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STELLUNGNAHME/034: Was auch noch gesagt werden muss! (Hans Fricke)


Was auch noch gesagt werden muss!

von Hans Fricke, 9. April 2012



Der gesteuerte Amoklauf gegen den Literaturnobelpreisträger Günter Grass wegen seines am 4. April veröffentlichten Gedichtes "Was man sagen muß" offenbart in besonderer Weise die enge Verbindung von Politik und Konzernmedien unseres Landes mit der Kriegspolitik Israels. Der mediale Aufschrei darüber, dass ein national wie international bekannter und geachteter Deutscher den Mut hat, die israelische Führung für die anhaltenden Spannungen im Nahen Osten und für die zunehmende Kriegsgefahr in diesem Raum verantwortlich zu machen und der Bundesregierung durch die geplante Lieferung eines "weiteren U-Bootes" eine Mitschuld an dieser Kriegsgefahr zuzuweisen, lässt die Meute des Feuilletons und die aufgebrachten Chargen der Politik, vollends aus dem Häuschen geraten.
Die inhaltliche Übereinstimmung der hasserfüllten Kommentare und üblen Beschimpfungen des Dichters, stammen sie nun vom notorischen Islamhasser Henryk Broder, vom Vorstandsvorsitzenden des Medienhauses Axel Springer, Mathias Döpfner, von Klaus Hillenbrand in der taz oder von anderen Schreiberlingen, macht erneut die für die Demokratie so gefährliche Gleichschaltung der Medien in der Bundesrepublik deutlich..

Aufschlussreich für die derzeitige Medienausrichtung ist auch die am 6.‍ ‍April vom Bundestagsabgeordneten Dieter Dehm (DIE LINKE) verbreitete Information, dass eine von ihm in Auftrag gegebene Anzeige mit dem Text "Kein Krieg gegen den Iran!" vom Madsack-Konzern abgelehnt wurde. Selbst das Angebot, nur den Satz Willy Brandts "Krieg ist die ultima irratio" zu zitieren, akzeptierte das vor allem in Niedersachsen tätige Presseunternehmen nicht. Der Linke-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Gregor Gysi, wandte sich mit einem Brief an die Madsack-Führung und fragte darin: "Ist es wirklich in ihrem Verlag so weit gekommen, dass Warnungen vor Krieg und Werben für den Frieden gegen Ihre verlegerischen bzw. unternehmerischen Absichten verstoßen?"

Ihrer gespielten Empörung, mit der die Konzern-Medien seit dem 4. April rund um die Uhr die Meinungswellen hochschlagen lassen, sind jedoch bisher weit weniger Menschen gefolgt, als sie uns einzureden versuchen. So lautet das Ergebnis einer von Financial Times Deutschland am 8. April 2012 durchgeführten Umfrage unter 9.084 Stimmen über die "Thesen von Günter Grass" trotz der medialen Hetze:
"Die Israelthesen von Günter Grass sind...
1.‍ ‍irrsinnig - 8%
2.‍ ‍gefährlich - 4%
3.‍ ‍antisemitisch - 4%
4.‍ ‍diskutabel - 27%
5.‍ ‍richtig - 57%"
Dazu fragt die Zeitung: "Liefert dies nun für zukünftige Studien den Beweis, dass die Deutschen Antisemiten sind?"

Auch die Friedensbewegung stellt sich hinter Günter Grass, der seinem Protest gegen Atomwaffen, den er 1983 vor Mutlangen öffentlich gemacht hat, treugeblieben ist und ihn mit seinem jüngsten Gedicht noch einmal verstärkt.
Der Sprecher der Infostelle Ostermarsch 2012, Willi van Ooyen, äußerte aus Anlass der Auseinandersetzungen um Grass am Karfreitag erneut "Sorge über die politische Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten". Er erklärte: "Wir wollen, dass die Menschen in Israel - aber auch in Palästina, im Irak und in Syrien - in Frieden leben können. Kriegsdrohungen und Kriegsvorbereitungen vergiften die politische Atmosphäre."

Der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Peter Strutynski, stimmte in einer Pressemitteilung der "politische(n) Aussage" des Grass-Gedichtes "ausdrücklich" zu und bescheinigt dem Literaturnobelpreisträger, folgende Tatsachen ins rechte Licht zu rücken, die hierzulande gern verschwiegen werden, nämlich:
- das nicht der Iran, sondern Israel über Atomwaffen verfügt und somit in der Lage ist, den Iran zu vernichten,
- dass nicht Iran, sondern Israel dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten ist und keinerlei internationale Kontrolle über sein Atomprogramm zu lässt,
- dass Deutschland mit der Lieferung eines weiteren U-Bootes sich zum Beihelfer eines möglichen Krieges gegen Iran machen würde,
- dass von der realen Atommacht Israel eine Gefahr für den "brüchigen" Weltfrieden ausgeht,
- dass die Politik des Westens gegenüber Iran und Israel von Heuchelei geprägt ist und
- dass, wer Israels Politik kritisiert, allzu leicht unter das Verdikt des "Antisemitismus" fällt.

