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DILJA/1264: Zukunftslabor Griechenland - Der letzte Widerstand soll gebrochen werden (SB)


Angriff der Finanzwelt auf die verbliebene Souveränität Griechenlands

Der Athener Regierung wird nicht nur ein Sparprogramm, sondern der große Knüppel zu dessen Durchsetzung abverlangt


Am vergangenen Donnerstag wurde in Griechenland durch den bereits vierten Streik des Jahres der öffentliche Dienst nahezu lahmgelegt. Mit den klassischen Kampfmitteln der Arbeiterklasse und -bewegung haben die Menschen in Griechenland einmal mehr klargestellt, daß zu ihren Lasten die vermeintliche Lösung des dem Land angeblich anhaftenden und durch jahrelange Mißwirtschaft verursachten Finanzdebakels nicht zu erwirtschaften ist. An der Bereitschaft der regierenden Sozialdemokraten um den PASOK-Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou, die Interessen der griechischen Bevölkerung auf dem Altar der aus der Schuldenmisere angeblich resultierenden Sachzwangslage und den damit begründeten Brüsseler Anforderungen zu opfern, kann kein Zweifel bestehen, und so entzünden sich die Proteste der davon betroffenen Menschen immer wieder an den sogenannten Sparmaßnahmen.

Bereits am Mittwoch vergangener Woche hatte die kommunistische Gewerkschaftsfront PAME zu 48stündigen Kampfmaßnahmen aufgerufen, doch auch der Dachverband der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst (ADEDY), der sich in jüngster Vergangenheit schon so manches Mal als Streikbremser hervorgetan hatte, rief zu Protesten gegen den von der Athener Regierung wie auch den Brüsseler Oberen, die das ganze Land in Schuldknechtschaft zu übernehmen im Begriff stehen, verhängten Maßnahmenkatalog auf. Nicht einmal in Großbetrieben internationaler Konzerne konnte die Produktion aufrechterhalten werden, wurden doch die Streikaufrufe in großer Zahl von den Beschäftigten befolgt. Neben den Lohnkürzungen in einem Land, dessen erwerbstätige Bewohner im europäischen wie auch internationalen Vergleich keineswegs finanziell so gut gestellt sind, daß ernsthaft davon die Rede sein könnte, Griechenland habe "über seine Verhältnisse gelebt", sind es vor allen Dingen auch die bevorstehenden Einschnitte im Sozialsystem, die die Menschen auf die Straße und an die Streikfront bringen.

Werden die angekündigten sogenannten Sanierungspläne der Regierung Papandreou umgesetzt, woran kein Zweifel besteht, wird es zu weiteren Kürzungen der ohnehin mageren Renten von bis zu 40 Prozent kommen. Aleka Papariga, Generalsekretärin der Kommunistischen Partei (KKE), beschrieb das "erschreckende Dilemma der Regierung" mit den Worten: "Entweder wir nehmen ein Darlehen auf - und das Volk verliert jedes seiner Rechte; oder wir leihen kein Geld - und das Volk verliert trotzdem." Die Bereitschaft der griechischen Bevölkerung, sich in das ihr von der eigenen Regierung wie auch der EU-Zentralgewalt in Brüssel, die sich anschickt, dem Land zu Knebelbedingungen für die dringend benötigte Finanzhilfe die Preisgabe seiner faktischen Souveränität abzuverlangen, zugedachte Schicksal widerspruchslos zu fügen, liegt allerdings unter dem Nullpunkt. Dies dürfte ungeachtet aller finanztheoretischen Spekulationen, die, ausgelöst durch gewisse Unstimmigkeiten im Begründungskonstrukt, zu erklären suchen, warum gerade Griechenland mit dem Rücken an die Wand gequetscht wird, obwohl eine ganze Reihe anderer Euro-Staaten durchaus vergleichbare Finanzprobleme aufweisen, der eigentliche Grund sein, warum nun die Reißleine gezogen wurde.

Der jüngste und absehbar keineswegs letzte Streik griechischer Werktätiger, der an seinem zweiten Tag generalstreikähnliche Züge annahm, beweist, daß Griechenland keine am Reißbrett verhandelbare Manövriermasse ist, weil der Faktor "Mensch" noch immer unkontrollierbar anmutende Verhaltensweisen an den Tag legt und nicht gewillt ist, sich einer Herrschaftsratio zu beugen, bei der die Bereitschaft des Menschen, sich von seinesgleichen spalten und sich seinen Vorteil zu Lasten des anderen versprechen zu lassen, mit der Zunahme wirtschaftlichen und politischen Drucks gleichermaßen anwächst. Die griechischen Gewerkschaften haben zudem angekündigt, nicht nur gegen die Einschnitte bei Löhnen und Sozialleistungen, sondern auch gegen Angriffe auf das Streikrecht zu kämpfen. Von daher ist absehbar, daß die jetzigen und weiteren "Maßnahmen", die angeblich griechische Finanzmisere auf die Bevölkerung des Mittelmeerstaates abzuwälzen, von dieser weder getragen noch hingenommen, sondern mit zunehmend verschärften Kampfmaßnahmen beantwortet werden würden.

