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DILJA/1364: Militärs an der Macht - Ägyptischer Herbst entlarvt den "Arabischen Frühling" (SB)


Demokratieversprechen verpufft - Repression in Ägypten


Vor einem Jahr, am 7. September 2010, rief der ägyptische Oppositionspolitiker Mohammed el Baradai seine Landsleute zum Boykott der seinerzeit bevorstehenden Parlamentswahlen auf und erklärte, die Abstimmung würde "mit Sicherheit manipuliert" werden. El Baradai, der als ehemaliger Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) dem Westen nicht nur wohlvertraut, sondern ein hochwillkommener Nachfolger des wenige Monate später zum Rücktritt gedrängten Präsidenten Mohamed Hosni Mubarak gewesen sein mag, hatte in Kairo politische Reformen sowie eine Verfassungsänderung gefordert, um unabhängigen Kandidaten die Teilnahme zu ermöglichen. Um el Baradai hatte sich 2010 ein "Verein für Wandel" (Jamiat al-taghyir) gebildet, der zur Unterstützung der Forderungen nach einer Wahlrechtsreform sowie der Aufhebung des Ausnahme(dauer)zustands über eine Million Unterschriften gesammelt und den Friedensnobelpreisträger von 2005 als möglichen Gegenkandidaten gegen Mubarak bzw. dessen Sohn ins Gespräch gebracht hatte.

Inzwischen ist die Ära Mubarak Geschichte. Der ägyptische Despot, an dessen repressiver Amtsführung seit seinem Amtsantritt im Jahre 1981 aus den Reihen westlicher Politiker noch nie nennenswerte Kritik aufgekommen war, avancierte binnen weniger Monate auch international zu einer Persona non grata. Nach Jahrzehnten ungehinderter Machtpolitik, in denen das Ägypten Mubaraks als westlicher Aktivposten und Garant des sogenannten israelisch-ägyptischen Friedens vollkommen unangefochten den ihm zugeordneten Teil an der Befriedungsarbeit des Nahen und Mittleren Ostens verrichten konnte, war der greise Regent seiner Protektion offensichtlich verlustig gegangen. Namentlich die USA, als deren engster Verbündeter - neben Israel - Ägypten nach wie vor gilt, mögen nicht unerheblich zum Gelingen dieser "Revolution" beigetragen haben.

Nachdem sich am 25. Januar in Kairo und vielen anderen Städten Ägyptens wie schon in den Tagen und Wochen zuvor Menschenmengen in bis dahin unerreichter Zahl zu einem "Tag des Zorns" auf die Straßen begeben hatten, wobei die Inanspruchnahme sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und You Tube einen maßgeblichen Organisationsanteil übernommen hatte in einem Land, in dem Menschenansammlungen von mehr als fünf Personen verboten sind, war eine Situation entstanden, in der das alte Regime zu den ihm gewohnten Mitteln greifen wollte und auch griff. Die ägyptische Regierung, durch die "Revolution" in Tunesien sowie die Forderung nach einem Ende der Herrschaft Mubaraks mehr als gewarnt, ging mit repressiver Härte vor. Das Innenministerium verkündete am darauffolgenden Tag, es sei nicht erlaubt, Proteste zu veranstalten oder Aufruhr zu schüren; die Behörden blockierten den Zugang zu Twitter und leiteten Ermittlungen gegen AktivistInnen ein.

Eine Regierung, die sich des Wohlwollens respektive zumindest der stillschweigenden Unterstützung führender westlicher Staaten erfreuen kann, wäre in einer solchen Situation - je nach den konkreten Umständen - von diesen mehr oder minder offen unterstützt worden; sei es, daß die Regierungsgegner öffentlich und international als "Terroristen" diffamiert worden wären; sei es, daß die Sicherheitskräfte, sofern dies nicht ohnehin geschähe, finanziell, politisch oder auch direkt militärisch unterstützt worden wären. Nichts dergleichen geschah in den entscheidenden, dem erzwungenen Rücktritt Mubaraks am 11. Februar vorangegangenen Wochen. Nachdem am "Tag des Zorns" mehr Menschen denn je der sattsam bekannten Repression und ihrer demoralisierenden Wirkung getrotzt und auf öffentlichen Versammlungen ihre Wut auf den Polizeistaat zum Ausdruck gebracht, die Aufhebung des seit 30 Jahren währenden Ausnahmezustandes, die Absetzung des Innenministers, die Freilassung politischer Gefangener, Mindestlöhne und Verfassungsänderungen, die demokratische Wahlen ermöglichen sollten, gefordert hatten, war die Herrschaft Mubaraks in Frage gestellt worden wie nie zuvor.

