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STANDPUNKT/249: Wirtschaftlicher Aufbruch in Asien - Chance für Afghanistan? (Jürgen Heiducoff)


Wirtschaftlicher Aufbruch in Asien - Chance für Afghanistan?

Aufbau und Entwicklung durch regionale Akteure

von Jürgen Heiducoff, 4. Januar 2013



Die Erfolge Chinas - ein Dorn im Auge des Westens

Die "freien" westlichen Medien haben eine nie dagewesene Hetzkampagne gegen die Eliten der Volksrepublik China begonnen. Da wird über Korruption geschrieben, als sei dies etwas anderes als der Lobbyismus bei uns. Da werden unbewiesene Angaben über die Höhe des Vermögens einzelner Staatsfunktionäre veröffentlicht. Warum und warum gerade jetzt? Hat dies vielleicht damit zu tun, dass es nicht ins Bild passt, dass das chinesische Wirtschaftsmodell im Unterschied zum eigenen funktioniert? Hat es damit zu tun, dass die eigene Krise kaum noch zu beherrschen ist und die Schere zwischen Arm und Reich in den westlichen Demokratien sich spektakulär öffnet?

Die großen Banken und viele erfolgreiche Industrieunternehmen Chinas befinden sich im Besitz des Staates und werden von Staatsfunktionären und Managern erfolgreich gelenkt. Sie sind es, die der chinesischen Ökonomie zu dem anhaltenden Boom verhalfen. Sie sind es, die den Außenhandel der Volksrepublik so gewaltig anwachsen ließen. Warum sollen diese Eliten nicht für ihre außergewöhnlichen Leistungen entsprechend honoriert werden? Ich halte mich seit über sechs Jahren regelmäßig in China auf. Man kann in diesem Land im Vierteljahrestakt die gewaltigen Veränderungen und die beeindruckende Aufbauleistung beobachten. Es ist auch zu sehen, wie rasch sich die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern.

Der Beitrag Chinas an der Weltwirtschaft trug bisher unbestritten zur Eindämmung der weltweiten Krise bei. Chinas ökonomische Erfolge bestimmen seit einigen Jahren den wirtschaftlichen Aufbruch Asiens.

Hier soll untersucht werden, welche Chancen dieser Aufbruch für die gesamte Region, auch für Afghanistan haben kann.

China, aber auch einige andere Staaten Asiens haben sich in den letzten Jahren überdurchschnittlich schnell entwickelt. Vor allem China und Indien haben trotz weltweiter Krise durch ihr dynamisches Wirtschaftswachstum das bisherige Kräfteverhältnis grundlegend verändert. Entsprechend stieg auch ihr politisches und militärisches Gewicht. Die asiatisch-pazifische Region ist deshalb ins Visier der Außen- und Sicherheitspolitik der USA geraten. Die Politik, die Geheimdienste, die Militärs und die Medien der USA und ihrer Verbündeten haben ihre volle Aufmerksamkeit auf das gerichtet, was sich im Osten und im Herzen Asiens tut.


Die Entwicklungsdynamik in Asien wird nicht auf Dauer ohne Auswirkungen auf Afghanistan bleiben

Diese gewaltigen Veränderungen auf dem größten Kontinent bleiben kaum ohne Auswirkungen auf Afghanistan. Das Land hat starke und einflussreiche Nachbarn bekommen, die einerseits um die Vorherrschaft in Asien ringen und andererseits vielfältige Beziehungen zum gegenseitigen Nutzen anstreben. Sie alle vereint das Ziel, den Einfluss gewaltbereiter Islamisten einzuschränken. China, Indien, aber auch Russland, der Iran und einige zentralasiatische GUS-Staaten möchten die Präsenz der USA in Asien zurück drängen. Die expandierenden Volkswirtschaften brauchen Rohstoffe und Energie möglichst aus der Region. Als Rohstofflieferant und Transitland bietet sich das zentral gelegene Afghanistan an. Deshalb besteht ein starkes Interesse an einem stabilen Afghanistan. Garantien dafür sind der Aufbau einer funktionierenden Wirtschaft und stabile soziale und politische Verhältnisse.