Die zeitliche Abfolge der weiteren Ereignisse könnte für die Vermutung, hier sei ein für den Fall X seit langem vorbereitetes Eskalationsszenario zur Umsetzung gebracht worden, Anhaltspunkte liefern. Wenige Tage nach dem jüngsten Streik, am Dienstag dieser Woche, erklärte Standard & Poors's (S&P), eine der drei großen Rating-Agenturen, die weltweit über die Kreditwürdigkeit von Staaten und Unternehmen befinden und kraft dieser Definitionsgewalt zu den wirksamsten Waffen neoliberaler Interessengruppen zählen, daß griechische Staatsanleihen so etwas wie Ramschpapiere seien. Erstmalig erklärte die griechische Regierung, daß sie auf den internationalen Finanzmärkten keinerlei Kredite mehr aufnehmen könne, weshalb sie die von der EU vage in Aussicht gestellte Nothilfe in Verbindung mit dem Internationalen Währungsfonds nun offiziell und bis zum 19. Mai beantragt, da ansonsten der Staatsbankrott drohe.

Die Sparmaßnahmen der griechischen Regierung, sprich die bereits vollzogenen Lohnkürzungen und sozialen Einschnitte, waren demnach nicht erfolgreich (genug), was allerdings eine fehlgeleitete Schlußfolgerung darstellt, weil sie unterstellt, daß das Problem mit Einsparungen zu lösen sei. Tatsache ist vielmehr, daß die "Währung", anhand derer in Brüssel wie auch den übrigen Hauptstädten der führenden westlichen Staaten über das weitere Schicksal Griechenlands verfügt wird, nicht in monetären Rechnungen abzuzählen ist, sondern allein an die Resultate gekoppelt zu sein scheint, die der griechische Regierungsapparat bei der Bewältigung der ihm auferlegten Pflicht, die eigene Bevölkerung nachweislich an die Kandare zu nehmen, macht. Hier liegen aus Sicht internationaler Finanzadministratoren die tatsächlichen Defizite Griechenlands, die mit jeder weiteren Demonstration und jedem weiteren Streik neu befüttert werden. Das in den vergangenen Tagen nun angelaufene weitere Eskalationsszenario enthält neben dem Eingeständnis der griechischen Regierung, keinerlei Markt-Kredite mehr erlangen zu können sowie der Abstufung der Kreditwürdigkeit des Landes auf BB+ eine weitere extreme Verteuerung etwaiger Kredite.

Da Griechenland in finanziellen Nöten steckt, verliert es nach Maßgabe der Rating-Agenturen, die selbstverständlich die Interessen der Geldanleger zu wahren suchen, auf daß diese nicht um ihre Einlagen und Renditen fürchten müssen, an Kreditwürdigkeit, wodurch die Notlage zu einem selbst unter diesbezüglich günstigen Voraussetzungen nicht mehr zu bewältigen ist und dies auch gar nicht soll. Durch die nun vollzogene Herabstufung, der noch weitere zu folgen drohen, hat Griechenland bereits einen Status erlangt, der es bisherigen Kreditgebern, so es sich bei ihnen um Fonds oder institutionelle Investoren handelt, dazu zwingt, ihre Obligationen früher oder später abzustoßen. Die Renditen für zweijährige griechische Staatsanleihen sind seit Montag um drei Prozent gestiegen, während Athen für zehnjährige Anleihen bereits dreimal soviel wie Deutschland, nämlich eine fast zehnprozentige Rendite, bezahlen müßte. Griechenland steht, so es, was es ja dringend muß, Kredite aufnehmen will, schlechter da als das kriegs- und krisengeschüttelte Pakistan.

Bundeskanzlerin Merkel machte unterdessen bereits deutlich, daß es die europäischen Geldgeber und damit auch die deutsche Regierung sind, die künftig den Ton in Griechenland angeben. Deutschland werde nur helfen, so erklärte sie, wenn die Voraussetzungen erfüllt seien. "Wir brauchen eine positive Entwicklung in Griechenland, verbunden mit weiteren Sparanstrengungen", präzisierte die Kanzlerin am Montag in Berlin die von ihr wie auch anderen EU-Repräsentanten erhobenen Forderungen. Es liegt auf der Hand, da im Verhältnis zwischen der griechischen Regierung und den voraussichtlichen "Helfern" in EU und IWF der klassische Fall einer Schuldknechtschaft bereits im vollen Umfang realisiert wurde und daß es allein Sache der designierten Kreditgeber sein wird, die Bedingungen zu definieren. Wie auch könnte die Regierung Papandreou, zumal sie sich längst entschlossen hat, mit den EU-Oberen gemeinsame Sache zu lasten der eigenen Bevölkerung zu machen, sich der ihr diktierten Bedingungen erwehren, ist sie doch auch in ihrem politischen Überleben an die Gewährung der versprochenen Nothilfe gebunden?

Den Schritt in das noch Unaussprechliche zu tun, nämlich das Land mit seiner diesbezüglich langen und leidvollen Geschichte einer faktischen Diktatur zu unterwerfen, weil mit moderaten Mitteln der andauernde Protest und Widerstand der Bevölkerung nicht gebrochen werden kann, wäre eine Konsequenz und könnte dann eines vielleicht gar nicht so fernen Tages die vermeintlich einsame Entscheidung griechischer Regierungsverantwortlicher sein, während die Strippenzieher in EU und IWF ihre Hände in Unschuld waschen mit dem Argument, sie hätten Griechenland in seiner größten Not schließlich nur helfen wollen.

28. April 2010