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DILJA/1212: Das "Hindernis Klaus entfernen"? Der Zentralstaat EU entlarvt sich selbst (SB)


Politische Mobilmachung gegen den tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus in Brüssel und Berlin

Der angehende EU-Zentralstaat stellt unter Beweis, wie begründet die gegen ihn vorgebrachten Einwände sind


Bekanntlich ist der tschechische Präsident Vaclav Klaus, nachdem die irische Bevölkerung für ihr Nein zum sogenannten Lissabon-Vertrag vom Juni 2008 abgestraft und in einer zweiten Abstimmung, die jedem demokratischen Anspruch Hohn spottet, zu dem von der Brüsseler Führung verlangten "richtigen" Ergebnis genötigt wurde, was den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski in der Folge dazu veranlaßte, seine seit April 2008 hinausgezögerte Unterschrift unter den Ratifizierungsvertrag zu leisten, nach gegenwärtiger Sachlage der einzige, der das Inkrafttreten des mit diesem Vertragswerk geschaffenen europäischen De-facto-Zentralstaates noch verhindern kann. Klaus allerdings ist nicht bereit, sich den Maßgaben und Forderungen - um nicht zu sagen den Drohungen - aus Brüssel zu beugen.

Die Gründe, die den tschechischen Präsidenten zu dieser Haltung bewogen haben, sind keineswegs so fundamental, wie seine ihn diskreditierenden Gegner dies darzustellen belieben. Klaus wird gern und häufig als "Euro-Skeptiker" bezeichnet, so etwa durch den deutschen Vizepräsidenten der EU-Kommission, Günter Verheugen, der über den tschechischen Präsidenten kundtat, dieser hielte die Europäische Union im Grunde für eine Abart der Sowjetunion mit anderen Mitteln und würde sie auf die Funktion einer Freihandelszone beschränkt sehen wollen. Eine solche Auffassung müßte im übrigen in einer demokratischen Staatenwelt von den Politikern und Staatsoberhäuptern anderer Staaten oder supranationaler Institutionen respektiert werden, wollten diese nicht Gefahr laufen, den gegen sie erhobenen Vorwurf, sie würden auf undemokratische Weise anderen Ländern und Völkern ihren Willen aufzwingen wollen, zu bestätigen.

Im Verhältnis zwischen den EU-Staaten und der Tschechischen Republik ist ein solcher Vorgang längst im Gange. Die EU oder vielmehr ihre zentralistisch strukturierte Brüsseler Führung will mit dem sogenannten EU-Reformvertrag einen "Point of no return" schaffen und sich selbst die juristischen und politischen Grundlagen erteilen, um zu Lasten der Souveränitätsrechte ihrer Mitgliedstaaten bzw. deren gewählten Regierungen von oben nach unten bzw. in die Peripherie problemlos durchregieren zu können. So maßt sich die EU-Kommission gegenüber Prag eine Attitüde an, die die dortigen Vorbehalte, auch wenn diese eigentlich nicht den gesamten Vertrag betreffen, aufs Unsanfteste bestätigen.

In Tschechien ist keineswegs Präsident Klaus das einzige Hindernis für die Ratifizierung des vom tschechischen Parlament, der Sejm, bereits im April 2008 angenommenen EU-Reformvertrages. Vor dem tschechischen Verfassungsgericht in Brno sind derzeit noch zwei Verfassungsklagen anhängig. Über eine, die von einer Gruppe Senatoren eingebracht worden war und die sich um nichts geringeres dreht als die Frage, ob der EU-Vertrag nicht im Widerspruch zur tschechischen Verfassung steht, wird zur Zeit beraten; in der zweiten geht es um innerstaatliche Entscheidungsprozesse bei wichtigen europäischen Fragen.

