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STANDPUNKT/271: Der Aufstieg des Südens - Welches Glück für uns im Norden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. März 2013

Entwicklung: Der Aufstieg des Südens - Welches Glück für uns im Norden

ein Gastbeitrag von Inge Kaul*



Berlin, 15. März (IPS) - Der diesjährige Bericht über die menschliche Entwicklung verweist - gleich auf Seite eins - auf eine höchst beeindruckende und folgenreiche Tatsache: "Zum ersten Mal seit 150 Jahren ist die wirtschaftliche Gesamtleistung der drei führenden Volkswirtschaften der Entwicklungswelt - Brasilien, China und Indien - in etwa gleich groß wie das Gesamtbruttoinlandsprodukt der traditionellen Industriemächte des Nordens (...) Das bedeutet eine dramatische Neugewichtung der weltweiten Wirtschaft."

Da das Wort 'dramatisch' häufig auf negative Tendenzen verweist und da wir im Norden oft in der Entwicklung der Schwellenländer eine gewisse Bedrohung - eine Quelle möglicher Konkurrenz - sehen, möchte ich auf die enormen Chancen eingehen, die der Aufstieg des Südens uns - dem Norden - bietet. Dieser Aspekt wird auch von den Autoren des Berichtes angesprochen.

Da wir oft dazu neigen, in der Entwicklung des Südens eher eine Bedrohung zu sehen, gegen die wir uns schützen müssen, ist es wichtig, dass wir uns die Möglichkeiten vor Augen führen, die uns ein mehr partnerschaftliches Verhältnis mit dem Süden bietet. Wir sollten uns fragen, was wir tun können, um die neuen Möglichkeiten in unserem Interesse und in dem der Welt insgesamt zu nutzen.


Überwindung der aktuellen Pattsituationen bei globalen Fragen

In dem Maße, in dem die Entwicklungsländer mehr wirtschaftliche und politische Macht gewinnen, sind sie auch in einer besseren Lage, Mit-Verantwortung für globale öffentliche Güter zu übernehmen (weil sie mehr Ressourcen und Kapazität dafür haben). Allerdings, wie wir z. B. in den jüngsten Klimaverhandlungen gesehen haben, werden sie in verstärktem Maße auch auf gerechten internationalen Abkommen bestehen und Win-Win-Lösungen anstreben.

Mithin ist der 'Ball' jetzt in unserem Feld. Es ist an uns, faire Angebote zu machen - etwa einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung des Grünen Klimafonds zu leisten. Kosten-Nutzen-Analysen zeigen, dass dezidiertes Handeln im Klimabereich wesentlich kostengünstiger ist als Nicht-Handeln. Wir machen relativ viel im Vergleich zu anderen Ländern. Aber was wir machen, reicht nicht aus, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen.

Ähnliches gilt für Probleme wie die Bekämpfung globaler Krankheiten, Ernährungssicherheit oder Terrorismusbekämpfung. In einem partnerschaftlichen Verhältnis können alle Seiten hart verhandeln - solange die Verhandlungstaktiken und Angebote fair sind und allen erlauben, ein positives Resultat zu erzielen.

Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, dass die Entwicklungsländer eine wichtige Rolle als Motor des globalen Wachstums spielen und damit auch für unsere Exporte. Das ist so offensichtlich gewesen, dass man diesen Punkt hier nicht weiter ausführen muss - vielleicht nur noch ein kurzes Dankeschön an den Süden gerichtet anfügen sollte.

Es ist eine weitgehend akzeptierte Tatsache, dass eine gesunde, wohlregulierte Konkurrenz auf den Märkten dem Fortschritt und Wachstum von Volkswirtschaften guttut. Eine solide, nicht-ruinöse internationale Konkurrenz zwischen den Staaten ist auch gesund. Sie regt uns an, in Bildung, Technologie und Innovation zu investieren - nicht um blindlings zu wachsen, sondern nachhaltiges und gerecht verteiltes Wachstum anzustreben. Auch in dieser Hinsicht bietet der Aufstieg des Südens eine Chance, die wir ergreifen sollten, um nicht nur länger, sondern auch besser in einer Welt zu leben, die zunehmend frei von Elend und schockierender Ungerechtigkeit ist.


Bestätigung der Relevanz des Prinzips der sozialen Marktwirtschaft

Ob wir den Aufstieg des Südens als Chance oder Bedrohung sehen und erfahren, hängt weitgehend davon ab, welche Politik wir - unsere Politiker - verfolgen.

Wenn man so mancher politischen 'Berliner' Rede lauscht, glaubt man oft nicht, dass es um Deutschland geht: dass zu den Hauptproblemen dieses hochentwickelten Landes Fragen gehören wie Kita-Plätze, Altersarmut, Rechtsanspruch auf Weiterbildung (im Land der Dichter und Denker!) oder Sicherung des sozialen Minimums.

Es sollte nach all den Jahren der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise auch nicht mehr darum gehen, die Märkte besser zu regulieren. All das sollte selbstverständlich und längst realisiert sein.

Mithin sollten wir dem diesjährigen Bericht über die menschliche Entwicklung auch dafür dankbar sein, dass er uns zeigt, dass Marktversagen oft Staatsversagen - politisches Zaudern oder ein zu enges Zusammenspiel zwischen Staat und Markt - reflektiert. Indem der Bericht uns zeigt, dass ein aktiver Staat - und ein Staat der bereit ist, mit anderen Staaten zu kooperieren - ein effektiver Staat sein kann, erinnert er uns an das Prinzip, an dem sich lange und sehr erfolgreich unsere Wirtschaft orientiert hat, das aber in jüngster Zeit etwas in Vergessenheit geraten ist: das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft.

Das Prinzip kann auch unter den heutigen Bedingungen der Globalisierung realisiert werden - vorausgesetzt, Staaten sind zu effektiver und fairer internationaler Kooperation bereit. Auch der Governance-Bericht 2013 der 'Hertie School of Governance' kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Wenn Politiker bereit sind, international zu kooperieren, ist es möglich, auch globale Märkte so zu regulieren, dass sie eine positive Double Botton Line realisieren können: profitabel und gesellschaftlich nützlich sein können.

Wir haben Glück: Genau dann, wenn unser Wachstum zu stottern beginnt und wenn wir starke Partner brauchen, um die globalen Herausforderungen zu lösen, erstarkt der Süden, eröffnen sich neue Möglichkeiten der gemeinsamen Problemlösung.

Ich hoffe, wir begreifen und ergreifen unser Glück und realisieren die Chancen, die der Aufstieg des Südens uns bietet. (Ende/IPS/kb/2013)

* Inge Kaul ist eine ehemalige Direktorin für Entwicklungsstudien beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und beigeordnete Professorin an der 'Hertie School of Governance' in Berlin. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.undp.org/content/undp/en/home.html
http://www.undp.org/content/undp/en/home/presscenter/pressreleases/2013/03/14/-rise-of-south-transforming-global-power-balance-says-2013-human-development-report.html
http://www.hertie-school.org/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. März 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2013