Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


LAIRE/1365: Coronavirus - präsidiale Ausflüchte ... (SB)



US-Präsident Trump hat wegen der neuartigen Coronaviruspandemie ein Einreiseverbot für Flugreisende aus dem Schengenraum initiiert. Eigentlich wäre eine solche Maßnahme auch in umgekehrter Richtung sinnvoll, da die epidemiologische Lage in den USA mangels flächendeckender Tests vollkommen unklar ist. Zugleich bestehen gute Chancen, daß Trump jemand ist, der das Virus selber verbreitet, hatte er doch Kontakt zu dem später positiv getesteten Kommunikationschef des brasilianischen Präsidenten. Trump selbst gibt bekannt, daß er sich nicht testen lassen will. Das ist ziemlich rücksichtslos gegenüber seinen Mitmenschen und zeigt doch recht genau, mit was für einem miesen Charakter man es hier zu tun hat.

"Rücksichtslos" scheint allerdings nicht erst seit gestern der zweite Vorname von Donald Trump zu sein. Angesichts zerbombter Städte in Syrien, der willkürlichen Liquidierung sowohl hochrangiger iranischer Militärs als auch zahlreicher namenloser Menschen in Somalia durch Drohnenangriffe sollte es nicht überraschen, daß der US-Präsident bis vor wenigen Tagen noch so getan hat, als sei das Coronavirus kein Problem, und heute die Europäische Union bezichtigt, sich zu sehr mit China eingelassen zu haben. Entgegen gegenteiliger Behauptungen zahlreicher Fachleute verbreitet Trump inzwischen die Ansicht, die USA seien bestens gegen das Coronavirus gewappnet.

Am vergangenen Wochenende besuchte Brasiliens Präsident Jair Messias Bolsonaro seinen US-amerikanischen Amtskollegen auf dessen Anwesen Mar-a-Lago in Florida. Im Gefolge des südamerikanischen Gastes befand sich auch Kommunikationschef Fabio Wajngarten, der sich nach seiner Rückkehr in Sao Paulo auf das neuartige Coronavirus hat testen lassen. Resultat: positiv. Eigentlich müßten sich alle Personen, mit denen Wajngarten Kontakt hatte, testen lassen und in eine vierzehntägige Isolation begeben. Das wären abgesehen von Trump unter anderem auch seine Tochter Ivanka und US-Vizepräsident Mike Pence, dem die Koordination der Coronavirusbekämpfung übertragen worden war.

Ein erster Test bei Bolsonaro hat ergeben, daß auch er mit Sars-CoV-2 infiziert ist, und die Investigativplattform "The Intercept" berichtet unter Berufung auf eine anonyme Quelle, daß drei weitere Personen der brasilianischen Delegation mit dem neuartigen Coronavirus infiziert sind. Wer war ihre Quelle?

Nicht nur die USA haben Einreiseverbote gegen EU-Länder verhängt. Gleiches gilt für Argentinien, Bolivien, Israel, Paraguay, Peru, Saudi-Arabien und Venezuela. Und wer aus Deutschland nach Uganda oder Liberia einreisen will, muß sich dort zwei Wochen in Quarantäne begeben. Die Länderauflistung ist unvollständig und dürfte in den nächsten Tagen noch viel länger werden. Der Eindruck täuscht, daß Donald Trump das Einreiseverbot einzig und allein verhängt hat, weil er der EU schaden will.

Selbstverständlich verfolgt Trump mit dem Verbot auch andere Ziele und nicht zuletzt macht er Wahlkampf in eigener Sache, wenn er das Feindbild EU bedient. Dennoch scheint aus epidemiologischer Sicht diese Maßnahme durchaus geeignet, die Ausbreitung des Virus zu bremsen. Gewissermaßen müßten mindestens die Länder, in denen Sars-CoV-2 nachgewiesen wurde, einen zweiwöchigen Stillstand aller Aktivitäten, die nicht von zu Hause aus erledigt werden können, verhängen. So, wie es der Virologe Alexander Kekulé von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle vor einigen Wochen für die Bundesrepublik vorgeschlagen hatte. Damals wäre noch Zeit gewesen, durch diese drastische Maßnahme die Ausbreitung des Virus zu unterbinden. Inzwischen sehen sich die Behörden in Reaktion auf die absehbare, exponentielle Zunahme der Neuinfektionen gezwungen, genau das zu tun, was damals schon vorgeschlagen worden war.

