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DILJA/1155: Trügen und täuschen - Die "neue" Israel-Politik der Obama-Administration (SB)


Israel führt in großem Stil Kriegsmanöver durch

Die Gefahr eine neuen Nahost-Krieges wächst in dem Maße, in dem Washington auf Distanz zu Israel zu gehen scheint


Israel bereitet sich auf Krieg vor. In einem zwischen dem 18. und 21. Mai 2009 durchgeführten Manöver wurden Soldaten und Reservisten der israelischen Armee nach Angaben ranghoher Beamter des Kriegsministeriums auf einen "umfassenden Krieg" vorbereitet. Hierbei soll es sich laut Militärführung um "Routine" gehandelt haben; Kriegsminister Ehud Barak sprach allerdings am 22. Mai von einem "wichtigen" Manöver, das die Sicherheit und Einsatzbereitschaft der Streitkräfte gestärkt habe. In diesem großangelegten Manöver hat die israelische Luftwaffe für einen an mehreren Fronten gleichzeitig geführten Krieg trainiert, wobei auch ein von iranischer Seite erfolgter Angriff simuliert wurde. Das nächste, noch größere Manöver wird derzeit durchgeführt und soll der "Abwehr" gegnerischer Raketenangriffe dienen.

In einem fünftägigen und am 31. Mai begonnenen landesweiten Manöver findet die größte, seit Bestehen Israels je durchgeführte sogenannte Zivilschutzübung statt. Wie Schlomo Dror, ein Sprecher des israelischen Kriegsministeriums, am 27. Mai erklärte, gehe es dabei darum, die Fähigkeit des Landes zu testen, auf aus dem Libanon, dem Gazastreifen, dem Iran oder Syrien erfolgte Raketenangriffe zu reagieren. Bei dieser Übung mit dem symbolträchtigen Namen "Turning Point 3" (Wendepunkt 3) sollen dem Vernehmen nach mögliche Angriffe mit konventionellen, chemischen und biologischen Waffen auch auf Ballungsgebiete geprobt werden. Am Dienstag erreichten diese Übungen ihren Höhepunkt mit einem Probealarm, bei dem erstmals in der Geschichte Israels alle Bürger des Landes innerhalb von drei Minuten Luftschutzräume aufgesucht haben sollen. Auch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu soll sich, wie einer Mitteilung seines Büros zu entnehmen war, nach dem Ertönen der Sirenen in einen sicheren Raum zurückgezogen und dort sogleich eine Dringlichkeitssitzung seines Kabinetts abgehalten haben.

All dies ist den Agenturmeldungen wie auch der internationalen Berichterstattung eher im randläufigen Bereich zu entnehmen ganz so, als würde die Abhaltung von in ihrem Ausmaß bislang unerreichten kriegsvorbereitenden Militärmanövern und Zivilschutzübungen nicht die brisante und dringende Frage aufwerfen, ob die israelische Regierung zur Kriegführung gegen unliebsame Nachbarländer womöglich längst entschlossen sein könnte. Die Absichten der Regierung Netanjahu scheinen, nimmt man die Stellungnahmen und Einschätzungen führender westlicher Politiker zum Maßstab, über jeden Zweifel erhaben zu sein, und so schweigt sich die neue, scheinbar durchaus israel-kritische US-Regierung unter Präsident Barack Obama zu den Manövern ebenso aus wie führende Politiker der EU und EU-Staaten, um von den Repräsentanten der Vereinten Nationen gar nicht erst zu reden.