Die immer öfter auftretenden pessimistischen Auffassungen, dass in und mit Afghanistan alle Hoffnung verloren sei, gehen somit an der Realität vorbei. Allerdings die überzogene Hoffnung einiger selbstbewusster und stolzer Afghanen, die Menschen im Land am Hindukusch könnten ihre Probleme selbst lösen, wenn nur endlich die ausländische Einmischung beendet würde, ist unrealistisch. Zu gering sind die Einnahmen, die das Land selbst erwirtschaftet und zu hoch ist der Investitionsbedarf.

Afghanistan, eines der ärmsten Länder der Welt, braucht auch künftig äußere Unterstützung.
Die Fragen sind nur: Durch wen und mit welchen Methoden? Wer ist dazu fähig und bereit?


Ein wirtschaftlich starkes Afghanistans war nie das Ziel des Westens

Die Weltöffentlichkeit nahm im Oktober 2001 das abrupte Eingreifen der USA und ihrer Partner in Afghanistan überrascht zur Kenntnis. Es gab keine Veröffentlichungen über langfristige und fundierte Pläne dafür, geschweige denn über Vorhaben des wirtschaftlichen Aufbaus.

Die Zeit vom Anlass für den "Krieg gegen den Terror" bis zum Beginn der komplexen militärischen Operationen gegen die Taliban war so kurz, dass es schwer fällt, zu glauben, die Planungen dafür hätten erst nach dem 11.September 2001 begonnen.

Von Beginn des westlichen Afghanistan-Engagements an wurde immer wieder darauf verwiesen, dass Sicherheit vor Aufbau komme. Konkrete und umfassende Pläne für einen nachhaltigen und umfassenden Aufbau von Infrastruktur und Wirtschaft lagen jedoch nie vor. Doch wie sollen demokratische Strukturen, gute Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit entstehen ohne eine materielle Basis dafür zu schaffen?

Indes deformierten die ständige Stärkung des Gewaltpotentials und die unangemessene militärische Gewalt das Land weiter. Der seit über elf Jahren andauernde Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte, deren Ausrüstung und Ausbildung trägt allein nicht zur Lösung der gewaltigen Probleme des Landes bei. Wie soll den afghanischen Sicherheitskräften künftig gelingen, wozu hoch motivierte und modern bewaffnete und ausgerüstete westliche Truppen nicht fähig waren - Sicherheit und Stabilität zu erreichen?

Die Aufstellung und Bewaffnung immer neuer Armee- und Polizeieinheiten sowie von örtlichen Milizen erhöht das Risiko bewaffneter Auseinandersetzungen und eines Bürgerkrieges. Durch immer mehr Waffen steigt die Wahrscheinlichkeit ihres Einsatzes. Wenn der Sicherheitsbereich und kriminelle Strukturen die attraktivsten Erwerbsmöglichkeiten bieten und ansonsten Arbeitslosigkeit herrscht, können die extremen sozialen Defizite nicht abgebaut werden.

Es ist das Schicksal Afghanistans, dass es in den letzten nahezu zweihundert Jahren vom Rest der Welt immer wieder vergessen wurde, damit es später wieder entdeckt werden konnte.

Diese "Wiederentdeckungen" erfolgten auf der Grundlage neu geweckter äußerer Interessen meist gewaltsam. Den Kriegen Großbritanniens und der Sowjetunion folgten weder Wiedergutmachung, noch Wiederaufbau. Wird das Land künftig erneut vergessen wie nach der Niederlage der Briten im 19. Jahrhundert, wie nach dem Abzug der sowjetischen Truppen im 20. Jahrhundert oder wie während und nach dem verheerenden Bürgerkrieg der Warlords?

Die letzte große "Wiederentdeckung" Afghanistans durch die internationale Gemeinschaft und das internationale Kapital stand unter dem Einfluss der Vereinigten Staaten von Amerika. Es war eine militärische Intervention. Die USA lieferten 2001 den politischen Grund und trugen die Hauptlast beim Kampf gegen den Terror, als dessen Quelle und Herd sie Afghanistan benannten.

Durch die Operationen ihrer Truppen, durch die unangemessene Eskalation der militärischer Gewalt und durch die Nichteinhaltung ihrer Versprechen haben die westlichen Staaten das Vertrauen beim überwiegenden Teil der Bevölkerung verloren.

