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STANDPUNKT/426: Alles Zionisten (Uri Avnery)


Alles Zionisten

von Uri Avnery, 31. Januar 2015



OFT FRAGEN mich Leute: "Sind Sie ein Zionist?"

Meine übliche Antwort ist: "Das hängt davon ab, was Sie unter Zionismus verstehen".

Dies ist ganz ernst gemeint. Der Terminus "Zionismus" kann sehr Verschiedenes bedeuten. Wie z.B. der Begriff Sozialismus. Francois Hollande ist ein Sozialist. Auch Joseph Stalin war einer.

Gibt es da eine Ähnlichkeit?


ALS ICH jung war, gab es einen Scherz, der in Deutschland die Runde machte: "Ein Zionist ist ein Jude, der einen zweiten Juden um Geld bittet, damit ein dritter Jude in Palästina siedeln kann." Mein Vater war so ein Zionist. Das war natürlich vor der Nazi-Machtergreifung. Ich habe den Verdacht, dass diese Definition heute für viele amerikanische Juden zutrifft.

Theodor Herzl, der Gründer der zionistischen Bewegung, wollte nicht wirklich nach Zion, einem Hügel in Jerusalem, gehen. Er liebte Palästina überhaupt nicht. Im ersten Entwurf der zionistischen Bibel, "Der Judenstaat", schlug er wegen seines milden Klimas Patagonien als bevorzugte Gegend für den jüdischen Staat vor. Auch weil diese nach einem genozidalen Kampf mit Argentinien wenig bevölkert war.

Auch als die Bewegung sich nach Zion wandte, bedeutete es verschiedenen Leuten Unterschiedliches. Einige wünschten, dass das Land nur ein geistliches Zentrum für die Juden werde. Andere wollten, dass es ein sozialistisches Utopia werden solle. Wieder andere wollten, dass es eine nationalistische Bastion würde, die sich auf militärische Stärke gründete.

Die Erneuerung der hebräischen Sprache, die ein so integraler Teil unseres Lebens wurde, war überhaupt kein Teil des zionistischen Projektes. Herzl, dessen anfänglicher Ehrgeiz es war, ein großer deutscher Schriftsteller zu werden, dachte, dass wir in Zion Deutsch sprechen würden. Andere wollten lieber Jiddisch sprechen. Der fanatische Wunsch, das Hebräische wieder zu beleben, kam von unten.

Selbst der Wunsch, einen jüdischen Staat zu gründen, war nicht einhellig. Einige begeisterte Zionisten, wie Martin Buber, träumten von einem bi-nationalen Staat: halb arabisch, halb jüdisch. "Praktische" Zionisten wollten den zionistischen Traum durch beharrliche Besiedlung des Landes verwirklichen; "Revisionistische Zionisten wollten sofort eine internationale "Charta" zu Wege bringen.

Religiöse Zionisten wollen einen Staat, der sich auf die jüdische Religion gründet und von ihr beherrscht wird. National-religiöse Zionisten glauben, dass Gott die Juden wegen ihrer Sünden ins "Exil" geschickt hatte. Sie wollten Gott durch ihre Taten zwingen, den Messias jetzt zu schicken. Atheistische Zionisten erklären, die Juden seien eine Nation, keine Religion und wollten nichts mit dem jüdischen Glauben zu tun haben. Und so weiter.


WAS BEDEUTET Zionismus heute? Das Wort ist in Israel weit verbreitet, ohne dass man viel darüber nachdenkt. Fast jede Partei will zionistisch sein und brandmarkt ihre Gegner als Anti-Zionisten - eine schwere Anklage in der israelischen Politik. Nur kleine Minderheiten an den Rändern lehnen diese Ehre ab. Die Kommunisten auf der einen Seite, die Ultra-Orthodoxen auf der andern Seite. (Diese glauben, es sei eine große Sünde, ohne Gottes ausdrückliche Erlaubnis in großer Anzahl in das Land Israel zurückzukehren.)

Für viele Israelis bedeutet Zionismus nichts weiter als israelischer Patriotismus. Wenn man will, dass Israel als "Jüdischer Staat" (was auch immer dies bedeutet) besteht, dann ist man ein Zionist. Man muss auch glauben, dass Israel ein Teil des "jüdischen Volkes" weltweit ist und seine Führung als eine Art Kommando-Zentrum fungiert. In der heutigen Terminologie: "Der nationale Staat des jüdischen Volkes".

In einem weiteren Sinn kann Zionismus den tiefen Glauben bedeuten, dass alle Juden auf der Welt schließlich nach Israel kommen werden, entweder freiwillig oder durch den Antisemitismus vertrieben. Der unvermeidliche Sieg des Antisemitismus' in jedem Land wird vorausgesetzt. Deshalb begegnet man hier in Israel jeder realen oder nur in der Vorstellung vorhandenen Welle des Antisemitismus - wie der gegenwärtigen in Frankreich - mit heimlicher Genugtuung ("Wir haben es euch ja gesagt!").



WO STEHE ich?

Ein paar Jahre vor der Gründung des Staates Israel erklärte eine Gruppe junger Leute dieses Landes, meistens Künstler und Schriftsteller, sie seien keine Juden, sondern Hebräer. Sie erhielten den Spitznamen "Die Kanaaniter".

