Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1282: Bürgerkriegsgefahr in Kirgisien alles andere als ethnisch begründet (SB)


Bürgerkriegsähnliche Unruhen in Kirgisien mit mindestens 23 Toten

Hinter einem angeblich ethnischen Konflikt scheint ein Kampf zwischen pro-russischen und pro-westlichen Kräften entbrannt zu sein


Mit finanzieller Unterstützung des für seine zivilgesellschaftlichen Umsturzbestrebungen, genannt "bunte Revolutionen", berüchtigten US-Milliardärs George Soros war im Jahre 2005 der kurz zuvor aus von westlichen Beobachtern als demokratisch bezeichneten Wahlen als Sieger hervorgangene kirgisische Präsident Askar Akajew gestürzt worden. Durch diesen keineswegs friedlichen Regierungssturz - waren doch rund dreitausend Anhänger des späteren neuen Regenten, Kurmanbek Bakijew, in dessen Hochburg, der zweitgrößten Stadt des Landes, Osch, mit Schlagstöcken und Brandsätzen bewaffnet in das dortige Verwaltungsgebäude eingedrungen und hatten rund einhundert Sicherheitsbeamte in die Flucht geschlagen - wurde Akajew in die Flucht geschlagen, und so konnte Bakijew sich im Juli 2005 ins Präsidentenamt wählen lassen.

Der Konflikt zwischen Akajew und Bakijew ist keineswegs eine Personalie, sondern Begleiterscheinung eines Machtkampfes, der in dem strategisch für alle Großmächte höchst interessanten zentralasiatischen Staat entbrannt ist. Im April dieses Jahres wurde nun Bakijew seinerseits gestürzt, allerdings nicht, wie es den Anschein hatte, durch eine wohlorchestrierte, womöglich vom Ausland unterstützte "zivile" Umsturzbewegung, sondern durch einen an von ihm verhängten Preiserhöhungen für Strom- und Heizkosten entzündeten Volksaufstand. Bei schweren Unruhen und gewaltsamen Auseinandersetzungen kamen im April 85 Menschen ums Leben. Die Lage konnte unter Kontrolle gebracht werden, nachdem Bakijew abgetaucht bzw. ins Exil gegangen war, wenn auch ohne zuvor von seinem Amt zurückgetreten zu sein.

In die damit entstandene Lücke stieß sofort eine Politikerin vor, die es fertigbrachte, sich in den Reihen der Opposition einen Führungsanspruch zu verschaffen. Rosa Otunbajewa wurde, wenn auch ohne jede demokratische Legitimation, da in Kirgisien bis heute ungeachtet des Sturzes Präsident Bakijews keine Neuwahlen stattgefunden haben, als Interimspräsidentin anerkannt. Von seiten Rußlands, das sich noch immer als Schutzmacht der ehemaligen Sowjetrepublik empfindet, wurde Otunbajewa umgehend anerkannt. Moskau sicherte ihr und ihrem Übergangskabinett seine Unterstützung zu, während sich die westlichen Staaten und insbesondere die USA mit diesem Schritt schwerer taten. Washington hat in Kirgisien höchst handfeste Eigeninteressen, die sich mit einem Wort, nämlich dem US-Luftwaffenstützpunkt auf dem Flughafen Manas nahe der kirgisischen Hauptstadt Bischkek, auf den Punkt bringen lassen.

Rund 20 Prozent des militärischen Nachschubs für den Afghanistan-Krieg wickeln die US-Streitkräfte über Manas ab. Allein im Jahr 2009 wurden 460.000 US-Soldaten von oder nach Afghanistan über Manas transportiert. Die innenpolitischen Verhältnisse Kirgisiens stehen somit für die USA relativ weit oben auf ihrer Agenda, weil es für Washington eine unabwendbare Notwendigkeit darstellt, sich den Zugriff auf diesen Stützpunkt zu erhalten. Da Interimspräsidentin Otunbajewa ungeachtet der Tatsache, daß auch sie sich gegenüber westlichen Vereinnahmungsbestrebungen empfänglich gezeigt hatte, derzeit ihre Vorteile in einer stärkeren Kooperation mit Moskau zu suchen scheint, sind die USA aller Voraussicht nach an einem abermaligen Wechsel in Bischkek interessiert. So soll sich der für diese Region zuständige US-General David Petraeus noch am 17. März dieses Jahres, kurz bevor Bakijew aus dem Amt gejagt wurde, mit diesem getroffen haben, um ihm im Gegenzug für die Errichtung eines "Antiterrorzentrums" der NATO im Süden des Landes 5,5 Millionen US-Dollar anzubieten.

