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LAIRE/1361: Ernährung - Handel, Zwecke und Folgen ... (SB)



"Die Krise der WTO führt uns in eine Welt ohne Regeln. In eine Welt, in der tatsächlich droht, dass das Recht des Stärkeren an die Stelle von verbrieftem Recht tritt."
(Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, 18. Januar 2020, Berlin [1])

In einer Zeit, in der die Arbeit der Welthandelsorganisation (WTO) als zentrale Sachwalterin unter anderem des Agrarhandels durch die "America-First!"-Politik der US-Regierung massiv beeinträchtigt wird, halten die Teilnehmenden der 12. Berliner Agrarministerkonferenz beim Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) explizit an einer auf Handel basierten Ordnung fest. Einer Ordnung allerdings, die in der Vergangenheit entweder unmittelbare Voraussetzung globaler Schadensentwicklungen war oder aber diese nicht vermeiden konnte. Das Recht des Stärkeren, wie es nun von der US-Regierung favorisiert wird, indem sie das Schiedsgericht der WTO nicht neu besetzt und dadurch lähmt, verteilte sich bisher lediglich auf mehr Schultern. Aber jenes "verbriefte Recht", von Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner im Eingangszitat als angeblicher Gegenentwurf propagiert, hat Verlierer geschaffen. Zeitweilig haben über eine Milliarde Menschen gehungert, und jeder dritte Mensch war mangelernährt. Nach wessen Regeln, in welcher Ordnung und zu wessen Gunsten wurde hier Handel betrieben?

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und die Agrarministerinnen und -minister aus 71 Ländern sowie Repräsentanten von zwölf internationalen Organisationen haben auf der Berliner Konferenz eine Abschlußerklärung verabschiedet, in der Handel am Anfang, in der Mitte und am Ende steht. [2]

Handel wird als Antwort auf vielfältige Probleme wie Hunger, Mangelernährung, Klimawandel, Einkommensungleichheit und vielen mehr gepriesen, wohingegen der Begriff "Ernährungssouveränität", wie er von Kleinbauernorganisationen propagiert wird, mit keinem Wort Erwähnung findet. Herrschaftslogisch ist das durchaus begründet, wird doch den ursprünglich Produzierenden mittels Handelsmechanismen die Kontrolle über Agrarerzeugnisse, Produktionsmittel und -weisen sowie Grund und Boden entzogen, so daß die Existenz der Bäuerinnen und Bauern auf Gedeih und Verderb von Entwicklungen auf dem Weltmarkt abhängt. Dieser wird aber nicht lokal, sondern von globalen Metropolen kontrolliert.

Vor die Wahl von nur zwei Alternativen gestellt, Protektionismus oder Multilateralismus, sollen die Menschen ihre ganze Hoffnung auf letzteren setzen und vergessen, daß die Regeln, nach denen sie Handel betreiben sollen, von anderen Interessen als den ihren festgelegt werden.

Nicht Protektionismus hatte vor zwölf Jahren einen plötzlichen Preissprung für Nahrungsmittel mit Hungerunruhen in rund drei Dutzend Staaten ausgelöst, sondern jene multilaterale, regelbasierte Ordnung, die Entwicklungen begünstigt hat wie Spekulationen des Finanzkapitals, einen steigenden Ölpreis (der ebenfalls stark vom Finanzkapital beeinflußt wird), Subventionierung von Agrotreibstoffen und Land-Grabbing. Außerdem hatten damals etliche Entwicklungsländer auf Druck von multilateralen Institutionen wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds ihre Lagerbestände mit Nahrungsmittelreserven reduziert, weil, so die Doktrin, sie ja bei Mißernten über den Handel Nahrungsmittel importieren könnten. Ein fataler Irrtum. Protektionistische Maßnahmen waren damals erst in Folge des globalen Nahrungsmangels ergriffen worden.

Jene beiden Finanzinstitutionen waren es auch, die jahrzehntelang von den Entwicklungsländern Strukturanpassungsmaßnahmen forderten, wozu das Streichen der staatlichen Unterstützung für die Landwirtschaft, die Aufhebung von Zollschranken und die Privatisierung von Staatsbetrieben und Einrichtungen, die bis dahin das Kleinbauerntum unterstützt hatten und dann abgeschafft worden waren, zählten.

IWF, Weltbank und auch die WTO, die von Klöckner und anderen jetzt, da sie von der US-Regierung kaltgestellt wurde, hochgejubelt wird, haben eine "Politik des Hungers" verfolgt, wie es der philippinische Sozialwissenschaftler und Träger des Alternativen Nobelpreises Walden Bello treffend genannt hat. Und Jean Ziegler, der frühere UN-Sondergesandte für das Recht auf Nahrung, bezeichnet es als "Mord", wenn Menschen verhungern müssen.

Nach welchen Regeln müssen Menschen verhungern, wenn nicht nach denen der vorherrschenden Ordnung? Sicherlich können sich manche Kleinbäuerinnen und Kleinbauern nicht das ganze Jahr über selbst ernähren, insbesondere nicht bei witterungsbedingten Ernteausfällen. Doch deshalb muß nicht gleich das Heil in einer Weltmarktanbindung gesucht werden. Es existieren funktionierende genossenschaftliche Organisationsformen wie Via Campesina in Mexiko und MASIPAG, ein Netzwerk von Bauernorganisationen und Wissenschaftlern auf den Philippinen.

Der südasiatische Inselstaat wird regelmäßig von schweren Wirbelstürmen heimgesucht, wobei ganze Ernten vernichtet werden. Die in MASIPAG organisierten Familien verlieren dadurch jedoch nicht ihre Existenz, da sie von jenen unterstützt werden, die auf anderen, nicht vom Unwetter heimgesuchten Inseln leben. Im Jahr darauf ist es vielleicht genau umgekehrt. MASIPAG stellt das erfolgreiche Gegenmodell zur agroindustrienahen Grünen Revolution dar, indem es vom traditionellen, organischen Reisanbau ausgehend anpassungsfähige, ertragreiche Sorten züchtet und eine weitgehend selbstbestimmte Produktionsweise favorisiert.

Solche Formen der Ernährungssouveränität werden von Handelsapologeten wie Klöckner & Co. nicht etwa übersehen. Aus deren Sicht sind sie der eigentliche Gegner, den es niederzuringen gilt, um die eigene Verfügungsgewalt auch noch im hinterletzten Winkel des Planeten durchzusetzen.

Selbstverständlich wird diese Absicht nicht lauthals kundgetan, sondern hinter wohlfeilen Worten verborgen. Beispielsweise wird von "Freihandel" gesprochen, als sei das Niederreißen von Zollschranken und anderen sogenannten Handelshemmnissen eine uneingeschränkte Errungenschaft und nicht etwa Voraussetzung dafür, daß nach der Kaltstellung der Staaten fortan transnationale Konzerne mit wuchtigen Spießen auf dem Weltmarkt ihren Konkurrenzkampf gegen mit abgebrochenen Zahnstochern ausgestattete Kleinunternehmen austragen durften. Und wenn von einer "regelbasierten Ordnung" gesprochen wird, dann lenkt das davon ab, daß jene Regeln die bloße Kehrseite der Medaille sind, nach der US-Präsident Donald Trump protektionistischen Handel betreiben will. Beide Seiten nutzen ihre Kapitalmacht und militärische Überlegenheit zur Durchsetzung eigener hegemonialer Interessen.


Fußnoten:

[1] tinyurl.com/rzs6les

[2] https://www.gffa-berlin.de/wp-content/uploads/2020/01/GFFA-2020-Kommunique.pdf

20. Januar 2020


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