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DILJA/1109: Wahlen in Israel, Lieberman und die Ignoranz des Westens (SB)


Parlamentswahlen in Israel lassen Krieg und Vertreibung befürchten

Wie stellt sich der Westen zu einer Regierung, die keinen Palästinenserstaat akzeptieren will?


Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen, die am Dienstag in Israel durchgeführt wurden, nachdem die Regierungskoalition des scheidenden Ministerpräsidenten Ehud Olmert in Folge der gegen ihn erhobenen Korruptionsvorwürfe im vergangenen Jahr auseinandergebrochen und Außenministerin Zipi Livni keine Regierungsneubildung gelungen war, steht in Israel eine Entwicklung in Aussicht, die zu größten Sorgen um den ohnehin kaum noch als existent zu bezeichnenden "Friedensprozeß" Anlaß bietet. Wie die Wahlkommission am Mittwochmorgen mitteilte, ist die Kadima mit Livni als Spitzenkandidatin für das Amt des Ministerpräsidenten mit 28 Sitzen in der Knesset als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgegangen. Ob sie tatsächlich als Wahlsiegerin aus diesem Urnengang gelten kann, steht allerdings zu bezweifeln.

Es ist damit zu rechnen, daß Staatspräsident Schimon Peres innerhalb der kommenden acht Tage nicht Livni, sondern Oppositionsführer Benjamin Netanjahu mit der Regierungsbildung beauftragen wird, dessen Likud-Partei über 27 Sitze in der Knesset - und damit nur einen weniger als Livnis Kadima - verfügen wird. Das Wahlsystem Israels sieht keineswegs zwingend vor, daß die stärkste Partei die Regierung übernimmt, sondern bestimmt, daß der Staatspräsident (Peres) die Partei bzw. den Kandidaten mit der Regierungsbildung beauftragt, der seiner Meinung nach die besten Aussichten hat, in der Knesset eine Mehrheit hinter sich zu vereinen. Auf Netanjahu könnte dies zutreffen, da er mit einer Rechtskoalition, der neben dem Likud die drittstärkste Partei, die ultranationalistische Partei Israel Beitanhu (Unser Haus Israel) mit ihrem Vorsitzenden Avigdor Lieberman sowie weitere rechte und religiöse Parteien angehören, über eine komfortable Mehrheit von bis zu 65 Abgeordneten in der insgesamt 120 Parlamentssitze umfassenden Knesset verfügen würde. Noch in der Wahlnacht hat Netanjanu die Vorsitzenden aller Rechtsparteien kontaktiert, um sich ihrer Unterstützung zu vergewissern, während er das Anerbieten Livnis, zusammen mit der Kadima eine Regierungskoalition zu bilden, zunächst abschlägig beschied.

Die ultrarechte Partei Liebermans hat vier Mandate hinzugewonnen und wurde mit nun 15 Abgeordneten erstmals drittstärkste Partei im israelischen Parlament. Die Arbeitspartei mit Verteidigungsminister Ehud Barak erzielte das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte und wird statt mit bisher 19 nur noch mit 13 Sitzen vertreten sein, während die religiöse Schas-Partei 11 Abgeordnete stellen wird. Offiziell wurde in Israel während des Krieges gegen die Bevölkerung des Gazastreifens kein Wahlkampf geführt. Die zeitliche Nähe zu den nun abgehaltenen Parlamentswahlen legt jedoch die Vermutung eines exakt abgestimmten Timings nahe, mit dem die bisherigen Regierungsparteien, die in Umfragen im vergangenen Herbst klar hinter Netanjahu lagen, den vermeintlichen Makel, nämlich nicht entschlossen genug für die Sicherheit Israels einzutreten, also entgegen aller Friedens- und Verhandlungsbemühungen gegen die Palästinenser Krieg zu führen, zu beheben.

