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DILJA/1360: Bergarbeiterstreiks in Südafrika - Teilhaberschaft noch nicht aufgekündigt (SB)


Nutzlos wie ein Kropf - Gold und Diamanten

Bergarbeiterstreiks in Südafrika bringen die Frage nach Verstaatlichung aufs Tapet


Weder Gold noch Diamanten können das geringste beitragen zur Lösung oder auch nur Milderung gravierender menschheitlicher Probleme. Kein Mensch kann sich durch vermeintliche Wertgegenstände dieser Art ernähren; sie löschen keinen Durst, heilen keine Krankheiten und spenden keine Wärme. Kurzum, der faktische Nutzen derartiger Dinge liegt bei Null und weist auch nicht die geringste Option auf, diese Nullinie je verlassen zu können. Auf dem afrikanischen Kontinent sind Hunger und Mangelernährung allgegenwärtig, derzeit wütet im afrikanischen Osten die schlimmste Hungersnot seit zwei Jahrzehnten. In Somalia, Äthiopien, Kenia und Dschibuti stehen Millionen Menschen vor dem Hungertod. Völlig verzweifelte Menschen harren hier der Erfüllung ohnehin unzureichender Zusagen und Versprechen und sind doch, wie sich aus den wenigen Hilfslieferungen, die die Not der Kinder zu lindern vorgeben, ablesen läßt, längst einem qualvollen Sterben überantwortet.

Mit Gold und Diamanten hat all dies nichts zu tun. Der Wert des Goldes - am Montag wurde ein neues Rekordhoch des Goldpreises von 1623 Dollar je Feinunze erreicht - steigt beständig, was damit erklärt wird, daß Geldanleger angesichts der Schuldenkrise der westlichen Staaten und insbesondere wegen der möglicherweise kurz bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit der USA "in Gold geflohen" seien. Da mit Gold viel Geld zu verdienen ist, steht die Profitperspektive des Goldabbaus außer Frage. Die größten Goldvorkommen der Welt liegen in der Republik Südafrika, genauer gesagt in der Region um Johannesburg, wo rund 40 Prozent der weltweiten Vorkommen dieses Edelmetalls lagern. Die Bergbaugeschichte Südafrikas ist untrennbar mit der Kolonial- und Apartheidsgeschichte des Landes verknüpft, weckten doch gerade diese Vorkommen die Begehrlichkeiten westlicher Kolonialmächte, die sich das Land zunächst wegen seiner Bodenschätze aneigneten und dessen Bewohner versklavten und einer Fremdherrschaft unterwarfen, die nicht anders als gewalttätig sein konnte angesichts des Widerstands, der den Okkupanten ungeachtet ihres militärtechnologischen Vorsprungs entgegengebracht wurde.

Die Geschichte der Apartheid ist zu lang, um sie auf einen kurzen Nenner zu bringen. Ihr offizielles Ende könnte auf den 11. Februar 1990, den Tag der Haftentlassung Nelson Mandelas datiert werden, oder auch auf den 9. Mai 1994, an dem Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten der Republik Südafrika gewählt wurde. In der dazwischenliegenden sogenannten Übergangszeit vom rassendiskrimierenden Apartheidsregime zur heutigen Regenbogennation wurden die Weichen für die weitere Zukunft und noch heute herrschende Gegenwart des Landes gestellt. Die Apartheid wurde (formal) beendet, doch ihr Erbe, die durch sie geschaffenen (Besitz-) Verhältnisse blieben. Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe waren nun so frei, wie es ihre soziale Lage zuließ - mit anderen Worten: Arme blieben arm und wurden sogar noch ärmer, Reiche blieben reich und wurden nicht selten noch reicher.

Dieses betraf und betrifft selbstverständlich auch den Bergbau und insbesondere auch den Goldabbau, der in Südafrika ein lebensgefährliches Unterfangen darstellt. Dies liegt nicht nur, aber auch, an mangelnden Sicherheitsvorkehrungen und stellt ein besonders prekäres Problem und kostenintensives Geschäft dar, weil die Fundstellen bis zu 4000 Meter tief unter der Erde liegen. Die Absurdität, die in der Förderung dieser Materialien unter extrem aufwendigen und menschengefährdenden Bedingungen auf der einen und der faktischen Nutzlosigkeit dieses Wertmetalls für die Bewältigung der drängendsten Menschheitsfragen auf der anderen Seite liegt, korrespondiert mit der Absurdität eines (Welt-) Wirtschaftssystems, das gemessen an den mit ihm verknüpften Heilsversprechen und in Aussicht gestellten Leistungsmöglichkeiten längst als vollkommen ungeeignet hätte erkannt und bewertet werden können.

