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STANDPUNKT/163: Warten wir's ab (Hans Fricke)


Warten wir's ab

von Hans Fricke, 29. Januar 2012


Wären wir nicht an ähnliche Veranstaltungen im Deutschen Bundestag wie die am 26. Januar 2012 gewöhnt, dann müsste man sie als Lehrstunde der Regierungskoalition zum Thema: "Wie macht man Demokratie zur Farce?" werten.

Die von Bundesregierung und Polit-Medien Kartell als Ausdruck seltener parteiübergreifender Einmütigkeit und Entschlossenheit des Bundestages gefeierte Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der rechtsextremistischen Terrorwelle bekam noch am gleichen Tag durch Radiomeldungen über mangelnde Bereitschaft von Länder-Innenministerien zur Übergabe ihrer Ermittlungsergebnisse an den Untersuchungssausschuss einen empfindlichen Dämpfer. Auch die vom Generalbundesanwalt geäußerten Vorbehalte bezüglich der Offenlegung von Ermittlungsergebnissen geben Anlass für Befürchtungen, dass auch dieser Untersuchungsausschuss wie viele andere vor ihm aufgrund gegensätzlicher Interessen der Ausschussmitglieder und parteitaktischen Verhaltens sehr bald an seine Grenzen stoßen werde. Es sei nur daran erinnert, dass der Verteidigungsausschuss des Bundestages als Untersuchungsausschuss seit dem 21. Januar 2010 versucht hatte, den Luftangriff auf zwei Tanklastwagen nahe dem afghanischen Kunduz mit 142 Opfern, darunter auch Kinder, der weltweit als Kriegsverbrechen gewertet und für Empörung gesorgt hatte, aufzuklären. Im April gab die Bundesanwaltschaft bekannt, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, weil weder die Vorschriften des Völkerstrafgesetzbuches noch die Bestimmungen des Strafgesetzbuches verletzt worden seien.

Im Vorfeld der Bundestagssitzung am 26. Januar 2012 war die Absicht von Union und SPD nicht zu übersehen, für einen Untersuchungsausschuß zu stimmen, der mit "angezogener Handbremse" arbeitet, denn die überwiegende Mehrzahl der Behördenchefs der Sicherheitsorgane und Innenminister in den zu untersuchenden Jahren kamen aus beiden Parteien.

Die in der Bundestagssitzung und danach demonstrierte parteiübergreifende Einigkeit bei der Bekämpfung des Rechtsterrorismus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Interessen der im Untersuchungsausschuss vertretenen Parteien nicht unterschiedlicher sein können.

Die Bundesregierung dürfte nicht daran interessiert sein, das Totalversagen der Ermittler und die Kumpanei des Verfassungsschutzes mit den Neonazis öffentlich zu machen, sondern wird vielmehr versuchen, Polizei und Geheimdiensten noch weitreichendere Kompetenzen zu verschaffen, anstatt für mehr Transparenz in deren Arbeit zu sorgen.

Die SPD mit ihrer abwartenden Haltung und schließlich zögerlichen Zustimmung zur Bildung eines Untersuchungsausschusses ähnelte einem Jagdhund, der zur Jagd getragen werden musste. Sie hatte zunächst geprüft, ob nicht eine Bund-Länder-Kommission geeigneter sei, denn Immerhin war auf dem Höhepunkt der Mordserie Otto Schily (SPD) Bundesinnenminister, in Thüringen regierte eine große Koalition und in mehreren Bundesländern stellte die SPD den Innenminister, sodass sich ihr Interesse an weiteren Enthüllungen über den Verfassungsschutz in engen Grenzen hält.

Linke und Grüne, die am heftigsten einen Untersuchungsausschuss gefordert hatten, sehen sich nun in ihm ausgegrenzt und benachteiligt. Der Grüne Volker Beck warf Union und SPD "parteipolitisches Kalkül" vor. Sie hätten den Ausschuss absichtlich so angelegt, dass Linke und Grüne zusammen nicht genug Stimmen haben, um einen eigenen Beweisantrag zu beschließen und Zeugen vorzuladen - zum Beispiel Otto Schily. Der hatte nach dem Kölner Nagelbombenanschlag im Juni 2004 vorschnell einen rechtsextremen Hintergrund ausgeschlossen.
Eine massive Behinderung, denn in Untersuchungsausschüssen sollte das Mehrheitsprinzip nur eingeschränkt gelten, um eine Kontrolle der Mehrheit zu garantieren.
Dieses offensichtliche parteitaktische Vorgehen von Union und SPD veranlasste den taz-Leser Ulli Müller in seinem Kommentar zu schreiben:

"Wen wundert's, dass die einzigen, die keinen Dreck am Stecken haben, ausgegrenzt werden. Es kann nicht im Interesse der Parteien von Schwarzbraungelb oder SPD liegen, dass hier Versäumnisse aufgedeckt werden."

