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LAIRE/1292: Unser Freund, der Folterstaat (SB)


Marokko zeigt Zähne

Harte Gefängnisstrafen gegen Saharauis



Im Oktober 2010 versammeln sich Tausende Saharauis in der Wüste, 15 Kilometer von Laayoune, der faktischen Hauptstadt der Westsahara, entfernt und errichten dort ein Zeltlager. Gdeim Izik, Lager der Würde, nennen die Menschen ihre Notbehausung, die schließlich 20.000 Bewohnern eine vorübergehende Bleibe bietet. Mit dieser spektakulären Aktion wollen die Menschen auf ihre unhaltbare soziale Lage, auf all die offenen und versteckten Diskriminierungen des saharauischen Volks durch die Besatzungsmacht Marokko aufmerksam machen. Marokkanische Sicherheitskräfte umzingeln das Lager und schikanieren die Bewohner. In der Nacht vom 24. auf den 25. Oktober erschießen sie den 14 Jahre jungen Garhi Nayem, als er und andere mit einem Geländewagen in Richtung Lager fahren. Anfang November läßt die marokkanische Besatzungsmacht ihre Sicherheitskräfte endgültig von der Leine. Das Lager wird brutal gestürmt und restlos zerstört, die Würde mit Füßen getreten.

Nach Angaben der Bewohner verloren bei dem Überfall 35 Personen ihr Leben, über 700 wurden verletzt. Menschen verschwanden spurlos; von einigen erfuhr man später, daß sie zu den rund 3000 Personen gehörten, die von den Sicherheitskräften verhaftet worden waren. Inhaftierte berichteten, daß sie im Gefängnis gefoltert wurden. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bestätigte dies.

Kam es deswegen zu einem Aufschrei der internationalen Gemeinschaft? Wurden König und Regierung aufgefordert, unverzüglich die Mißhandlungen der saharauischen Bevölkerung und die völkerrechtswidrige Besetzung der Westsahara zu beenden, andernfalls man sich gezwungen sähe, weitergehende Maßnahmen zu ergreifen? Haben die NATO-Staaten gar eine Flugverbotszone über Marokko verhängt?

Nichts dergleichen ist geschehen. Auch wenn solch eine militärische Eskalation nicht wünschenswert gewesen wäre, zeigt das Beispiel doch, wie die NATO-Staaten Menschenrechtsstandards zu eigenen Zwecken instrumentalisieren. In Libyen und Syrien wird der Kampf der vermeintlich oder tatsächlich Unterdrückten durch militärische und finanzielle Mittel unterstützt - in der Westsahara dagegen nicht. Kann man daraus schließen, daß es zwei Arten der Erhebung gegen Unterdrücker und zwei Arten der Folter gibt, die legitime und die verwerfliche? Wer aber maßt sich qua welcher Befugnis an, darüber zu entscheiden?

Im Ergebnis sind alle Folteropfer gleich, und repressive Regime ebenfalls. Letzteres zeigen die hohen Haftstrafen, die ein marokkanisches Militärgericht am Sonntag, den 17. Februar, gegen 24 angeklagte Saharauis verhängte. Sie waren am 8. November 2010 beim Überfall der mit Wasserwerfern und, Berichten zufolge, scharfen Waffen ausgestatteten Sicherheitskräfte auf das Lager der Würde und dem Versuch einiger Bewohner, sich zu schützen oder offensivere Gegenmaßnahmen zu ergreifen, verhaftet worden.

Nach Behördenangaben wurden bei der Räumung des Lagers der Würde elf Beamte getötet. Genauere Umstände der Vorgänge sind jedoch nicht bekannt. Den Verteidigern der angeklagten Saharauis zufolge sind die toten Polizisten keiner Autopsie unterzogen worden. Somit kann nicht mit letzter Gewißheit ausgeschlossen werden, daß sie ihr Leben aufgrund von "friendly fire" verloren. Zumal die Lage beim Überfall auf die Zeltstadt unübersichtlich gewesen war. Acht der 24 Angeklagten wurden zu lebenslanger Haft, die meisten anderen zu langjährigen Haftstrafen zwischen 20 und 30 Jahren verurteilt. "Gewalt mit Todesfolge" gegen Sicherheitskräfte wurde den Angeklagten vorgeworfen und daß sie "Täter oder Komplizen" und Mitglieder einer "kriminellen Bande" seien, meldete heise.de [1]