Es wurden immer wieder neue Truppen mit besserer Bewaffnung und Ausrüstung ins Gefecht geführt. Der Krieg gegen den Terror wurde ohne Kriegserklärung auf das Nachbarland Pakistan ausgeweitet. Moderne Waffen sind entwickelt und erprobt und neue Kampfmethoden wie der Drohneneinsatz des gezielten Tötens implementiert worden. Gewaltige Summen flossen den Rüstungskonzernen zu. Dennoch blieb ein militärischer Sieg aus. Die Generäle mussten einsehen, dass die Probleme des Landes am Hindukusch allein militärisch nicht zu lösen sind.

Schließlich gerieten die USA und viele ihrer Verbündeten an die Grenzen ihrer Staatsfinanzen, ohne einen überzeugenden militärischen Sieg vorweisen zu können.

Die Investitionen in den zivilen Aufbau in Form der Entwicklungshilfe beschränkten sich auf einen Bruchteil der militärischen. Auch daran wird deutlich, dass der Westen kein wirkliches Interesse an einem durchgreifenden wirtschaftlichen Aufbau Afghanistans hatte.

Das Land am Hindukusch dient als Experimentierfeld für neue Waffen und als Absatzmarkt der Produkte der Rüstungsindustrie.


Die neue US-Strategie - Bedrohung der neuen asiatischen Mächte

Die der Weltöffentlichkeit zunächst als Abzug der Kampftruppen vorgetäuschte Umgruppierung der US-Truppen in Asien ist Teil der Implementierung der neuen auf den asiatisch-pazifischen Raum gerichteten US-Strategie. Der Abbau der westlichen Truppen in Afghanistan ist leider kein Schritt der militärischen Abrüstung, sondern dient der Schaffung einer strategischen Gruppierung zur Abschreckung der in der Region erstarkenden Staaten. Der Krieg gegen den Terror, der in Afghanistan und im Irak zu mehr Chaos und Terror führte als zuvor, wird stillschweigend beendet.

Der verlustreiche und aussichtslose Kampf gegen die Aufstandsbewegung wird den afghanischen Sicherheitskräften zugeschoben. Afghanistan soll künftig mit einigen Militärbasen Teil der Stationierungskette von US-Truppen und militärische Drohkulisse im asiatisch-pazifischen Raum sein.

Die neuen Regionalmächte in Asien, die sehr schnell die wirtschaftlichen Verhältnisse der gesamten Welt veränderten, fühlen sich zurecht bedroht. Sie haben kein Interesse an einer weiteren Destabilisierung im Herzen Asiens. Sie brauchen ein stabiles Afghanistan als Nachbarn, in dem sich kein neuer Terror entwickeln und verbreiten kann.

Der Weg zu diesem Ziel führt über den Aufbau einer nachhaltigen wirtschaftlichen Basis.


Afghanistan braucht eine funktionierende Wirtschaft

Bundespräsident Gauck würdigte während seines vorweihnachtlichen Afghanistan-Besuch ausdrücklich den harten Einsatz der Bundeswehrsoldaten. "Soldaten müssen sich in Gefechten und gegen Überfälle behaupten, müssen heimtückische Anschläge befürchten", sagte das Staatsoberhaupt. Doch sei in Afghanistan allein militärisch nichts zu gewinnen. Daher komme es auch auf Polizisten und Entwicklungshelfer an. "Sie alle können nur miteinander zum erfolgreichen Wiederaufbau des Landes beitragen."[1] Man höre in Deutschland von verwundeten oder getöteten Soldaten, nicht aber von zivilen Errungenschaften wie Stromanschlüssen und Schulabschlüssen, sagte Bundespräsident Gauck während seines Besuches. In Mazar-i-Scharif wandte sich Gauck an die deutschen Soldaten, Polizisten und Entwicklungshelfer mit den Worten: "Sie arbeiten auch daran, hier in Afghanistan diejenigen zu ermutigen, die Frieden, Demokratie und Wohlstand schaffen wollen".[2]

Sicher haben Soldaten zusammen mit Polizisten und vor allem Entwicklungshelfern Schulen, Krankenhäuser, Brücken, Straßen, Brunnen, Wasser- und Stromleitungen repariert und gebaut. Doch dies sind Tropfen auf den heißen Stein. Von komplexem wirtschaftlichem Aufbau ist dies noch weit entfernt.