Wäre die EU in ihrer Gesamtheit der Ausbund an demokratischer Kultur, als der sie sich ausgibt, um international ihre nicht zuletzt polit-moralische Führungsrolle zu begründen, wäre es eine Selbstverständlichkeit, die verfassungsrechtlichen Prüfverfahren in Tschechien mit dem gebotenen Respekt vor diesen Institutionen abzuwarten und sich jeglicher Kommentierung und Einflußnahme zu enthalten. Nichts könnte den EU-Oberen ferner liegen. Sie haben geradezu Schaum vorm Mund beim Thema Vaclav Klaus und Tschechien, weil sie, so sie sich so kurz vor der dann, wie zu befürchten steht, unumkehrbaren Erreichung ihres Zieles wähnen, die letzten Masken fallen lassen und dabei eine undemokratische Haltung an den Tag legen, die die gegen sie bestehenden Gegenpositionen, Argumente und Vorbehalte sogar noch übersteigen.

Die vermeintliche Irrationalität dieser Ereignisse erscheint umso frappierender, da die Bedingung, die Präsident Klaus an die Unterzeichnung des Vertragswerks stellt, mit Leichtigkeit zu erfüllen wäre, würde sich nicht ausgerechnet die deutsche Bundesregierung, die das wohl größte Eigeninteresse an dem Inkraftreten des Vertrages hat, weil er ihr größte Vorteile bietet, stur stellt. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte, Brüssel respektiere die verfassungsmäßige Ordnung Tschechiens und sei bereit, den Ausgang des Verfassungsgerichtsverfahrens abzuwarten - wodurch der vorgetäuschte Respekt bereits konterkariert wurde. Eine Selbstverständlichkeit bedürfte keinerlei Erwähnung; zudem impliziert die Bereitschaft, die Verfassungsorgane Tschechiens zu respektieren, sprachlogisch auch das Gegenteil. Die kaum verkappte Drohung Barrosos folgte umgehend. Sollte die Vereinbarkeit des Lissabon-Vertrages mit der tschechischen Verfassung bestätigt werden, werde erwartet, daß Prag umgehend seine Verpflichtungen erfülle.

Damit nimmt Brüssel das Unterordnungsverhältnis, das durch den Vertrag gegenüber den mittleren und kleineren EU-Staaten mit Ewigkeitscharakter zementiert werden soll, schon vorweg, denn selbstverständlich besteht für den tschechischen Präsidenten keine Verpflichtung gegenüber Brüssel. Sollte er seine präsidialen Pflichten vernachlässigen oder mißachten, ist es allein Sache Tschechiens bzw. seiner politischen und juristischen Organe, für Abhilfe zu sorgen.

Das Anliegen von Präsident Klaus besteht nun allein darin, durch eine (oder zwei) Fußnoten, die der zum Vertrag gehörenden EU-Grundrechtecharta als Ausnahmeregelung beigefügt und von allen 27 EU-Staaten nachträglich ratifiziert werden müßten und könnten, Vorsorge vor den Gebietsansprüchen zu treffen, die die sogenannten Sudetendeutschen stellen könnten. Wie die polnische Zeitung "Rzeczpospolita" berichtete, will Präsident Klaus verhindern, daß europäische Richter ohne Kenntnisse des Landes und seiner Geschichte über solche Fragen, für die bislang tschechische Gerichte zuständig waren, entscheiden können.

Tschechien wäre nicht das erste Land, das in das Vertragswerk eine spezifische Ausnahmeregelung eingebracht hätte. So bestätigte der polnische EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek, daß Präsident Klaus ähnliche Vereinbarungen anstrebe, wie sie bereits mit Polen und Großbritannien bei der Vertragsannahme ausgehandelt worden sind. Die Brüsseler Führung allerdings zeigt nicht nur nicht die geringste Bereitschaft, mit den Tschechen nachzuverhandeln. Brüssel holt die Brechstange heraus. Kommissionspräsident Barroso suchte den tschechischen Ministerpräsidenten Jan Fischer ersatzweise unter Druck zu setzen und gegen Präsident Klaus auszuspielen. Dies erschien aus Sicht Barrosos zunächst durchaus erfolgversprechend zu sein. Am Dienstag jedoch stellte sich Ministerpräsident Fischer demonstrativ hinter die von Klaus erhobene Forderung nach einer Ausnahmeregelung in der EU-Grundrechtecharta, die Tschechien vor derartigen Gebietsansprüchen schützt.