Das erklärt wohl auch, warum die SPD bei der Entscheidung über die Sitzverteilung für den Untersuchungsausschuss nicht wie eine Opposition, sondern wie eine Regierungspartei gehandelt hat.
Angesichts dieser Lage ist dem taz-Autor Robert von Seeve zuzustimmen, wenn er warnend feststellt:

"Das scharfe Schwert der Opposition, der Untersuchungsausschuss, droht stumpf zu werden. Eine ganz große Koalition ist dafür verantwortlich."

Die bisherigen Bemühungen der Innenministerien von Bund und Ländern, die offensichtliche Kumpanei zwischen Verfassungsschutz und Neonazismus sowie die Verstrickung des Inlandgeheimdienstes in rechte Morde und Bombenanschläge zu bestreiten, und das jahrelange angebliche Nicht-Wissen und das Nicht-Tun der Sicherheitsorgane auf Mängel in der Kommunikation zwischen ihnen zurückzuführen, wurde auch in der Beratung über den Untersuchungsausschuß von den Abgeordneten der Union fortgesetzt.

Auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) handelte nach der Devise "Wir haben doch nichts gewusst", als er am 24. Januar 2012 im ZDF-Morgenmagazin dazu wörtlich erklärte:

"Über viele Jahre hat man nicht gewusst, wer die Mörder sind in dieser Mordserie. Es gab keinerlei Hinweise darauf. Und jetzt muss man eben sehen, die Strukturen so zu verändern, dass man da besser auch Erkenntnisse hat."

Hochmodern ausgerüstete Sicherheitsorgane, die angesichts von neun Morden an türkisch-griechischen Kleinunternehmern, die den Charakter von Hinrichtungen trugen, nicht auf den Gedanken kommen, darin einen Hinweis auf rechtsextremistische Tatmotive zu erkennen, müssen sich fragen lassen, ob sie überhaupt wissen wollten, wer die Mörder sind. Über den Rechtsterrorismus die von Friedrich erhofften "besseren Erkenntnisse" zu erlangen, ist in erster Linie eine Frage des Willens und weniger eine Frage der Strukturen!

"Doch Friedrich ist um eine Rechtfertigung der offenkundigen Versäumnisse nicht verlegen" meint Jacob Jung und zitiert aus dessen Erklärungen im ZDF-Morgenmagazin:

'Aber sehen Sie: Es sind doch viele RAF-Morde bis heute nicht aufgeklärt. Das passiert natürlich schon, dass man bestimmten Dingen nicht auf den Grund kommt. Aber ich bin guten Mutes.'

Anstatt die Versäumnisse der Sicherheitsorgane beim Namen zu nennen, als Voraussetzung für eine wirkungsvolle Bekämpfung des Neonazismus und Rechtsterrorismus, bemüht Friedrich den sinnlosen Verweis auf die RAF, um vom Fehlverhalten der eigenen Behörden abzulenken. Wahrlich keine guten Aussichten, um bezüglich der Entschlossenheit des Ministers dem Neonazismus endlich den Kampf anzusagen, wie dieser "guten Mutes" zu sein.
Das umso mehr, als er so kühn war zu behaupten, die Konsequenzen aus der Nazi-Mord-Serie seien bereits gezogen. Das gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus (GAR) habe seine Arbeit aufgenommen. Darüber hinaus stünde der Aufbau der neuen "Neo-Nazi-Datei" unmittelbar bevor.

Den weiteren Verlauf seiner Ausführungen im ZDF-Morgenmagazin widmete Friedrich der umstrittenen Extremismusklausel sowie der Beobachtung von Abgeordneten der Linkspartei durch den Verfassungsschutz - offenbar sein Lieblingsthema im Zusammenhang mit seiner und seiner Parteifreunde Auffassung von der Gefährdung der inneren Sicherheit der BRD.

