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DILJA/1334: Überschwemmungskatastrophe in Venezuela vom Westen ignoriert (SB)


In der westlichen Welt ist "humanitäre Hilfe" eine politische Waffe

Die Bemühungen der venezolanischen Regierung zur Katastrophenhilfe werden zum Anlaß für politisch motivierte Bezichtigungen genommen


Inmitten einer auf ungewöhnlich heftigen, langanhaltenden und in diesem Ausmaß historisch einmaligen Regenfällen in den Nordstaaten Südamerikas beruhenden Überschwemmungskatastrophe hatte das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) Anfang Dezember seinen jüngsten Bericht im Internet veröffentlicht. Darin wurde, wie um die Brisanz der aktuellen Katastrophenkrise in Kolumbien und Venezuela zu unterstreichen, insbesondere vor den Folgen des Klimawandels für Lateinamerika und die Karibik gewarnt [1]. Dem UN-Bericht zufolge sind in dieser Region aktuell rund 40 Millionen Menschen von Wetterereignissen bedroht, was gegenüber 1970 mit fünf Millionen Betroffenen eine massive Zuspitzung bedeutet.

Zu diesem Zeitpunkt waren in Kolumbien bereits 200 Menschen durch die Wassermassen ums Leben gekommen. 28 der 32 Departements Kolumbiens waren betroffen, insgesamt 1,6 Millionen Menschen verloren durch die Überschwemmungen ihre Wohnstätte oder mußten Beschädigungen an ihren Häusern hinnehmen [2]. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos sprach von dem "schlimmsten Winter", den das Land je erlebt hätte, und erklärte am 7. Dezember für das ganze Land den Notstand mit der Begründung, durch die dadurch ermöglichten Befugnisse die Katastrophenhilfe besser bewältigen zu können. Zugleich erklärte Santos, daß die Katastophe "schon jetzt unsere Möglichkeiten" überschreite, woraufhin die Interamerikanische Entwicklungsbank Bogotá einen Kredit von 350 Millionen US-Dollar anbot. Internationale Reaktionen auch seitens der führenden westlichen Staaten blieben weitgehend aus, das Interesse der sogenannten internationalen Gemeinschaft an dieser Katastrophe, den aus ihr resultierenden Problemen und den Bemühungen um ihre Bewältigung tendierte gegen Null.

Verwunderlich ist dies wahrlich nicht. Bei Katastrophen, die nur vordergründig als "Natur"-Katastrophen bezeichnet werden können, mit noch weitaus schlimmeren Folgen für die von ihnen betroffenen Länder und ihre Bevölkerungen hat sich in der jüngeren Vergangenheit bereits abgezeichnet, daß die "humanitäre Hilfe" westlicher Staaten das Papier kaum wert ist, auf dem die Zusagen gemacht werden. Am Beispiel Haitis läßt sich ein Jahr nach der verheerenden Erdbebenkatastrophe sogar nachzeichnen, daß im Zuge der vermeintlichen "Hilfe" aus dem Ausland eine faktische militärische Besetzung des kleinen Inselstaates unternommen und im übrigen die Zahl der im Land tätigen Helfer und Hilfsorganisationen in einem umgekehrten Verhältnis zu dem tatsächlichen Nutzen zu stehen scheint. Mit anderen Worten: Die Not wird nicht nur gemildert, sondern wächst sich von Tag zu Tag, da die noch immer in widrigsten Notunterkünften hausenden Menschen weder über ausreichend sauberes Trinkwasser noch über sanitäre Anlagen verfügen und damit der Geißel "Cholera" schutzlos ausgeliefert sind, mit tödlichen Folgen für immer mehr Menschen immer weiter aus.

All dies ist sattsam bekannt und überaus geeignet, der gesamten Hilfsmaschinerie bzw. den hinter ihnen stehenden Staaten und Interessengruppen ein Armutszeugnis auszustellen. Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, daß die venezolanische Regierung sich gar nicht erst an die "internationale Gemeinschaft", die tatsächlich eine westliche Interessengemeinschaft ist, mit der Bitte um rasche und tatkräftige Hilfe bei der Katastrophenbewältigung gewandt hat. Als Präsident Hugo Chávez am 7. Dezember die von der Überschwemmungskatastrophe am stärksten betroffene Region im Nordwesten des Landes um den Maracaibo-See besuchte, machte er die in Venezuela noch immer bestehende Armut sowohl in den ländlichen Gebieten als auch in den Barrios der Großstädte für die schwerwiegenden Folgen der Katastrophe verantwortlich.