SPD-Fraktionsvorsitzender Steinmeier sieht dies in einem Interview mit dem Magazin des Deutschen Bundeswehrverbandes vom November 2012 durchaus realistisch: "Sorge macht mir vor allem die wirtschaftliche Lage. Es ist bislang nicht gelungen, eine selbsttragende Entwicklung in Gang zu setzen. Die Potentiale dafür sind zweifellos vorhanden, aber sie werden bislang nicht entschlossen genug genutzt."

Diese Sorge ist mehr als berechtigt, denn der Aufbau einer wirtschaftlichen Basis durch die kriegführenden Staaten hat bisher nicht begonnen. Statt dessen wurde die Entstehung einer illegalen Schattenwirtschaft nicht verhindert.

Durch die Vernachlässigung des Aufbaues funktionierender Staatlichkeit konnte sich ein weit verzweigtes Netz der Kriminalität und Unsicherheit entwickeln. Viele meiner afghanischen Freunde, aber auch erfahrene Entwicklungshelfer wie z.B. Karla Schefter oder Dr. Erös bestätigen, dass sie noch nie so viel Angst hatten, überfallen zu werden, wie derzeit.

Aus dieser Situation gibt es nur einen Ausweg: ein durchgreifender, breit angelegter wirtschaftlicher Aufbau. Dafür muss ein politischer Wille vorhanden sein. Das Problem ist die Fähigkeit und Bereitschaft seiner Finanzierung. Diese kann weder durch einzelne private Unternehmen, noch durch die extrem verschuldeten westlichen Staaten erbracht werden.

Chinesische Staatsunternehmen verfügten, wie das chinesische Afrika-Engagement zeigt, über die Fähigkeiten, wirtschaftliche Großprojekte in Afghanistan zu betreiben. Kapitalstarke indische Unternehmen würden sich nicht zurück halten. Und auch der Iran könnte die schon laufenden Projekte im Raum Herat zu erweitern.

Die neuen Wirtschaftsmächte der Region sind zudem an einem wirtschaftlich stabilen Afghanistan interessiert, um eine weitere Verbreitung des islamischen Fundamentalismus zu verhindern.

Durch die Schaffung von Arbeitsplätzen zunächst im Bergbau, in Betrieben der verarbeitenden Industrie sowie im Transportwesen würden der ausufernden Kriminalität und dem Terror die Grundlagen entzogen und die Voraussetzung für die Beseitigung der sozialen und Sicherheitsdefizite geschaffen. Ein systematischer und nachhaltiger Aufbau einer wirtschaftlichen Basis kann die gewaltigen Sicherheitsdefizite beseitigen - nicht umgekehrt.


Versuch der Stabilisierung im Herzen Asiens - neue Akteure aus der Region für Afghanistan

Neue Akteure, vor allem aus der Region müssen, wollen und können sich engagieren.
Etwa zeitgleich mit der Verkündung der neuen Strategie der USA ist im November 2011 in Istanbul der Hearth-of-Asia-Prozess, auch Istanbuler Prozess genannt, eingeleitet worden. Es geht um qualitativ neue Dimensionen der Zusammenarbeit der Länder im "Herzen Asiens" auf allen Gebieten.

Dieser hat laut Fortschrittsbericht Afghanistan der Bundesregierung vom November 2012 "die konstruktive Zusammenarbeit unter den Staaten der Region zum Ziel. Langfristige Kooperation in Sicherheits-, Wirtschafts- und Entwicklungsfragen soll die Voraussetzungen für wachsende Stabilität und Wohlstand der Gesamtregion schaffen."[3]

Damit wird ein Ziel für alle Staaten Zentralasiens definiert, das die US-dominierte internationale Gemeinschaft seit 2001 nicht einmal in Afghanistan erreichte.

Der Schwerpunkt muss auf dem wirtschaftlichen Aufbau liegen. Voraussetzung für den Erfolg ist ein gleichberechtigter und von gegenseitigem Nutzen getragener nationaler und regionaler Prozess ohne Einmischung global agierender Mächte.

Die USA und andere westliche Staaten betrachten den Hearth-of-Asia-Prozess als Ergänzung ihres Afghanistan-Engagements. Das wird jedoch so nicht funktionieren, denn viel zu gering sind die Mittel des Westens für zivilen Aufbau und stets war dieser von militärischer Gewalt dominiert. Die regionalen Akteure, von denen die meisten einen zielgerichteten Aufbau Afghanistans ohne militärische Gewalt und ohne politische Bevormundung anstreben, werden sich auch künftig nicht dem Willen der USA oder anderer westlicher Staaten unterordnen.

