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DILJA/1266: Alle Räder stehen still - Die Bevölkerung Griechenlands im Generalsteik (SB)


Aufruf griechischer Kommunisten an die Völker Europas

Während Bundeskanzlerin Merkel von der "Zukunft Europas" spricht, sterben bei den Protesten in Athen drei Menschen


Wenn eine Regierung von der eigenen Bevölkerung abgelehnt wird, wäre sie in einer parlamentarischen Demokratie gut beraten, durch den Rücktritt des Ministerpräsidenten den Weg zu einer Parlamentsauflösung und zu anschließenden Neuwahlen freizumachen. Um das offensichtlich gewordene Mißverhältnis zwischen Regierenden und Regierten auszukorrigieren, hätten die Wahlsieger ganz unabhängig davon, um welchen Kandidaten oder welche Partei es sich handeln mag, doch dann wieder die Legitimation durch den eigentlichen Souverän, sprich das Volk. Bezeichnenderweise wird im Zusammenhang mit den seit Wochen und Monaten andauernden Protesten der griechischen Bevölkerung, die ganz unverkennbar mit dem Regierungskurs des seit dem vergangenen Herbst amtierenden sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou zu einem hohen Prozentsatz nicht einverstanden ist, an diese nach demokratischen Prinzipien dringend gebotene Option zur Bewältigung der Staatskrise und Inangriffnahme der ökonomischen Misere nicht erinnert ganz so, als könne der bloße Gedanke an eine auf demokratischem Wege herbeigeführte Regierungsumbildung die hochangespannte Lage zum Explodieren bringen.

Dies ist sie ohnehin. Am heutigen Mittwoch legten nahezu alle Werktätigen Griechenlands die Arbeit nieder, nachdem die beiden größten Gewerkschaften des Landes, die für die Privatwirtschaft zuständige GSEE wie auch die im öffentlichen Dienst tätige ADEDY, zum Generalstreik aufgerufen hatten. Dieser Aufruf wurde landesweit befolgt mit der Folge, daß in Griechenland Produktion, Transport und Verkehr zum Erliegen gekommen sind. Ärzte behandeln nur Notfälle, es fahren weder Busse noch Taxis, der Flugverkehr ist ebenfalls zum Erliegen gekommen. Die Forderung der werktätigen Bevölkerung Griechenlands an die Regierung Papandreou ist so einfach wie unmißverständlich: Weg mit dem sogenannten Sparpaket, das zu Lasten all jener, die sich durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft am Leben erhalten oder auf finanzielle Unterstützung durch die sozialen Systeme angewiesen sind wie Rentner und Arbeitslose, die Finanzprobleme des Landes "lösen" soll.

Tatsächlich handelt es sich bei den von der Regierung Papandreou am Montag angekündigten "Sparpaket", das vom Parlament am morgigen Donnerstag angenommen bzw. durchgewunken werden soll, um die Annahme einer Knebelbedingung, die die EU-Oberen dem Land im Zusammenwirken mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) als Vorbedingung für Kreditzusagen auferlegt haben, die großspurig als Nothilfen ausgegeben werden. Dabei hatte Athen der eigenen Bevölkerung schon im März massive Einschränkungen bei Löhnen, Gehältern und Sozialleistungen zugemutet sowie die Mehrwertsteuer auf 21 Prozent erhöht. Nach den jüngsten Vereinbarungen, die zwischen Brüssel, Washington und der griechischen Regierung getroffen wurden, soll das Mittelmeerland weitere 30 Milliarden Euro "einsparen", um von dieser Seite in den kommenden drei Jahren Kredite im Umfang von 110 Milliarden Euro zu erhalten.

Nun kann kein noch so konservativer Ökonom die Frage plausibel beantworten, wie sich eine Volkswirtschaft wirtschaftlich erholen können soll, wenn den in ihr lebenden Menschen buchstäblich der letzte Euro aus der Tasche gezogen wird, es also auf diesem Wege keine erhöhte Binnennachfrage und eine damit einhergehende Konjunktur- und Wirtschaftsbelebung geben kann. Die Athener Regierung steht vor der eigenen Bevölkerung nicht nur deshalb so massiv in der Kritik, weil sie ihre Wahlversprechen fundamental gebrochen hat, sondern weil sie als zwingend erforderlichen Sparkurs durchzusetzen versucht, was dem Land und seinen Bewohnern nur noch mehr schaden kann, um von der Tatsache, daß die arbeitende und mittellose Bevölkerung weder für die Weltwirtschaftskrise im allgemeinen noch die spezifische Finanzsituation Griechenlands verantwortlich ist, die ohne hochspekulative Finanzgeschäfte großer europäischer, auch deutscher Banken nicht zu erklären ist, gar nicht erst zu reden.

Am gestrigen Dienstag haben rund zweihundert Menschen, die meisten von ihnen Mitglieder der Kommunistischen Partei Griechenlands oder der den Kommunisten nahestehenden Gewerkschaft PAME, auf der Akropolis in Athen Transparente entrollt, auf denen mit den Worten "Peoples of Europe - Rise up" weltweit sichtbar (die Bilder wurden weltweit übertragen) die Bevölkerungen der übrigen europäischen Staaten aufgefordert wurden, sich dem Aufstand der Griechen anzuschließen bzw. diesen als den ihren zu erkennen. Yannios Panagopoulos, Vorsitzender der Gewerkschaft GSEE, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, daß der Kampf der Griechen auch eine Botschaft an Europa sei und daß das, was in Griechenland begonnen habe, sich bald ausbreiten werde, weil Europa sich als unfähig bei der Bewältigung der Krise erwiesen habe.