Für dieses beredte Schweigen muß und wird es Gründe geben. Das sogenannte Nahostquartett, bestehend aus USA, EU, UN und Rußland, hat sich in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten unter wenn auch durchaus unterschiedlichen Bezeichnungen und Plänen (Oslo, Roadmap etc.) stets mit Erfolg den Anschein gegeben, im Konflikt zwischen Palästinensern und Israel eine irgendwie neutrale Position einzunehmen und eine für beide Seiten akzeptable (Zweistaaten-) Lösung anzustreben. Stets haben die selbsternannten Weltordnungsmächte und insbesondere die USA für ihre diversen Hinhaltetaktiken, die ihre spezifischen Eigeninteressen an Israel als einem "unsinkbaren Flugzeugträger im Nahen Osten" [1] selbstverständlich weder benannten noch zum Gegenstand der Verhandlungen machten, in den Regierungen Israels dafür ein offenes Ohr oder vielmehr eine bereitwillige Zunge gefunden.

In der neuen Regierung unter Ministerpräsident Netanjahu, in der eine Figur wie Avigdor Lieberman, von dem der frühere israelische Parlamentsabgeordnete und Träger des alternativen Nobelpreises, Uri Avnery, sagt: "Im Vergleich zu Lieberman sind Jean-Marie Le Pen und Jörg Haider so harmlos wie Max und Moritz", auf der Position des Außenministers schon durch seine Person klarstellt, welcher Wind jetzt in Israel wehen wird, ist nicht einmal pro forma noch von der Aufrechterhaltung bzw. Fortsetzung des "Friedensprozesses" die Rede. Avnery wirft Lieberman vor, eine Politik ethnischer Säuberungen zu betreiben und einen "araberreinen" Judenstaat errichten zu wollen. Diesen mitnichten unbegründeten Vorwurf machen sich führende westliche Politiker wohlweislich nicht zu eigen. Dabei hat die neue israelische Regierung durch ihren Rechtsaußen Lieberman am 22. Mai bereits erste Schritte in dieser Richtung unternommen und einen Gesetzesantrag angekündigt, der israelische Araber dazu zwingt, einen Loyalitätseid auf einen zionistischen Staat Israel abzulegen, so sie nicht die Staatsbürgerschaft verlieren wollen. Desweiteren plant die Regierung, den (israelischen) Palästinensern zu verbieten, den Tag der Staatsgründung Israels als einen Tag der Trauer über diese, für sie bis heute andauernde Katastrophe (Nakba) zu begehen.

US-Präsident Obama nimmt weder diese Schritte der israelischen Regierung noch die eigentlich unübersehbaren Kriegsvorbereitungen zum Anlaß, von Tel Aviv Aufklärung oder Rechenschaft zu verlangen über ihre Absichten in Hinsicht auf die sogenannte Palästinenser-Frage. Dies wirkt zunächst einmal unverständlich, zumal der neue Chef im Weißen Haus seit seinem Amtsantritt am 20. Januar nichts unversucht gelassen hat, um - zumindest gegenüber der Öffentlichkeit - zur israelischen Regierung auf eine gewisse Distanz zu gehen. Der Demokrat hatte bei seinem Amtsantritt versprochen, dem "Friedensprozeß" zwischen Israel und den Palästinensern eine hohe Priorität einräumen zu wollen, und tatsächlich weht im Weißen Haus in Fragen der Israel-Politik seitdem irgendwie ein anderer Wind. Mit der Ernennung George Mitchells, der als Unterhändler im Nordirlandkonflikt international einen unparteilichen Ruf genießt, zum neuen US-Nahostsondergesandten wurde die israelische Regierung scheinbar brüskiert, was von rechten Kräften sofort mit dem Vorwurf gekontert wurde, Israel müsse nun wohl mit einer Aufweichung der Unterstützung durch die USA rechnen.

Doch die Obama-Administration setzte ihren vermeintlichen, wenn auch ohnehin nur in einem moderaten Rahmen durchgeführten Konfrontationskurs gegenüber Tel Aviv ungerührt fort. Zwei hochrangige Mitglieder der neuen Führung, der CIA-Direktor Dennis Blair sowie der Chef des militärischen Nachrichtendienstes DIA, General Michael Maples, bekundeten am 10. März einhellig vor dem US-Kongreß, daß der Iran über kein hochangereichertes Uran verfüge und deshalb auf absehbare Zeit gar nicht in der Lage sei, Atomwaffen herzustellen. Diese Äußerungen markieren eine weitere Stufe auf der vermeintlichen Eskalationsleiter, da Israel den genau entgegengesetzten Standpunkt vertritt und, so etwa durch seinen Geheimdienstgeneral Amos Yadlin, die Behauptung verbreiten läßt, der Iran sei längst in der Lage, Atomwaffen herzustellen.