Das Urteil ist eine deutliche Absage an das Anliegen der unterdrückten Saharauis, das sie mit der Einrichtung des Lagers der Würde zum Ausdruck bringen wollten. Die Botschaft lautet: Niemals sollt ihr es wagen, euch zu erheben, auch nicht mit friedlichen Mitteln. In Westsahara herrscht nicht euer, sondern unser Recht dank unserer größeren Gewaltmittel. Und die wurden unter anderem von Deutschland geliefert. So verfügt die marokkanische Armee, die dem Innenministerium untersteht und neben Polizei und Gendarmerie "immer wieder verstärkt im Konflikt um Westsahara" herangezogen wird, wie BICC, das Bonn International Center for Conversion, berichtet, über deutsche Truppentransporter vom Typ UR-416 sowie Radpanzer. [2]

Seit 1975 ist ein Großteil des Westsahara genannten Gebiets von Marokko besetzt. Kurz nach dem Einmarsch des Militärs begann es mit einem offensiven Ansiedlungsprogramm ("Grüner Marsch") und hat im Laufe der nächsten Jahre das Gebiet, das von den Saharauis und ihrem bewaffneten Arm Polisario "Demokratische Arabische Republik Sahara" (DARS) genannt wird, mit mehreren Wällen auf einer Länge von zu guter Letzt 2700 Kilometern durchschnitten. 1991 endete der bewaffnete Kampf der Polisario, seitdem verhandeln beide Seiten unter Vermittlung der Vereinten Nationen über die Konditionen, unter denen ein Referendum über den Status des Gebiets abgehalten werden soll. Eine Einigung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, Marokko spielt auf Zeit, weil es sich sicher sein kann, daß die internationale Gemeinschaft nach so vielen Jahren der Duldung der Besatzung nicht mehr so weit gehen wird wie beim Sturz des libyschen Machthabers Muammar Ghaddafi und dem gegenwärtigen Umsturzversuch der syrischen Regierung.

Das Auswärtige Amt bezeichnet die Beziehungen zu Marokko "als traditionell gut und freundschaftlich". Als "Partnerland" sei Marokko nach Ägypten der zweitgrößte Empfänger deutscher Fördermittel in der MENA-Region (Nahost und Nordafrika). [3] Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) benennt drei "Schwerpunkte der Zusammenarbeit" mit Marokko: Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Nutzung und Management von Wasserressourcen, Umwelt und Klimawandel, einschließlich Förderung erneuerbarer Energien.

Die Menschenrechtsfrage wird offenbar ausgespart. Die GIZ spricht zwar von einer marokkanischen "Genderstrategie" und daß sich die "Gleichberechtigung der Geschlechter (...) als roter Faden durch die Vorhaben" zöge [4], aber es verliert kein einziges Wort über die saharauischen Frauen, die in doppelter Hinsicht betroffen sind - zum einen allgemein von Repressionen aufgrund der Besetzung ihrer Heimat und zum anderen als Frauen, die in besonderer Weise von marokkanischen Sicherheitskräften gedemütigt und mißhandelt werden.

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit von Deutschland und Marokko enthalte "vielversprechende Perspektiven", sagte kürzlich der marokkanische Minister für auswärtige Angelegenheiten und Zusammenarbeit, Saad El Dine Otmani, aus Anlaß eines Arbeitsbesuchs des Präsidenten des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, in seinem Land. Sind die bilateralen Perspektiven vielversprechend, weil sich Deutschland hinsichtlich Marokkos menschenrechtswidriger Besetzung der Westsahara mit Kritik deutlich zurückhält? Vor allem seit dem Treffen zwischen König Mohammed VI und Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York entwickelten sich die Beziehungen beider Länder immer enger, so Otmani laut der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Marokko. [5]

Angesichts solcher Geschäftsinteressen und vor allem Perspektiven verkommt das "Westsaharaproblem" zu einer Randnotiz der Geschichte. Die Menschenrechte sind der Bundesregierung gewiß sehr wichtig - aber nur dort, wo es nicht wehtut.


Fußnoten:

[1] http://www.heise.de/tp/blogs/8/153755

[2] http://www.bicc.de/ruestungsexport/pdf/countries/2012_marokko.pdf

[3] http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Marokko/Bilateral_node.html

[4] https://www.giz.de/de/weltweit/340.html

[5] http://marokko.ahk.de/informationen/detail-view/artikel/deutsch-marokkanische-zusammenarbeit-beinhaltet-vielversprechende-perspektiven/?cHash=9f30f8a83ad23d4c211085dd92f14296

19. Februar 2013