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LAIRE/1314: Vorwand "Fake News" - Regierung bemächtigt sich der sogenannten Wahrheit (SB)


Bundesinnenministerium liebäugelt mit Einrichtung eines "Abwehrzentrums gegen Desinformation"


Der Feind ist längst ausgemacht. Er lauert im kalten Osten und heißt Rußland. Die deutsche Luftwaffe zeigt bereits Präsenz an der Grenze zum alten Kriegsgegner und hat über dem Baltikum auch schon eine russische Tupolew "abgefangen" sowie Radarkontakt zu russischen Jagdfliegern aufgenommen, wie deutsche Leitmedien berichten. [1] Im kommenden Jahr wird die Bundeswehr angriffsfähige Kampfpanzer vom Typ Leopard II und 600 Soldaten nach Litauen verlegen, um ein deutliches Signal an die Russen zu senden. [2]

Zwei von zahlreichen Beispielen, wie Deutschland und seine Verbündeten im Rahmen des Militärpakts NATO ihre Stellungen gegen Rußland laufend weiter ausbauen. Dabei ist die kriegvorbereitende Phase der Propaganda und Feindbildproduktion bereits abgeschlossen, die Leitmedien sind längst auf den bellizistischen Kurs eingeschworen, lediglich in der Bevölkerung sind noch hier und da notorisch dissonante Stimmen zu vernehmen. Nicht zuletzt ihnen widmet sich nun das Bundesinnenministerium auf ganz spezielle Weise, indem es ein "Abwehrzentrum gegen Desinformation" einrichtet.

Als Vorwand dient die Debatte um sogenannte Fake News. Die Steilvorlage dazu lieferte der zurückliegende US-Präsidentschaftswahlkampf, aus dem der Milliardär, Rassist, Frauengrapscher und Vertreter der Republikanischen Partei, Donald Trump, siegreich hervorgegangen ist - angeblich mit Hilfe von Falschmeldungen, die russische Hacker für den vermeintlichen "Putin-Freund" verbreitet hatten.

Nun deuten die etablierten Parteien hierzulande düster an, Putin und seine hetzenden Hacker hätten auch den für 2017 angesetzten Bundestagswahlkampf ins Visier genommen und wollten dafür sorgen, daß rechte Kräfte die Oberhand gewinnen. Wie Spiegel online [3] vermeldete, sollen Beamte aus dem Hause Thomas de Maizières (CDU) in einem Vermerk vorgeschlagen haben, möglichst schnell und noch vor den Wahlen ein "Abwehrzentrum gegen Desinformation" einzurichten und es beim Bundeskanzleramt (Bundespresseamt) anzusiedeln, "da der Schwerpunkt bei der Öffentlichkeitsarbeit liegt". Die weitgehend integrierten und unauffälligen Rußlanddeutschen werden, ohne sie direkt beim Namen zu nennen, als fünfte Kolonne Putins angesehen, und zusammen mit den "türkischstämmigen Menschen" als "besonders anfällige Bevölkerungsgruppe" eingestuft, so Spiegel online. Die Behördenmitarbeiter empfehlen, ihnen eine "Intensivierung der politischen Bildungsarbeit" angedeihen zu lassen.

Die Diskriminierung unbequemer, abwegiger oder von der Gegenseite propagierter Aussagen, Standpunkte und Analysen als "Fake News" soll den Meinungsmachern in Ministerien und Medien ein Mittel an die Hand geben, das auf sehr viel breitere und tiefergreifende Weise den Krieg um die Köpfe und Herzen fortsetzt, als es ein Begriff wie "Verschwörungstheorie" zu leisten vermag. Dieser mutet inzwischen obsolet an, war aber nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA verstärkt in den Medien präsent und wird von selbsternannten Experten immer dann bemüht, wenn es gilt, unbequeme Vorstellungen als "spinnert" zu verwerfen.

Die gleichen Kräfte, die jetzt vor Fake News warnen und dabei in Richtung Rußland blicken, übersehen geflissentlich, daß sie selbst oder ihre Rechtsvorgänger in diesem und letzten Jahrhundert schon manchen Krieg mittels einer Falschmeldung angezettelt haben, sei es der Überfall der Deutschen Wehrmacht auf den Sender Gleiwitz 1939, der von den US-Streitkräften in Szene gesetzte Tonkin-Zwischenfall 1964, um Nordvietnam den Krieg zu erklären, sei es der phantasierte Hufeisenplan, mit dem der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) und der grüne Außenminister Joseph Fischer 1999 den Angriff auf Restjugoslawien begründeten, seien es die nach einem New Yorker Feuerwehrauto gezeichneten rollenden Biowaffenlabore, die der Informant (oder war es ein Desinformant?) "Curveball" erfunden hat und den USA und Großbritannien als Vorwand dienten, Irak in Schutt und Asche zu legen und den mittleren Osten auf nachhaltige Weise zu destabilisieren. Das an Opfern kaum zu ermessende Echo dieser Zeit hat vor wenigen Tagen weitere zwölf Menschen am Berliner Breitscheidplatz das Leben gekostet ...

Die in einem Vermerk des Bundesinnenministeriums empfohlene Einrichtung eines "Abwehrzentrums gegen Desinformation" in den sozialen Netzwerken läuft auf die Bildung einer Art Wahrheitsministerium hinaus, das nur diejenigen Nachrichten für "wahr" hält, anerkennt und zuläßt, die den herrschenden Interessen genehm sind. Wer jetzt noch immer vom anarchischen Charakter des Internets träumt, in dem alles gesagt werden kann und keine Zensur stattfindet, dürfte spätestens mit der Behauptung, es gebe so etwas wie Fake News und, noch wichtiger, die Menschen in den Sozialen Netzwerken seien selber so beschränkt, daß sie von der Regierung darauf hingewiesen und von ihr bevormundet werden müßten, eines Besseren belehrt sein.

Steffen Seibert und seine 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundespresseamts werden also damit befaßt sein, das zu tun, was sie schon immer getan haben: Öffentlichkeitsarbeit leisten. Das heißt, sie werden die Öffentlichkeit bearbeiten. Wunschgemäß. Was am Ende dabei herauskommt, nennt sich "Information" oder auch "richtige" Nachricht. Die wird in dem Moment zur "Desinformation", zur falschen Nachricht, sobald sie von den Propagandaabteilungen, Informationsministerien oder Sprecherinnen und Sprechern anderer Regierungen oder unliebsamer Medien verlautbart wird.

Auf diese Weise sprichwörtlich "gebildete" Menschen werden jeden Krieg mitmachen, den man ihnen verkauft, und darüber hinaus auch in Nichtkriegszeiten die Augen davor verschließen, wenn Dutzende Millionen Menschen auf der Flucht sind, wenn zig Millionen ihrer Artgenossen in sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnissen ausgebeutet werden, Milliarden Menschen entweder keine oder nur völlig unzureichende Nahrung übriggelassen wird oder auch wenn in Deutschland die ärmeren Menschen ein durchschnittlich zehn Jahre kürzeres Leben haben als die oberen Zehntausend. All das ist keine Dystopie, sondern Realität - oder handelt es sich am Ende um Fake News?


Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/politik/videos/gezielte-provokation-im-baltikum-deutsche-luftwaffe-faengt-russische-tupolev-im-baltikum-ab_id_5912303.html

[2] https://www.welt.de/politik/ausland/article159078296/Deutsche-Leopard-Panzer-werden-an-russische-Grenze-verlegt.html

[3] http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/fake-news-bundesinnenministerium-will-abwehrzentrum-einrichten-a-1127174.html

23. Dezember 2016


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