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DILJA/1337: Quo vadis, Nepal? Vier Jahre "Friedensprozeß" eine Mogelpackung (SB)


Höchst prekäre Lage in Nepal - ob mit oder ohne UN-Friedensmission

Allem Anschein nach wurde der Friedensvertrag von 2006 nur geschlossen, um eine völlige Machtübernahme der Maoisten zu verhindern


Nach zehn Jahren Bürgerkrieg, wie eine eigentlich primär politische, um nicht zu sagen klassenkämpferische Auseinandersetzung dann genannt wird, wenn sie innerhalb ein- und derselben Nation geführt wird, wurde im Königreich Nepal Ende 2006 ein Friedensabkommen zwischen der Regierung in Kathmandu und den maoistischen Volksbefreiungskräften geschlossen. Das Land und seine Bewohner konnten aufatmen, ruhten doch nun die Waffen. Die Hoffnung auf Frieden war nicht nur konkret geworden, sie beinhaltete vor allen Dingen die begründete Aussicht auf eine tatsächliche Veränderung der gesellschaftspolitischen Verhältnisse in dem Himalaja-Staat, an dessen undemokratischer Struktur sich die westliche Staatengemeinde seltsamerweise gar nicht zu stören schien. Nepal war nicht etwa ein europäischen Königreichen wie etwa dem britischen vergleichbares Staatswesen, hätte dies doch eine europäischen Vorstellungen und Standards genügende parlamentarische Demokratie vorausgesetzt. Das Königreich Nepal war ein autoritär-repressives System, in dem sich der wie ein Alleinherrscher regierende König Parteien seiner Wahl halten und diese "Demokratie" spielen lassen konnte immer nur so lange und in dem Ausmaß, wie ihm bzw. der durch ihn repräsentierten Oberklasse des Landes dies genehm war.

Der Volksaufstand, geführt und angeführt von den maoistischen Kräften des Landes, die sich nach dem Friedensabkommen in der Vereinten KP Nepals (maoistisch) am parlamentarischen Aufbau beteiligten, galt dem primären Ziel, die Monarchie abzuschaffen und zu demokratischen Verhältnissen zu kommen, wobei die Maoisten stets ihre Bereitschaft bekundet haben, mit anderen politischen Parteien in einem demokratischen Rahmen zusammenzuarbeiten, Demokratie als Staatsform anzuerkennen und innerhalb eines solchen Rahmens ihre weiteren politischen Ziele zu verwirklichen. Unter demokratischen Gesichtspunkten hätte es seitens der Parteien der bürgerlichen Mitte, aber auch des großen Kommunistischen Gegenspielers der Maoisten, der Kommunistischen Partei Nepals (Marxisten und Leninisten), gegen die Maoisten in der Stunde Null nach Beendigung der Monarchie insofern keine Einwände geben dürfen.

Tatsächlich stellte sich in den seit dem Abschluß des Friedensabkommens vergangenen vier Jahren jedoch heraus, daß das Versprechen "Demokratie" von den monarchietreuen, aber auch den bürgerlichen Kräften bis hin zu den marxistisch-leninistischen Kommunisten, von diesen lediglich ernst gemeint war, was die zwischen ihnen bestehende Allianz betrifft. Die Maoisten allerdings sollten, auch wenn dies von den übrigen Parteien nicht offen ausgesprochen werden konnte, weil dies zum sofortigen Ende des sogenannten Friedensprozesses und einem Wiederaufflammen des Bürgerkriegs mit einem unkalkulierbaren Ausgang hätte führen können, als stärkste gesellschaftliche Kraft keine echte Chance bekommen, in einer ihrer Akeptanz in der Bevölkerung entsprechenden Weise den demokratischen Aufbau zu gestalten. Die Maoisten waren im April 2008 nicht nur - wie alle anderen Parteien auch - zu den ersten freien Wahlen nach der offiziellen Beendigung der Monarchie angetreten, sie hatten diese mit klarer Mehrheit, weshalb an ihrer demokratischen Legitimität kein Zweifel bestehen kann, auf Anhieb gewonnen.

Ende 2007 hatte das Parlament die Abschaffung der Monarchie beschlossen, im Mai 2008 wurde Nepal, nachdem der allseits ungeliebte letzte Monarch, Gyanendra, abgedankt hatte, zur jüngsten Republik der Welt. Ein demokratischer Frühling, wie er im Lehrbuch steht, schien in dem Himalaja-Staat entfacht worden zu sein. Wie im Friedensabkommen zwischen den Bürgerkriegsparteien vereinbart, übernahm eine Mission der Vereinten Nationen - UNMIL - die Überwachung der bewaffneten Kräfte beider Seiten sowie eine allgemeine Unterstützung des Friedensprozesses, der selbstverständlich Sache der Parteien war, die sich darauf verständigt hatten, in dem ersten freigewählten Parlament, zugleich die verfassungsgebende Versammlung, eine neue, demokratische Verfassung auszuarbeiten. Erste Risse zeichneten sich bald ab, stellte sich doch heraus, daß die übrigen im Parlament vertretenen Parteien nicht daran dachten, mit der stärksten Fraktion, den Maoisten, konstruktiv zusammenzuarbeiten.