Die Methoden des Aufbaues und der Entwicklung Afghanistans werden völlig andere sein müssen, um endlich Erfolge aufweisen zu können. Sie müssen zunächst auf den Aufbau der Grundlagen der industriellen Förderung und Verarbeitung der gewaltigen Rohstoffreserven des Landes gerichtet sein. Auch die Hauptakteure werden andere sein müssen. Es werden vorrangig Firmen aus den Nachbarstaaten der Region den Ton angeben. Ganz vorn positionieren sich staatliche chinesische Großunternehmen der Bergbaubranchen. Auch Indien und der Iran sind gut aufgestellt. Der Energiesektor soll durch enge Zusammenarbeit mit Tadschikistan unterstützt werden.

Natürlich ist internationales, nationales wie auch privates Engagement immer auch an externen und internen Interessen orientiert.

Dass den Nachbarstaaten die entscheidende Rolle beim Aufbau Afghanistans zukommen soll, wird auch im aktuellen Fortschrittsbericht der Bundesregierung begründet (Seite 70):

"Durch regionale Zusammenarbeit und Integration werden Wirtschafts- und Handelschancen verbessert und der politische Dialog gestärkt, was wiederum die Nachhaltigkeit von Entwicklungsbemühungen begünstigt. Angesichts der Tatsache, dass das fortwährende Engagement der Partner Afghanistans in der Region für die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen wie Terrorismus, Extremismus, illegale Drogen, Flüchtlinge, Katastrophenvorsorge, Handelsschranken, Investitionen und Wirtschaftswachstum nach wie vor von zentraler Bedeutung ist, spielen regionale Prozesse und Foren zur Förderung eines regelmäßigen politischen Dialogs und zur Vertrauensbildung zwischen den Ländern eine sehr wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang erkannten die Teilnehmer die Bedeutung des am 2. November 2011 ins Leben gerufenen, regional verantworteten und unter afghanischer Führung stehenden Istanbuler Prozesses an und begrüßten die Fortschritte dieses Prozesses, der sich der praktischen Durchführung der wichtigsten vertrauensbildenden Maßnahmen durch die betreffenden Länder und Organisationen stufenweise annähert, was einen zentralen Schritt hin zu mehr Zusammenarbeit, Interaktion und Vertrauen zwischen den direkten und den weiter entfernten Nachbarn Afghanistans darstellt."

Effizienz und Erfolg der neuen Methoden und Akteure am Hindukusch bleiben abzuwarten.
Klar ist, dass künftig Aufbau und Entwicklung ohne militärische Gewalt von außen und ohne politische Bedingungen gegenüber Kabul erfolgen sollen. Die Sicherheitsverantwortung für die Projekte sollen vertraglich der afghanischen Exekutive zugeordnet werden.

Eine weitere Stationierung westlicher Truppen und die Fortsetzung von Antiterroroperationen der USA würden den Prozess des Aufschwungs Afghanistans massiv behindern.

Es zeigt sich schon jetzt, dass bestehende wirtschaftliche Verträge und Pläne zügig umgesetzt werden.
Dies unterscheidet das regionale Engagement generell von dem der US-dominierten internationalen Gemeinschaft. Diese hatte neben einem Krieg gegen die Aufstandsbewegung unendlich viele Konferenzen, Konzepte und Pläne produziert, ohne einen wesentlichen Durchbruch auf dem Gebiet des Aufbaues zu erreichen. Gewaltigen Finanzströme für Afghanistan sind eigenen Unternehmen in und außerhalb des Landes zugeflossen.

Und nun, noch bevor die neuen Akteure ihre Arbeit systematisch beginnen können, werden sie von den westlichen Medien massiv diffamiert. Da wird von der Zerstörung buddhistischer Kulturschätze im Raum Mes Ainak durch die chinesische Firma Metallurgical Group Corporation of China (MCC) gesprochen, obwohl die Kupfermine ihre Arbeit noch gar nicht begonnen hat. Tatsache ist jedoch, dass die Abbaurechte für das Kupfer von Ainak an eine Reihe vertraglicher Verpflichtungen der Chinesen gegenüber den afghanischen Behörden geknüpft sind. So hat China die archäologischen Ausgrabungen im Umfeld der künftigen Kupfermine, die bereits in vollem Gange sind, finanziert.