Durch Erdrutsche waren bereits Ende November in Venezuela sieben Menschen ums Leben gekommen. Allein im Hauptstadtdistrikt war es an einem einzigen Wochenende zu 45 der gefürchteten Erdrutsche gekommen, durch die aufgrund der Schräglage der kaum befestigten und durch die seit September unununterbrochen anhaltenden Regenfälle völlig aufgelösten Böden in den Barrios 88 Gebäude schwer beschädigt wurden. Doch nicht nur rund um Caracas, auch in den Bundesstaaten Falcón, Zulia, Vargas und Miranda waren die Bewohner schon Ende November von den Überschwemmungen betroffen. In diesen Wochen mußten in Caracas Notunterkünfte für über 7.000 Familien bereitgestellt werden, wobei es in manchen Armenvierteln zu dramatischen Szenen gekommen war, weil Bewohner ungeachtet der starken Gefährung ihrer Häuser diese nicht verlassen wollten, woraufhin Präsident Chávez ihnen garantierte, daß für die Sicherheit ihrer Häuser gesorgt werden würde - was durch die ortsansässigen Nachbarschafts- und Sozialorganisationen, die Kommunalen Räte, auch geschah - und daß allen, die nicht in ihre Wohnung zurückkehren könnten, eine neue angeboten werden würde. Allein im Barrio "23 de Enero" (23. Januar) in Caracas mußten über 1.200 Familien in Kirchen, Schulen oder kommunalen Häusern untergebracht werden.

Ohne die Einrichtung der Kommunalen Räte, die in Venezuela nicht nur der regionalen Verwaltung, sondern dem Aufbau einer basisdemokratischen Struktur gewidmet sind, die als Volksmacht von unten eines Tages den Gesamtstaat ersetzen soll, hätte die Bewältigung dieser Krise und die Inangriffnahme der mannigfaltigen Probleme wohl kaum in vergleichbarer Weise gelingen können. So unfreiwillig diese Katastrophe über Venezuela wie auch die übrigen Staaten der Region hereingebrochen sein mag, unterstreicht sie doch einmal mehr die Effizienz der Bolivarischen Revolution, die auf der aktiven Teilhabe gerade auch der in anderen Gesellschaftsstrukturen systematisch ausgegrenzten und zumeist verarmten Bevölkerungsmehrheit beruht. Nelson Solórzano, Sprecher der "Kommune im Aufbau Juan 23", einem Zusammenschluß vieler kommunaler Räte, erklärte, daß die Freiwilligen vor Ort, die Kommunalen Räte und sozialen Organisationen Hand in Hand mit den staatlichen Kräften - Nationalgarde, Militär und Feuerwehr - gearbeitet hätten:

Wir haben alle zusammen gearbeitet, um uns um alle betroffenen Nachbarn zu kümmern, denn seit wir uns entschieden haben, die Kommunalen Räte zu bilden, begreifen wir die Probleme als kollektive, die wir gemeinsam lösen müssen. Wir müssen wirklich weitere Notfälle verhindern, deshalb sind alle Kommunalen Räte in Alarmbereitschaft und werden nicht zulassen, dass weitere Häuser in Risikogebieten gebaut werden. [3]

Mit Hochdruck wird in Venezuela, neben den umfangreichen Evakuierungs-, Versorgungs- und Aufräumarbeiten, jedoch auch an der Errichtung neuer Wohnungen gearbeitet. Ende Dezember erließ Präsident Chávez per Dekret ein Gesetz erlassen, um den Fonds "Simón Bolívar", durch den schnelle Finanzmittel für den Wiederaufbau der zerstörten Regionen bereitgestellt werden, ins Leben zu rufen. Damit sollen allein in dem am stärksten betroffenen Bundesstaat Zulia 4.000 Häuser gebaut werden, damit die in Notunterkünften untergebrachten Menschen schnellstmöglich wieder ein normales Leben führen können. Auch in Caracas wurden die Maßnahmen für den Wohnungsbau forciert und beschleunigt. Am 6. Januar wurde per Präsidentendekret ein Gesetz veröffentlicht, das die Enteignung von 20 Grundstücken in der Hauptstadt zu dem Zweck, auf den 13.000 Quadratkilometern bis Jahresende 30.000 neue Wohneinheiten zu bauen, vorsieht. Große Anstrengungen haben die Behörden Venezuelas unternommen, um rechtzeitig zum Ende der Schulferien die zu Notunterkünften umfunktionierten Schulgebäude durch Umquartierungen wieder frei zu bekommen, um den regulären Schulbeginn am 10. Januar zu gewährleisten.

Politisches Sperrfeuer gab und gibt es ungeachtet dieser Katastrophe von nationaler Tragweite. Die rechte Opposition, seit dem 5. Januar wieder in der Nationalversammlung, dem Parlament Venezuelas, vertreten, kritisierte das am 16. Dezember von den vorherigen Abgeordneten angenommene Bevollmächtigungsgesetz ("Ley habilitante"), durch das, wie in der venezolanischen Verfassung vorgesehen, Präsident Chávez für einen bestimmten Zweck und einen befristeten Zeitraum mit Sondervollmachten ausgestattet wurde, um ohne Beteiligung des Parlaments Dekrete mit Gesetzesrang zur Krisenbewältigung zu erlassen. Ein Schritt in diktatorische Verhältnisse ist dies mitnichten, da die Regierungspartei PSUV mit ihren Verbündeten auch im neuen Parlament über eine so große Mehrheit verfügt, daß sie dieselben Gesetze erlassen könnte, weshalb der einzige Sinn und Zweck darin besteht, die entsprechenden Verfahren extrem zu beschleunigen.

Die Bewohner Venezuelas, und unter ihnen insbesondere die von der Überschwemmungskatastrophe unmittelbar betroffenen, werden an diesem Vorgehen, das entgegen der Behauptungen und Verleumdungen der rechten Opposition voll und ganz der Verfassung entspricht, gewiß nicht das Geringste auszusetzen haben, da ihr Wunsch nach schneller, effizienter und unbürokratischer Hilfe und Unterstützung auf diese Weise noch am ehesten erfüllt werden kann. Da durch die sintflutartigen Regenfälle insgesamt 130.000 Menschen obdachlos geworden sind und viele, viele weitere in Häusern wohnen, die früher oder später ebenfalls gefährdet sein könnten, steht die Bolivarische Republik Venezuela vor einer der größten Herausforderungen seit ihrem Bestehen. Um die finanzielle Kraftanstrengung zu meistern, die die Bewältigung der genannten Aufgabenkomplexe erfordert, wurde bereits im Dezember die Erhöhung der in den zurückliegenden Jahren mehrfach gesenkten Mehrwertsteuer angekündigt.

Die Akzeptanz der Regierung Chávez wird in der eigenen Basis im Zuge dieser Krise und ihrer Bewältigung aller Voraussicht nach nur noch weiter vertieft werden können, auch wenn dies, so etwa durch Preissteigerungen infolge der erhöhten Mehrwertsteuer, zu gewissen Rückschlägen in der Armutsbekämpfung führen könnte. Die nicht durch Absichtserklärungen und Verlautbarungen, sondern durch konkrete Maßnahmen bekundete Botschaft der Regierung, wenn man denn so will, lautet nämlich, daß in Venezuela die Ärmsten der Armen und die Notleidendsten der Notleidenden nicht im Stich gelassen werden. Da sich für alle Bewohner erkennbar die Regierung Chávez die größte Mühe gibt, um den durch die Überschwemmungskatastrophe in Not geratenen Menschen wieder zu einer Unterkunft zu verhelfen und ihnen im zweiten Schritt die Rückkehr zu ihren gewohnten Lebensverhältnissen zu ermöglichen, können sich auch alle übrigen Bewohner darauf verlassen, bei etwaigen weiteren Notlagen nicht sich selbst überlassen zu werden.

Die Kritik des Präsidenten der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), José Miguel Insulza, an dem von der Nationalversammlung verabschiedeten Bevollmächtigungsgesetz und den dadurch ermöglichten Dekreten des Präsidenten, wird von der Bevölkerung Venezuelas mehrheitlich sicherlich nicht geteilt. Insulza hatte am 7. Januar erklärt, die Dekrete stünden im Widerspruch zur Demokratiecharta der OAS, was letztlich ein Licht nicht nur auf sein Demokratieverständnis, sondern auch das der westlichen Welt wirft, so sie in diese Kritik gegen die venezolanische Regierung mit einstimmt.



Anmerkungen

[1] UNEP-Bericht warnt vor Klimawandel in Lateinamerika, junge Welt, 19.12.2010

[2] Südamerika kämpft gegen die Fluten. Von Harald Neuber, telepolis, 10.12.2010

[3] Kommunale Räte helfen Opfern der Unwetter. Von Eva Haule, Caracas, amerika21.de, 04.12.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/12/17575/venezuela-regen-raete


10. Januar 2011