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LAIRE/1370: Ukraine - Landreform zugunsten der Konzerne ... (SB)



Die Ukraine hat eine Landreform beschlossen, die es ermöglichen soll, größere Landflächen zu erwerben. [1] Zwar ist dies nur ukrainischen Personen und Körperschaften vorbehalten, aber wie lange die Blockade ausländischer Investoren anhält, ihre Kapital in ukrainische Firmen zu investieren, ist unklar. Am Ende werden die Oligarchen gewinnen, ob sie nun aus dem In- oder Ausland stammen.

Begründet wird die seit langem auch von Oppositionsparteien geforderte Reform damit, daß gegenwärtig rund sieben Millionen kleine Landbesitzer auf ihrem Grund keine langfristigen Investitionen vornehmen. Das ist jedoch kein Sachzwang. Die Regierung könnte ihnen eine Bestandsgarantie geben und Zugang zu einem Maschinenpark verschaffen, den sich eine Bäuerin oder ein Bauer allein nicht leisten kann. Um nur ein Beispiel zu nennen.

Der Internationale Währungsfonds will die großgrundbesitzerfreundliche Folgsamkeit des ukrainischen Parlaments, das das Gesetz zur Landreform (No. 2178-10) in einer Sondersitzung am 1. April angenommen hat, belohnen und hat angekündigt, die Ukraine in Kürze mit der ersten Tranche eines 7,3 Mrd. Euro schweren Kredits versorgen zu wollen.

Das im Jahr 2001 beschlossene Moratorium auf den Verkauf von Land - Verpachten und Vererben ist erlaubt - wird damit endgültig abgeschafft. Nach der ersten Lesung im November 2019 waren über 4.000 Änderungsanträge gegen das von Präsident Wolodymyr Selenskyj und seiner Partei "Diener des Volkes" eingebrachte Gesetz vorgelegt worden. Die Partei verfügt zwar über die absolute Mehrheit im Parlament, ist aber inhaltlich wegen der Landfrage gespalten.

Die neuen Bestimmungen sehen vor, daß Bürgerinnen und Bürger der Ukraine ab dem 1. Juli 2021 bis zu 100 Hektar Land pro Person erwerben dürfen. Ab 2024 gilt dies auch für Körperschaften, die im Einklang mit der ukrainischen Gesetzgebung geschaffen und registriert sind und deren Mitglieder bzw. Aktienbesitzer wiederum nur aus der Ukraine, vom Staat oder örtlichen Gemeinden stammen. Auch Banken dürfen Land erwerben, müssen es aber nach dem Kauf binnen zwei Jahren wieder verkaufen. Erst ein späteres Referendum soll darüber entscheiden, ob auch Ausländer Land erwerben dürfen. Ein Termin dafür steht noch nicht fest.

Die Ukraine als einstige Kornkammer Europas verfügt über eine Ackerfläche von 32,5 Mio. Hektar, das macht 53,9 Prozent der ukrainischen Landfläche aus. Nach Rußland ist das die größte landwirtschaftliche Nutzfläche in Europa. Zum Vergleich: Das deutsche Ackerland umfaßt rund 12 Mio. Hektar.

Das geltende Verbot, Boden zu verkaufen, hatte den Effekt, daß keine Hypothek auf das Land aufgenommen werden durfte. Auch aus diesem Grund blieb der Grad der landwirtschaftlichen Mechanisierung, die meist hohe Investitionen erfordert, hinter dem beispielsweise Österreichs oder Deutschlands zurück. Vordergründig gesehen könnte aus dem Boden mehr herausgeholt werden, sollte diese Schranke wegfallen. Aber wer würde davon profitieren?

Die jetzt beschlossene Landreform ist nach wie vor umstritten, obschon die Ukraine entgegen den Erwartungen des IWF ein Verbot des Landkaufs durch ausländische Investoren verhängt hat. Das war einer der Kernkritikpunkte nicht zuletzt des extrem rechten Spektrums in der Bevölkerung. Indes kann durch die Landreform nicht verhindert werden, daß ukrainische Oligarchen ihre Kapitalmacht und andere Mittel nutzen und sich die Landfläche aneignen. Dafür gibt es ein im doppelten Sinn naheliegendes Vorbild: Deutschland.

