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STANDPUNKT/626: Präsident Kong (Uri Avnery)


Präsident Kong

von Uri Avnery, 28. Januar 2017


ICH WUSSTE, er erinnert mich an jemanden, aber ich konnte ihn nicht unterbringen. Wer war das doch gleich noch, der sich mit solcher Kraft auf die Brust trommelte?

Und dann erinnerte ich mich: es war der Held eines Films, der produziert wurde, als ich 10 Jahre alt war: King Kong.

King Kong, der riesige Affe mit dem Herzen aus Gold, der auf riesige Gebäude kletterte und Flugzeuge mit dem kleinen Finger herunterholte. Wow: Präsident Kong, das mächtigste Wesen auf der Erde.


EINIGE VON uns hatten gehofft, es würde sich herausstellen, dass Donald Trump eine ganz andere Person sei, als die, die er im Wahlkampf verkörperte. Im Wahlkampf sagt man alle möglichen albernen Dinge. Das sollte am nächsten Tag vergessen sein.

Aber der Tag danach ist gekommen und gegangen und der albernen Dinge wurden es immer mehr. Der unglaubliche Trump, von dem wir glaubten, er würde nicht wirklich existieren, wird bleiben - wenigstens vier Jahre.

Am ersten Tag im Amt sahen wir zwei Jungen auf dem Schulhof, die darum stritten, wer den größeren hätte.

In diesem Fall die größere Menschenmenge, die der Amtseinführung beiwohnte. Trump bestand darauf, er habe die größte, die es jemals gab. Er hätte wissen müssen, dass innerhalb von Minuten die Luftaufnahmen auf dem Fernsehschirm zeigten, dass die Menschenmenge bei Barak Obamas Amtseinführung bei weitem größer war.

Entschuldigte er sich? Im Gegenteil, er bestand darauf.

Eine Sprecherin erschien und erklärte, dass dies gerade ein Fall von "alternativen Tatsachen" sei. Eine wunderbare Phrase. Schade, dass ich sie in den vielen Jahren meiner Journalistentätigkeit nicht kannte. Wenn ich Mittags sage, dass es Mitternacht ist, ist es nur eine alternative Tatsache. (Und ist natürlich wahr in Hawai oder sonst wo.)


ICH VERSTEHE sehr wenig von Wirtschaft. Doch schon eine kleine Menge einfacher Logik sagt mir, dass Trumps Wirtschafts-Versprechen Unsinn sind. Mit bloßem Reden "bringt man" keine "Jobs zurück".

Das Handwerk ging aufgrund der Automatisierung zurück. Die deutschen und britischen Weber zerstörten die Maschinen, die ihnen ihre Arbeit wegnahmen. Das war vor etwa 300 Jahren und es half ihnen nichts. Jetzt schaut Trump einhundert Jahre zurück und will alles rückgängig machen.

Vor hundert Jahren benötigte man tausend Arbeiter für die Arbeit, die heute zehn Arbeiter verrichten. Das wird so bleiben und eher schlimmer werden, selbst wenn man alle Computer auf der Welt zerstört.

Globalisierung entspricht dem Zeitgeist. Sie ist das natürliche Ergebnis einer Situation, die es mir ermöglicht, auf Trumps Worte innerhalb weniger Sekunden, nachdem sie geäußert wurden, zu reagieren. Wenn ich in weniger als 80 Stunden einmal um die Welt fliegen kann.

Trump kann daran wenig ändern. Er kann nicht die "protektionistische" Wirtschaft des 18. Jahrhunderts zurückholen. Wenn er Strafzölle auf Importe aus Mexiko und China erhebt, werden Mexiko und China Zölle auf Importe aus den USA erheben. Dabei gewinnt keiner etwas.


LEICHTGLÄUBIGE LEUTE mögen solchen simplen Slogans glauben. Das bringt uns zum Thema Demokratie.

Ich lese gerade einen Artikel, der behauptet, dass die Demokratie tot ist. Vergangen.

Winston Churchill sagte bekanntermaßen, die Demokratie sei ein sehr schlechtes System, aber alle anderen bis heute erprobten Systeme seien schlechter.

Er sagte auch, das beste Argument gegen Demokratie sei ein fünfminütiges Gespräch mit einem Durchschnittswähler.

Demokratie konnte funktionieren, als es einen Filter der Vernunft zwischen dem Kandidaten und dem Volk gab: eine wahrheitsliebende Presse, eine gebildete Elite. Selbst im Deutschland von 1933 bekam Adolf Hitler, obwohl es Millionen Arbeitslose gab, in freien Wahlen niemals eine Mehrheit.

Jetzt, da die Kandidaten sich durch die sozialen Medien direkt an die Wähler wenden, gibt es keine Filter mehr. Auch keine Wahrheit. Die scheußlichsten Lügen reisen in Sekunden durch Twitter und Facebook direkt in die Köpfe von Millionen, die nicht die Fähigkeit haben, sie zu beurteilen.

Ich glaube, Joseph Goebbels war es, der schrieb, je größer die Lüge, desto glaubhafter ist sie, da einfache Leute sich nicht vorstellen können, dass irgendjemand eine derartig große Lüge verbreiten würde.

Zum Beispiel die Behauptung Präsident Trumps, ihm seien drei Millionen Stimmen gestohlen worden, was dazu geführt habe, dass er beim landesweiten Ergebnis in der Bevölkerung schlechter abgeschnitten habe als Hillary Clinton. Er hat keinen Beweis dafür. Nicht den Hauch eines Beweises. Es ist blanker Unsinn, aber viele Millionen einfacher Leute scheinen es zu glauben.

Aber wenn die Demokratie überholt ist, was könnte sie ersetzen? Wie Churchill zu verstehen gab - es gibt kein besseres System.


DAS IST ALSO die Ernte der ersten Arbeitswoche: Lug und Trug oder "alternative Fakten" mit jedem Tag.

Was ist mit den substantiellen Problemen?

Falls wir glaubten, dass viele seiner politischen Versprechen nur Wahl-Unsinn war, haben wir uns getäuscht. Bei einem Thema nach dem anderen hat Trump nun angefangen, pflichtgetreu seine Versprechen zu erfüllen.

Abtreibungs-Recht. Schutz der Umwelt. Krankenversicherung. Steuern für Superreiche.

Alles geht den Bach hinunter.

Auch dies ist ein Zeichen der neuen Zeit: die Ärmsten stimmen für die Reichsten, gegen ihre eigenen elementarsten Interessen. Das gilt für Amerika wie für Israel. (Und mag vielleicht auch sehr bald für Frankreich und viele anderen Länder gelten.)


ACH JA, ISRAEL. Israel ist mit endlosen Spekulationen über Trumps Versprechen beschäftigt, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen.

Man könnte meinen, Israel hätte größere Probleme. Da gibt es eine Art Bürgerkrieg, der zwischen der Regierung und der arabischen Minderheit, (die 21% der Bürger des eigentlichen Israels ausmacht), tobt. Auf beiden Seiten gibt es Opfer. Und besonders mit den Beduinen (auch im eigentlichen Israel), die freiwillig in der Armee dienen, deren Häuser die Regierung aber zerstören will, um Platz für jüdische Siedler zu machen.

Und die Besetzung der Westbank. Und die Blockade des Gazastreifens. Und die vielfachen Korruptions-Untersuchungen gegen den Ministerpräsidenten und seine Frau und die möglicherweise riesigen Bestechungsgelder für Verwandte von Benjamin Netanjahu im Zusammenhang mit der Anschaffung von Unterseebooten. Und für die Bestechung von Zeitungs-Magnaten.

Ach, das sind verglichen mit der Verlegung der US-Botschaft doch Bagatellen.

Der UN-Teilungsplan von 1947, der die legale Basis für den Staat Israel schuf, schloss Jerusalem nicht in das israelische Gebiet ein. Der Plan sah einen jüdischen und einen arabischen Staat in Palästina vor und Jerusalem und Bethlehem als eine getrennte Enklave.

Israel annektierte natürlich bald nach seiner Gründung West-Jerusalem, aber keine ausländische Botschaft zog dorthin. Sie blieben alle in Tel Aviv, das viel hässlicher aber eine viel lebendigere Stadt ist. Sie sind noch alle hier, einschließlich der amerikanischen Botschaft, die an Tel Avivs Strand liegt, gerade gegenüber von meinem Fenster.

(Inzwischen zogen die Botschaften einiger südamerikanischer Bananenrepubliken nach Jerusalem um, aber sie zogen bald wieder nach Tel Aviv zurück.)

Bei jeder amerikanischen Wahl versprechen einige Kandidaten, die Botschaft nach Jerusalem zu legen, und jeder neu gewählte Präsident nimmt das Versprechen zurück, sobald ihm Experten die Tatsachen schildern.

Trump versprach das auch. Auch er wollte einige jüdische Stimmen gewinnen, zusätzlich zu der seines jüdischen Schwiegersohnes. Wahrscheinlich dachte Trump: Wen kümmert das schon, abgesehen von diesen verflixten Juden?

Etwa 1,5 Milliarden Muslime in aller Welt kümmert das. Und es kümmert sie sehr.

Wenn Trump auch nur die geringsten Kenntnisse hätte, wäre er sich der Tatsache bewusst, dass in den sehr frühen Tagen des Islam, die Gebetsrichtung Jerusalem war, bevor sie nach Mekka verändert wurde. Ost-Jerusalem ist der dritt-heiligste Ort im Islam. Ganz Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, könnte zu einer unvorstellbaren Gewalt gegen US-Einrichtungen führen - von Indonesien bis Marokko.

Anscheinend haben inzwischen Experten mit Trump gesprochen, denn nun stottert er nur noch, wenn er über dieses Thema spricht. Er denke noch darüber nach. Dazu brauche er noch Zeit. Vielleicht später.

Vielleicht wird der neue US-Botschafter, ein eifriger Zionist vom rechten Flügel, nach Jerusalem gehen, um dort zu leben, während die Botschaft in Tel Aviv bleibt.

Armer Mann. Er wird dann täglich von Jerusalem nach Tel Aviv fahren müssen, auf einer Straße, die fast immer von Verkehrstaus blockiert ist. Aber jeder hat für seine Überzeugungen zu leiden.


ABER DIE wirklich traurige Tatsache ist, dass in jeder einzelnen Rede Trumps seit der Amtseinführung das Hauptthema - tatsächlich fast das einzige Thema - Ich-Ich-Ich ist.

Ich - ich - ich mit einer Menge Auf-die-Brust-Trommeln.

Warten wir auf den Film - King Kong II.



Copyright 2017 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 28.01.2017
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2017

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