Anfang Februar war es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Regierungsanhängern und den zumeist jugendlichen Oppositionellen gekommen, die nach Berichten ausländischer Journalisten auf dem Tahrir-Platz in Kairo mit Knüppeln aufeinander losgingen. Das Parlament, aus dem die 2005 noch mit 88 Abgeordneten der Muslimbrüder und zwei Dutzend Unabhängigen vertretene Opposition nach den im November vergangenen Jahres durchgeführten Parlamentswahlen vollends verschwunden war, weshalb diese Wahlergebnisse mehr noch als die vorheriger Wahlen als gefälscht bzw. manipuliert gelten, wurde am 2. Februar kurzerhand "suspendiert". Die von Mubarak erklärte Bereitschaft, auf eine weitere Amtszeit zu verzichten und im September abzutreten, war in dieser Situation nicht (mehr) geeignet, die Massenproteste einzudämmen und zu befrieden.

Zu dem dann am 11. Februar erfolgten, soll heißen, erzwungenen Rücktritt Mubaraks könnte - auch wenn dieser in erster Linie "dem Druck der Straße" geschuldet war bzw. der immer deutlicher zu Tage tretenden Tatsache, daß die ägyptische Bevölkerung nicht länger gewillt war, ein derart repressives System, aber auch ihre schlechte soziale Lage länger hinzunehmen - allerdings auch die Haltung der USA beigetragen haben. Nach Mubaraks Erklärung, im September abtreten zu wollen, hatte US-Präsident Barack Obama ihn in einem 40minütigen Telefonat zum sofortigen Rücktritt aufgefordert und erklärt, daß ein "geordneter Übergangsprozeß" sofort beginnen und friedlich verlaufen müsse. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle schloß sich diesem Votum an; auch er erklärte in Berlin, ein zügiger Wechsel, sprich ein friedlicher und geordneter Übergang in Richtung Demokratie, sei nun nötig. Als sich dann noch die Armeespitze hinter die Forderungen der Demokratiebewegung gestellt und faktisch die Macht im Staate übernommen hatte, blieb Mubarak keine andere Wahl, als den von ihm nun auch von unerwarteter Seite verlangten Rücktritt zu erklären.

Wie es dann weiterging, läßt sich ein halbes Jahr später aus der zeitlichen Distanz schnell auf den Punkt bringen. Das Versprechen "Demokratie" blieb ein Versprechen. In Ägypten ist es in den zurückliegenden Monaten weder zu Wahlen, die das Etikett "demokratisch" verdient hätten, noch zu einer neuen Verfassung gekommen. Der Oberste Militärrat (SCAF) nahm die Regierungsgewalt an sich. Er ging zunächst recht behutsam vor, um die ohnehin mobilisierten, aber noch auf Mubarak konzentrierten Volksmassen nicht im zweiten Schritt auch gegen sich aufzubringen. Gleichwohl hat der Militärrat, der die Verfassung außer Kraft gesetzt hatte, ohne dazu auch nur im mindesten demokratisch legitimiert zu sein, schon am 18. Februar "unerwünschte Protestveranstaltungen" verboten. Eine Zusammenkunft von rund einer Viertelmillion Menschen, die am darauffolgenden Tag auf dem Tahrir-Platz zusammenkamen, wurde von den Militärs gleichwohl toleriert. Es würden, so hieß es, Vorbereitungen getroffen werden, um im September Neuwahlen durchführen zu können.

Diese lassen jedoch noch immer auf sich warten. Da der Oberste Militärrat Parlamentswahlen zunächst sogar innerhalb einer Frist von nur 60 Tagen in Aussicht gestellt hatte, verdichtete sich das Mißtrauen der alten und neuen Demokratiebewegung, daß zwar der Diktator, nicht jedoch die Diktatur überwunden sei, immer mehr. Am 19. März stimmten 77 Prozent der Wahlteilnehmer bei einem vom Militärrat durchgeführten Referendum für Verfassungsänderungen, die den Weg zu den für September anberaumten Parlamentswahlen nach den Maßgaben einer parlamentarischen Demokratie freimachen sollten. Der Oberste Militärrat bestätigte - oder behauptete? -, daß die Staatsführung möglichst bald in die Hände einer zivilen Regierung gelegt werden sollte. Auch dies schien, dieser Eindruck drängt sich im nachhinein auf, ein politisches Manöver gewesen zu sein, um die sozialen und politischen Erhebungen in Ägypten in lenkbare Kanäle zu manövrieren, indem den AktivistInnen die Erfüllung ihrer Forderungen zumindest in Aussicht gestellt wurde.