Barroso verschärft den Druck auf Prag und droht nun offen damit, daß Tschechien seinen EU-Kommissar verlieren würde, sollte der Reformvertrag (durch die noch immer fehlende Ratifizierung durch Tschechien) nicht wirksam werden können, weil es dann beim Vertrag von Nizza bliebe, der eine Reduzierung der Kommissare vorschreibe. "Die einzige Möglichkeit für Tschechien, seinen Kommissar zu behalten, ist das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags", behauptete Barroso nach einem Gespräch mit dem aus seiner Sicht nun auch störrischen tschechischen Ministerpräsidenten Jan Fischer. Faktisch richtig ist dies nicht, denn keineswegs schreibt der Vertrag von Nizza vor, welche Mitgliedstaaten "ihre" Kommissare verlieren würden.

Klaus hingegen hat bereits angedeutet, unter Umständen die Unterzeichnung des Vertrags bis zum Frühjahr kommenden Jahres hinauszuzögern. Damit hat es folgende Bewandnis: Großbritannien hat unter der regierenden Labour-Partei den EU-Vertrag bereits ratifiziert. Bei den im Frühjahr bevorstehenden Wahlen werden aller Voraussicht nach jedoch die konservativen Tories gewinnen. Deren Führer David Cameron hat bereits angekündigt, im Falle eines Wahlerfolgs seiner Partei ein Referendum durchführen zu wollen, um die britische Bevölkerung sozusagen nachträglich über den Lissabon-Vertrag abstimmen zu lassen. Da diese mehrheitlich gegen den Vertrag ist, würde die künftige Regierung bei einem dementsprechenden Ergebnis des Referendums Mittel und Wege suchen, um die Ratifizierung des Vertrages, so dieser noch nicht in Kraft getreten ist, rückgängig zu machen.

In Brüssel hat man nun ganz genau erkannt, daß allein der tschechische Präsident noch die Option hat, den Fuß bis zu einer solchen Volksentscheidung der Bevölkerung eines der größten EU-Mitgliedstaaten in der Tür zu halten. Was liegt in der machiavellistischen Logik dieser Regenten näher, als massiv gegen den vermeintlichen Störenfried vorzugehen? Es ist wohl kein Zufall, daß sich hier ein deutscher EU-Parlamentarier besonders hervorgetan hat. Der SPD-Politiker Jo Leinen forderte allen Ernstes ein Amtsenthebungsverfahren gegen Klaus, sollte dieser nach einer positiven Entscheidung des tschechischen Verfassungsgerichts nicht umgehend die von ihm verlangte Unterschrift leisten. In dem Fall müsse Klaus zwangsweise aus dem höchsten Verfassungsamt Tschechiens entfernt werden, glaubt der deutsche EU-Politiker, den Tschechen ins Handbuch schreiben zu können. In der britischen Presse wurde bereits vermeldet, deutsche und französische EU-Parlamentarier hätten mit tschechischen Kollegen darüber verhandelt, wie "das Hindernis Klaus" zu entfernen sei, wobei auch eine Änderung der tschechischen Verfassung erwogen worden sei, um die Rechte des Präsidenten zu beschneiden.

All dies bietet überreichlich Anschauungsunterricht und Argumentationshilfe für die EU-Gegner, der anhand des Umgangs Brüssels mit der Regierung und Präsidentschaft in Prag beispielhaft dokumentiert, welch Geistes Kind die neue EU mehr noch als die bisherige, auf den Nizza-Vertrag gestützte "Gemeinschaft" sein wird. Die historisch nur zu begründeten Sorgen Tschechiens sowie weiterer Staaten und Völker, die in den zurückliegenden Weltkriegen unter dem Großmachtsstreben Deutschlands zu leiden hatten, müssen nicht nur durch die großsprecherischen Äußerungen Jo Leinens Bestätigung und Bekräftigung finden, sondern konkret auch durch den Stellenwert, der den Sudetendeutschen im EU-Parlament zukommt sowie der fortgesetzten Weigerung sämtlicher deutscher Bundesregierungen, gegenüber Prag die gewünschte und allzumal gerechtfertigte Garantieerklärung abzugeben.