Im Nachrichtenmagazin Hintergrund vom 6. April meldeten sich folgende namhafte Persönlichkeiten zu Wort, die aufgrund ihrer Kenntnis und Sachkompetenz die Israelthesen von Günter Grass unterstreichen:
- Prof. Moshe Zuckermann. Er lehrt Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv. Von 2000 bis 2005 leitete er dort das Institut für Deutsche Geschichte. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind: "Sechzig Jahre Israel. Die Genesis einer politischen Krise des Zionismus", Bonn 2009; "Antisemit!"Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument, Wien, 2010.
- Noam Chomsky; Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology; er gilt als der bedeutendste amerikanische Linguist der Gegenwart. Seit den 60er Jahren ist Chomsky darüber hinaus einer der prominentesten politischen Aktivisten seines Landes.
- Domenico Losurdo; ein italienischer Publizist und Professor für Philosophie an der Universität Urbino. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, die international große Beachtung fanden.
- Prof. Dr. Wolfgang Verleger; Autor des Buches "Israels Irrweg. Eine jüdische Sicht" (2010); Mitglied der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost.
- Prof. Ekkehart Krippendorff, Politikwissenschaftler; er lehrte an verschiedenen Universitäten. Zuletzt bis zu seiner Emeritierung war Krippendorff Professor für Politikwissenschaft und Politik Nordamerikas am John F. Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Krippendorff gilt als einer der Pioniere der Fiedensforschung.
- Prof. Norman Paech; er war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2005 Hochschullehrer für Öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg. Er ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac.
- Adam Keller, Sprecher der israelischen Friedensinitiative Gush Shalom
(Siehe: [1])

Unter der Überschrift "Eine gut orchestrierte Hysterie", erklärte Prof. Moshe Zuckermann u.a.:
"Auch dass die Atommacht Israel den 'ohnehin brüchigen Weltfrieden' gefährdet, wie Grass behauptet, muss man nicht als Resultat eines von Israel direkt und bewusst durchdachten Planes verstehen, sondern als Auswirkung einer Politik, die Israel in einem Kontext betreibt, der sich schon oft genug als bedrohlich für den Weltfrieden erwiesen hat..."
"Angelpunkt des gesamten Problems der Existenzbedrohung Israels ist nicht die von den in periodischen Gewaltausbrüchen verwendeten Waffen ausgehende Gefahr, sondern der Nahostkonflikt mit seinem Herzstück, dem historischen Territorialkonflikt von Israelis und Palästinensern. Wer nicht begreifen will, dass die Bedrohung Israels durch die Saddam Husseins und die Ahmadinedschads in erster Linie durch den (noch) ungelösten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern eigentlich erst möglich wird, muss sich vorhalten lassen, dass sein Gerede über die Existenzbedrohung Israels, gar über eine Israel drohende 'zweite Schoah' manipulativ-ideologtischen Charakters ist... Israel will den Frieden mit den Palästinensern nicht, denn dieser ist ohne Abzug aus den besetzten Gebieten nicht zu haben; es betreibt ganz gezielt und intensiv die Besiedlung palästinensischen Landes, unterjocht dabei die Bewohner und bedient sich perfidester Ideologisierung dieses Grundumstandes, indem es seine eigene Nichtbereitschaft zum Frieden auf die von ihm unterdrückten und geschundenen Palästinenser projiziert..."

Und Zuckermann fragt: "Was hat Grass gesagt, das die in Deutschland ausgebrochene Hysterie, wenn schon nicht zu begründen, so zumindest zu erklären vermöchte?" Seine Antwort: "Nichts, was in Israel selbst nicht schon hundertfach gesagt und erörtert worden wäre. Nichts, was man im Hinblick auf Fakten bzw. aufs begründbar Mögliche lapidar infrage stellen könnte."

Damit befindet Zuckermann sich in Übereinstimmung mit Wolfgang Gehrke, Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, der sich dagegen wendet, die Kritik von Grass an Israel als antisemitisch abzutun:
"Eine solche Gleichsetzung ist natürlich völliger Unsinn. Ich habe in Israel viel schärfere Kritik an der Regierung von Benjamin Netanjahu gehört, als die meisten unserer Medien hierzulande zulassen. Sind diese jüdischen Kritiker etwa Antisemiten? Es haben auch jüdische Persönlichkeiten und Gruppen in Europa Grass in Schutz genommen - etwa die 'Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost'."


Hans Fricke ist Autor des 2010 im GNN-Verlag erschienenen Buches "Eine feine Gesellschaft - Jubiläumsjahre und ihre Tücken", 250 Seiten, Preis 15.00 Euro, ISBN 978-3-89819-341-2

Verweis:
[1]‍ ‍http:www.hintergrund.de/201204062011/feuilleton/zeitfragen/was-auch-noch-gesagt-werden-muss.html

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Quelle:
© 2012 by Hans Fricke, Rostock
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2012