Es ist besorgniserregend wie der Bundesinnenminister und seine Kabinettskollegin Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), die scheinbar zu den ausgewiesenen Expertinnen in Sachen Extremismus zählt, sich in Missachtung demokratischer Prinzipien und des Grundgesetzes gegenseitig ihre antikommunistischen Bälle zuwerfen.

Kristina Schröder hat die politische Landschaft der BRD nicht nur mit ihrer Extremismusklausel "bereichert", jene Erklärung, die von jedem unterschrieben werden muss, der offiziell gegen Nazis auftreten will, sie setzt sich auch für die Initiierung und Finanzierung von "Unterrichtsmaterial" ein, mit dem Schüler beispielsweise lernen sollen, dass die Zeitung Neues Deutschland eine linksextremistische Publikation und die Partei DIE LINKE eine linksextremistische Organisation ist. Eine Familienministerin, die ihre Amtszeit dafür nutzt, dass unsere Jugend auf der Grundlage der antikommunistischen Staatsdoktrin der BRD - Thomas Mann nannte den Antikommunismus die Grundtorheit unseres Jahrhunderts - zum Hass gegen alles Linke erzogen wird, ist das Letzte, was unsere Gesellschaft braucht.

Die Frankfurter Rundschau berichtete in ihrer Ausgabe vom 27. Januar 2012 unter der Überschrift "Regierung bügelt Proteste ab", dass Juden und Muslime in Deutschland die Rücknahme der Extremismusklausel fordern. Das erzwungene Bekenntnis zur Verfassung sei "ein Symbol für das Misstrauen, mit dem die Regierung ihren Bürgern begegnet". Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, fordert schwarz-gelb auf, die umstrittene Bedingung für die Förderung von Initiativen und Projekten zurückzunehmen. Sonst werde man über eine Verfassungsklage nachdenken, und der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, erklärte, die Muslime hätten ein zentrales Interesse, gegen alle "Ismen" vorzugehen, auch "gegen die Ideologisierung und Pervertierung des eigenen Glaubens". Der Einsatz gegen Extremismus sei aber in erster Linie Sache der Zivilgesellschaft.

Seit Jahresanfang fordert die Bundesfamilienministerin als Bedingung für die Förderung im Programm "Toleranz fördern - Kompetenz stärken" von den Projektträgern die Unterzeichnung einer "Demokratie-Erklärung". Zudem müssen sich die Träger verpflichten, auch ihre Partnerorganisationen auf ihre Verfassungstreue überprüfen zu lassen.

In einem bereits von vielen Bürgern, darunter viele Professoren, Vereinen, Netzwerken, Aktionen, Instituten, Universitäten und anderen Einrichtungen sowie Vereinigungen der demokratischen Zivilgesellschaft unterzeichneten Aufruf gegen Generalverdacht und Bekenntniszwang heißt es: "Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, macht sich verdächtig!"

Wegen seiner herausragenden Bedeutung für die gegenwärtige Auseinandersetzung mit der Täuschung und bewussten Irreführung der Bevölkerung über Extremismus durch Bundesregierung und Konzernmedien nachfolgend der volle Wortlaut des Aufrufs:

"In der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung wurde beschlossen, die Bundesprogramme gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus auszuweiten. Auch die Auseinandersetzung mit Linksextremismus wurde zur Zielsetzung erklärt. Dagegen wurde in einer unter dem Titel 'Folgenreiche Realitätsverleugnung: Das neue Extremismusbekämpfungsprogramm der Bundesregierung' veröffentlichten Erklärung u.a. eingewandt, dass dieser Neuakzentuierung der Bundesprogramme keine fachlich begründete Problemdiagnose, sondern das politische Motiv zu Grunde liegt, eine veränderte Gefahrendiagnose durchzusetzen; eine Gefahrendiagnose, die auf einer nicht akzeptablen Gleichsetzung linker Gesellschaftskritik mit antidemokratischen und rassistischen Positionen basiert.

Zu befürchten war, dass dies zu einer Ausgrenzung antirassistischer Initiativen und Projekte aus dem Kreis derjenigen führen wird, die als Angehörige der demokratischen Zivilgesellschaft und damit als legitime Gegner des Rechtsextremismus anerkannt werden.

