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STANDPUNKT/121: Völkerrecht außer Kraft (ZLV)


Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 20. September

Völkerrecht außer Kraft

von Uli Brockmeyer


Als Völkerrecht oder auch Internationales Recht bezeichnet man eine Vielzahl von Abkommen und Verträgen, die im Laufe vieler Jahrzehnte zwischen vielen Staaten abgeschlossen wurden. Eines der wichtigsten Dokumente ist ohne Zweifel die Charta der Organisation der Vereinten Nationen, also jenes Staatenbündnisses, das im Jahre 1945 auf Initiative der Hauptmächte der Anti-Hitler-Koalition gegründet wurde, der Siegerstaaten im Kampf gegen die deutschen und japanischen Faschisten und deren Verbündete. Weil die Sowjetunion, die USA, Großbritannien, Frankreich und China die Hauptlast in jenem Krieg zu tragen hatten, bildeten diese Länder den Kern der neuen Organisation und erhielten das Privileg, im Sicherheitsrat, dem obersten Leitungsgremium der UNO, einen ständigen Sitz einzunehmen und außerdem ein Vetorecht zu besitzen.

Die Gründung der UNO ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Politik seit dem Zweiten Weltkrieg. Trotz all ihrer Fehler und Unzulänglichkeiten ist sie ein Ort, an dem alle Mitgliedsländer weitgehend gleichberechtigt ihre Meinung zu jeglichen politischen Problemen zum Ausdruck bringen können und auf bürgerlich-demokratischer Grundlage Beschlüsse gefaßt werden - zumindest so lange, wie von einer Mehrheit der Staaten die Gründungsprinzipien eingehalten werden. Das war in der Geschichte der UNO nicht immer so.

Zum Beispiel, als nach der Gründung der Volksrepublik China im Oktober 1949 die auf die Insel Formosa geflohene Politikerclique weiterhin den Sitz Chinas okkupieren durfte. Erst 22 Jahre später, am 25. Oktober 1971, beschloß die Vollversammlung, die VR China als einzig rechtmäßigen Vertreter des chinesischen Volkes anzuerkennen. Nicht bis zu Ende durchdachte Entscheidungen über die Gründung des Staates Israel verursachen bis heute zahlreiche Probleme, führen immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen und verhindern eine Vertretung des palästinensischen Volkes in der UNO. Die USA nutzten 1950 die Abwesenheit der sowjetischen Vertreter im Sicherheitsrat, um einen Beschluß herbeizuführen, der sie dazu ermächtigte, unter der Flagge der UNO in Korea einen schmutzigen Krieg zu führen. Auf Betreiben der reaktionärsten Kreise der BRD und ihrer Verbündeten wurde die Aufnahme der 1949 gegründeten DDR in die UNO bis zum September 1973 hinausgezögert.

Viele weitere Beispiele für Fehlentscheidungen ließen sich nennen, die wichtigsten in diesem Jahr waren zweifellos die Sicherheitsratsbeschlüsse Nr. 1973 und 1975, die es der NATO ermöglichten, in Libyen und in der Elfenbeinküste militärisch einzugreifen und die Installation von dem Westen freundlich gesinnten Kräften zu erzwingen. Hier geht es schon nicht mehr »nur« um die Ausnutzung bestehender Bestimmungen, sondern um die Aushöhlung und Außerkraftsetzung des Völkerrechts. Die Formulierungen der Resolutionen 1973 und 1975 gingen bereits über die bisherigen Gepflogenheiten hinaus, aber deren Umsetzung durch starke militärische Kräfte der NATO, die »Schutz der Bevölkerung« als »Regimewechsel« übersetzen, bedeutet eine Gefahr für die Existenz und das Ansehen der UNO.

Es dauerte in der vergangenen Woche nur wenige Stunden, bis eine Mehrheit von Staaten eine demokratisch nicht legitimierte Gruppe von libyschen Umstürzlern zur rechtmäßigen Vertretung des Volkes ernannte. Dem Volk Palästinas wird jedoch seit 66 Jahren die Aufnahme in die UNO verweigert, und die Wetten stehen sehr schlecht, daß sich das in diesem Monat ändern könnte.


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Quelle:
Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek vom 20.09.11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2011