Makabrerweise könnte der dreiwöchige Krieg in Gaza, in dem über 1300 Menschen getötet und die zivile Infrastruktur des kleinen Küstenstreifens so weitgehend zerstört wurde, daß nun 90 Prozent der Bewohner auf Nahrungshilfen von außen angewiesen sind, als Erfüllung politischer Forderungen verstanden werden, die Avigdor Lieberman schon vor Jahren gestellt hat. Der scheidende Premierminister Olmert hatte Lieberman vor knapp zweieinhalb Jahren, am 30. Oktober 2006, als stellvertretenden Ministerpräsidenten und Minister für die Abwehr strategischer Bedrohungen in sein damaliges Kabinett geholt. Wenig später kündigte Olmert die Ausweitung des Krieges an, den das israelische Militär seit Juni 2006 führte, wobei bis dahin über 200 Palästinenser im Gazastreifen getötet worden waren. Der frischernannte Minister Lieberman erklärte im Armeerundfunk, die israelische Armee müsse im Gazastreifen vorgehen wie die russische in Tschetschenien. Am 2. November 2006 begann die israelische Armee mit ihrer Großoffensive, der Operation "Herbstwolken", was der palästinensische Regierungschef Ismail Hanija mit dem Eintritt Liebermans in das israelische Kabinett in Verbindung brachte.

Zu diesem Zeitpunkt war Lieberman bereits berüchtigt - und in Teilen der israelischen Bevölkerung respektiert und bewundert - wegen seiner in aller Offenheit demonstrierten Positionen. Lieberman, der von 1993 bis 1996 Generalsekretär des Likud gewesen war, hatte gegenüber der britischen Tageszeitung "The Sunday Telegraph" erklärt, daß Juden und Araber niemals zusammenleben können und daß Trennung die beste Lösung sei. Wenn Israel als jüdisch-zionistischer Staat erhalten werden solle, so Lieberman, müsse das Problem der arabischen Minderheit durch deren chirurgische Entfernung gelöst werden. Ebenso ungestraft wie zu solchen ethnischen Säuberungen konnte der Politiker dazu aufrufen, alle arabischen Abgeordneten des israelischen Parlaments, die Gespräche mit Hamas-Funktionären geführt haben oder den israelischen Unabhängigkeitstag nicht feiern würden, als Landesverräter hinzurichten.

2003 soll er vorgeschlagen haben, die Palästinenser in Bussen ans Rote Meer zu verfrachten, um sie dort zu ertränken. Seit 2002 vertritt er die Forderung, die israelische Armee solle in Gaza "alles zerstören" und "keinen Stein auf dem anderen lassen".[1] Liebermans Wünsche wurden, wenn auch Jahre später, in die Tat umgesetzt, denn im jetzigen Krieg der israelischen Armee gegen die Bewohner des Gazastreifens wurden Tausende Menschen getötet und auch zivile Ziele - Geschäfte, Banken und Tankstellen - dem Erdboden gleichgemacht. Die als liberal geltende israelische Zeitung Ha'aretz hatte Lieberman in seiner Zeit als Minister für strategische Bedrohungen seinerseits als "strategische Bedrohung" - für Israel - bezeichnet. Mittlerweile jedoch scheint de facto eine Beinah-Allparteien-Koalition in Israel zu regieren, denn die sogenannten Parteien der rechten oder gar linken "Mitte", Kadima und Arbeitspartei, führten den von der äußersten Rechten schon seit Jahren eingeforderten erbarmungslosen Krieg im Gazastreifen.

Als 2005 das israelische Militär wie auch die Siedler aus dem Gazastreifen abgezogen wurden, hinterließ dieser Rückzug bei den palästinensischen Bewohnern die Befürchtung, in eine bedrohliche Isolation gebracht worden zu sein. Ein Sprecher von Ministerpräsident Olmert beteuerte angesichts der Annahme, Israel könne den Gazastreifenbewohnern eines Tages Wasser, Strom und Gas abstellen, daß die Regierung nichts tun würde, was zu einer humanitären Katastrophe beitragen könnte. Diese Behauptung wurde inzwischen in jeder Hinsicht widerlegt. Schon damals hatte Olmerts Koalitionspartner Lieberman die vollständige Isolation des Gazastreifens gefordert, während der im Juni 2007 frisch ins Amt berufene Verteidigungsminister Ehud Barak am liebsten in einer Militäroperation mit bis zu 20.000 Soldaten gegen den Gazastreifen vorgehen wollte. Olmert hingegen erwies sich als gewiefter Taktiker und ließ erst einmal abwarten, wobei aus seinem Büro hinter vorgehaltener Hand verlautbart wurde, daß es gar nicht so schlecht sei, sich einen positiveren Anstrich zu geben.