Die Interimsregierung macht Bakijew unterdessen für den Tod der 85 Menschen verantwortlich, die bei den Unruhen im April ums Leben gekommen waren. Gegen ihn wurde Haftbefehl wegen Mordes erlassen, desweiteren verlangt die jetzige Regierung seine Auslieferung aus Weißrußland, wo er sich aufhalten soll. Der Verdacht, daß die US-Streitkräfte über mysteriöse Firmen dem Bakijew-Clan erhebliche Gelder haben zufließen lassen, um sich durch dessen Unterstützung auch die weitere Nutzung des Stützpunktes Manas zu erkaufen, hat sich unterdessen erhärtet, ging doch aus Untersuchungen, die infolge eines Prüfberichts des US-Kongresses zum Pentagon durchgeführt wurden, die vermutete Verbindung zwischen Bakijew und den besagten kirgisischen Unternehmen hervor.

Mag Bakijew selbst auch außer Landes und seiner unmittelbaren Einflußmöglichkeiten beraubt sein, stehen seine Anhänger gleichwohl in dem Ruch, mit seinen Interessen möglicherweise auch die seiner Finanziers im Auge zu haben. In den vergangenen Tagen ist es im Süden Kirgisiens und damit in der Region, die seit langem als "Hochburg" der Bakijew-Anhänger gilt, abermals zu schweren Auseinandersetzungen und Gefechten gekommen. Bereits am Donnerstagabend sowie am Freitagmorgen soll es Augenzeugenberichten zufolge in Osch, der zweitgrößten Stadt, zu langanhaltendem Gewehrfeuer gekommen sein. Die Interimsregierung entsandte Truppen und Panzer, um die Ruhe in der Stadt wiederherzustellen. Über Osch und die nähere Umgebung wurden der Ausnahmezustand sowie eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Nach Angaben der kirgisischen Sicherheitskräfte sollen sich mehrere tausend Menschen an Ausschreitungen und Plünderungen beteiligt haben.

Der Interimsregierung zufolge soll es sich dabei um ethnische Konflikte handeln. Immer wieder seit dem Sturz Bakijews soll es vornehmlich im Süden des Landes zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Usbeken und Kirgisen gekommen sein, die zu unterbinden der Regierung bislang nicht gelungen ist. Allerdings muß der Erklärungsversuch "ethnische Spannungen" mit einem riesengroßen Fragezeichen versehen werden. Weitaus plausibler wäre demgegenüber die Annahme, daß sich bei den in diesen Tagen abermals tödlichen Auseinandersetzungen um den sichtbaren Ausdruck eines Konflikts handelt, bei dem es letzten Endes um die Frage geht, ob pro-westliche oder pro-russische Kräfte das strategisch so wichtige Land kontrollieren können. Denkbar wäre desweiteren, daß die allgemeine Mangelversorgung wie schon im April eine weitaus größere Rolle spielt, als in der Berichterstattung westlicher Medien angenommen wird.

Derzeit scheint es den Regierungskräften noch nicht gelungen zu sein, die Lage in den umkämpften Gebieten wieder unter Kontrolle zu bringen, obwohl Polizei und Militär mit Panzern und Helikoptern im Einsatz sind. "Ungeachtet des Ausnahmezustandes wird in der Stadt immer noch geschossen", erklärte Regierungssprecher Asimbek Beknasarow im kirgisischen Radio. Desweiteren teilte er mit, daß die Polizisten vor Ort immer mehr Leichen entdeckten. Die Zahl der Todesopfer ist somit, zumal die Kämpfe noch anzudauern scheinen, schwer auszumachen. Ausnahmezustand und Ausgangssperre wurden über Osch inzwischen bis zum 20. Juni verlängert, was zu bedeuten scheint, daß die dortigen Unruhen bereits bürgerkriegsähnliche Ausmaße angenommen haben. Nach Angaben von stern.de beträgt die Zahl der Todesopfer mindestens 17 und anderen Quellen zufolge sogar 23, 250 Menschen sollen zum Teil schwer verletzt worden sein.

Da die USA ein extremes Interesse an einer Aufrechterhaltung, um nicht zu sagen einer Erweiterung ihrer militärischen Präsenz in Kirgisien haben (müssen), Rußland und China ihrerseits jegliche Unruhen mit Sorge betrachten und ein Vorrücken der US-Streitkräfte als gegen sie gerichtete Aggression deuten könnten, ist kaum anzunehmen, daß diese bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen ohne Einmischung von außen gelöst werden können und möglicherweise ohne eine solche gar nicht ein solches Ausmaß tödlicher Gewalt erreicht hätten.

Anmerkung

[1] Ausschreitungen in Kirgistan: Viele Menschen sterben bei neuen Unruhen, stern.de, 11. Juni 2010, 14.36 Uhr
http://www.stern.de/politik/ausland/ausschreitungen-in-kirgistan-viele-menschen-sterben-bei-neuen-unruhen-1573305.html

11. Juni 2010