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DILJA/1166: Eskalationsabsicht - Kein UN-bewachter Waffenstillstand mehr in Georgien (SB)


Georgien - mit dem Abzug internationaler Zeugen steigt die Kriegsgefahr

Westliche Staaten setzen ihre antirussischen Provokationskurs fort


Seit 1993 befindet sich eine zuletzt aus 131 Militärbeobachtern und 20 Polizisten, unter ihnen befanden sich auch 13 Deutsche, bestehende UN-Beobachtermission in Georgien, um den seinerzeit zwischen der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien und der nach Unabhängigkeit strebenden Teilrepublik Abchasien ausgehandelten Waffenstillstand zu kontrollieren. Dieser Vereinbarung war ein Bürgerkrieg vorausgegangen, der genaugenommen gar keiner war, weil die Abchasier wie auch die Bewohner der Kaukasusrepublik Südossetien die ihnen auferlegte staatliche Zugehörigkeit zu dem neuen Georgien nicht akzeptierten. Sie hatten Georgien zwar angehört, solange Georgien Teilrepublik der UdSSR gewesen war, doch nach der nach der Selbstauflösung der Sowjetunion erfolgten Unabhängigkeitserklärung Georgiens wollten die sich mehrheitlich nach wie vor mit Rußland verbunden fühlenden Menschen Abchasiens und Südossetiens nicht von dem nun westlich orientierten Georgien vereinnahmen lassen.

Mit der 1993 getroffenen Vereinbarung konnte der damals vereinbarte Waffenstillstand in Abchasien ungeachtet der seinerzeit noch immer strittigen Fragen gewahrt werden. Im Sommer vergangenen Jahres allerdings überfiel die georgische Armee buchstäblich über Nacht die aus ihrer Sicht abtrünnige Republik Südossetien und bombardierte die Bewohner der südossetischen Hauptstadt Tschinwali im Schlaf. Dabei liegt die Vermutung nahe, daß der georgische Präsident Saakaschwili diesen Angriff nicht ohne Wissen und Wollen seiner westlichen Verbündeten gewagt und unternommen haben wird. Die russische Armee beendete, da internationale Bemühungen, um diesen militärischen Überfall umgehend zu beenden und die Bevölkerung Südossetiens vor weiteren Invasionsversuchen der georgischen Streitkräfte zu beschützen, vollkommen ausblieben, binnen weniger Tage den georgischen Vorstoß mit dem Resultat, daß die zuvor untätig gebliebene sogenannte internationale Gemeinschaft sich nun empört zeigte angesichts der russischen "Aggression" gegen das "kleine" Georgien.

Da die westliche Rückendeckung für Georgien aufrechterhalten wurde, blieb die Lage für Südossetien und auch Abchasien weiterhin äußerst prekär, denn keineswegs ließ Georgien von dem Vorhaben ab, die nach Unabhängigkeit drängenden Republiken gewaltsam unter die eigene Kontrolle zu bringen. In dieser Situation sah Rußland sich veranlaßt, in einem einseitigen, das heißt von den übrigen UN-Mitgliedstaaten nicht mitvollzogenen Schritt die Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens anzuerkennen und sich in bilateralen Verträgen mit den beiden, nun eigenständigen Staaten zu deren militärischem Schutz zu verpflichten. Die UN-Beobachtermission wurde dessen ungeachtet fortgesetzt; schließlich beruhte sich auf einem UN-Mandat, das vom Weltsicherheitsrat keineswegs aufgehoben worden war.

Am 15. Juni um Mitternacht nach New Yorker Zeit lief es allerdings aus. Zum ersten Mal seit 1993 wurde es nicht verlängert, weil Rußland im Weltsicherheitsrat von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht und eine die Mission verlängerte Resolution damit verhindert hat. Es drängt sich allerdings der Verdacht auf, daß dies keineswegs ein von Moskau gewünschter oder initiierter Schritt war, sondern eine Reaktion, die von den westlichen Sicherheitsratsmitgliedern eingefädelt und provoziert worden sein könnte. Der ganze Streit entbrannte sich nämlich nicht an der Fortsetzung der Beobachtungsmission an sich, sondern einzig und allein an dem für Rußland unannehmbaren Resolutionstext.