Der CSU-Politiker und Europa-Abgeordnete Bernd Posselt vertritt als Vorsitzender der "Sudentendeutschen Landmannschaft" die vermeintlichen Interesssen der sudetendeutschen Volksgruppe in Brüssel und bedient sich dabei insbesondere der Menschenrechtsrhetorik. So erklärte er am "Tag der Menschenrechte" im vergangenen Jahr, seiner Meinung nach sei "die kollektive Vertreibung und Entrechtung ganzer Volksgruppen" und der "Versuch, sie durch Vernichtung ihrer Existenzgrundlagen zu zerstören bzw. dauerhaft zu entwurzeln", "Völkermord und damit unverjährbar". Gemünzt ist dies auf die von der ersten Nachkriegsregierung der damaligen Tschechoslowakei erlassenen Benece-Dekrete, mit denen die Deutschen, die mit Hitler kooperiert hatten, des Landes verwiesen und enteignet werden sollten.

Posselt ist denn auch einer der heftigsten Klaus-Kritiker. Er wirft dem heutigen tschechischen Präsidenten vor, "ein zynisches Spiel mit dem Schicksal von Millionen entrechteter, vertriebener und vielfach auch ermordeter Menschen und ihren Nachkommen" zu betreiben. Da könnte man ja versucht sein anzunehmen, die damalige CSR habe das deutsche Reich überfallen, besetzt und ausgeraubt und unermeßliches Leid über die Bevölkerung gebracht ... Hinter den unverhohlenen Forderungen der sogenannten Sudetendeutschen verbirgt sich ein Großmachtsanspruch Deutschlands, der schlimmste Befürchtungen und Erinnerungen in den osteuropäischen EU-Staaten nicht nur wachruft, sondern geradezu systematisch bestätigt, zumal längst unübersehbar geworden ist, daß die Berliner Position in diesem Punkt mit der Brüssels in eins gefallen ist.


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Abschließend soll hier aus aktuellem Anlaß in Auszügen ein Text wiedergegeben werden, der am 8. Juni 2006 im Schattenblick [1] unter dem Titel "Tschechischen Widerstand gegen Naziterror kriminalisieren?" veröffentlicht wurde und in dem unter anderem der historische Kontext der sudetendeutschen Gebietsforderungen kritisch thematisiert wurde:

Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland hat nicht eine amtierende Bundesregierung den Ansprüchen der sogenannten "Sudetendeutschen" auf Schadenersatz- und Gebietsansprüche (in der Tschechoslowakei bzw. der späteren Tschechischen Republik) eine klare Absage erteilt. Nicht von ungefähr nehmen in der Tschechischen Republik, aber auch in Polen Ängste vor Deutschland und namentlich vor Forderungen aus Deutschland auf Rückgabe vermeintlich "deutschen" Bodens und Eigentums zu.

Doch damit nicht genug. Nimmt man die Tonlage, mit der auf den "Vertriebenen"-Treffen gegen die osteuropäischen Nachbarländer Deutschlands, die damals vom Deutschen Reich überfallen, besetzt, ausgeplündert und malträtiert wurden, polemisiert wird, zum Maßstab, ist in den zurückliegenden Jahren eine Verschärfung unübersehbar, die Hand in Hand zu gehen scheint mit der 1999 mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien endgültig vollzogenen Rückkehr Deutschlands in die Riege kriegführender Staaten.

Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, ohnehin eng liiert mit den Vertriebenenverbänden, vollzog diese Verschärfung als Hauptredner des diesjährigen Pfingsttreffens eindrücklich mit. An die konservativen Sieger der jüngsten Parlamentswahlen in der Tschechischen Republik gerichtet erhob er die Forderung, tschechische Widerstandskämpfer gegen die damaligen NS-Besatzer nachträglich zu bestrafen. Zu bestrafen? Wegen Widerstandshandlungen gegen Wehrmacht und SS? Also auch wegen des am 27. Mai 1942 geglückten Attentats auf Heydrich? In der Tschechoslowakei war am 8. Mai 1946 wie in vielen ehemals von Nazi-Deutschland besetzten Ländern ein Straffreistellungsgesetz erlassen worden, durch das Widerstandshandlungen gegen die NS-Besatzung von Strafe ausgenommen wurden. (...)

Bemerkenswert ist die Stoiber'sche Äußerung auch deshalb, weil der bayerische Ministerpräsident im Sommer vergangenen Jahres noch so tat, als wäre er bereit, den tschechischen Widerstandskämpfern Respekt zu zollen. Er hieß den damaligen Vorschlag des tschechischen Ministerpräsidenten, Jirí Paroubek, gut, die deutschen Antifaschisten, die gegen die deutschen Besatzer bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei in den Jahren 1938 und 1939 Widerstand geleistet haben, zu würdigen und symbolisch zu entschädigen. Dieser taktisch begründeten Haltung Stoibers schloß sich im vergangenen Jahr auch Bernd Posselt, der Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, an. Beide mögen geglaubt haben, daß dies ein kluger Schachzug wäre, um gegen den tschechischen Staat im weiteren Verlauf doch noch Schadenersatzforderungen der sogenannten "Sudetendeutschen" durchzusetzen.

Dabei vertritt Paroubek eine Position, die Stoiber und Posselt sich ganz gewiß nicht zu eigen gemacht haben. Paroubek vertritt den auch von tschechischen Sozialisten und Kommunisten bezogenen Standpunkt, daß die im übrigen vom Potsdamer Abkommen gedeckte Aussiedlung der Sudetendeutschen nach dem Krieg aus den zuvor von Deutschland besetzten Gebieten nicht per se nach deren Nationalität, sondern nach deren faschistischer Betätigung erfolgt sei. Eben dies streiten Stoiber und Posselt vehement ab. Sie versuchen nun, die damalige Aussiedlung Deutscher als "Völkermord" hinzustellen. Auf dem diesjährigen Sudetentag in Nürnberg behauptete Posselt, die "Vertreibung" sei ein "durchkalkulierter, durchgeplanter Vorgang" und habe darauf abgezielt, einen "ethnisch homogenen Nationalstaat zu errichten".

Das Treffen wurde unter das Motto "Vertreibung ist Völkermord" gestellt. Völkermord - der strafrechtlich nicht verjähren würde - deshalb, weil es der Versuch gewesen sei, "eine ethnische Gruppe" - nämlich die Sudetendeutschen - "durch Beraubung ihrer Lebensgrundlagen zu zerstören". (...)

Deutsche, die nicht mit den Nazis kollaboriert hatten, konnten nach dem Krieg ohne Probleme in der Tschechoslowakei bleiben und, so sie dies wollten, deren Staatsangehörigkeit annehmen. Die Behauptung, die erste Nachkriegsregierung in der Tschechoslowakei unter Präsident Benes, durch dessen Dekrete die im Potsdamer Abkommen völkerrechtlich begründete Ausweisung und Enteignung der mit dem Hitler-Regime kooperierenden Sudetendeutschen vollzogen worden war, sei nationalistisch und rassistisch gewesen, weil sie einen ethnisch reinen Staat habe errichten wollen, entbehrt jeder historischen Grundlage.

