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DILJA/1167: NATO-Luftkrieg in Afghanistan begünstigt die militärische Okkupation Asiens (SB)


AWACS - unter maßgeblicher deutscher Beteiligung wird der Luftkrieg der NATO in Afghanistan ausgeweitet

Und so ganz nebenbei verfestigt die westliche Kriegsallianz ihre militärische Präsenz in ganz Asien


Am Mittwochvormittag beschloß das Bundeskabinett im Schnellverfahren die Beteiligung der Bundeswehr an der von der NATO-Führung dem Vernehmen nach erst in der vergangenen Woche beschlossenen Bereitstellung von drei bis vier AWACS-Aufklärungsflugzeugen für den Krieg in Afghanistan. Der Bundestag schloß sich dem ohne große und schon gar nicht öffentliche Diskussion vorangetriebenen Beschlußverfahren noch am selben Tag und widmete sich dem Thema in einer ersten Lesung. Die deutsche Bundeswehr, die ihre Beteiligung an dem nun schon achtjährigen Besatzungskrieg in Afghanistan anfangs mit der Kriegslegende durchgesetzt hatte, die deutschen Soldaten seien im Grunde nichts anderes als bewaffnete Aufbauhelfer, die den Menschen in dem kriegszerstörten Land beim Wiederaufbau helfen und für deren Sicherheit sorgen wollen würden, ist längst in einen Krieg verwickelt, von dem jeder humanitär bemäntelte Rechtfertigungsversuch abgeblättert ist. Dazu haben nicht zuletzt die vielfachen Luftangriffe der US-Streitkräfte beigetragen, durch die immer mehr afghanische Zivilisten umgebracht werden, ohne daß die Befehlshaber in Washington bzw. Brüssel auch nur in Erwägung zögen, den drängenden Bitten ihres Statthalters, des afghanischen "Präsidenten" Hamid Karsai, nach Einstellung oder doch zumindest erheblichen Reduzierung des Bombenkrieges nachzukommen.

Das Tempo sowie die strategisch-taktische Vorgehensweise in diesem Krieg wird allerdings nicht, wie zu vermuten wäre, in Brüssel geplant und entschieden, sondern in Afghanistan selbst. Der dortige Besatzungswiderstand, ob er nun in der westlichen Presse unter den Begriff "Taliban" subsumiert wird oder nicht, hat eine militärische Qualität erreicht, die für die Besatzungstreitkräfte, deren Zahl sich inzwischen auf 90.000, aus insgesamt 40 Staaten stammende Soldaten beläuft, alles andere als leicht zu bewältigen ist. Es scheint fast so, als hätte die von den westlichen Besatzern vollzogene Truppenaufstockung - allein die USA erhöhten die Zahl ihrer in Afghanistan stationierten Soldaten von im vergangenen Jahr 32.000 bereits auf 56.000 - den in Afghanistan gegen sie geleisteten Widerstand noch beflügelt. Die Zahl der auf die Besatzungsstreitkräfte pro Woche durchgeführten Angriffe stieg von 50 im Jahre 2004 auf 250 im vergangenen Jahr und liegt, da sie weiterhin ansteigt, inzwischen bei fast 400.

Zum Abschluß eines Treffens der NATO-Verteidigungsminister prophezeite Generalsekretär de Hoop Scheffer in der vergangenen Woche, es würde schon in den kommenden Wochen "mehr Opfer auf allen Seiten" geben. Vor diesem Hintergrund wurde die Entsendung mehrerer AWACS-Flugzeuge damit begründet, die Kampftruppen zu verstärken. Deutschland wird sich die Beteiligung an den AWACS einiges kosten lassen, 16 Prozent der anfallenden Kosten von 80 bis 100 Millionen Euro pro Jahr allein für diese Aufklärungsflugzeuge werden vom Bund übernommen. Derzeit sind die AWACS-Maschinen ("Airborne Warnung And Control System", zu deutsch: luftgestütztes Warnungs- und Kontrollsystem) in Geilenkirchen bei Aachen stationiert; sie sollen, die Bundestagsmandatierung einmal vorausgesetzt, aller Voraussicht nach im türkischen Konya entsandt werden, von wo aus sie aufgrund ihres enormen Beobachtungsradius' allerdings ein weit größeres Gebiet als die Kriegszonen in Afghanistan und Pakistan überwachen können werden.

Über die Frage nach den technischen Möglichkeiten und Verwendungszwecken dieser Hightech-Flugzeuge herrscht einige Unklarheit, die sich vordergründig mit der Notwendigkeit, sie zur Erlangung des erforderlichen Bundestagsmandats als irgendwie zivile Flugzeuge zu deklarieren, erklären lassen. So erklärte Bundesverteidigungsmininister Franz Josef Jung, sie wären "ein zusätzlicher Beitrag für die Flugsicherheit in Afghanistan"; auch ist davon die Rede, daß es demnächst eine direkte Linienflugverbindung zwischen Afghanistan und Deutschland geben würde. Tatsächlich ähneln die AWACS-Maschinen eher fliegenden Feuerleitstellen, die digitale Bilder in Echtzeit übermitteln und Luftangriffe koordinieren können. Es steht jedoch zu bezweifeln, daß der tatsächliche Verwendungszweck dieser Maschinen mit der Unterstützung und möglicherweise verbesserten Koordination der US-Luftangriffe sowie des gesamten militärischen Luftverkehrs im Kriegsgebiet abschließend benannt wurde.

