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LAIRE/1074: Cap Anamur - Kaum Solidarität mit Bierdel und Schmidt (SB)


Elias Bierdel und Kapitän Stefan Schmidt droht langjährige Gefängnisstrafe in Italien


Ganz Deutschland ist aufgebracht: Ein Bundesbürger soll im Ausland für etwas verurteilt werden, was er nicht getan hat. Die Presse überschlägt sich mit Berichten über den Hintergrund des Vorfalls - wobei sich insbesondere das Massenblatt "BILD" für den Betreffenden einsetzt; Funk und Fernsehen folgen mit Reportagen, und die Tagesschau gibt regelmäßig den Stand der Entwicklung wieder; im Internet werden Foren eingerichtet, in der zahllose Menschen ihre Solidarität mit dem Justizopfer zum Ausdruck bringen und ihm alles Gute für die Verhandlung wünschen; eifrige Solidaritätsbekundler bedrucken T-Shirts, die an den problematischen Vorgang erinnern ...

Wem diese breite bundesrepublikanische Solidaritätsbewegung gilt, wollen Sie wissen? Nun, sie gilt nicht Elias Bierdel und dem Kapitän Stefan Schmidt, die im Juni 2004 mit dem Schiff "Cap Anamur" im Mittelmeer fuhren, 37 Menschen aus Seenot retteten und dafür nun von einem italienischen Gericht mit bis zu vier Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe in Höhe von 400.000 Euro - so der Antrag der Staatsanwaltschaft in Agrigento - bestraft werden könnten, sondern einem siebzehnjährigen Schüler namens Marco Weiss aus Uelzen, der in der Türkei angeklagt wurde, sich sexuell an einer dreizehnjährigen Britin vergangen zu haben. (Während die Staatsanwaltschaft Lüneburg die Ermittlungen gegen den Jungen eingestellt hat, steht die Entscheidung in der Türkei noch aus.)

Wie kommt es, daß Bierdel und Schmidt nicht eine ebenso von tiefen Emotionen begleitete Solidarität der Bundesbürger zuteil wird? Eignen sich die beiden mit ihrem couragierten Einsatz für Menschen in tiefer Not nicht sogar als Vorbild für die Jugend? Haben sie nicht treffend unter Beweis gestellt, daß sie ihrem Gewissen eine höhere Bedeutung zumessen als dem italienischen Amtsschimmel, der das Anlaufen eines italienischen Hafens verweigert hatte, was die beiden aber nach geduldigem Warten ignorierten, da das Leben der Menschen an Deck jedes Maß an Erträglichkeit überstieg?

Die Urteilsverkündung gegen Bierdel und Schmidt wird für Ende Mai oder Juni 2009 erwartet. Flüchtlingsorganisationen und Bürger der Europäischen Union, die ohnehin nicht bereit sind, wegzusehen, wenn in ihrem Namen Flüchtlinge aus Afrika an den Außengrenzen der EU abgewehrt und zurück in die ärmlichen, häufig lebensfeindlichen Verhältnisse, aus denen sie stammen, geworfen werden, haben eine Solidaritätsaktion gestartet - aber die Mainstream-Presse schweigt dazu. Afrikanische Flüchtlinge sind mega-out, mit ihnen will niemand etwas zu tun haben.

Die schwere Flüchtlingsdauerkrise an den südlichen und östlichen Wehranlagen der Festung Europa wird nicht zur Kenntnis genommen. Die Überführung mehrerer hundert Flüchtlinge von Italien nach Libyen, die Berichte über das Aussetzen von Flüchtlingen auf einer kargen Insel in der Ägäis durch griechische Beamte, der Aufbau von Internierungslagern für Flüchtlinge in Afrika im Auftrag der Europäischen Union, die Erweiterung der materiellen Ausstattung und Kompetenzen der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex, all diese Themen werden meist nur über kurze Notizen in den Randspalten der Gazetten kolportiert.

Es ist schick, sich einer Kampagne wie "Aufstand der Anständigen" anzuschließen - aber afrikanische Flüchtlinge aus Seenot zu retten ist unattraktiv, damit kann sich niemand schmücken. Im Gegenteil, das Beispiel Bierdel und Schmidt zeigt, daß ein solcher Einsatz zur Kriminalisierung der wenigen führt, die sich tatkräftig für Menschen in Not einsetzen. Die Hilfe für Flüchtlinge wird zur Fluchthilfe pervertiert - und die war bekanntlich nur anerkannt, wenn es darum ging, heimlich Menschen aus der DDR zu "retten".

Das Leben innerhalb der Festungsmauern der EU ist verglichen mit dem Leben der Mehrheit der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent, privilegiert. Der Schweigekonsens der Mainstreammedien hinsichtlich der Verhandlungen vor einem italienischen Gericht dient offensichtlich dem Zweck, diesen Unterschied zwischen den Ländern des Nordens und des Südens unangetastet zu lassen und ihn somit unumstößlich zu befestigen.

13. Mai 2009