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LAIRE/1112: Jemen im Brennpunkt geostrategischer Positionskämpfe (SB)


Washingtons Androhung von Vergeltungsschlägen gegen Ziele in Jemen richtet sich auch gegen China


Vor rund einem Jahr begannen die USA in Jemen, insgeheim eine dritte Front im sogenannten Globalen Krieg gegen den Terror aufzubauen. Der Geheimdienst CIA und das Militär entsandten "Berater" bzw. Ausbilder, die den jemenitischen Sicherheitsapparat schlagkräftiger machen sollten. Als Vorwand diente das angebliche Einsickern von al-Qaida-Kämpfern in das arabische Land. Inzwischen ist das US-Militär direkt aktiv geworden und hat an der Seite der saudi-arabischen und der jemenitischen Streitkräfte Dörfer und "Stellungen" im Norden des Landes bombardiert, wobei Hunderte Einwohner getötet wurden.

Nachdem es am ersten Weihnachtstag 2009 an Bord eines Transatlantikflugs von Amsterdam nach Detroit eine Verpuffung und einen kleinen Brand gab, der rasch gelöscht werden konnte, hat der Oberkommandierende der größten Militärmaschinerie der Welt, US-Präsident Barack Obama, mehr oder weniger unverhohlen gedroht, Rache für diesen Vorfall zu nehmen. Die in Jemen sitzenden Hintermänner (der Verpuffung) würden hart bestraft. Anscheinend wurde das Feuer von einem 23jährigen Nigerianer, der angeblich von al-Qaida in Jemen mit einer "Bombe" ausgestattet und in ihrer Bedienung unterwiesen worden war, ausgelöst. Nur weil der Zünder nicht richtig funktionierte, so heißt es, sei die "Bombe" nicht explodiert und habe nicht 289 Passagiere und Besatzungsmitglieder in den Tod gerissen.

Mit diesem glimpflich abgelaufenen Vorfall werden nun weltweit neue Sicherheitsvorkehrungen an Flughäfen begründet, und die Beteiligung der USA an Luftangriffen auf nordjemenitische "Ziele" (sprich: auf die einheimische Bevölkerung und vielleicht ein paar eingewanderte Milizen der sogenannten al-Qaida) erhält vermeintlich im nachhinein eine Legitimation. Nach Afghanistan und Irak rückt nun auch Jemen ins Zentrum des globalen Terrorkriegs, der seinerseits als Chiffre für die Erweiterung und den Einsatz von Repressionsmitteln für die eigene Hegemonie anzusehen ist.

Es fällt auf, daß die USA und andere NATO-Staaten sowie die Europäische Union, aber auch China, Rußland, Indien, Malaysia und weitere Akteure seit längerem Kriegsschiffe in die Gewässer vor der jemenitischen Küste entsandt haben. Sie sollen im Golf von Aden die zivile Schiffahrt schützen und Piraten bekämpfen, die aus dem Hungerland Somalia stammen und sich durch die Entführung von Schiffen samt Besatzung ein gewisses Einkommen verschaffen.

In keinem anderen Seegebiet der Welt befindet sich eine ähnlich dichte Häufung von Kriegsschiffen aus so vielen verschiedenen Ländern im Einsatz. Diesem Umstand keine geopolitische Bedeutung beizumessen wäre naiv. Mit dem "Kaperbrief" des UN-Sicherheitsrats (zuletzt bestätigt durch Resolution 1897 vom November 2009) ausgestattet, halten die Marinesoldaten der internationalen Verbände somalische Schiffe auf, durchsuchen die Ladung und verhaften Piraten. Angesichts dessen, daß mindestens ein Teil der Seeräuber zuvor Fischer war, aber die Fischgründe vor Somalia von ausländischen Trawlern stark befischt wurden, ist die Frage keineswegs beantwortet, wer wen zuerst angegriffen hat, die Fischer die internationalen Handelsschiffe oder diese die Fischer, indem sie deren Lebensgrundlage raubten.

Die Region Arabische Halbinsel/Horn von Afrika muß aus einem weiteren Grund eine besondere Bedeutung im Weltgeschehen zugewiesen werden. Die USA unterhalten in Dschibuti, das sich nördlich an Somaliland anschließt und der Küste Jemens gegenüberliegt, ihre einzige dauerhafte Militärbasis auf afrikanischem Boden, das ehemalige französische Fremdenlegionärslager Camp Lemonier. Von dort aus hat das US-Militär bereits Angriffe mit Drohnen auf Ziele in Jemen geflogen, und im Dezember 2009 wurde dort nach neunmonatiger Bauzeit ein neues Abstellfeld für Flugzeuge eingeweiht, das den Namen "Enduring Ramp" erhielt. Die Eröffnung dieses Betonfelds, das mehreren großen Flugzeugen als Parkbucht dient, unterstreiche, daß sich Camp Lemonier in eine Dauereinrichtung wandle, erklärte Lieutenant junior grade John Woods von der US-Luftwaffe in Camp Lemonier. [1]

