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DILJA/1218: NATO-Protektorat Kosovo auch nach Kommunalwahlen in desolater Lage (SB)


Kosovo - erste "Wahlen" in dem für unabhängig erklärten NATO-Protektorat

Die angeblichen Staatsbürger blieben mehrheitlich dem Prozedere fern


Camp Bondsteel, der größte Militärstützpunkt der US-Streitkräfte auf europäischem Boden, befindet sich - ausgerechnet - in einer Region, deren völkerrechtlicher Status höchst umstritten ist. Der Stützpunkt liegt in der Nähe von Urosevac auf dem Amselfeld und somit in der serbischen Provinz Kosovo, die nach ihrer am 17. Februar 2008 ohne Zustimmung Serbiens erfolgten "Unabhängigkeitserklärung" lediglich von 43 der 192 UN-Mitgliedstaaten als eigenständiger Staat anerkannt wurde. Insgesamt sind in der Provinz, die in Folge des NATO-Krieges gegen Jugoslawien unter Bruch der UN-Resolution 1244, in der dem Kosovo zwar eine weitgehende Autonomie zugesichert, die Zugehörigkeit zu Serbien jedoch festgeschrieben worden war, unter maßgeblicher Anleitung führender NATO- bzw. EU-Staaten faktisch abgespalten und unter westliche Verwaltung gestellt wurde, noch immer rund 14.000 Soldaten der sogenannten internationalen Kosovo-Schutztruppe (KFOR), wie die Okkupationsstreitkräfte der NATO genannt werden, stationiert. Ihre Zahl soll, einem Beschluß des Bündnisses vom Juni zufolge, schrittweise bis Ende des Jahres auf 10.000 reduziert werden.

Die deutsche Bundeswehr ist mit derzeit 2.300 Soldaten der größte Truppensteller innerhalb dieses Kontingents. Sie befindet sich seit über zehn Jahren in ununterbrochener Folge in der eigentlich noch immer serbischen Provinz und wird, ungeachtet der im Februar 2008 erfolgten "Unabhängigkeitserklärung", auch in dem angeblich eigenständigen Staat bis auf weiteres militärisch präsent bleiben. Zu diesem Zweck wurde das Bundestagsmandat im Mai um ein weiteres Jahr verlängert, in ihm wurde die Obergrenze der stationierten Soldaten auf 3.500 festgelegt. Mit einer Rückkehr zu staatlicher Normalität kann in diesem Gebilde, das noch am trefflichsten als NATO- bzw. EU-Protektorat zu bezeichnen wäre, auf eigentlich unabsehbare Zeit kaum zu rechnen sein. Dies liegt keineswegs an der serbischen Minderheit, die allen Grund hat, den ersten Wahlen des vermeintlichen Staates fernzubleiben, weil eine solche Beteiligung die Anerkennung dieser Staatsgründung und ihrer überaus gewaltsamen Vorgeschichte bedeuten würde.

So hatte die Belgrader Regierung die im Kosovo lebenden Serben zu einem Boykott der am Sonntag, dem 15. November 2009, erstmals unter der Regie der neuen Administration durchgeführten Scheinwahlen aufgerufen. In ihnen sollten in 36 Kommunen Bürgermeister und Gemeinderäte gewählt werden. Doch nicht nur die Kosovo-Serben blieben dem Urnengang mit überwältigender Mehrheit fern, auch die albanische Bevölkerung, die in diesem Prozedere eigentlich die Rolle des Staatsvolkes zu spielen gehabt hätte, torpedierte in einem nicht unerheblichen Ausmaß die gesamte Inszenierung. Die insgesamt geringe Wahlbeteiligung von nur 45 Prozent läßt sich nur dadurch erklären, daß auch viele Kosovo-Albaner den Wahlen ferngeblieben sind. Gleichwohl wurden umgehend deren Ergebnisse verkündet. Noch vor der am Montag erfolgten offiziellen Bekanntgabe erklärte Hashim Thaci, der "Ministerpräsident" des Kosovo, daß seine Demokratische Partei in 20 der 36 Kommunen überzeugend gewonnen habe. Die Partei des inzwischen verstorbenen früheren Kosovo-"Präsidenten", Ibrahim Rugova, die Demokratische Liga, reklamierte unterdessen den Wahlsieg in der Hauptstadt Pristina für sich.