Am 8. April allerdings strömten bereits wieder Hunderttausende Menschen auf die Straßen, wobei es nicht mehr zu Zusammenstößen zwischen Anhängern der Demokratiebewegung und Mubaraks Sicherheitskräften, sondern mit dem ägyptischen Militär kam mit dem einzigen Unterschied, das dieses nun nicht mehr auf Befehl des im Volks verhaßten Despoten, sondern im Namen bzw. Auftrag des Obersten Militärrats zur Tat schritt. Abermals war die Bevölkerung nicht gewillt, der Repression zu weichen, und so forderten am 9. April Hunderttausende Menschen auf dem Tahrir-Platz den Militärrat auf, die Regierungsgewalt an ein ziviles Gremium abzutreten und Mubarak vor Gericht zu stellen. Am 10. April erklärten die zumeist jugendlichen Protestierenden, die sich erneut auf dem Tahrir-Platz versammelten, daß sie nicht weichen würden, bevor nicht auch der Militärrat zurückgetreten sei.

Diesmal blieben mahnende und unterstützende Äußerungen namhafter Politiker führender westlicher Staaten aus, weder in Washington noch in Berlin wurde öffentliche Kritik an der gelinde gesagt zögerlichen Haltung des Militärrats geübt. Als Bundesaußenminister Westerwelle am 19. April nach Kairo kam, wandte er sich mit mahnenden Worten an die Bevölkerung Ägyptens und nicht an den Militärrat. Er forderte die Ägypter ganz allgemein auf, den Weg zur Demokratie trotz einiger Rückschläge weiter zu beschreiten; schließlich sei Ägypten - so Westerwelle - ein Schlüsselland, das mitentscheide, ob dem arabischen Frühling ein Sommer folge oder ob es ein Zurück in den Winter gebe.

Dieser Stillhalteappell korrespondierte offensichtlich mit der Haltung nicht nur der deutschen Bundesregierung, in Ägypten zwar einen Abgang Mubaraks feiern zu lassen, im übrigen aber alle politischen Forderungen, die keineswegs nur auf einen personellen Wechsel, sondern auf tiefgreifende soziale und politische Veränderungen in dem Land gerichtet worden waren, auszusitzen. Im Juli veröffentlichte das Militär ein Kommuniqué, in dem es die Demonstranten, die in Kairo mittlerweile das Regierungsgebäude belagerten, vor einer "Verletzung öffentlicher Interessen" warnte, was in Ägypten kaum anders als als eine massive Drohung aufgefaßt werden konnte. Am 18. Juli wurde, ohne daß dieser Ernennung Wahlen vorausgegangen wären, ein 18köpfiges ziviles Kabinett eingesetzt, das bezeichnenderweise seinen Amtseid vor dem Obersten Militärrat ablegte. Die Parlamentswahlen, so ließ der Militärrat verlautbaren, seien auf Oktober oder November verschoben worden, wobei internationale Beobachter nicht zugelassen werden würden.

Immer wieder kam es zu Protestaktionen, Kundgebungen und Demonstrationen, bei denen, wie schon vor dem Abgang Mubaraks, Demokratieforderungen gestellt wurden. Dies hinderte die deutsche Bundesregierung nicht, der ägyptischen militärisch-zivilen Führung ihre Unterstützung zukommen zu lassen. So gab Außenminister Westerwelle am 12. August bekannt, daß Deutschland der ägyptischen Übergangsregierung, wie es nun hieß, 240 Millionen Euro Schulden aus der Regierungszeit Mubaraks erlassen und Investitionen für den demokratischen Aufbau in Höhe von rund 150 Millionen Euro leisten würde. Es sei wichtig, so die Begründung, daß die Wirtschaft des Landes schnell wieder in Gang käme. Die nach wie vor in politischer Hinsicht katastrophale Lage des Landes, da außer dem Rücktritt Mubaraks im Grunde noch gar nichts gewonnen war, stellte für die deutsche Regierung keinen Hinderungsgrund dar, einer nicht minder undemokratischen und gegen das eigene Volk repressiv vorgehenden Führung tatkräftig unter die Arme zu greifen.

