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DILJA/1159: Frontabschnitt Pakistan - ein US-Verbündeter wird in den Krieg hineingezogen (SB)


Präsident Obama hat auch dem US-Verbündeten Pakistan den Krieg erklärt

Die pakistanische Armee führt einen Auftragskrieg und verursacht im eigenen Land eine humanitäre Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes


In der Geschichte der Grausamkeiten, die Menschen ihresgleichen anzutun bereit sind - auch Kriegsgeschichte genannt - stellt die Ausweitung des US-amerikanischen Besatzungskrieges in Afghanistan auf das eigentlich mit den USA verbündete Nachbarland Pakistan einen traurigen Höhepunkt dar. Über die Gründe, die die durchaus wechselnden politischen wie auch militärischen Eliten des Landes dazu bewogen haben, sich mit der westlichen Führungsmacht USA in ein gutes Benehmen zu stellen und in der Region Zentralasiens so etwas wie eine freiwillige Statthalterposition einzunehmen, kann nur spekuliert werden. Die Überlegung, die durchaus kriegsbereite und auch kriegführende westliche Führungsmacht USA auf die eigene Seite zu ziehen, um nicht wie etwa das Nachbarland Afghanistan eines vielleicht gar nicht so fernen Tages zum Ziel militärischer Sanktionsmaßnahmen oder Hegemonialkriege zu werden, dürfte durchaus eine Rolle gespielt haben, wenngleich sie von einer falschen Voraussetzung ausging.

Die USA lassen sich nicht "auf die Seite" von welchem Staat auch immer ziehen. Sie bedienen sich ihrer Verbündeten oder auch Vasallen, wo und wann es ihren Zielen zweckdienlich zu sein scheint. Die Annahme jedoch, sich durch ihnen erbrachte Leistungen, wie etwa der Übernahme ordnungspolitischer Aufgaben inklusive ihrer militärischen Durchsetzung, die Unterstützung, Treue oder gar Freundschaft Washingtons erkaufen zu können, ist vollkommen gegenstandslos, zumal es für den Übertrag wechselseitiger Versprechen aus dem Nahbereich zwischenmenschlicher Beziehungen auf in größeren Zusammenhängen durchgeführte machtpolitische Vorgänge nicht den geringsten Anhaltspunkt gibt. Kurz gesagt: Die Rolle eines US-Verbündeten hat den pakistanischen Eliten nicht das Geringste an politischer Stabilität gebracht, sondern sie in eine Dilemma-Lage manövriert, wie sie fremdbestimmter und für die Bevölkerung Pakistans kaum verheerender sein könnte.

Der neue Präsident Barack Obama machte sich sein Gutmenschen-Image unmittelbar nach seinem Amtsantritt zunutze, indem er, wie von seinem Vorgänger George Bush Jun. bereits eingeleitet, den Krieg in Afghanistan ungerührt auf Pakistan ausweitete. In einer Ansprache zur zukünftigen Politik der USA hatte Obama am 27. März erklärt, daß die USA den Krieg "gegen Al Kaida" auch in seiner Präsidentschaft weiterführen werden mit dem Ziel, die Organisation und "ihre extremistischen Verbündeten" zu besiegen und zu vernichten. Da es sich bei dem Begriff "Al Kaida" eher um eine Schimäre mit einem Entstehungskontext handelt, dem Zusammenhänge zum amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA nachgesagt werden, stellte diese Erklärung per se noch keine Kriegserklärung an Pakistan dar. Doch Obama argumentierte ganz im Groben, als er Afghanistan wie auch Pakistan zu einem Kriegsgebiet erklärte, von dem eine Gefahr für die USA ausgehe.