Zu diesem Szenario gehört auch, daß das erste Aufeinandertreffen der Präsidenten keineswegs zu einer von beiden Seiten getragenen, gemeinsamen Bekundung, den Friedensprozeß wiederaufzunehmen, führte. Als Präsident Netanjahu am 18. Mai in Washington mit Obama zusammentraf, wollte er - so jedenfalls war es den Agenturmeldungen zu entnehmen - das Thema iranisches Atomprogramm, das laut Netanjahu eine Gefährdung des Staates Israel darstelle, an erster Stelle und unabhängig von allem anderen behandelt wissen. Dies war mit Obama nicht zu machen. Der Präsident, sekundiert von Außenministerin Hillary Clinton, schwang sich in der Folgezeit geradezu zu einem Fürsprecher der palästinensischen Sache auf. Diesen Eindruck zumindest suchten sie - durchaus mit Erfolg - in der Öffentlichkeit zu erzeugen. So halten die USA definitiv an dem Versprechen der Zweistaatenlösung fest, während Netanjahu durchaus trickreich von einem palästinensischen Recht auf Selbstregierung, nicht jedoch auf staatliche Selbstbestimmung spricht.

Doch es sollte - allem Anschein nach - noch dicker kommen. Am 27. Mai erklärte Außenministerin Clinton anläßlich eines Treffens mit ihrem ägyptischen Amtskollegen Ahmed Abul Gheit sowie des am folgenden Tag bevorstehenden Besuchs von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im Weißen Haus, Präsident Obama wolle einen Siedlungsstop als Vorbedingung für einen Frieden im Nahen Osten und die Gründung eines palästinensischen Staates an der Seite Israels. Die USA würden den noch immer forcierten Ausbau der jüdischen Siedlungen kritisieren. Obama, so Clinton, fordere einen ausnahmslosen Siedlungsstop. "Nicht einmal einige wenige Siedlungen, keine Außenposten, keine Ausnahmen durch natürliches Wachstum" wolle der Präsident gelten lassen. Es bedarf wohl keiner Erwähnung, daß dies eine für Israel inakzeptable Forderung ist.

Die Obama-Administration ging in ihrem Bestreben, nicht länger als engster Verbündeter Israel wahrgenommen zu werden, sogar noch einen Schritt weiter. In einem offenen und seit vierzig Jahre erstmals vollzogenen Bruch des 1969 getroffenen Geheimabkommens zwischen Israel und den USA, in dem schlicht und einfach vereinbart worden war, die Existenz israelischer Atomwaffen vor der Weltöffentlichkeit zu verleugnen, war Israel von den USA offiziell als Atommacht identifiziert worden, so geschehen in einer Anfang März herausgegebenen Studie des Oberkommandos der US-Streitkräfte. Daß dies kein versehentlicher Ausrutscher war, sollte sich spätestens am 5. Mai herausstellen. An diesem Tag bekundete Rose Gottemoeller, Staatssekretärin im US State Department, es sei das "fundamentale Ziel" der US-Regierung, jedes Land, auch Israel, Indien und Pakistan, zur Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages zu bewegen. In Israel verstand die politische Kaste, will man den Verlautbarungen Glauben schenken, die Welt nicht mehr.