Die Situation glich in den zurückliegenden vier Jahren einer Theaterinszenierung, in der keiner der Beteiligten als Zerstörer der Zielvorgabe Demokratie in Erscheinung treten wollte. Der Prozeß der Verfassungsgebung kam zu keinen konkreten Ergebnissen, die gesteckten Zeitvorgaben wurden nicht eingehalten. Allein an dieser Verschleppungs- und Verzögerungstaktik zeichnet sich ab, daß die alten Kräfte zwar den Namen "Monarchie" abzulegen bereit waren, sich jedoch im neuen Gewand schnell rekonstruiert hatten und einer tatsächlich sozialistischen Entwicklung, wie sie unter einer funktionierenden Regierung der Maoisten zu erwarten gewesen wäre, ohne daß dies den von ihr akzeptierten Rahmen einer parlamentarischen Demokratie hätte verletzen müssen oder auch nur wollen, genauso kompromißlos entgegenstanden, wie König Gyanendra dies getan hätte.

Doch lange Zeit blieb die wenn auch inhaltsleere Blase "Demokratie" bestehen. Der Chef der Kommunistischen Partei (maoistisch), Pushpa Kamal Dahal Prachanda, wurde, da seine Partei aus den ersten Wahlen klar als stärkste Kraft hervorgegangen war, erster Ministerpräsident und Regierungschef, sah sich aber im Mai 2009 zum Rücktritt veranlaßt, nachdem der Chef der Armee der Regierung die Gefolgschaft verweigert und der Staatspräsident Ram Baran Yadav sich geweigert hatte, den Armeechef zu entlassen. Kernpunkt des Streites war die Umsetzung der im Friedensabkommen beschlossenen Reintegration der ehemaligen maoistischen Kämpfer und Kämpferinnen gewesen, die "nicht so recht vorankam". Im Gegensatz zu den bewaffneten Kräften der vorherigen Regierung, sprich der regulären Armee Nepals, die nahezu unbeeinträchtigt in ihren Kasernen bleiben und schalten und walten konnte, wie es ihr beliebte, waren die maoistischen Kräfte, rund 20.000 zumeist junge Menschen, unter Aufsicht der UN-Mission kaserniert worden. Entgegen der Vereinbarungen wurden sie nicht in das gesellschaftliche Leben entlassen oder in die reguläre Armee integriert.

Für diese Verweigerung der zuvor zwischen den Bürgerkriegsparteien getroffenen Absprachen muß es handfeste Gründe geben. Die Armee, wären die maoistischen Kämpfer in ihr aufgegangen, hätte sich dann nicht mehr gegen die Maoisten einsetzen lassen. Gesetzt den Fall, die alten Kräfte hätten eines Tages doch wieder die Waffen sprechen und die maoistische Bewegung und Partei angreifen wollen, wäre das mit einer "gemischten" Armee nicht möglich gewesen und hätte unter Umständen zu Kämpfen innerhalb des Militärs oder bestimmter Einheiten geführt. Nach dem auf diese Weise im Grunde erzwungenen Rücktritt Prachandas kam keine reguläre Regierung mehr zustande. Madhav Kumar Nepal von der gemäßigten Kommunistischen Partei (Marxistisch-leninitisch) übernahm zwar zunächst das Amt, hatte jedoch nicht die parlamentarische Basis und allgemeine politische Akzeptanz, um eine funktionierende Regierung bilden zu können. Auf Druck der Maoisten mußte er im Juni 2010 zurücktreten. Seitdem scheiterten alle insgesamt 16 Versuche, durch eine Wahl im Parlament eine neue Regierung zu bilden.

Madhav Kumar Nepal fungiert seitdem als Chef einer provisorischen Regierung. Die innenpolitische Dauerkrise, ausgelöst durch den konservativen "Nepali Congress" (NC), der sich lange Zeit geweigert hatte, seinen einzigen verbliebenen Kandidaten zurückzuziehen, ist jedoch nicht nur auf die Unfähigkeit, im Parlament eine mehrheitsfähige Regierung aufzustellen, zurückzuführen. Die eigentliche Basis besteht in dem nach wie vor schwelenden Konflikt um die nun bereits seit vier Jahren kasernierten ehemaligen Guerillakämpfer der Maoisten, deren Nicht-Freilassung oder Re-Integration eine beredtere Sprache spricht über die tatsächlichen Absichten der traditionellen Parteien als alle noch so wohlfeilen Erklärungen. Die Zeit, in der dieses Täuschungsmanöver aufrechterhalten werden konnte, neigt sich jedoch dem Ende zu. Die Vereinten Nationen haben erstmals ihre am 15. Januar auslaufende Mission nicht verlängert, wie es bezeichnenderweise der Wunsch der Maoisten gewesen war, um den wenn auch höchst fragilen Friedensprozeß auf diese Weise noch am Leben zu erhalten.

Nach dem Rückzug der UN-Mission, die umgehend damit begann, das Land zu verlassen, obliegt die "Bewachung" der kasernierten Truppen der Maoisten nun einem wenige Tage zuvor gebildeten Sonderkomitee, dem 64 Mitglieder, je 16 aus Armee, Polizei, bewaffneten Polizeistreitkräften und ehemaligen maoistischen Kämpfern, angehören sollen. Auf diesen Modus haben sich kurz vor dem Ablaufen des UN-Mandats der provisorische Premier, Madhav Kumar Nepal, und der Chef der Vereinten Kommunistischen Partei Nepals (Maoistisch), Pushpa Kamal Dahal Prachanda, geeinigt. Doch ob die hochexplosive Lage in Nepal, die zu einem Militärputsch und/oder einem Wiederaufflammen des Befreiungskampfes der Maoisten führen könnte, tatsächlich befriedet werden kann, steht angesichts der tatsächlichen Hintergründe des Scheiterns der UN-Mission zu bezweifeln.


18. Januar 2011