Sollten die USA weitere Angriffe auf Jemen fliegen, wird dabei höchstwahrscheinlich auch das nur wenige Seemeilen entfernte Camp Lemonier eine wichtige Funktion erfüllen. Ein jüngerer Bericht, wonach auch China für seine vier Kriegsschiffe, mit denen es sich im Golf von Aden an der Piratenbekämpfung beteiligt, einen festen Stützpunkt in der Region - womöglich Jemen - bauen will, wurden von offizieller Seite flugs zurückgewiesen. Die chinesischen Kriegsschiffe laufen zur Zeit den französischen Seekriegshafen in Dschibuti an. Die Gerüchte über einen eigenen Hafen brachte allerdings kein geringerer als ein chinesischer Admiral auf. In einem Interview, das immerhin auf der Website des chinesischen Verteidigungsministeriums veröffentlicht wurde, sagte der Admiral im Ruhestand und Wissenschaftler am Marine-Ausrüstungsforschungszentrum Yin Zhuo, daß die kommunistische Partei Chinas und die zentrale Militärkommission die Einrichtung eines permanenten Marinestützpunkts im Golf von Aden erwägen, um die regionale Antipiraterie-Mission besser unterstützen zu können. Diese Meldung wurde tags darauf verworfen, wie verschiedene Medien unter Berufung auf eine Presseerklärung des chinesischen Verteidigungsministeriums meldeten. [3]

Vor dem Hintergrund, daß China und Rußland im September vergangenen Jahres im Golf von Aden gemeinsame Seemanöver zur Piratenbekämpfung durchführten [4] und eine permanente Spannung zwischen diesen beiden Mitgliedern der Shanghai Corporation Group - einer Art Gegenentwurf zur NATO - und den USA bzw. der NATO besteht, stellt sich durchaus die Frage, ob der gewaltige Flottenaufmarsch im Seegebiet zwischen Somalia und Jemen tatsächlich allein die Funktion hat, Piraten zu bekämpfen, oder ob hier nicht andere, geostrategische Ziele verfolgt werden.

Die Golfregion erscheint zur Zeit als Kulminationspunkt für langfristig angelegte Kämpfe zur Erweiterung der eigenen Einflußzone. Dabei kommt dem Zugriff auf den strategischen Rohstoff Erdöl eine wichtige Funktion zu, aber sicherlich nicht die wichtigste. Denn aus rein wirtschaftlicher Sicht sind die von den USA und Großbritannien angezettelten Kriege gegen das Pipeline-Transitland Afghanistan und den Erdölstaat Irak ein riesiges Verlustgeschäft. Die Investitionen, die in die Kriege gesteckt wurden und werden, wären auf nicht-militärische Weise mit Sicherheit effizienter eingesetzt gewesen.

Langfristig hingegen geht es nicht um ein oder zwei Stücke Kuchen, sondern um alles und darum, wer das Messer in der Hand hält, um den Kuchen teilen zu dürfen. Die Kriege gegen Afghanistan und Irak (und, was häufig vergessen wird, auch gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, wo die Amerikaner 1999 chinesische Diplomaten mit Raketen beschossen und getötet haben) bilden Teil des großen Spiels der Amerikaner und ihrer europäischen Juniorpartner um die Kontrolle des weiteren Mittleren Ostens als Voraussetzung, um einerseits Rußland, andererseits China einzukreisen und zu schwächen.

Hier kommt Jemen ins Spiel. Es wäre der amerikanischen Regierung herzlich egal, daß es der Regierung von Präsident Ali Abdullah Saleh nicht gelingt, die aufständischen Huthi-Milizen im Norden und die separatistischen Kräfte im Süden Jemens einzudämmen. Auch die wenigen al-Qaida-Mitglieder, die angeblich in Jemen untergetaucht sind, können den Weltfrieden nicht gefährden, wie es derzeit von Washington ventiliert wird. Als Vorwand jedoch, um sich dauerhaft am Golf von Aden festzusetzen und als Mitnahmeeffekt den Einfluß auf ein Land auszubauen, in dem seit Jahrzehnten antikolonialen und antiimperialistischen Kämpfern aus aller Welt Gastrecht eingeräumt wird, eignet sich der weihnachtliche "Vorfall" auf dem Flug 253 der Delta Airlines von Amsterdam nach Detroit allemal, so daß der Globale Krieg gegen den Terror demnächst in größerer Wucht als bislang die nördlichen Regionen in Jemen einholen wird.

Die Vereinigten Staaten haben durchaus offen angekündigt, daß sie letztlich die ganze Welt befrieden wollen, nur wird das von den Medien, insbesondere den europäischen, kaum verbreitet oder aber von Analysten als positiver Imperialismus verkauft. Man will es nicht so genau wissen, daß die Unterwerfung der Welt einen hohen Blutzoll fordert, und man will noch viel weniger wissen, daß der Blutzoll nicht der in Kauf genommene Kollateralschaden, sondern Bestandteil der eigentlichen Motivlage ist.

Wenngleich China angeblich keinen dauerhaften Militärstützpunkt im Golf von Aden einrichten will, richtet sich das militärische Auftreten der USA in Jemen auch gegen den Einflußgewinn Chinas in dieser Region sowie in Afrika allgemein. Das bevölkerungsreichste Land der Erde wird von den USA als Widersacher auf dem Weg zur unanfechtbaren globalen Ordnungsmacht angesehen.


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Anmerkungen:

[1] "'Enduring' aircraft ramp opens at Camp Lemonnier, Djibouti", Africom, 6. Januar 2010
http://www.defenceweb.co.za/index.php?option=com_content&view= article&id=6006&catid=35&Itemid=107

[2] "China to set up naval base in Gulf of Aden", 30. Dezember 2009
http://www.allvoices.com/s/event- 4929062/aHR0cDovL3ByZXNzdHYuY29tL2RldGFpbC5hc3B4P2lkPTExNDk5NyZhbXA7c2VjdGlvbmlkPTM1MTAyMDQwNA==

[3] "No naval base in Gulf of Aden: China", 1. Januar 2010
http://www.brahmand.com/news/No-naval-base-in-Gulf-of-Aden- China/2840/1/11.html

6. Januar 2010