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DILJA/1100: Kumpanei des Schreckens - EU beteiligt sich an der Erpressung Gazas (SB)


Keine Hilfsgelder der EU für Gaza, "solange dort die Hamas regiert"

Die brutale Abstrafung der palästinensischen Bevölkerung des Gazastreifens wird mit politischen Druckmitteln fortgesetzt


Bekanntlich verraten Taten weitaus mehr als Worte über die tatsächlichen Absichten eines Menschen. Dies gilt nicht minder für Organisationen und Interessenverbände und scheint insbesondere auch auf die Funktionäre einer neuen Weltordnung, wie die führenden westlichen Staaten sie durchzusetzen trachten, und ihre maßgebliche Elite zuzutreffen. Als UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nach der nach dreiwöchigem Vernichtungskrieg gegen die nahezu wehrlose palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens am vergangenen Samstag durch Israel verkündeten und inzwischen wieder gebrochenen Waffenruhe Gaza-Stadt mit seinem Besuch bedachte, wollte er diese Geste als Zeichen der Solidarität mit den Bewohnern verstanden wissen. Das Ausmaß der Zerstörungen, die die israelische Armee im Gazastreifen angerichtet hat, nannte der oberste UN-Funktionär "herzzerreißend".

Mitgefühlsbekundungen dieser Art helfen den eineinhalb Millionen Menschen im Gazastreifen in ihrem verzweifelten Kampf um das tägliche Überleben, der Bewältigung des ihnen zugefügten Leides sowie der nur zu begründeten Angst vor weiteren militärischen Angriffen nicht weiter. In dem Krieg wurden ersten Schätzungen zufolge materielle Schäden in Höhe von fast zwei Milliarden US-Dollar angerichtet durch die Vernichtung und Beschädigung von 4100 Wohnhäusern, 1500 Fabriken, 20 Moscheen, weiten Teilen des Stromnetzes und zehn Wasser- und Kanalisationsanlagen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind zur Behebung der unmittelbarsten Not mehrere Hundert Dollar Soforthilfe erforderlich. Im Auftrag der Ratspräsidentschaft der Europäischen Union sind bereits drei (!) tschechische Experten in den Gazastreifen aufgebrochen, um den Bedarf an humanitärer Hilfe abzuschätzen. EU-Entwicklungskommissar Louis Michel reiste ebenfalls in den kriegszerstörten Gazastreifen, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen.

Kurzum, bei den Vereinten Nationen wie auch der Europäischen Union ist man bestrebt, eine gute Miene zum bösen Spiel aufzusetzen, da beide Institutionen nicht daran interessiert sein können, als stille Verbündete Israels öffentlich und vor allem in der arabischen und islamischen Welt wahrgenommen zu werden. Tatsächlich zeichnet sich längst ab, daß die stille Kumpanei des Schreckens der westlichen Staaten mit dem Aggressor Israel weit über eine Haltung hinausgeht, die sich als "Beide-Augen-Zudrücken" umschreiben ließe, um Israel in militärischer Hinsicht freie Hand zu lassen. Die internationale Gemeinschaft saß "mit im Boot", lange bevor am 27. Dezember vergangenen Jahres die ersten israelischen F-16-Kampfflugzeuge Tod und Zerstörung über den Gazastreifen brachten.

Die ambivalente Haltung namentlich der Europäer nach dem vorgeblichen Ende der Offensive, das sich bereits als ein nur taktischer Rückzug der israelischen Bodentruppen aus dem Gazastreifen herauszustellen beginnt, erklärt sich aus der Teilhaberschaft an einem Komplott zur Befriedung, das heißt zur totalen Kontrolle der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens aus Sicht der selbsternannten westlichen Hegemonialkräfte. Dabei hat Israel die Rolle des "bösen Cops" übernommen, der von seinen Waffen rücksichtslos Gebrauch macht und offen damit droht, jederzeit erneut in den Gazastreifen einzumarschieren. Am vergangenen Sonntag hat Benjamin Netanjahu, der aussichtsreichste Herausforderer des amtierenden Ministerpräsidenten Ehud Olmert bei den bevorstehenden Parlamentswahlen, bereits wieder die Kriegstrommeln gerührt und erklärt, die Armee habe der "Hamas einen schweren Schlag zugefügt", aber leider sei "der Job nicht zu Ende geführt worden".

Den Part des "guten Cops" haben augenscheinlich die Vereinten Nationen respektive die EU eingenommen. Da die UN eigentlich nicht mehr als eine Feigenblattfunktion erfüllen können und über keine eigenen, wie auch immer gearteten Druckmittel verfügen, um entgegen der Interessen der den Weltsicherheitsrat dominierenden westlichen Staaten auch nur irgendetwas durchsetzen zu können, kommt der EU hier eine größere Bedeutung zu. Sie könnte, wenn sie nur wollte, sich einer ganzen Palette politischer Druckmittel bedienen, um Israel von seinem Kriegskurs abzubringen, könnte jedoch nicht weiter davon entfernt sein, auch nur die geringsten Schritte in dieser Richtung zu unternehmen. Die von ihr angenommene Rolle des "guten Cops" läßt sich an der von der EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner zum Ausdruck gebrachten Bereitschaft ablesen, namens der EU die Drangsalierung und Zurichtung der Gaza-Palästinenser mit politischen Mitteln zu ergänzen.

