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LAIRE/1080: Gerichtliche Verfügung gegen britische Tierrechtler (SB)


Tierrechtler zunehmenden Repressionen ausgesetzt

Keine Befreiung der Tiere ohne Befreiung des Menschen


Ein britisches Gericht hat im vergangenen Monat eine frühere Verfügung gegen Tierrechtler, die gegen ein rund 30 Millionen Euro teures neues Tierforschungslabor der Universität Oxford protestieren, erweitert. Zu den ursprünglichen Justizauflagen gehörte, daß die Tierrechtler nur einmal die Woche, nämlich am Donnerstag nachmittags, vor dem Gebäude demonstrieren dürfen, jetzt wird ihnen auch noch untersagt, dabei ein Megaphon zu benutzen. Die Studenten, Forscher und Dozenten fühlen sich durch die lautverstärkten Ansagen belästigt - das Gericht hat nun dafür gesorgt, daß sie sich nicht nur weltanschaulich, sondern auch akustisch gegenüber den Argumenten der Tierrechtler verschließen können.

Das Fotografieren von Fahrzeugen von und zum Labor, in dem Tiere zu Forschungszwecken getötet werden, und die Demonstration innerhalb einer bestimmten Zone waren bereits verboten. Diese Zone wurde nun "moderat" ausgedehnt. Zudem wurden auch Zulieferer unter einen besonderen Schutz gestellt. Auch für sie gilt, daß keine Demonstrationen oder Mahnwachen innerhalb von 100 Yards (90 Meter) im Umkreis ihres Wohnplatzes abgehalten werden dürfen.

Die tatsächlichen und angedrohten Handlungen der Extremisten stellten ein "ernsthaftes, fortwährendes Problem" für die Universität dar, zitiert der "Guardian" (26. Mai 2009) aus der Verfügung von Richter Justice Holland vom Londoner High Court.

Es trifft zu, daß die Aktionen von Tierrechtlern an Härte zugenommen haben. Zugleich wurden sie kriminalisiert, was dazu führte, daß von Österreich über Großbritannien bis in die USA die Anti-Terrorismusgesetzgebung gegen sie angewandt wird. Im ersten Schritt könnte man sicherlich fragen: Wer hat eigentlich angefangen, die Lage derart eskalieren zu lassen? Eines steht fest: Der Tierrechtsbewegung ging die Tierverbrauchsforschung voraus. Aber den Streit zwischen den beiden Seiten an der Frage festzumachen, wer angefangen hat, wäre zu simpel. Solch ausschließender Bezug auf die Geschichte würde einer sich weiterentwickelnden Lebensweise und eines Umgangs mit Menschen und nicht-menschlichen Tieren von vornherein jede Legitimität absprechen. Die Tierrechtler und noch mehr die Tierbefreier berufen sich mit Forderungen wie, Tiere weder zu Forschungs- noch zu Nahrungszwecken zu töten, auf eine vernunftmäßige Fortentwicklung des Menschen, die mit Produktionsweisen einhergehen könnte, die es den Menschen ermöglichte, nie mehr Tiere vernutzen zu müssen. Wenn man nur wollte.

An dieser Stelle kommt die zunehmende Härte in der Auseinandersetzung ins Spiel: Jahrelange Mahnwachen, friedliche Demonstrationen, Appelle, Unterschriftensammlungen, etc. der Tierbefreiungsbewegung sind mehr oder weniger gescheitert. Die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz oder die jüngste Entscheidung der Europäischen Union, die Einfuhr von Robbenprodukten zu verbieten, sowie die Verpflichtung, den Tierverbrauch in der Forschung zu reduzieren, werden von radikalen Tierschützern mit äußerster Skepsis aufgenommen und meist als Ablenkungsmanöver und Hinhaltetaktik verworfen. Umgekehrt bleiben Erfolge der Tierrechtler marginal und beziehen sich typischerweise auf Bereiche, in denen eine breitere Konsensbildung schnell zustande kommt. Sich gegen das Abschlachten von Robbenbabys auszusprechen oder der Pelzindustrie an den Kragen zu fahren, fällt vielen Menschen im Unterschied beispielsweise zur Verwirklichung einer tierverbrauchsfreien Lebensweise viel leichter.

Unterm Strich bleibt zu konstatieren, daß es eine gesellschaftliche Gruppe gibt, deren wichtigstes Interesse nicht von der Gesellschaft getragen wird - mit dem Argument, daß eine andere, erheblich größere gesellschaftliche Gruppe in ihrem Interesse, nämlich Tiere töten zu dürfen, behindert würde. Was bliebe zu tun? Wer sich nicht strafbar machen will, hat anscheinend nur wenige Möglichkeiten, über die Gestaltung des eigenen Lebensentwurfs hinaus gesellschaftlich wirksam zu werden. Man kann sich missionarisch betätigen und versuchen, andere Menschen von der eigenen Anschauung zu überzeugen - so weit es der gesetzliche Rahmen, der allerdings immer mehr verkleinert wird, wie am Beispiel der erweiterten gerichtlichen Verfügung bezüglich des neuen biomedizinischen Versuchslabors der Universität Oxford deutlich wird - zuläßt. Doch worauf liefe das hinaus? Auf absehbare Zeit käme es zu keinem gesellschaftlichen Umdenken.

Das Problem erweist sich als umfassender. Eine Befreiung der nicht-menschlichen Tiere wäre ohne eine Befreiung des menschlichen Tiers nicht denkbar, sie wäre nicht vollständig und somit nichtig. In einer Welt, in der der Mensch keine Tiere mehr verzehrt, ihnen nicht mehr die Haut abzieht, um sich zu kleiden, und auch keine Tiere mehr in Laboratorien vernutzt, in der jedoch das vorherrschende Überleben zu Lasten der eigenen Art ungebrochen fortgesetzt wird, kann keine Befreiung stattgefunden haben. Folglich wäre konsequente Tierbefreiung antiherrschaftlich, nicht als Perspektive, sondern von Beginn an. Der Faden läßt sich noch weiterspinnen: Solange der Verzehr, also die Aufnahme von Fremdsubstanz (tierlich oder pflanzlich) zum Zwecke des eigenen Überlebens, nicht gänzlich zum Versiegen gebracht wurde, beherrscht die Not und der Versuch, ihr durch Anpassung zu entkommen, das Feld. Tierbefreiern dürfte es konsequenterweise nicht allein darum gehen, sämtliche Tiere aus ihren Käfigen zu befreien ... sondern auch die Menschen.

11. Juni 2009