Panagiotis Papageorgopoulos, Sprecher der Kommunistischen Partei Griechenlands, die den Internationalen Währungsfonds bereits aufforderte, das Land zu verlassen, unterstrich die Botschaft des griechischen Volkes an die Völker Europas mit den Worten, daß es überall die gleichen Probleme gäbe. Anstelle sich den Forderungen von EU und IWF zu unterwerfen, so der flammende Appell des griechischen Politikers, könnten die Völker Europas mit organisierten Protesten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Derlei Botschaften und Appelle laufen aus Sicht der Krisenmanager in Brüssel, Athen und Berlin Gefahr, von mehr und mehr Menschen über die Grenzen Griechenlands hinaus verstanden und in politische Aktivitäten umgesetzt zu werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel ging ihrerseits in die Offensive und fuhr in der Frage der sogenannten Griechenland-Hilfe, wie die Kredite genannt werden, deren Annahme den griechischen Staat endgültig ans Gängelband seiner vermeintlichen westlichen Partner binden würde, schweres politisches Geschütz auf.

"Europa steht am Scheideweg", prophezeite sie finster. In einer Regierungserklärung vor dem deutschen Bundestag, der wie auch der Bundesrat das Gesetz für die Griechenland-Kredite schon am Freitag abnicken soll, erklärte sie: "Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft Europas und Zukunft Deutschlands in Europa." Damit trifft wie, wenn auch unter gänzlich entgegengesetzten Vorzeichen, dieselbe Aussage wie die griechischen Kommunisten, die klarstellen wollen, daß sich die Bevölkerungen der anderen europäischen Staaten nicht (länger) gegen die Griechenlands ausspielen lassen mögen, sondern daß ein grenzüberschreitendes Zusammenwirken der Klasse der Arbeitenden und Besitzlosen die Option böte, dem beileibe nicht nur für Griechenland vorbestimmten Los einer unter Protektoratsverwaltung gestellten Armutsregion entgegenzutreten.

Merkel hingegen versteht diese Zusammenhänge selbstverständlich gänzlich anders. Nicht die Zahlungsfähigkeit oder -unfähigkeit des griechischen Staates ist das Problem, das den Euro und warum nicht gleich die ganze EU gefährdet, sondern die Unbotmäßigkeit der Griechen, die sich angesichts des gegen sie in Stellung gebrachten Regierungskurses nur zu immer größeren und weitreichenderen Protestaktionen zusammenschließen. So kam es am heutigen Generalstreiktag in der griechischen Hauptstadt zu der wohl größten Demonstration seit rund 20 Jahren, an der zwischen ein- und zweihunderttausend Menschen teilnahmen, um ihrem Ärger über den nun angekündigten abermaligen "Sparkurs" Luft zu machen. Nach Korrespondentenberichten blieben die Proteste zunächst weitgehend friedlich, eskalierten allerdings zu schweren Auseinandersetzungen zwischen zum Teil vermummten Demonstranten und der Polizei.

Im Verlauf der gewaltsamen Proteste kam es nach Angaben der Feuerwehr zu drei Todesfällen. In einer Bank, die von Vermummten in der Athener Innenstadt in Brand gesetzt worden sein soll, fanden zwei Frauen und ein Mann den Tod, nachdem sie vergeblich versucht hatten, der Rauchentwicklung und den Flammen in höher gelegene Stockwerke zu entkommen. Nachdem sich die Nachricht vom Tod dreier Unschuldiger wie ein Lauffeuer unter den Demonstranten verbreitet hatte, ebbte die Großdemonstration gegen den Sparkurs der Regierung merklich ab. Nach Angaben der Feuerwehr konnten die Löschdienste das brennende Haus nicht rechtzeitig erreichen, weil sie von Autonomen durch Steinwürfe daran gehindert wurden. Die tatsächliche Aufklärung der Zusammenhänge, die zu den Todesfällen geführt haben, dürfte erst noch bevorstehen, auch wenn die Polizei umgehend die Demonstranten dafür verantwortlich zu machen suchte.

So wird auch überprüft werden müssen, ob sich in einer solchen Situation der Einsatz verdeckter V-Leute tatsächlich ausschließen läßt, gehören doch, wie sich bei Großdemonstrationen in anderen europäischen Städten nachweislich schon gezeigt hat, polizeiliche Provokateure durchaus zum Repertoire der zum Einsatz gebrachten repressiven Maßnahmen. In Hinsicht auf die nach wie vor völlig ungeklärte Situation in Griechenland haben westliche Kommentatoren diesen Ball schon aufgegriffen und erklärt, nun müsse ganz Griechenland zusammenstehen - gegen die Chaoten, die aus der Deckung der Demonstranten heraus ihr finsteres Werk getan hätten.

5. Mai 2010