Außer Bolsonaro hat es auch Kanadas First Lady Sophie Grégoire Trudeau erwischt - ausgerechnet bei einem Besuch im Vereinigten Königreich, für das Trumps Einreiseverbot nicht gilt. Kanadas Premierminister Justin Trudeau ist symptomfrei, befindet sich aber ebenfalls in Quarantäne. Und rund eine Woche nach einem Treffen mit Ivanka Trump, die offiziell als Beraterin ihres Vaters tätig ist, und US-Justizminister William Barr in Washington infizierte sich der australische Innenminister Peter Dutton. Dieser teilte am heutigen Freitag mit, er sei mit Fieber und Halsschmerzen in einem Krankenhaus in Queensland unter Quarantäne gestellt worden. Wer Dutton angesteckt hat, ist nicht bekannt.

Ob USA oder Deutschland, die Reaktion auf die Entstehung des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 erfolgt zu spät und zu unambitioniert. Der Eindruck entsteht, wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Vorteile gegenüber den konkurrierenden Nationen zu erringen sei den Regierungen wichtiger als der Gesundheitsschutz der Menschen. Zu dieser Einstellung paßt auch die Ignoranz gegenüber Flüchtlingen, die Aufrechterhaltung von Sanktionen gegenüber unliebsamen Staaten (China, Rußland, Iran, Kuba, Syrien ...) bzw. der Versuch, Regierungswechsel in die Wege zu leiten (Venezuela, Bolivien ...).

Das alles sind keine neuen Erkenntnisse. Die Pandemie bringt jedoch deutlich hervor, was seit jeher zum Handwerkszeug von Herrschaft gehört. Eine (in diesem Fall unbezweifelbar vorhandene) äußere Bedrohung wird benutzt, um die eigene Vorteilsposition zu sichern und nach Möglichkeit noch auszubauen. Bezeichnenderweise wird die Frage gar nicht erst aufgeworfen, ob die vorherrschende politische Ordnung aus gegeneinander konkurrierender Staaten, die vor allem daran arbeiten, auch nur die Idee einer Befreiung der Menschen aus den sie unterjochenden Strukturen zu unterbinden, überhaupt geeignet ist, eine Pandemie einzudämmen. Daß sich die Infektionskrankheit überhaupt so weit verbreiten konnte, beantwortet diese Frage eigentlich schon.

Das Einreiseverbot aus dem Schengenraum in die USA hat seine epidemiologische Begründung, doch darüber hinaus bietet es Trump auch die Gelegenheit, der EU gegen das Schienbein zu treten. Der US-Präsident poltert nicht zuletzt deswegen gegen die Europäische Union, weil sie sich nicht genügend hinter den geopolitischen Vorstoß der USA gegen Weltmachtkonkurrent China stellt und beispielsweise Huawei zum Aufbau des Mobilfunkstandards der fünften Generation (5G) zulassen will, anstatt die Überwachungstechnologie der USA zu installieren.

Diesseits wie jenseits des Atlantiks wird zur Zeit die administrative Verfügungsgewalt auf eine nie dagewesene Weise weiterentwickelt. Ausmaß und Geschwindigkeit, mit denen sich der Staat Zugriff auf alle Bereiche gesellschaftlichen Zusammenlebens verschafft, sind nicht beispiellos. Sie erinnern an Zeiten der Mobilmachung, nur, vordergründig betrachtet, in umgekehrter Richtung. Einreiseverbote, Anweisungen der Behörden, keine größeren Versammlungen einzuberufen, und Ratschläge wie die von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sozialen Kontakte zu meiden, haben Immobilität und Vereinzelung der Menschen zur Folge.

Sollte der Tag kommen, an dem sich die Pandemie nicht weiter ausbreitet oder sogar eingedämmt werden konnte, wird man feststellen, daß die administrativen Maßnahmen nicht wieder auf den Stand wie vor dem Sars-CoV-2-Ausbruch zurückgefahren werden.

13. März 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang