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FRAGEN/009: Kenneth Kaunda, ein afrikanischer Humanist, der sich mit Gandhi verglich - Teil 1 (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Kenneth Kaunda, ein afrikanischer Humanist, der sich mit Gandhi verglich

Interview mit Amzat Boukari-Yabara von Olivier Flumian, 02.09.2021



Kaunda am Rednerpult - Foto: Roland Gerrits (ANEFO), CC0, via WikimediaCommons [http://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.en]

Kaunda in Amsterdam, 1986
Foto: Roland Gerrits (ANEFO), CC0, via Wikimedia Commons
[http://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.en]

Vor einigen Wochen verstarb der ehemalige Präsident von Sambia, Kenneth Kaunda. Auch wenn er außerhalb der englischsprachigen Welt kaum bekannt ist, verdient er mehr als einen kurzen Absatz in den Geschichtsbüchern.

Kaunda war zunächst der Anführer der Bewegung gewesen, die der damaligen britischen Kolonie Nordrhodesien 1964 die Unabhängigkeit unter dem Namen Sambia brachte. Er wurde der erste Präsident und blieb es bis 1991.

Pressenza blickt auf den Werdegang dieser großen Persönlichkeit der Unabhängigkeitsgeneration zurück, die sich als Humanist bezeichnete und deren Erfahrung, mit ihren Licht- und Schattenseiten, Anerkennung verdient. Wir haben den Historiker und panafrikanischen Aktivisten Amzat Boukari-Yabara interviewt, der uns die wichtigsten Momente dieser Lebensgeschichte schildert.

Wir beginnen heute damit, die Jahre von Kaundas ursprünglichem Werdegang und Aktivismus zu erörtern.


Kenneth David Kaunda wurde 1924 in der britischen Kolonie von Nordrhodesien geboren. In welchem Kontext wurde der junge Kaunda intellektuell und politisch geformt?

Seine Eltern stammen aus einer Region im damaligen Nyassaland (heute Malawi), eine Tatsache, die später für Kontroversen sorgen sollte. Sein Vater, Pfarrer der Kirche von Schottland, starb als er noch ein Kind war und er wurde von seiner Mutter zusammen mit seinen Geschwistern aufgezogen. Nach seinem Studium in Lusaka begann er eine Karriere als Lehrer. In den frühen 1950er Jahren schloss er sich der national-afrikanischen Kongress-Partei von Nord-Rhodesien unter der Führung von Harry Nkoumboula an.

Sein Aktivismus brachte ihm zwei Monate Gefängnis ein, wodurch sich seine Entschlossenheit nur noch verstärkte. Kaunda zwang sich zur Selbstdisziplin, indem er mit dem Trinken und dem Rauchen aufhörte. Er reiste nach England, dann nach Indien, wo er fast an Tuberkulose starb. Nach seiner Rückkehr nach Lusaka trennte er sich von Nkoumboula, indem er seine eigene Partei, den Sambischen Nationalkongress, gründete. Daraus ging im Januar 1960 die Vereinigte Nationale Unabhängigkeitspartei (UNIP) hervor, deren Name perfekt den Kampf beschreibt, den er für den Rest seines Lebens führen sollte.


Kaunda ist nicht der einzige sambische Führer gewesen, der den britischen Kolonialismus bekämpfte. Wie hat sich der Kampf um die Unabhängigkeit abgespielt?

Im Jahre 1953 unterstützte das südafrikanische Apartheidregime, das den Südwesten (Namibia) illegal in Besitz nahm, die Gründung einer Föderation Zentralafrikas, die die britischen Protektorate von Njassaland (Malawi) und Nordrhodesien (Sambia) mit der Kolonie Südrhodesien (Simbabwe) vereinigte. Die Föderation bestand etwa aus dreihunderttausend Siedlern, die acht Millionen Afrikaner auf einem Gebiet von der doppelten Größe Frankreichs beherrschten. Die Bundespartei von Roy Welensky, Premierminister der Föderation, war mit dem Apartheidregime verbunden, das sich zudem auf die portugiesischen Kolonien Angola und Mosambik stützte.

Der südafrikanische Expansionismus und der britische Kolonialismus, die sich zugleich ergänzten und widersprachen, provozierten Widerstände und Spaltungen in den Reihen der Afrikaner. Nkoumboula akzeptierte das 'Wahlspiel', während Kaunda zu einem Boykott der Wahlen von 1958 aufrief. Darauf folgte eine harte Bestrafung, das Verbot seiner Partei und Kaundas mehrmonatige Inhaftierung. Die Briten luden ihn anschließend zusammen mit Hastings Banda von Njassaland und Joshua Nkomo von Südrhodesien zu Verhandlungen nach London ein. Jedes der drei Gebiete war Gegenstand einer kleinen Konferenz und eine vierte Verfassungskonferenz fand im Plenum statt. Die Abspaltung der reichen Bergbauprovinz von Katanga im Juli 1960, die an das künftige Sambia grenzte, hatte Konsequenzen. Kaunda warf Nkoumboula vor, mit dem "Präsidenten von Katanga", Moise Tshombé, in Verbindung zu stehen, der in die Ermordung des kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba verwickelt war. Aufgrund der Beziehung zwischen Tshombé und Welensky befürchtete Kaunda ein Bündnis von rhodesischen mit belgischen Siedlern in Katanga, die von den mächtigen multinationalen Konzernen unterstützt wurden.

Zur Entschärfung der polarisierten Debatten zwischen schwarzen Nationalisten und weißen Siedlern versuchte London, sich auf eine gemäßigte liberale Partei zu stützen, sowie auf ein duales Wählersystem und eine "Multirassenklausel". Keines der Lager glaubte an diese Klausel, nach der ein Kandidat mindestens vierhundert Stimmen einer "anderen Rasse" erhalten mußte, um seinen Sieg für gültig zu erklären. Die Verhandlungen waren sehr vielschichtig, da alle Beteiligten den britischen Vorschlag ablehnten, allerdings aus diametral entgegengesetzten Gründen. Kaunda, der zögerte, die Wahlen zu boykottieren, beschloß endlich teilzunehmen. Mit vierzehn zu sechzehn Sitzen für die Siedler gewann Kaundas Partei dank der Unterstützung von Nkoumboula, die ihm sieben Sitze zusätzlich einbrachte.


Am 24. Oktober 1964 wurde Sambia unabhängig. Unter welchen Bedingungen ist dies geschehen?

Nach Kaundas Wahlsieg wurde eine neue Verfassung in Kraft gesetzt und im Jahre 1963 wurde Sambia und Malawi ein "Abspaltungsrecht" gewährt, wodurch die zentralafrikanische Föderation aufgelöst wurde. Im Januar 1964 gewann Kaunda Neuwahlen gegen Nkoumboula und die Siedler mit großem Vorsprung. Es gelang ihm, die Spannungen zwischen den Volksgruppen einzudämmen, bevor er am 24. Oktober 1964 die Unabhängigkeit Sambias verkündete. Obwohl Malawi schon etwas früher unabhängig geworden war, weigerte sich die weiße Minderheit in Rhodesien nachzugeben. Sie brachte Ian Smith an die Macht, der im November 1965 die einseitige Unabhängigkeit von Weiß-Südrhodesien verkündet. Erst im Jahre 1980 und mit der tatsächlichen Unabhängigkeit von Simbabwe wurde die Unabhängigkeit Sambias in gewisser Weise bestätigt, weil beide Länder, die eine Reihe von Infrastrukturen teilen, ein gemeinsames Schicksal hatten.


Kaunda bezog sich auf einen "afrikanischen Humanismus". Was meinte er mit diesem Begriff?

Kaundas afrikanischer Humanismus ist eine politische Philosophie, die traditionelle afrikanische Werte mit einer Auswahl an westlichen und christlichen Werten verbindet, die mit dem sambischen Gesellschaftsprojekt vereinbar sind. Der sambische Humanismus stellt den Menschen über wirtschaftliche und materialistische Interessen. Neben der Ablehnung der Ausbeutung und damit des Kapitalismus, ist die Dimension der Nächstenliebe und der Gleichheit stark ausgeprägt. Die Tatsache, dass Kaunda beschlossen hatte, kein Fleisch mehr zu essen, um gegen das Gesetz zu protestieren, das Schwarze verpflichtete, Fleisch an anderen Theken zu kaufen als Weiße, war ein deutliches Zeichen.

Als Verfechter von Askese und Gewaltlosigkeit und inspiriert von Martin Luther King und Ghandi, war Kaunda von der Notwendigkeit einer geistigen Führung der Politik überzeugt. Deshalb rief er im März 1962 aus Furcht, dass sein Wahlsieg niedergeschlagen werden könnte, zur Einsetzung einer "Friedensbrigade" auf, die sich aus deutschen, amerikanischen, kanadischen, indischen, japanischen, norwegischen, aber auch aus französischen Persönlichkeiten wie Abt Peter zusammensetzte, die bereit waren einen "Friedensmarsch" zu starten, um Druck auf die weiße Macht auszuüben. Kaundas sambischer Humanismus schafft einen Zusammenhang, der sich auf moralische Stärke gründet.


Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Doris Fischer vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt.


Zwei weitere Teile des Interviews sind bisher nur auf französisch erschienen, eine deutsche Übersetzung folgt:

Kenneth Kaunda, un humaniste africain qui se réclamait de Gandhi - partie II
17.08.21 - Olivier Flumian
https://www.pressenza.com/fr/2021/08/kenneth-kaunda-un-humaniste-africain-qui-se-reclamait-de-gandhi-partie-ii/

Kenneth Kaunda, un humaniste africain qui se réclamait de Gandhi - partie III
18.08.21 - Olivier Flumian
https://www.pressenza.com/fr/2021/08/kenneth-kaunda-un-humaniste-africain-qui-se-reclamait-de-gandhi-partie-iii/


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 14. September 2021

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