Diese Befürchtung hat sich nunmehr bestätigt. Bei der Verleihung des sächsischen Förderpreises für Demokratie wurde denjenigen, die diese Ehrung erhalten sollten, abverlangt, vorab eine Erklärung zu unterzeichnen. In dieser sollten sie bestätigen, dass sie sich selbst 'zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen'; weiter war zu bestätigen, 'dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls zu den Zielen des Grundgesetzes verpflichten', sowie dass 'keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird'.

In diesem Zusammenhang wurde auch bekannt, dass eine entsprechende Erklärung künftig von allen Projekten und Initiativen gefordert werden soll, die staatliche Fördermittel für demokratisches und menschenrechtliches Engagement beantragen.

Wir erklären hiermit, dass wir uns der Abgabe einer solchen Gesinnungserklärung verweigern werden und fordern auch alle betroffenen KollegInnen, Initiativen und Projekte dazu auf, eine solche Bekenntniszumutung prinzipiell abzulehnen. Die Forderung, die eigene demokratische Haltung ausdrücklich nachzuweisen, erscheint nur vor dem Hintergrund eines entgegenstehenden Generalverdachts sinnvoll, den es dann im Einzelfall zu widerlegen gilt. Es ist aber nicht hinnehmbar, dass ein staatlicher Generalverdacht gegen alle etabliert wird, die sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagieren. Denn damit wird jedes Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus politisch verdächtig gemacht. Projekten und Initiativen wird zugemutet, sich selbst, ihre Mitarbeiter/Innen und Kooperationspartner antidemokratischer Tendenzen zu verdächtigen und entsprechend zu überwachen.

Staatlich verordnetes Misstrauen gegenüber Bürger/Innen ist aber mit einer demokratischen politischen Kultur nicht vereinbar, sondern ein Merkmal autoritärer Regime. Eigentlich sollten nach dem Ende der Nazi-Herrschaft und des DDR-Regimes die Zeiten vorbei sein, in denen sich selbstbewusste engagierte Bürgerinnen und Bürger verdächtig machen."
(http://www.petitiononline.de/petition/wer-sich-gegen-rechtsextremismus-engagiert-macht-sich-verdaechtig)

Das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Pirna (Akubiz) will als erster sächsischer Verein gegen die umstrittene Demokratieerklärung des Freistaates Sachsen klagen. Dabei beruft sich der Verein auf ein Gutachten des juristischen Dienstes des sächsischen Landtages, wonach die Erklärung als verfassungswidrig eingestuft wurde.

Auch das Land Berlin hat beim Bund Widerspruch gegen die Kopplung der Demokratieerklärung an die Förderung der Träger eingelegt. In seiner Begründung beruft sich das Land auf ein Gutachten des Verwaltungsrechtlers Prof. Dr. Ulrich Battis, nach dem Teile der Erklärung "verfassungsrechtlich bedenklich" seien und gegen den Artikel 3 des Grundgesetzes verstoßen würden.

Ein für Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) erstelltes Gutachten, dass der Frankfurter Rundschau vorliegt, stellt fest, anders als bei Verbeamtung oder Einbürgerung habe der Staat in einem bloßen Zuwendungsverhältnis kein Recht, ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu verlangen. Im Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages heißt es:

"Eine bestimmte Meinung nicht zu haben bzw. nicht äußern zu wollen, fällt in den Schutzbereich des Artikels 5 Abs. 1 GG. Die Meinungsfreiheit, die ihrerseits konstituierend für die Demokratie ist, lässt selbst eine kritische Auseinandersetzung mit Verfassungsgrundsätzen und -werten zu."

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) erklärte, die Bundesregierung schaffe mit der Klausel ein "Klima des Misstrauens". "Es hat Jahre gedauert, um die Menschen zu motivieren, sich gegen rechts zu engagieren", sagte Hövelmann. Nun sähen sich die Strukturen einem Generalverdacht ausgesetzt.

Trotz dieses beschämenden Nachhilfe-Unterrichts hält die Bundesregierung an der Extremismusklausel fest und beweist damit ein weiteres Mal, was sie von Grundsätzen der Demokratie und vom Grundgesetz hält, sofern diese ihren Plänen entgegen stehen - nämlich nichts!