Ferrero-Waldner erklärte am Montag, ohne daß dies in den westlichen Medien ein nennenswertes Echo gefunden hätte, daß die EU keine Gelder für den Wiederaufbau im Gazastreifen geben werde, solange dort die Hamas regiere. Die Hilfe für das pure Überleben einer dermaßen drangsalierten Bevölkerung von der Erfüllung solcher politischer Forderungen abhängig zu machen, entlarvt beileibe nicht nur den in Brüssel vorherrschenden Zynismus, sondern eiskaltes politisches Kalkül. Was die israelische Kriegsmaschinerie für alle Welt sichtbar vorbereitet hat, indem sie systematisch die Wasser- und Stromversorgung sowie die Abwassersysteme zerstörte und die Aushungerung der Gaza-Bevölkerung durch gezielte Angriffe auf die UN-Nahrungsdepots zuspitzte, findet in dieser Haltung der EU seine unsichtbare Fortsetzung.

Vor diesem Hintergrund erhält die Ankündigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die kurz nach der Verkündung der Waffenruhe erklärte, nun gehe es darum, den Waffenschmuggel zu unterbinden, womit sie offensichtlich meinte, die Wiederherstellung der von Israel in drei Wochen Krieg zu 60 bis 70 Prozent zerstörten Tunnelverbindungen zwischen Ägypten und dem Gazastreifen, durch die die wegen der israelischen Blockade notleidende Bevölkerung mehr recht als schlecht versorgt worden war, zu unterbinden. Dabei wolle, so erklärte die Kanzlerin eilfertig, die Bundesrepublik Deutschland mit eigenen Sicherheitskräften helfen. Noch scheitert diese Stationierung ausländischer Truppen im Grenzgebiet Ägyptens zum Gazastreifen an der Bereitschaft des saudischen Reiches, die eigene Souveränität aufzugeben.

Saudi-Arabien versucht vielmehr, durch eigene Hilfsleistungen - den Palästinensern wurden bereits Finanzhilfen in Höhe von einer Milliarde US-Dollar in Aussicht gestellt - die eigene politische Position in der Region aufzuwerten und vor allen Dingen dem Iran zuvorzukommen, der seinerseits wie schon nach dem israelischen Krieg gegen den Libanon, bei dem sich Teheran aktiv am Wiederaufbau beteiligte, den Wiederaufbau im Gazastreifen tatkräftig unterstützen will. Da die politische Zurichtung jedoch nur funktionieren kann, wenn die palästinensische Bevölkerung das Ausbleiben von Hilfe seitens der EU nicht durch die Unterstützung aus der arabischen Welt bzw. dem Iran kompensieren kann, ist das westliche Kriegsbündnis sehr daran interessiert, hier die möglichen Transportwege zu kontrollieren, sprich die Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen vollständig unter die eigene Kontrolle zu bringen.

Daß dieses Unterfangen, sollte es zudem direkt von der EU und insbesondere auch Deutschland unterstützt und durch Bundeswehr oder Bundespolizei vollzogen werden, als Maßnahme gegen den "Waffenschmuggel" deklariert wird, dient dann einzig und allein dem Zweck, die damit tatsächlich vollzogene politische Erpressung von eineinhalb Millionen Menschen vor den halbblinden Augen der eigenen Bevölkerungen zu verschleiern. Die Versprechungen aus Berlin und Brüssel, den Menschen in Gaza zu helfen, dürften kaum die Nagelprobe überstehen. Die Bundesregierung hat ihre jährlichen Mittel für humanitäre Hilfe von zwölf auf 13 Millionen Euro erhöht, der britische Premierminister Gordon Brown hat bereits eine Verdreifachung der Hilfe seiner Regierung für Gaza angekündigt. Derweil geben Berlin und Brüssel nicht nur vor, sich um die Notversorgung kümmern zu wollen - sie wollen auch eine Wiederaufbaukonferenz organisieren.

Daß es sich bei ihren Hilfen bzw. Hilfsversprechen um Peanuts handelt, die die tatsächliche Not nicht einmal ernsthaft lindern oder gar eindämmen könnten, wenn sie tatsächlich gezahlt werden würden, liegt auf der Hand. Welche Absichten sich hinter den Manövern der EU, andere Staaten von einer wirksamen Hilfe für den Gazastreifen abzuhalten und gleichermaßen den Küstenstreifen mehr denn je vom Wohlwollen der westlichen Welt inklusive Israels abhängig zu machen, verbergen, läßt sich erahnen, wenn man die in Aussicht gestellten Beträge mit den Geldern vergleicht, die das kleine EU-Mitgliedsland Lettland zur wirtschaftlichen Stärkung erhalten wird. Lettland, einer der vordersten Vorposten bei der Ostausdehnung der EU in Richtung Rußland und deshalb von hohem strategischen Nutzen für Brüssel, erhält von der EU 3,1 Milliarden Euro; weitere Gelder zu einem Gesamtpaket von insgesamt 7,5 Milliarden Euro steuern der Internationale Währungsfonds, nordeuropäische Länder sowie die Osteuropabank bei.

22. Januar 2009