Da eine solche Behauptung nach US-amerikanischen Militärdoktrinen als vollkommen ausreichend für den Einsatz militärischer Mittel bewertet wird, kommen diese Worte einer De-facto-Kriegserklärung an Pakistan gleich. Selbstverständlich sind keinerlei feindseligen Worte aus Washington an den pakistanischen Präsidenten Asif Ali Zardari ergangen. Obama erklärte lediglich, die "Islamisten" in Pakistan seien ein "Krebsgeschwür", welches dem Land von innen heraus den Tod bringe. Die pakistanische Führung hat die Botschaft auch so verstanden und befahl der Armee eine Offensive gegen die Taliban in drei Bezirken der Nordwest-Grenzprovinz Unteres Dir, Buner und Swat. Präsident Zardari sprach sogar von einem "totalen Krieg", und es liegt auf der Hand, daß die pakistanische Regierung, offensichtlich in dem Glauben, andernfalls eine großangelegte Invasion des US-Militärs befürchten zu müssen, alles in der Macht ihres Militärs Stehende zu tun bereit ist, um das aus ihrer Sicht noch größere Unheil abzuwenden. Am 2. Juni verkündete ein Sprecher des pakistanischen Innenministeriums, daß im Verlauf der bisherigen Operationen 1244 feindliche Kämpfer getötet wurden, unter denen sich 26 Kommandeure befunden hätten. Da lediglich 92 gegnerische Kämpfer von der Armee gefangengenommen wurden, ist anzunehmen, daß die pakistanischen Streitkräfte eine Anweisung, möglichst wenige oder am besten keine Gefangenen zu machen, beherzigt haben.

Zugleich hat die pakistanische Regierung nicht die geringsten Vorkehrungen getroffen, um die durch diese Offensive verursachte humanitäre Katastrophe bewältigen oder zumindest abschwächen zu können. Deshalb muß angenommen werden, daß die Vertreibung von Millionen Menschen nicht nur in Kauf genommen, sondern als Mittel der Kriegführung gezielt eingesetzt wurde. Wenngleich die pakistanische Armee nicht zum ersten Mal auf diese Weise vorging, hat sie doch mit diesem Militäreinsatz eine Vertreibungsaktion mit einem bis dahin unerreichten Ausmaß durchführen lassen. Nach Angaben des Informationsministers der Nordwest-Grenzprovinz vom 29. Mai sind 3,4 Millionen Menschen als Bürgerkriegsflüchtlinge registriert. 2,8 Millionen wurden aus den drei Bezirken der Provinz, in denen die Streitkräfte seit Ende April eine offiziell gegen die Taliban gerichtete Militäroperation durchführen, vertrieben. Am 1. Juni erklärte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, das menschliche Leid dieser Flüchtlinge sei "ungeheuer groß". Es bedarf wohl keiner Erwähnung, daß weder von der pakistanischen Regierung noch deren westlichen Verbündeten, die das Land schließlich zu diesem Krieg, einer Art Stellvertreterkrieg, gedrängt haben, ausreichende Hilfs- und Versorgungsleistungen getätigt werden.

Der Kampf um die "Herzen und Hirne" der Bewohner der Nordwest-Provinz, den Präsident Zardari nun führen und gewinnen zu wollen behauptet, stellt einen Zynismus dar, wie er blanker nicht sein könnte. Die Saat für einen Bürgerkrieg, wie er aussichtloser und unabwendbarer kaum sein könnte, wurde mit den vorherigen, dieser und den noch folgenden Militäroperationen gesät, da alle Absprachen, Verträge und Vereinbarungen, die in der Vergangenheit ein durchaus friedliches Zusammenleben der Menschen in den überwiegend paschtunischen Stammesgebieten mit der pakistanischen Zentralgewalt begründet haben, systematisch gebrochen werden. Die Nutznießer dieser beispiellosen Aktion, um ein einigermaßen stabiles Land in eine Bürgerkriegsregion zu verwandeln, die mitnichten eine Bürgerkriegsregion ist, weil dieser Krieg den Bewohner Pakistans von außen aufgenötigt wurde, sind in den westlichen Staaten zu verorten; schließlich kamen die Worte, Pakistan sei eine Kriegsregion, zuerst aus Washington, und es blieben beileibe nicht nur Worte.

10. Juni 2009