Die gleiche politisch-ideologische Verbohrtheit beweist Bundesinnenminister Friedrich (CSU) bei seinem Festhalten an der geheimdienstlichen Überwachung von Abgeordneten der Partei DIE LINKE. Es gebe "tatsächliche Anhaltspunkte", dass es "der Linken, jedenfalls Teilen davon, um die Errichtung der Diktatur des Proletariats marxistisch-leninistischer Prägung geht", erklärte er am 26. Januar 2012 in der Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag. Deshalb habe er das Bundesamt für Verfassungsschutz angewiesen, die Liste der zu beobachtenden Linkspartei-Abgeordneten (27 im Bund, 21 in den Landtagen) mindestens einmal im Jahr zu überprüfen und zu aktualisieren.

Der Innenexperte der Linksfraktion, Jan Korte, sprach von einem "schier unglaublichen Vorgang". Die Beobachtung der Linken durch den Inlandsgeheimdienst sei antidemokratisch; sie zerstöre "das Vertrauen in die Politik vor Ort" und die Chancengleichheit der Parteien. Das Eintreten seiner Partei gegen Krieg und Sozialabbau sei demokratisch legitim.

Verdienterweise verheddern sich die Verfechter der geheimdienstlichen Überwachung der Linkspartei in Bundesregierung und Bundestag in ihren eigenen Lügen. So hatte Innenminister Friedrich bisher erklärt, es gebe keine Überwachung mit nachrichtendienstlichen Mitteln, allein offen zugängliche Quellen würden verwendet.

Mit seinem Eingeständnis am 25.01.2012: "Sieben Länder beobachten mit nachrichtendienstlichen Mitteln den ganzen Landesverband oder nur Splittergruppen wie die Kommunistische Plattform", bescheinigte der oberste Verfassungsschützer in Niedersachsen, Hans-Werner Wargel, Innenminister Friedrich, damit die Unwahrheit gesagt zu haben. Nicht anders erging es dem CSU-Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Uhl, der sich über die Gleichsetzung von "Beobachten und Überwachen" durch Redner der Linken beschwerte, "als wären da Abhören im Spiel oder ähnliche nachrichtendienstliche Mittel. Das ist nicht korrekt". Es würden nur "offene Quellen" genutzt. Er musste sich vom Linken-Politiker Bockhahn, der auch im Geheimdienstkontrollgremium sitzt, sagen lassen, dass einzelne Länder offen erklärt hätten, nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen. Die Erkenntnisse nutze wiederum auch das Bundesamt für Verfassungsschutz.

Wenn es außerdem noch eines ganz konkreten Beweises bedarf, dann sei auf die Verfassungsschutzakte zu Fraktionschef Gregor Gysi verwiesen, denn sie enthält nachweislich nachrichtendienstlich beschaffte Unterlagen.
In einem Schreiben des Bundesinnenministeriums an das Verwaltungsgericht Köln wird erklärt, warum Gysi Teile der Akten vorenthalten wurden und viele Seiten geschwärzt sind: "Bei Blatt 18 bis 24 handelt es sich um eine Übersendung von nachrichtendienstlich beschafften Unterlagen an das BFV", zitiert dpa aus dem Schreiben.

In seinem Brief an den Bundespräsidenten, den Bundestagspräsidenten und die Bundeskanzlerin vom 23.01.2012 weist Gregor Gysi mit Nachdruck darauf hin, dass mit der Überwachung der 27 Bundestagsabgeordneten der Linkspartei das Grundgesetz schwerwiegend und in mehrfacher Hinsicht verletzt wird:

"Der Bundestag insgesamt wird durch diese Vorgehensweise missachtet und in seinen Rechten verletzt. Der Bundestag hat unter anderem die Funktion, die Tätigkeit der Geheimdienste in Deutschland zu kontrollieren. Die Tatsache, dass ein Geheimdienst diese Funktion umdreht und meint, selbst Abgeordnete überwachen zu dürfen, ist nicht hinnehmbar."