Die damalige Tschechoslowakei (CSR) war 1918 aus dem auseinanderbrechenden Österreich-Ungarn als ein Vielvölkerstaat entstanden, in dem neben 6,5 Millionen Tschechen auch 3,25 Millionen Deutsche, 3 Millionen Slawen und Angehörige weiterer Volksgruppen lebten. Vor 1938 fühlten sich die Tschechen-Deutschen keineswegs als verfolgte Minderheit, sie stellten in der Prager Regierung sogar Minister und verhielten sich im großen und ganzen loyal gegenüber dem tschechoslowakischen Staat. Die Sudetendeutsche Partei (SdP) Konrad Henleins, die eine stärke Unabhängigkeit der deutschen Volksgruppe von der Prager Zentralregierung zu fordern begann, stand ab 1935 unter massiven Einfluß der deutschen Regierung unter Hitler und wurde massiv von dieser unterstützt. Nach einer Unterredung Henleins am 28. März 1938 in Berlin mit Hitler, Ribbentrop und Heß wurde die SdP zur schlagkräftigen Waffe des deutschen Reiches. (...)

Nach der erfolgreich von Deutschland erzwungenen Abspaltung der Slowakei bestellte Hitler Emil Hácha, den Staatspräsidenten der geschrumpften, von Hitler als "Rest-Tschechei" bezeichneten Tschechoslowakei, zu sich und eröffnete diesem, daß die Wehrmacht um sechs Uhr früh des kommenden Tages in die Tschechei einrücken würde. Hitler forderte von Hácha die völlige Preisgabe des tschechischen Staates und erklärte, daß die Tschechen, so sie keinen Widerstand leisten würden, vielleicht "ein großzügiges Eigenleben, eine nationale Autonomie und gewisse nationale Freiheiten" erhalten würden. Hácha, ein alter, kranker Mann, verweigerte zunächst die Unterzeichnung der ihm abverlangten Kapitulationserklärung. Er wurde massiv unter Druck gesetzt, Göring drohte mit der Bombardierung Prags. Hácha erlitt einen Herzanfall und unterschrieb, nachdem ihn Hitlers Leibärzte behandelt hatte, schließlich doch das verlangte Schriftstück und forderte seine Landsleute auf, keinen Widerstand zu leisten.

Es waren dies die Worte eines schwer gezeichneten Mannes, dessen Widerstand so gewaltsam gebrochen worden war, wie es nun mit der Bevölkerung eines ganzen Landes geschehen sollte. Nach der "Beseitigung" der Rest-Tschechei - vom 15. März 1939 an nannten die deutschen Besatzer die tschechischen Länder "Protektorat Böhmen und Mähren" - setzte eine Massenverfolgung ein. Juden, Kommunisten, antifaschistische Emigranten wurden verfolgt, die Wirtschaft ausgeplündert. Schon von der nach dem Münchner Abkommen gegenüber dem Deutschen Reich absolut kooperationswilligen Regierung Rudolf Berans waren kommunistische, sozialistische und demokratische Zeitungen und Organisationen verboten worden. Anhänger Eduard Benes', der nach dem Krieg als erster Präsident der Tschechoslowakei in Erscheinung trat, waren aus der Verwaltung entlassen worden.

1938 hatten sich 98,9 Prozent der Sudetendeutschen für die Umwandlung der tschechischen Grenzgebiete in den "Reichsgau Sudetenland" entschieden, womit die Zerschlagung und Annexion der Tschechoslowakei ihren Anfang genommen hatte. Die Sudetendeutschen wurden somit - keineswegs gegen ihren mehrheitlichen Willen - Staatsbürger Hitler-Deutschlands. Nach Auffassung Stoibers und der "Vertriebenen"-Szene wurden diese Menschen nach Kriegsende Opfer eines "Völkermordes", der mittels der vom neuen Staatspräsidenten Benes unterzeichneten Dekrete, die am 28. März 1946 vom tschechoslowakischen Parlament bestätigt worden waren, enteignet und ausgebürgert worden waren. Wenn dies ein "Verbrechen" darstellen soll, was ist dann die gewaltsame Vereinnahmung und Zerschlagung eines ganzen Staates und seiner Menschen, die diesem vorausgingen?
(...)

[1] Tschechischen Widerstand gegen Naziterror kriminalisieren? Schattenblick - GEISTESWISSENSCHAFTEN\MEINUNGEN, DILJA/053, 8. Juni 2006

15. Oktober 2009