Da sich die Erkentnisinteressen den Primärinteressen an Raubbau und Aneignung nachordnen und das Ende der Apartheid auf einem Friedensschluß zwischen Mandelas ANC und dem alten Regime beruhte, blieben diese Kernfragen und damit auch der (Gold-) Bergbau unangetastet. Bis auf den heutigen Tag können die großen Gold- und Diamentengesellschaften glänzende Geschäfte machen. Völlig unbeeindruckt und unbeeinträchtigt von Wirtschaftskrisen, Armut und Nahrungsmangel konnte beispielsweise der südafrikanische Diamantengigant De Beers in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 15,5 Millionen Karat im Wert von 3,8 Milliarden Dollar verkaufen. Das Geschäft mit dem Gold boomt in Südafrika nicht minder, und nun steht sogar zu befürchten, daß der Streik hunderttausender Beschäftigter, von den durch den Produktionsausfall zu erwartenden Einbußen abgesehen, den Goldpreis noch weiter in die Höhe treiben wird.

Südafrika ist das viertgrößte Goldförderland der Welt. Nachdem an diesem Montag bereits 150.000 Kohle-Bergleute für höhere Löhne in den Ausstand getreten waren, legten am Donnerstag rund eine Viertelmillion Beschäftigte des Goldbergbaus die Arbeit nieder. Am Montag hatte die große Bergarbeitergewerkschaft NUM eine vom Arbeitgeberverband angebotene Lohnerhöhung von sieben bis neun Prozent abgelehnt und mindestens 14 Prozent gefordert. In vier großen Unternehmen soll nach Gewerkschaftsangaben die Produktion zum Stillstand gebracht werden. Streiks dieser Größenordnung sind in Südafrika keine Seltenheit. So waren nach dem Tod von drei Bergleuten, die unabhängig voneinander an einem einzigen Wochenende verunglückt waren, im Dezember 2007 rund 240.000 Bergarbeiter aus Protest gegen die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen in den rund 700 Bergwerken des Landes in einen eintägigen Streik getreten. 2006 waren in den Bergwerken Südafrikas fast 200 Kumpel ums Leben gekommen.

Der gegenwärtige Streik, so beeindruckend er auch aufgrund der hunderttausenden beteiligten Bergarbeiter anmuten mag, ist ein gewerkschaftlicher Kampf um eine Erhöhung der Beteiligung am erwirtschafteten Gewinn aus den Gold-, Diamanten- und sonstigen Geschäften. Die gestellten Forderungen nach einer Lohnerhöhung von 14 Prozent, so berechtigt sie auch immer sein mögen, tragen nicht das Potential in sich, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beenden oder auch nur zu minimieren. Am 24. September vergangenen Jahres wurde auf dem "kleinen Parteitag" des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) in Durban auf Betreiben der ANC-Jugendliga das Thema Verstaatlichung einmal mehr aufs Tapet gebracht. Im Streit um die Verfügung über die Bodenschätze des Landes und das Eigentum an den Produktionsmitteln standen die großen Minengesellschaften des Landes im Vordergrund. Dem durchaus als links geltenden Präsidenten Jacob Zuma war es dabei gelungen, die Position, daß der kleine Parteitag des ANC für solch ein wichtiges Thema nicht beschlußfähig sei, in Durban durchzusetzen.

Die Frage nach der Verstaatlichung der großen Gesellschaften und anderer Unternehmen wurde damit mindestens bis 2012 vertagt, denn erst im kommenden Jahr wird der nächste Kongreß des ANC stattfinden. Anläßlich der jetzigen Massenstreiks brachte der linke Flügel des ANC dieses Thema gleichwohl zur Sprache. So erinnerte Julius Malema von der ANC-Jugendliga daran, daß bereits in der Gründungscharta des ANC, der "Freedom Charter" (Freiheitscharta) des Jahres 1955, zur Verstaatlichung aufgerufen worden war. Zur heutigen Regierungspolitik gehört dies nach wie vor nicht, wofür es handfeste Gründe geben muß ganz abgesehen davon, daß der eingangs erwähnte Widersinn, unter immensem Aufwand und mit hohen Kosten und Gefahren ein Metall zu fördern, dessen tatsächlicher und konkreter Nutzwert für das menschliche Leben nicht vorhanden ist, auch für verstaatlichte Bergwerksbetriebe zuträfe.

Doch soweit wird es aller Voraussicht nach gar nicht erst kommen, da die Verantwortlichen des ANC die eingegangene Teilhaberschaft mit dem alten Regime und den postkolonialistischen Eliten des Landes und damit letztendlich auch dem vorherrschenden und alternativlos erscheinenden Weltwirtschaftssystem keineswegs aufzukündigen im Begriff stehen, und so wird bei den aktuellen Massenstreiks für die Bergleute nicht mehr und nicht weniger zu gewinnen sein als ein mehr oder weniger zufriedenstellender Lohnzuwachs.


29. Juli 2011