Der eigentliche Sinn und Zweck dieser Wahlen, nämlich dem unter der Regie von EU und NATO durchgeführten Abspaltungsprozeß durch Wahlen eine erhöhte demokratische Legitimität zu verleihen, dürfte schon jetzt als gescheitert angesehen werden, auch wenn ein endgültiges Ergebnis erst in einem Monat nach einer Stichwahl zu den Bürgermeisterämtern bekanntgegeben werden kann. Ganz unabhängig davon, ob die eine oder die andere den westlichen Staaten verbundene politische Gruppierung den Wahlsieg für sich reklamieren kann, fehlt es dem Produkt eines Nation-building-Prozesses à la Brüssel so ziemlich an allem, was einen eigenständigen Staat ausmachen würde. Paradoxerweise gilt dies sogar für die prinzipielle Zustimmung des (albanischen) Staatsvolkes, weil gerade auch die Kosovo-Albaner mit ihrer Situation höchst unzufrieden sind. Bei einer Arbeitslosigkeit von 40 Prozent ist der Kosovo auch in wirtschaftlicher Hinsicht nicht ohne fremde, und das heißt westliche Hilfe überlebensfähig, was die beanspruchte Unabhängigkeit auch in den Augen der albanischen Bevölkerung zur Makulatur verkommen läßt.

Tatsächlich wurde der Status des Kosovo seitens der EU als "überwachte Unabhängigkeit" definiert. Um sicherzustellen, daß die Kosovo-Albaner die "Unabhängigkeit" zwar erklären, aber keineswegs vollziehen können, hatte die EU schon zwei Tage vor der am 18. Februar 2008 erfolgten Unabhängigkeitserklärung beschlossen, eine Polizei- und Justizkommission namens EULEX in die Region zu entsenden, um die zuvor von der UN-Verwaltung im Kosovo (UNMIK) geleistete Arbeit zu übernehmen. Am 15. Juni 2008 sollte dann die vermeintliche Eigenstaatlichkeit des Kosovo mit dem Inkrafttreten einer eigenen Verfassung zelebriert werden. Dies geschah zwar auch, doch entgegen der vorherigen Planungen der von dem früheren UCK-Kommandanten Hasim Thaci geführten Kosovo-"Regierung" wurde die Verwaltungsmission der Vereinten Nationen - UNMIK - nicht aufgelöst, weil UN-Generalsekretär Ban Ki-moon am 12. Juni 2008 interveniert und die Wirksamkeit von UN-Resolution 1244 bekräftigt hatte.

Das Verwaltungsgeschwader von bis zu 2.200 Polizisten, Staatsanwälten, Richtern, Zöllnern und Verwaltungsbeamten, das im Rahmen der Justiz- und Polizeimission "EULEX" der EU die Provinz überschwemmte, wurde kurzerhand unter die Oberhoheit der UNMIK gestellt. Nicht einmal die Kosovo-Verfassung war von kosovarischen Juristen ausgearbeitet worden; sie stammte aus der Feder westlicher Experten, genauer gesagt vom bundesdeutschen Institut für Minderheitspolitik in Flensburg. Die "überwachte Unabhängigkeit", derer sich die Provinzbewohner nun erfreuen sollten, fiel somit recht dürftig aus und sorgte auch unter der albanischen Bevölkerung für zunehmenden Unmut. Der Rückzieher des UN-Generalsekretärs mag zwar mit den von seiten Rußlands und Chinas erhobenen Einsprüchen begründet werden können; dennoch liegt es sehr wohl auch im strategischen Interesse der führenden NATO-Staaten, daß die Provinz auf vorerst unabsehbare Zeit unter ihrer faktischen Kontrolle verbleibt und kein zweites Albanien entsteht, dessen Regierung und Bewohner von westlicher Bevormundung nichts mehr wissen wollen.

17. November 2009