Die Bodenverwertungs- und verwaltungs GmbH (BVVG) verkauft seit 1992 ehemals volkseigene Land- und forstwirtschaftliche Flächen Ostdeutschlands. Nicht ausländische, aber außerlandwirtschaftliche Investoren haben sich dort groß einkauft. Diese "Oligarchen" tragen andere Namen, haben aber eine ähnliche gesellschaftliche Funktion wie in der Ukraine. Nach Angaben der Bundesregierung kommen sie "aus der Finanzbranche, der Möbelindustrie, dem Einzelhandel, dem Schiffbau und der Pharmaindustrie". [2]

Zur Parzellierung des Landes und der Verteilung als Streubesitz war es nach der Auflösung der Sowjetunion gekommen. Damals hatten die ehemaligen Arbeiterinnen und Arbeiter der rund 12.000 Kolchosen Land zugeteilt bekommen, im Durchschnitt 4,2 Hektar groß. Eine Pacht von zusätzlichem Land war möglich, jedoch nicht einfach zu bewerkstelligen. Heute sind rund 20 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, die wiederum rund 20 Prozent zum Bruttoinlandprodukt beiträgt.

Andere landwirtschaftliche Organisationsformen als die jetzt in die Wege geleitete Hinwendung zur Bodenakkumulation sind vorstellbar, ohne daß deswegen zur zentralstaatlich organisierten kollektivistischen Landwirtschaft von einst zurückgekehrt werden müßte. Das von der Ukraine favorisierte marktwirtschaftliche Modell kann zwar Vorteile haben, sollte nun in die Nutzbarmachung des landwirtschaftlichen Potentials investiert und die Erntemenge gesteigert werden, aber Verlaß ist auf die Marktwirtschaft nicht. Das hat 2008 die globale Preisexplosion von Grundnahrungsmitteln gezeigt, als in mehreren Dutzend Ländern Hungerrevolten ausbrachen - eine direkte Folge von typisch marktwirtschaftlichen Faktoren wie Finanzspekulation und Flächenkonkurrenz durch den Pflanzenanbau für die Treibstoffproduktion.

Ernährungsouveränität, also die Sicherheit einer quantitativ und qualitativ guten Ernährung in Verbindung mit der Beibehaltung der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel durch diejenigen, die das Land bewirtschaften, wäre als Startpunkt für eine Landreform ein ganz und gar anderer Ansatz, als er jetzt verfolgt wird. So etwas würde auch nicht vom Internationalen Währungsfonds unterstützt, geschweige denn von der Europäischen Union, die eine Loslösung der Ukraine von Rußland betrieben hat, um ihren eigenen Einfluß auszudehnen.

Auch die ukrainischen Oligarchen, die sich bei dem Versuch, Ernährungsouveränität zu erlangen, um ihre liebgewonnenen Pfründe Sorgen machen müßten, würden versuchen, die Idee zu verunglimpfen und zum Scheitern zu bringen. Von den rechten bis extrem rechten Kräften in der Ukraine ganz zu schweigen. So hat die Partei "Vaterland" der früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko lediglich dagegen opponiert, daß Ausländer Land erwerben, nicht jedoch gegen die Bereicherung durch Einheimische.

Sollten sich in Zukunft die kleinen Landbesitzenden verschulden, wird ihnen oftmals nichts anderes übrig bleiben, als ihr Land zu verkaufen. Ein zunächst rein inländisches Landgrabbing als Folge der Reform wird unvermeidlich sein. Selbst wenn einige Oligarchen größere Investitionen tätigen, um den sozialen Frieden zu wahren, wird am Ende die Ungleichheit der Menschen verstärkt.


Fußnoten:

[1] https://www.euronews.com/2020/03/31/ukraine-lifts-ban-on-sale-of-farmland-in-bid-to-receive-international-funds

[2] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/landgrabbing-in-ostdeutschland-wie-der-staat-beim-kampf-um-ackerflaechen-mitverdient/25314092.html

3. April 2020


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