampftechniken. Das wirkt sich auch auf das kolumbianische Volk aus. Es gibt nun die Entscheidung, zu verhandeln. Es gebietet die Logik, dass es irgendwann einmal eine Feuerpause geben muss, die von beiden Seiten eingehalten wird.

IPS: Anfang der 90er Jahre ist der kubanische Führer Fidel Castro, der den bewaffneten Aufstand anführte, der ihn 1959 an die Macht brachte, von diesem Weg abgekommen. Stattdessen verwies er auf die Möglichkeiten der Massen, insbesondere eines geeinten und koordinierten Volkes, das an einem Strang zieht. Was halten Sie von einer solchen Vorstellung?

Ramirez: Die Bedingungen in Kolumbien sind anders. Es gibt keine politischen Freiheiten. Die an der Macht festhaltende Ultrarechte vernichtet (physisch) ihre Gegner. Sie hat alle Wege versperrt und uns keinen anderen Ausweg gelassen, als unsere Waffen zu gebrauchen, damit sie uns zuhört. Es ist genau das: Wir greifen zu den Waffen, damit man uns zuhört.

IPS: Es heißt, die FARC wolle vor allem deshalb verhandeln, weil sie schwach geworden sei?

Ramirez: Die FARC suchen seit ihrer Gründung nach Wegen des Friedens. Die bevorstehenden Gespräche sind eine neue Gelegenheit. Natürlich haben wir als Organisation, die sich mit der Waffentechnologie der USA konfrontiert sieht, Federn lassen müssen. Doch das ist kein Zeichen der Schwäche.

IPS: Sind die Bedingungen für eine Partizipation der Bürger an diesem Friedensprozess vorhanden?

Ramirez: Ja. Dieser Dialog ist dem Wunsch von Indigenen, Afrokolumbianern, aller Bewegungen und Sozialverbände entsprungen. Wir haben es hier nicht mit einer Laune der Santos-Regierung oder der FARC zu tun.

IPS: In den Abkommen, die Sie als Weg für die Friedensgespräche erachten, wird die Situation der Frau mit keinem Wort erwähnt. Woran liegt das?

Ramirez: In Kolumbien ist die Situation der Frau ebenso schwierig wie die der restlichen Bevölkerung. Deshalb haben wir keine Unterscheidung getroffen.

IPS: Fast 40 Prozent der FARC-Truppen bestehen aus Frauen. Dennoch ist keine im FARC-Sekretariat vertreten.

Ramirez: Nach unseren Berechnungen sind es sogar über 40 Prozent. Auch wenn es keine Frauen in der Nationalführung gibt, so sind sie doch im Zentralen Generalsstab präsent. Und in den Rängen dazwischen sind sie auch in Führungspositionen anzutreffen.

IPS: In Kolumbien wie in allen Ländern gibt es innerfamiliäre Gewalt und Machismus, der Frauen diskriminiert. Gibt es solche Probleme auch innerhalb der FARC?

Ramirez: Unsere Organisation ist aus der kolumbianischen Gesellschaft hervorgegangen. Ihr sind solche Realitäten somit vertraut. Doch die Kämpferinnen werden angeleitet, sich zu äußern, teilzunehmen, Entscheidungen zu treffen und ihre Rechte in Anspruch zu nehmen. Wir verfügen über Disziplinarmöglichkeiten. Es ist zudem verboten, Frauen anzuschreien geschweige denn zu misshandeln.

IPS: Stimmt es, dass es Kinder in der Guerilla gibt?

Ramirez: Es gab solche Fälle. Es waren Kinder von Kameraden oder Kameradinnen, die im Kampf gefallen sind und die von ihren Großeltern nicht versorgt werden konnten. In solchen Fällen blieb uns nichts anderes übrig, als sich ihrer anzunehmen. Wir gaben ihnen eine Ausbildung. Meist wurde ihnen ein fester Ansprechpartner zugeteilt, der sich um sie kümmerte.

IPS: Was geschieht in Fällen, in denen eines dieser Mädchen und Jungen gehen will?

Ramirez: Dann setzen wir uns mit der Situation auseinander. Im Allgemeinen bleiben sie aus Sicherheitsgründen. Es hat viele Fälle gegeben, in denen sich diese Kinder als exzellente Kämpfer herausgestellt und es zu Kommandanten gebracht haben.

IPS: Wird auf die jungen Leute Druck ausgeübt, damit sie sich der Guerilla anschließen?

Ramirez: In keiner Weise. Der Eintritt erfolgt auf freiwilliger Basis. Das Mindestalter, um der FARC beitreten zu können, liegt bei 15 Jahren. (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2012