Ihr Grundsatz war, dass die hebräisch sprechenden jungen Leute in diesem Land nicht ein Teil der weltweit jüdischen Gemeinschaft sind, sondern eine separate neue hebräische Nation. Sie wollten nichts mit den Juden zu tun haben. Einige ihrer Veröffentlichungen klingen geradezu antisemitisch. Sie verstanden die hebräische Nation als Fortsetzung - nach der kurzen Pause von ein paar tausend Jahren - des ursprünglichen vorbiblischen kanaanitischen Volkes. Daher der Spitzname.

Vier Jahre später gründete ich eine andere Gruppe mit dem Spitznamen "Kampf-Gruppe". Wir proklamierten auch, wir seien eine neue hebräische Nation. Aber im Gegensatz zu den Kanaanitern gaben wir zu, dass diese neue Nation ein Teil des jüdischen Volkes sei, so wie die Australier z.B. ein Teil der angelsächsischen Kultur sind.

Wir widersprachen auch den Kanaanitern bei einem anderen entscheidenden Element ihrer Doktrin. Die Kanaaniter leugneten die Existenz einer arabischen Nation oder arabischer Nationen. Wir erkannten den arabischen Nationalismus an, und erklärten, dass die arabische Nation bei der Schaffung einer neuen semitischen Region der natürliche Verbündete der hebräischen Nation sei.

Bald danach wurde Israel gegründet. Vor 40 Jahren wurde ich in einem Verleumdungsfall von einem Richter gebeten, meine Haltung gegenüber dem Zionismus zu definieren.

Mit meiner Antwort erfand ich den Terminus "Post-Zionismus". Ich bezeugte, dass die zionistische Bewegung eine historische Bewegung mit unglaublichen Erfolgen sei: eine total neue Gesellschaft, eine alt-neue Sprache, eine neue Kultur, eine neue Wirtschaft, neue soziale Modelle wie den Kibbuz und den Moshav. Aber der Zionismus habe auch große Fehler gemacht, besonders gegenüber dem arabisch-palästinensischen Volk.

Doch dies ist Geschichte, sagte ich. Mit der Schaffung des Staates Israel hat der Zionismus seine Aufgabe erfüllt. Israelischer Patriotismus muss ihn nun ersetzen. So wie man das Baugerüst wegnimmt, wenn das Gebäude fertig ist, so hat der Zionismus seine Nützlichkeit überlebt und sollte ausrangiert werden.

Das ist auch heute meine Überzeugung.


DIE GANZE Frage ist nun wegen der Entscheidung der neuen gemeinsamen Wahlliste der Labor-Partei und Zipi Livnis Gruppe, die sich offiziell selbst "das zionistische Lager" nennen, wieder aufgetaucht.

Auf der pragmatischen Ebene ist dies ein kluger Schritt. Die Parteien des rechten Flügels klagen die des linken Flügels immer an, sie seien unpatriotisch, ja sogar verräterisch, eine fünfte Kolonne. In unserem Fall wird die Linke angeklagt, anti-zionistisch zu sein. Darum erscheint es als sinnvoll, wenn die neue gemeinschaftliche Liste sich zionistisch nennt. Sie ist nicht "eine" zionistische Partei, sondern "die" zionistische Partei.

(Mit derselben Logik nannte sich eine sehr moderate französische Partei einmal "Radikale Partei". Das Wort "demokratisch" ist in offiziellen Namen mehrerer kommunistischer Länder erschienen und die deutschen Faschisten nannten sich "Nationalsozialisten") Indem sie sich ihrer beständigen Anhänger sicher sind, hoffen sie durch die falsche Benennung Stimmen vom Rande anzuziehen.)

Ein negativer praktischer Aspekt des Namens der Labor-Liste ist, dass sie die arabischen Bürger automatisch ausschließt. Für Araber, egal wo, ist Zionismus ein Synonym für Bosheit. Der Zionismus nahm ihnen ihr Land weg, der Zionismus vertrieb die arabischen Palästinenser und führte die Nakba durch, der Zionismus diskriminiert die arabischen Bürger Israels in allen Lebensbereichen.

Trotzdem stimmten - allerdings waren es sehr wenige - arabische Bürger bei der letzten Wahl für die Arbeitspartei und diese kümmern sich so oder so nicht um den Zionismus als Namen. Alle arabischen politischen Kräfte im Land, einschließlich der kommunistischen Hadash-Partei, die auch eine Anzahl jüdischer Mitglieder hat, vereinigten sich in dieser Woche zu einer allgemein arabischen Liste. Es ist zu erwarten, dass diese fast alle arabischen Stimmen ernten wird.

(Dies ist übrigens eine der Ironien israelischer Politik. Die "Israel-Unser-Heim"-Partei von Avigdor Lieberman, die von manchen als faschistisch angesehen wird, wollte, dass die Araber aus der Knesset vertrieben werden. Dieser Partei war klar, dass keine der drei arabischen Listen 3,25% der Stimmen erreicht, und so sorgte sie dafür, dass ein Gesetz erlassen wurde, das die Schwelle, um in die Knesset zu kommen auf diesen Wert erhöht wird. Als Folge davon vereinigten sich alle arabischen Parteien, die sich sonst gegenseitig verachten, in einer allgemeinen Liste, die 10% oder mehr erreichen kann.)

Abgesehen von den Orthodoxen wird dies die einzige selbst ernannte anti-zionistische Partei sein. Jeder von der sehr rechten national-religiösen Jüdische Heim-Partei bis zur sehr linken Merez-Partei erklären sich zu überzeugten Zionisten.

Deshalb ist es ein recht gelungener Streich, dass Herzog und Livni sich mit dem begehrten Markenzeichen davonmachen.



Copyright 2015 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 31.01.2015
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2015


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