In einer Sendung des n-tv am 20.11.2012 heißt es: "Rund 50 Archäologen und 550 Arbeiter sind mit den Arbeiten betraut, die von der französischen archäologischen Mission in Afghanistan (DAFA) überwacht werden. Nach Angaben ihres Direktors Phillippe Marquis stellt das chinesische Bergbauunternehmen insgesamt umgerechnet rund 23,5 Millionen Euro für die Ausgrabungen bereit."[4]
In anderen Medien tauchen Leitsätze auf wie: "Mes Ainak: Weil ein chinesisches Unternehmen in einer Kupfermine Metall abbauen will, muss eine antike Buddhistenstadt in Afghanistan weichen".[5]

Im Fortschrittsbericht Afghanistan zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages vom Dezember 2011 ist noch zu lesen, was in den folgenden dieser Berichte nicht mehr auftauchen soll:
"Die wichtigsten laufenden Bergbauprojekte sind: Aynak Kupfervorkommen: 35 km südöstlich von Kabul, gesicherte 625 Mio. Tonnen Erz mit einem Kupfergehalt von 1,6%. Derzeit laufen die Erschließungsarbeiten durch die China Metallurgical Group Corporation (MCC). MCC hat vertraglich zugesagt, zur infrastrukturellen Anbindung der Mine eine Eisenbahnstrecke von der usbekischen bis an die pakistanische Grenze zu bauen."[6]

Inzwischen sind auch die Erdölförderungsrechte auf den Ölfeldern bei Sar-e-Pul in Nordafghanistan der Nationalen Chinesischen Ölgesellschaft (CNPC) zugeteilt worden.

Mir ist bisher kein westliches Aufbauprojekt der Gegenwart in Afghanistan bekannt, welches in diesen Dimensionen auch die Schaffung der erforderlichen Infrastruktur beinhaltet.

Die Frankfurter Rundschau berichtete am 04.12.2012 vom Afghanistanbesuch des SPD-Fraktionsvorsitzenden: "Im Gespräch mit dem afghanischen Wirtschaftsminister Abdul Hadi Arghandiwal machte Steinmeier deutlich, wie wichtig es für das Land werde, eine funktionierende Wirtschaft aufzubauen, die nicht nur auf ausländische Hilfsgelder und die Präsenz internationaler Entwicklungsorganisationen angewiesen ist. Arghandiwal zeigte sich zuversichtlich, dass Afghanistan von der Ausbeutung seiner reichen Bodenschätze in der Zukunft sehr profitieren werde."[7]

Damit hat Steinmeier die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges bestätigt. Eine regionale Lösung erscheint sinnvoll. Die Weichen dafür sind gestellt. Die Regionalmächte China, Indien und Iran werden den Ton angeben - dies bei allen zwischen ihnen bestehenden Interessendifferenzen. Sie haben jedoch ein gemeinsames Ziel: den Einfluss der USA und des Westens in der Region zurückzudrängen und dem islamistischen Terror den Boden entziehen.

Dies wiederum ist der Grund, warum die gescheiterten westlichen Akteure den Fuß nicht von der Türschwelle Zentralasiens nehmen wollen. Die USA kämpfen um das Recht zum Weiterbetreiben von Militärbasen in Afghanistan. Andere ISAF-Nationen, auch Deutschland möchten nach 2014 mit dem Vorwand der Ausbildungsunterstützung für die afghanischen Sicherheitskräfte militärische Einheiten am Hindukusch belassen. Aber auch der Nordatlantikpakt will sich nicht aus dieser Region zurückziehen, die vom Pazifischen und Indischen Ozean weniger weit entfernt ist als vom Atlantik. Die ANTAAM (Afghan NATO Training, Advisory and Assistance Mission) dürfte dort künftig ebenso deplatziert sein wie die Europäische Union.


Zur Demokratisierung Afghanistans

Afghanistan wird auch nach dem Truppenabzug Ende 2014 mit umfangreicher deutscher Hilfe rechnen können. Das versicherte Bundespräsident Joachim Gauck in Kabul dem afghanischen Präsidenten Hamid Karzai. "Wir wollen nicht in den Verdacht geraten, dass wir unsere Freundschaft vergessen würden. Wir lassen Afghanistan nicht im Stich", sagte Gauck. Afghanistan kann ab 2015 mit Hilfszusagen von 450 Millionen Euro pro Jahr rechnen. "Wir glauben, dass ein dauerhafter Frieden möglich ist", sagte Gauck nach dem Treffen mit Karzai.

Zugleich mahnte Gauck Fortschritte bei der Demokratisierung des Landes und der Achtung der Menschenrechte an. Besonders sprach er die Gleichstellung der Frauen im Land an. "Der Prozess der Demokratisierung muss sich weiter fortsetzen", sagte er. Afghanistan sei eine Transformationsgesellschaft, die bei der Ausgestaltung der Demokratie noch Fortschritte machen müsse.[8]

Es gibt einen Zusammenhang und eine Wechselwirkung zwischen Wirtschaftsentwicklung und Demokratie. Demokratie kann sich nicht in einem Land entwickeln, das über keine funktionierende Wirtschaft verfügt. Wirtschaftswachstum setzt keine demokratischen Strukturen voraus. Das zeigen einige der sich rasant entwickelnden Schwellenländer.
Eine Demokratisierung in Afghanistan, die der Bundespräsident einfordert, bedarf demnach eines Mindestmaßes wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Voraussetzungen sowie eines lang andauernden Entwicklungsprozesses. Eben dieses Mindestmaß ist leider in der Transformationsgesellschaft noch lange nicht erreicht.

Weiter ist die Frage offen, was die Mehrzahl der Afghanen unter Demokratie versteht.
Wie erleben sie bisher die Demokratie?
Wird diese ihnen durch die Entwicklungshelfer oder Soldaten aus demokratischen Staaten immer vorgelebt?
Ob es in Afghanistan jemals Demokratie nach westlichem Vorbild geben wird, steht in den Sternen. Für einen so dringend notwendigen Aufbau von industrieller Infrastruktur und Handel ist sie nicht dringend notwendig. Mit Konsequenz demokratische Strukturen zu installieren, ist nicht zu empfehlen. Das demokratische Bewusstsein der Menschen muss sich "von unten", aus der Gesellschaft, aus den Stammesgemeinschaften heraus entwickeln. Das allerdings kann dauern.

Welche Staaten künftig die Entwicklung Afghanistans und Zentralasiens bestimmen, wird davon abhängen, wem es gelingt, eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung an zu schieben und voran zu treiben.

Ein Wechsel der Akteure für Hilfe, Aufbau und Entwicklung würden dem Land gut bekommen.
Die Methoden dieser Hilfe sollten sich von den westlichen wesentlich unterscheiden. Was zählen wird ist das Ergebnis.
Vielleicht gelingt es, die Dynamik der Aufstands- in die einer Aufbaubewegung umzulenken.
Zu gönnen ist dies den Afghanen.

Sind die wesentlichen sozialen Notstände in Afghanistan beseitigt, kann sich das Volk, können sich die Stämme für Demokratie entscheiden, wenn sie denn wollen.
China wird mit Sicherheit den Afghanen sein Gesellschaftsmodell nicht aufzwingen. Auch das ist ein völlig anderes Herangehen als das des Westens.


Anmerkungen:

[1] http://www.fr-online.de/politik/afghanistan-gauck-besucht-die-truppe,1472596,21133856.html
[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gauck-in-afghanistan-immer-noch-kriegsaehnliche-zustaende-11996657.html
[3] https://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/605112/publicationFile/162990/Afghanistan_Fortschritt.pdf
[4] n-tv 20.11.12, www.n-tv.de/panorama/kupfermine-zerstoert-kulturschaetze-article7801346.html
[5] AFP Lorice Fioriti 22.11.12, www.swp.de/1734204
[6] https://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/605112/publicationFile/162990/Afghanistan_Fortschritt.pdf
[7] Frankfurter Rundschau 04.12.12
[8] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/bundespraesident-in-afghanistan-gauck-mahnt-weitere-demokratisierung-an-11997747.html

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Quelle:
© 2013 Jürgen Heiducoff
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2013