Nach Einschätzung deutscher Militärexperten hat sich der Krieg in Afghanistan bereits von einem Guerilla- zu einem Partisanenkrieg entwickelt, der "beunruhigende Ähnlichkeiten mit der Entwicklung in Vietnam vor vier Jahrzehnten" aufweise. So Lothar Rühl, früherer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, der es im übrigen wegen der Ausweitung der Kämpfe auf Pakistan nicht mehr für angebracht hält, von einem Afghanistan-Krieg zu sprechen. Rühl sieht in dem "Kriegsgebiet Südwestasien" eine Entwicklung in Gang gekommen wie im Vietnamkrieg, in dem die massive Überlegenheit von rund einer halben Millionen US-amerikanischer Soldaten und einer modernsten Bewaffnung das für die USA unrühmliche Ende nicht verhindern konnte.

Ob die AWACS-Flugzeuge mit ihren High-Tech-Aufklärungsmöglichkeiten in einem solchen Partisanenkrieg aus Besatzersicht sinnvoll eingesetzt werden können, wird von Militärexperten nicht unbedingt bestätigt. Hinzu kommt, daß derzeit bereits neue Aufklärungsdrohnen vom Typ KZO nach Kundus verlegt werden. Sie sollen den deutschen Besatzern im Norden Afghanistans helfen, sich ihrer Angreifer zu erwehren. Dieses "Kleinfluggerät Zielortung" ist in der Lage, Aufständische sogar bei Dunkelheit in einem Radius von 65 bis 100 Kilometern aufzuspüren. Wenn diese militärtechnologische Lücke bereits gefüllt wird, welchem Verwendungszweck dienen dann die von der NATO angeforderten AWACS-Aufklärer?

Einen plausiblen Anhaltspunkt zur Beantwortung dieser Frage lieferte Dr. Matin Baraki, gebürtiger Afghane und Lehrbeauftragter an den Universitäten in Marburg und Kassel, unlängst in einem im Onlinemagazin telepolis [1] veröffentlichten Gespräch. Angesichts der Tatsache, daß die USA und die unter ihrem Druck stehenden Regierungen Afghanistans und Pakistans durch ihr Auftreten den Widerstand immer wieder aufs neue verstärken und zu dessen Radikalisierung beitragen, wurde der Afghanistan-Kenner und Politikwissenschaftler gefragt, ob die US- bzw. NATO-Streitkräfte sich "möglicherweise im Mittleren Osten gegen einen noch mächtigeren Gegner, z.B. gegen China" installieren. Darauf antwortete Dr. Baraki:

Henry Kissinger hat in einem Artikel in der "Welt" vor einigen Jahren China als möglichen Kriegsgegner der USA genannt. Man beachte: jetzt sind deutsche AWACS-Flugzeuge nach Afghanistan geschickt worden, die an der afghanisch-chinesische Grenze spionieren. Kein Militärfachmann würde unterschreiben, dass diese AWACS-Maschinen zur Aufspürung von Widerstandsnestern geeignet sind.

Diese Flugzeuge patrouillieren regelmäßig an den Grenzen von Afghanistan. Ihre Sensoren reichen weit in chinesisches, iranisches, indisches und pakistanisches Territorium hinein. Die westlichen Mächte bekunden eindeutig, dass sie langfristig in der Region bleiben wollen. Von daher kann man gut verstehen, dass die USA kleinere oder größere Konflikte in der Region brauchen. Die Staaten der Region werden als Geiseln genommen.

Im vergangenen Monat warfen US-amerikanische Kampfflugzeuge 478 Bomben über Ziele in Afghanistan ab. Offensichtlich ist die US-Luftwaffe auch ohne die AWACS-Maschinen in der Lage gewesen, diese Angriffe zu koordinieren und auch für ihre eigene Luftsicherheit zu sorgen. Die von Dr. Baraki angedeutete Verwendung der AWACS-Maschinen ist mitnichten unplausibel. Schließlich gehört die Annahme, daß allein die Kontrolle über die eurasische Landmasse, also auch über Rußland und China, der Schlüssel zur Weltherrschaft sei, schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten zur festen Grundüberzeugung westlicher Geostrategen vom Schlage des US-amerikanischen Altmeisters Zbigniew Brzezinski, der als Nationaler Sicherheitsberater des früheren US-Präsidenten James Carter die strategische Meisterleistung, die UdSSR in einen Afghanistankrieg verwickelt zu haben, der sich für sie als ihr Vietnam entwickeln sollte und auch entwickelte, für sich beanspruchen kann. Und so dürfte namentlich in den USA keine Unkenntnis darüber vorherrschen, daß die Besetzung Afghanistans zu einem nimmerendenden Zermürbungskrieg führen würde, der ihnen eine Dauerrechtfertigung für die militärische Präsenz und Expansionsbestrebungen liefert, die sich mittel- bis langfristig auf den gesamten asiatischen Raum erstrecken werden.

[1] Afghanistan: Warum alle Fraktionen des Widerstandes sich jetzt Taliban nennen, wie die einfachen Leute überleben und die schleichende Islamisierung des Widerstands, Hermann Ploppa, telepolis, 15.06.2009, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30514/1.html

18. Juni 2009