So erklärte der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin, die Vorlage für die Verlängerung der Mission sei "inakzeptabel" gewesen, weil in ihr Georgien, nicht jedoch Abchasien als souveräne Staaten genannt wurden. Ein Kompromißvorschlag von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon wurde von den westlichen Staaten, die sich zu einer "Gruppe der Freunde Georgiens" formiert haben, ignoriert. Ban hatte vorgeschlagen, nicht von einer "Mission im georgischen Abchasien", sondern schlicht von einer "Mission" zu sprechen. Für Rußland wäre der Resolutionstext sofort akzeptabel gewesen, doch Georgien (!) warf Ban vor, sich von Moskau erpressen zu lassen.

Es blieb, dank der "Gruppe der Freunde Georgiens", zu denen sich auch Deutschland gesellt hat, bei der für Rußland inakzeptablen Formulierung, was eigentlich nur den Schluß zuläßt, daß die westlichen Staaten an der Fortsetzung der UN-Beobachtermission nicht interessiert sind, deren Beendigung jedoch gern als von Rußland veranlaßt dargestellt sehen wollen. Die UN-Beobachter sind nicht die ersten und werden nicht die letzten internationalen potentiellen Zeugen sein, die die kleine Kaukasusrepublik verlassen werden bzw. dies schon getan haben. Eine Beobachtermission der OSZE in Südossetien läuft aller Voraussicht nach am 30. Juni aus, so ihr Mandat nicht verlängert wird. Ähnliches könnte für eine 340 Personen starke Beobachtermission der EU gelten, deren Mandat für Südossetien Ende September ausläuft.

Da die NATO ausgerechnet in Georgien zwischen dem 6. Mai und dem 1. Juni umfangreiche Manöver durchgeführt hat, so als wolle sie die Spannungen auch noch schüren, die seit dem Krieg vom August 2008 in der Region bestehen, ist nicht auszuschließen, daß die im Weltsicherheitsrat durchgeführten diplomatischen Manöver, die mit dem sofortigen Abzug der UN-Beobachtermission am Montag endeten, Teil einer umfassenderen Eskalationsstrategie sind, in der weit mehr aufs Spiel gestellt wird als die Zukunft der in Georgien, Südossetien und Abchasien lebenden Menschen. Da der Konfrontationskurs der NATO-Staaten gegenüber Rußland, wie der Überfall Georgiens auf das kleine Südossetien nahelegt, vor kriegerischen Akten nicht Halt macht, kann eine abermalige militärische Auseinandersetzung keineswegs ausgeschlossen werden.

Dabei zeigen sich die Staaten, die sich "Gruppe der Freunde Georgiens" nennen, seltsam desinteressiert an den innenpolitischen Verhältnissen des Landes, dessen Freunde sie zu sein vorgeben. Eine breite Opposition fordert seit langem Neuwahlen und den Rücktritt Präsident Saakaschwilis, doch da dieser der verläßlichste Garant für eine von den NATO-Staaten diktierte Politik Georgiens zu sein scheint, meldet sich im Westen niemand zu Wort, um die gegenwärtige demokratische Opposition in Georgien zu unterstützen. Dies nährt in Verbindung mit den übrigen jüngsten Vorfällen den Verdacht, daß die Zeichen in Georgien von seiten seiner westlichen Verbündeten auf eine militärische Konfrontation gegenüber Rußland gestellt wurden, die nur eines geringen Anlasses oder vielmehr Vorwandes bedürfte, der umso leichter herzustellen sein wird, wenn nur erst einmal alle offiziellen Beobachter die Region verlassen haben.

17. Juni 2009