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LAIRE/1322: Weltbeschwichtigungstag (SB)


16. Oktober - einmal im Jahr an die Hungernden denken ...


Seit 1979 findet jedes Jahr am 16. Oktober der Welternährungstag statt. Das Datum wurde in Anlehnung an die Gründung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, FAO, am 16. Oktober 1945 gewählt. Doch weder 1945 noch 1979 noch im Jahr 2017 hatten und haben alle Menschen ausreichend zu essen. Kein Zeitpunkt seitdem, an dem nicht Hunderte von Millionen Menschen Hunger litten und jedes Jahr mehrere Millionen verhungert sind.


Straßenverkaufsstand mit frittierten Insekten - Foto: Takoradee, CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

Bangkok, Thailand, 23. April 2006
Von hinten links nach vorne: Heuschrecken, Bambusraupen, Mottenpuppen, Grashüpfer, Skorpione, Schwimmkäfer und Riesenwasserkäfer.
Foto: Takoradee, CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]

Die FAO als gescheitert anzusehen stellt sich nur deshalb als Irrtum heraus, weil diese Organisation von Anfang an gar nicht die Funktion besaß, dafür zu sorgen, daß alle Menschen genügend zu essen haben. Sie sollte lediglich die Erzeugung und Verteilung von Nahrungsmitteln und die Lebensbedingungen der ländlichen Bevölkerung "verbessern", zur Befreiung der Menschen vom Hunger "beitragen" und die Ernährungs- und Lebensstandards der Völker "anheben".

Die Aufgaben der FAO waren absichtlich so wachsweich gehalten, daß man sagen kann, daß die zunächst in Washington, ab 1951 in Rom ansässige Organisation von jeher als Bestandteil der globalen Hungeradministration eingerichtet worden war. Es ist bezeichnend, daß sie sich von ihren Gründungsstatuten her jeglicher Einmischung in die politischen Verhältnisse der Mitgliedstaaten zu enthalten hat.

Dabei bestimmen genau jene politischen Verhältnisse entscheidend, welche Menschen hungern müssen, welche ausreichend versorgt sind und welche im Überfluß leben dürfen! Indem die FAO Zahlen zu den Hungernden und zur Produktion von Nahrungsmitteln sammelt und veröffentlicht, kommt ihr im Chor mit anderen UN-Hilfsorganisationen FAO eine Feigenblattfunktion für die herrschenden Interessen zu.

Offiziellen Angaben zufolge hungern gegenwärtig weltweit 815 Millionen Menschen, rund zwei Milliarden weitere sind mangels ausreichender Nahrung unterversorgt und haben in der Regel ein deutlich kürzeres Leben. Bereits innerhalb des Wohlstandslands Deutschland leben reichere Menschen zehn Jahre länger als ärmere. In den typischen Hungerländern liegt die Lebenserwartung nochmals drastisch darunter. Diese Diskrepanz ergibt sich als Folge der vorgegebenen gesellschaftlichen Ordnung.

Als vor rund zehn Jahren die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel stark anzogen, bekam das sogar der Mittelstand in afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern empfindlich zu spüren. Plötzlich konnten sich viele Menschen nur noch eine Mahlzeit pro Tag anstatt wie bisher zwei oder drei Mahlzeiten leisten. In mehreren Dutzend Ländern brachen Revolten aus, Regierungen gerieten ins Wanken oder wurden gestürzt. Der ungeschriebene Gesellschaftsvertrag, wonach eine größere Gemeinschaft von Menschen angeblich besser in der Lage ist, für den einzelnen zu sorgen, drohte als bloßes Täuschungsmanöver der privilegierten gesellschaftlichen Akteure demaskiert zu werden.

Daraufhin setzte auf den Führungsebenen der OECD-Länder, Weltbank, FAO und anderen transnationalen und globaladminstrativen Institutionen hektische Betriebsamkeit ein. Man verhieß, Maßnahmen sowohl gegen die starken Preisschwankungen als auch die Verbreitung von Hunger unternehmen zu wollen - immer auf Basis der unhinterfragten gesellschaftlichen Ordnung, die es aus Sicht ihrer Begünstigten unbedingt zu bewahren gilt. Man will ja schließlich weiterhin ungestört länger und besser leben als andere.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, daß die FAO als Antwort auf die sogenannte globale Hungerkrise ihren Kriterienkatalog dafür, was als Hunger gerechnet wird und was nicht, so verändert hat, daß die Zahl der Hungernden wie von Geisterhand auf 800 Millionen Menschen zurückgegangen ist. Nach der alten Rechenmethode wäre sie auf deutlich über eine Milliarde gestiegen. [1]

Auf hohem Niveau wandern heutzutage Lebensmittel in Destillerien und Raffinerien, um aus ihnen Treibstoff zu produzieren, damit die Menschen beispielsweise weiterhin fleißig jeden Tag von und zur Arbeit fahren und an Tagen, an denen sie freigestellt werden, auch mal längere Strecken an ihren Urlaubsort zurücklegen können. Ein weiterer Teil der Nahrungsmittel wandert in die Mägen von Tieren und landet über den Umweg der Tierprodukte auf den Tellern.

Weil die erzeugte Menge an Lebensmitteln nicht für alle Menschen reicht, will die FAO uns zu Entomophagen machen. Wir sollen Geschmack daran finden, Insekten zu essen. Damit wird die Hoffnung verknüpft, daß, würden die Menschen nur ihren Ekel aufgeben, der Hunger beendet werden könnte. Auch das ist eine Täuschung. In den typischen Hungerländern Asiens und Afrikas zählen Insekten längst zum Speiseplan der Menschen. Fast jeder dritte Mensch ißt regelmäßig Insekten. Sollten in Zukunft im westlichen Kulturkreis ebenfalls Insekten verzehrt werden, würde das den Mangel in den traditionellen Hungerländern nicht im mindesten verringern.

Wenn vermeintliche Lösungen, Perspektiven und andere Formen der Beschwichtigung satt machen könnten, wäre der Hunger längst aus der Welt geschafft. Dann gäbe es auch keinen Welternährungstag und somit keinen Anlaß, darüber zu berichten.


Fußnote:

[1] Näheres zu der umstrittenen Umstellung des FAO-Kriterienkatalogs: http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0128.html

15. Oktober 2017


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