Im gleichen Brief macht Gysi auf einen weiteren skandalösen Sachverhalt aufmerksam, der einem "Ding aus den Tollhaus" nahe kommt:

"Mit der absoluten Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages wurden die Abgeordnete Petra Pau zur Vizepräsidentin und der Abgeordnete Steffen Bockhahn zum Mitglied des geheimen Kontrollausschusses gewählt. Es ist deshalb auch eine Brüskierung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, wenn unabhängig davon diese Abgeordneten vom Inlandsgeheimdienst überwacht werden. Besonders bemerkenswert ist der Umstand, dass der Abgeordnete Steffen Bockhahn im Kontrollausschuss die Tätigkeit der Geheimdienste kontrollieren soll, wobei sich einer der Geheimdienste das Recht nimmt - quasi in Revanche - den Abgeordneten Steffen Bockhahn zu überwachen."

Es stellt sich die Frage, warum Bundesinnenminister Friedrich wider besseres Wissens von der Linkspartei das oben zitierte Schreckensszenario an die Wand malt, obwohl er besser als jeder andere weiß, dass seine Verschwörungstheorien von der "Errichtung der Diktatur des Poletariats marxistisch-leninistischer Prägung" und der "Beseitigung des Rechtes auf allgemeine freie Wahlen" durch die Linkspartei jeder Grundlage entbehren?

Die Antwort scheint ebenso simpel wie nachvollziehbar:
Mit der Überwachung von mehr als einem Drittel der Mitglieder der Fraktion DIE LINKE im Bundestag wird versucht, den Wählerinnen und Wählern Angst zu machen. Sie sollen im Unterschied zu den anderen Bundestagsparteien Hemmungen bekommen, die Partei DIE LINKE zu wählen. Hinzu kommt, dass Bürgerinnen und Bürger davon abgehalten werden sollen, Mitglieder der Linkspartei zu werden.

In seinem Beitrag "Wer NPD sagt, muss auch Linkspartei sagen" zitiert Jacob Jung die folgende Erklärung des Bundesinnenministers im ZDF-Magazin am 24.01.2012:

"Sie müssen bedenken, wir haben auch Spitzenfunktionäre der NPD in Parlamenten. Wenn man die allgemeine Forderung aufstellt, es darf der Verfassungsschutz überhaupt nicht mehr beobachten, was Abgeordnete machen, also Zeitungen auswerten, Rundfunkansprachen auswerten, dann müsste ich ja sofort auch die Beobachtungen dieser NPD-Spitzenfunktionäre einstellen. Das kann ja nicht sein."

"Mit diesem Statement", so Jacob Jung weiter, "stellt Friedrich einen absurden Zusammenhang zwischen der rechtsextremen NPD und Linkspartei her, der selbst den Moderator irritiert. Dieser quittiert die Äußerung des Innenministers mit: 'Ich glaube, Sie haben mit dieser Aussage einen Ball ins Rollen gebracht, der sicherlich über den Tag noch weiterlaufen wird.'

In der Tat lässt sich der Bundesinnenminister tief in die Karten schauen und zeigt deutlich, worum es ihm geht: DIE LINKE soll durch die fortgesetzte und immer wieder öffentlich gemachte Beobachtungspraxis der Verfassungsschützer in ein kriminelles Licht gerückt werden.

Den Menschen wird suggeriert, dass sie selber leicht in Konflikt mit Gesetz und Verfassungsschutz geraten können, wenn sie sich innerhalb der Linkspartei engagieren oder öffentlich linke Positionen vertreten. Das Innenministerium nutzt seine Macht und seinen Einfluss, um unrechtmäßig in die freie politische Meinungsbildung und in die demokratischen Prozesse einzugreifen und wäre damit eigentlich selber ein Fall für den Verfassungsschutz."
(!)

Aus alledem zieht die Vorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch, den Schluss, dass Friedrich sich mit seiner Gleichsetzung der Beobachtung von NPD und Linkspartei "unter der geistigen Armutsgrenze" befinde und dabei sei, mit dem Holzhammer die Verfassung zu zertrümmern.

Dem parlamentarischen Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, ist zuzustimmen, wenn er konstatiert: "Minister Friedrich ist mit seiner Aufgabe überfordert."


Hans Fricke ist Autor des 2010 im GNN-Verlag erschienenen Buches "Eine feine Gesellschaft" - Jubiläumsjahre und ihre Tücken<(i> - 250 Seiten, Preis 15.00 Euro, ISBN 978-3-898-341-2


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Quelle:
© 2012 Hans Fricke
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2012