Die vermeintlichen Tabubrüche des Barack Obama sind damit noch immer nicht vollständig aufgelistet. Ungeachtet der Tatsache, daß während des dreiwöchigen Vernichtungskrieges des israelischen Militärs gegen die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens aus Washington weder von republikanischer noch demokratischer Seite auch nur der geringste Versuch unternommen worden war, der israelischen Regierung, die immerhin abhängig von US-amerikanischer Militärhilfe ist, in den Waffenarm zu fallen, pokert Obama nun mit dem tausendfachen Leid der Palästinenser. Er fordert nicht nur, daß die Siedlungen im Westjordanland gestoppt werden, er kritisiert die "humanitäre Situation in Gaza", wo die Menschen "nicht einmal sauberes Wasser bekommen können". "Wenn die Grenzen so dichtgemacht werden, daß weder humanitäre Hilfe noch der Wiederaufbau möglich sind", argumentiert Obama, sei das "weder ein konstruktiver Beitrag für die Friedensbemühungen noch ein Rezept für Israels langfristige Sicherheit".

Man könnte angesichts solcher Äußerungen durchaus versucht sein, an einen echten Kurswechsel in der US-amerikanischen Israelpolitik zu glauben. Tatsächlich steht jedoch zu befürchten, daß es sich bei den Wortwechseln und Disputen, die seit Januar zwischen Washington und Tel Aviv medienwirksam in Szene gesetzt worden sind, um den publizistischen und propagandistischen Begleittext einer Eskalationsstrategie handelt, bei der die Option eines Krieges im Nahen Osten, durch den nicht nur aus Sicht Israels das "Palästinenserproblem" ein für alle Mal gelöst, sondern auch unliebsame Regierungen wie die Syriens und des Iran gestürzt werden sollen, keineswegs vom Tisch ist.

Würden die USA einen solchen Waffengang offiziell unterstützen oder auch nur gutheißen, wäre ihnen die erbitterte Feindschaft der gesamten islamischen Welt gewiß. Da dies keineswegs im Interesse einer umsichtigen US-Administration liegen kann, wäre durchaus vorstellbar, daß das neue Washington im Vorgriff auf kommende Entwicklungen eine Position einzunehmen begonnen hat, in der sie nicht einmal mehr theoretisch für die Kriegspolitik Israels verantwortlich gemacht werden kann. Käme es zu einen Angriff Israels, der selbstverständlich als Verteidigungsmaßnahme gegen vermeintliche Angriffe der arabischen Staaten bzw. des Iran deklariert werden würde, würden die westlichen Staaten wie schon im Gaza-Krieg ihre Betroffenheit bekunden und Israel auffordern, die Kriegshandlungen wenn möglich einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Sollte sich diese düstere Prognose bewahrheiten, würde eine solche Entwicklung mit geostrategischen Überlegungen übereinstimmen, wie sie in den USA nicht unbedingt von den Neokonservativen der früheren Bush-Regierung, sehr wohl aber von einer durchaus parteiübergreifend organisierten, die US-Außenpolitik bestimmenden Führungselite favorisiert werden. Geostrategische Planungen, wie sie die graue Eminenz der US-amerikanischen Außenpolitik, der frühere Berater Präsident Carters, Zbigniew Brzezinski, in seinen Werken niedergelegt hat, basieren auf der Annahme, daß die Kontrolle über die eurasische Landmasse, die drei Viertel der Weltbevölkerung und einen ebenso großen Anteil der Energievorkommen beherbergt, der Schlüssel zur Weltherrschaft sei. Sollte sich tatsächlich, wie sich abzuzeichnen beginnt, die Politik der neuen Obama-Administration dahin verschieben, die Priorität der militärischen Operationen auf die Eindämmung potentieller Rivalen in Asien (Rußland, aber auch China) zu verlagern und im Zuge dessen die Befriedung des Nahostkonflikts herabzustufen, wäre dies die Umsetzung derartiger geostrategischer Konzeptionen.

[1] Siehe: "Schluß mit Schmusekurs? Analyse. Blankes Entsetzen in Israel: Die USA wollen anscheinend den starken Einfluß Tel Avivs auf ihre Politik für den Mittleren und Nahen Osten zurückdrängen", von Rainer Rupp, junge Welt, 03.06.2009, S. 10

4. Juni 2009