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LAIRE/1363: Brasilien - christlich-koloniale Vorherrschaft ... (SB)



"Wenn ich gewählt bin, werde ich FUNAI einen Schlag versetzen. Einen Schlag in den Nacken. Es gibt keinen anderen Weg. Sie ist nicht mehr nützlich."
(Jair Bolsonaro, August 2018 [1])

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro will ausgerechnet einen evangelikalen Missionar zum Leiter der Abteilung für unkontaktierte Völker bei der Indigenen-Behörde FUNAI ernennen. Jener Missionar gehört einer besonders aggressiv missionierenden Richtung unter den Evangelikalen an, die es speziell auf die Bekehrung unkontaktierter Völker abgesehen hat.

Die Ernennung wäre der vorläufige Höhepunkt einer breit angelegten Vernichtungswelle indigener Völker, ihrer Kulturen und ihres Lebensraums seit dem Amtsantritt des offen rassistischen Präsidenten in Brasilien. Der hatte erst kürzlich in seinem wöchentlichen Facebook-Video den Indigenen jegliche Menschlichkeit abgesprochen, indem er erklärte: "Mit Sicherheit haben sich die Indigenen verändert und weiterentwickelt. Sie sind immer mehr menschliche Wesen wie wir." [2]

So "menschlich" zu sein wie Bolsonaro, heißt, die Folter der brasilianischen Militärdiktatur (1964 - 1985), den Genozid an der ursprünglichen Bevölkerung Nordamerikas durch die weißen Invasoren, Übergriffe gegen Menschen mit anderen als den heteronormativen sexuellen Neigungen, aber auch allgemein gegen Frauen und Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe und viele Grausamkeiten mehr gutzuheißen. Auf diese Art der Menschlichkeit können die Indigenen sicherlich gut verzichten. Es wäre nicht verwunderlich, sollte bei ihnen der Zorn so stark anwachsen, daß sie bei Gelegenheit Bolsonaros Menschlichkeit auf ihn selbst anwenden ...

Der seit dem 1. Januar 2019 in Brasilien regierende Hauptmann der Reserve von der Sozialliberalen Partei (PSL - Partido Social Liberal) vollendet die Unterwerfung der ursprünglichen Bevölkerung Südamerikas durch die (katholischen) Konquistadores, die vor Jahrhunderten begann und von Anfang an von Zwangsbekehrungen begleitet war, indem er dem evangelikalen Ricardo Lopez Dias einen einflußreichen FUNAI-Posten zuschanzt. Der Missionar ist seit vielen Jahren für die New Tribes Mission (NTM) - heute Ethnos360 genannt - tätig.

Auf der Internetseite des deutschsprachigen Ablegers von Ethnos360 ist unter der Rubrik "Unser Anliegen" zu lesen: "Weltweit gibt es rund 10 000 Volksgruppen. Davon sind mehr als 4000 Volksgruppen unerreicht. Zusammen mit der Gemeinde möchten wir Mitarbeiter zu den Volksgruppen senden, die das Evangelium bisher noch nicht hören konnten, damit zur Ehre Gottes eine reifende Gemeinde für jede Volksgruppe entstehen kann." [3]

Sollte Dias den Job erhalten, blieben die unkontaktierten Völker nicht mehr lange unkontaktiert. Die Nichtregierungsorganisation Survival International bezeichnet die geplante Ernennung eines NTM-Missionars für eine FUNAI-Abteilungsleitung als "Akt der Aggression" und Bolsonaros jüngsten Plan, indigene Gebiete für Bergbau und Entwicklung zu öffnen, als "mörderisch". [4]

Der politische Rechtsschwenk der brasilianischen Gesellschaft seit dem kalten Putsch von Bolsonaros Vorgänger Michel Temer ist kein singuläres Ereignis, weder innerhalb Südamerikas noch in der übrigen Welt. Er hat mit der Schwäche der früher regierenden und dann von der Macht geputschten Arbeiterpartei (PT - Partido dos Trabalhadores), trotz ihrer Erfolge in der Armutsbekämpfung, zu tun sowie mit dem allgemeinen politischen Umfeld Südamerikas. Das wird seit einigen Jahren von dem erstarkten rechten Konter gegen die bolivarische Revolution seit dem Tod von Hugo Chávez, des ehemaligen Präsidenten Venezuelas, im Jahr 2013 bestimmt. Der Rechtsschwenk wird aber auch von dem Vormarsch verschiedener evangelikaler Organisationen getragen.

In Brasilien setzte die Entwicklung weg vom Katholizismus bereits in den 1970er Jahren ein und erlebte unter dem im Mai 2016 im Fluß Jordan äußerst medienwirksam evangelikal getauften Jair Bolsonaro, der mit zweitem Vornamen ausgerechnet Messias heißt, einen kräftigen Aufschwung. Claudia Zilla von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) schrieb dazu im vergangenen Jahr:

"Allgemein ist in Brasilien unter der Präsidentschaft von Jair Messias Bolsonaro die Demarkationslinie zwischen Politik und Religion durchlässiger geworden. Bereits als Präsidentschaftskandidat profitierte Bolsonaro wie kein anderer von der Unterstützung eines Großteils der evangelikalen Wählerschaft; heute genießt er weiterhin überproportional hohe Zustimmungswerte in dieser Gesellschaftsgruppe." [5]

Mit seiner Aggression gegen die Indigenen bedient Bolsonaro die Interessen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, die auch personell in seinem Kabinett vertreten sind: Die Evangelikalen vom Schlage Dias' sehen in den Indigenen leere Gefäße, die es mit der frohen Botschaft zu füllen gilt, um Gottes Werk zu vollenden. Die Bergbaukonzerne und Großgrundbesitzer sehen in ihnen lästige Hindernisse beim Versuch, neue Rohstofflagerstätten zu erschließen und Latifundien zur Rinderweidehaltung, Anbau von Agrarerzeugnissen (Soja) und dem Anlegen von Plantagen für Agrospritpflanzen (Zuckerrohr, Palmen, Eukalyptus) auszudehnen. Die Technokraten in Bolsonaros Regierung wiederum sehen sich durch den Sonderstatus der indigenen Völker, die weniger als 1% der Bevölkerung ausmachen und auf 13% der Landesfläche in indigenen Schutzgebieten (Terra Indigena) leben, daran gehindert, Staudämme, Verkehrswege und andere Infrastruktureinrichtungen zu bauen.

Den indigenen Völkern Brasiliens droht nun der letzte Schritt einer Unterwerfung, die vor Jahrhunderten einsetzte und schon immer darauf abzielte, Menschen aus ihrem angestammten Lebensraum zu vertreiben und von ihrer Kultur zu entfremden, um ihr Land, die von ihnen besetzten Ressourcen und nicht zuletzt ihre Arbeitskraft für sich verfügbar zu machen.


Fußnoten:

[1] https://www.survivalinternational.de/artikel/3542-bolsonaro

[2] https://www.derstandard.de/story/2000113723107/jair-bolsonaro-faellt-wieder-mit-rassistischen-aussagen-auf

[3] https://ethnos360.de/uber-uns/

[4] https://www.survivalinternational.de/nachrichten/12329

[5] https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019S26/

3. Februar 2020


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