Im Januar 2008 legte Lieberman sein Ministeramt im Kabinett Olmert aus Protest gegen die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern nieder, seine Partei Israel Beitanhu trat aus der Koalition aus. "Verhandlungen auf der Basis Land für Frieden sind ein gravierender Fehler", so Lieberman zur Begründung; einzig über einen "Austausch von Land und Bevölkerung" dürfe mit den Palästinensern verhandelt werden. In aller Offenheit forderte Lieberman einen "Transfer" der in Israel lebenden Araber in einen künftigen Palästinenserstaat. Die künftige israelische Regierung, so sie in einer Rechtskoalition unter Führung des Likud und unter Beteiligung der Lieberman-Partei Israel Beitanhu bestehen würde, wird das langjährige Versprechen, daß auch die Palästinenser einen eigenen, lebensfähigen Staat bekommen würden, kaum noch einmal erneuern wollen. So hat Netanjahu im Wahlkampf seine Absicht kundgetan, die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland (und somit nicht die Bewohner des Gazastreifens) wirtschaftlich zu unterstützen. Ein eigener Palästinenserstaat habe für ihn keine Priorität, wohl aber der weitere Ausbau jüdischer Siedlungen.

Aus seiner Absicht, die Hamas "stürzen" zu wollen, machte Netanjahu ebenfalls keinen Hehl. Im Unterschied zu Livni lehnt er den sogenannten Friedensprozeß ab und vertritt die Auffassung, den Palästinensern seien zu große Zugeständnisse gemacht worden. Angesichts des jüngsten Krieges, der für die Palästinenser die verheerendsten Folgen zeitigte und ihre existentielle Notlage zusätzlich zu der von Israel verhängten Isolationsblockade noch verschärfte, kann die Einschätzung des Likud-Vorsitzenden, die israelische Bevölkerung wolle mit einem Wechsel einen neuen Weg einschlagen, nur bedeuten, daß die Rechtsregierung einen noch härteren Kurs gegenüber den Palästinensern einschlagen will. Nichts anderes fordert Lieberman, der ein unerbittliches Vorgehen gegen die Hamas zur Bedingung für die Regierungsbeteiligung seiner Partei machte.

Das verschwindend geringe Interesse, mit dem in der westlichen Welt das Wahlergebnis in Israel und die naheliegende Möglichkeit einer Regierung, die gegenüber den Palästinensern nicht die minimalsten Zugeständnisse zu machen bereit ist und mehr oder minder offenkundig deren fortgesetzte Vertreibung ("Transfer") verfolgt, dürfte seine Gründe haben. Schon der Umstand, daß ein Politiker wie Avigdor Lieberman mit seiner der äußersten Rechten zuzuordnenden Partei an den Parlamentswahlen in der "einzigen Demokratie" des Nahen Ostens teilnehmen kann, ohne daß angesichts seiner menschenverachtenden Äußerungen auch nur ein Wort der Kritik in der westlichen Welt laut geworden wäre, spricht Bände über die stillschweigende Interessenübereinkunft zwischen den EU-Staaten und den USA mit einem Israel, das ganz offensichtlich nicht nur politisch, wirtschaftlich und vor allem auch militärisch von ihnen unterstützt wird, sondern sich in jeder Phase seiner Kriegführung, auch wenn dies die Tötung von Zivilisten und die Zerstörung der zivilen Infrastruktur bedeutet, der Rückendeckung seiner Verbündeten sicher sein kann.

[1] zitiert aus: "Rassist des Tages: Avigdor Lieberman", junge Welt, 6. November 2006, S. 8

12. Februar 2009