In der internationalen öffentlichen Wahrnehmung oder vielmehr Darstellung hat das "neue" Ägypten so viele Pluspunkte sammeln können, wie Mubarak mehr und mehr als Despot, der er tatsächlich war, dämonisiert wurde, um all die Übel, um deren Beseitigung willen die Menschen auf die Straße gegangen waren, wider besseren Wissens (ausschließlich) mit seiner Person zu verknüpfen. Der Militärrat selbst ließ in einer am 5. September abgehaltenen Pressekonferenz wissen, mit welchen Mitteln er die Ordnung im Lande wiederhergestellt, sprich die Demokratiebewegung niedergerungen hat. So ging die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch mit Zahlen an die Öffentlichkeit, die auf Angaben beruhten, die General Adel Morsy vom Obersten Militärrat auf dieser Pressekonferenz gemacht hatte [1].

Demnach wurden zwischen dem 28. Januar und dem 29. August 11.879 Zivilisten vor Militärtribunale gestellt. 8.071 Menschen wurden verurteilt, 1.836 erhielten eine Bewährungsstrafe, und in 1.225 Fällen steht die Bestätigung des Urteils durch das Militär noch aus. Fast 12.000 vor den Militärgerichten Angeklagte in nur wenigen Monaten, das sind mehr als in drei Jahrzehnten der Mubarak-Herrschaft zusammengenommen. Wodurch nur hatte ein solcher "Kriminalitätsschub", wie es den Anschein hat, ausgelöst werden können? Die meisten der Angeklagten, die zu 93 Prozent verurteilt wurden, wurden wegen Beleidigung des Militärs bestraft. Wie Joe Stark, Vizechef der Abteilung Naher Osten und Nordafrika von Human Rights Watch anführte, hätte der Oberste Militärrat mit einer simplen Order diese ausufernde Repression sofort beenden können.

Wie aber ist es zu erklären, daß nach vielen Monaten des Stillschweigens der Militärrat am 5. September selbst mit diesen Zahlen an die Öffentlichkeit ging? Mußte er nicht befürchten, sich damit vor der internationalen Öffentlichkeit selbst zu diskreditieren, da er damit ruchbar macht, daß er in Sachen Repression den diesbezüglich berüchtigten Mubarak noch weit hinter sich läßt? Um diesem Widerspruch nachzuspüren, könnte es sich als aufschlußreich erweisen, die Ereignisse näher zu beleuchten, die zu dem jüngsten Eklat mit Israel geführt haben. An vergangenen Freitag hatten einmal mehr Zehntausende zumeist jugendliche Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo, aber auch in anderen Städten des Landes protestiert und ein Ende der Militärherrschaft sowie einen Zeitplan für Wahlen gefordert. In der Hauptstadt zogen schließlich rund dreitausend von ihnen vor die israelische Botschaft, um dort eine zuvor angekündigte Protestaktion, nämlich den Abbau der dort errichteten Mauer, durchzuführen.

Nach Angaben des Neuen Deutschlands [2] drangen dann rund 30 Menschen, ungehindert vom ägyptischen Militär, das in großer Zahl präsent war, in die Botschaft ein, wo sie Verwüstungen anrichteten. Erst sieben Stunden später griffen Polizei und Militär ein, und dies auch erst, nachdem US-Präsident Obama telefonisch bei der Militärführung interveniert hatte. Die anschließenden Straßenschlachten dauerten bis in die Morgenstunden an. Noch während der Nacht wurden der israelische Botschafter, seine Familie und weitere Israelis ausgeflogen. Unter den Demonstranten soll die Erstürmung der israelischen Botschaft höchst umstritten gewesen sein. Die ägyptische Militärregierung setzte die Notstandsgesetze wieder in vollem Umfang in Kraft. Sie kann völlig willkürlich Verhaftungen vornehmen, Demonstrationen sind nur mit Genehmigung erlaubt. Bereits am Sonntag wurden 16 internationale Fernsehsender von Regierungskräften erstürmt, unter ihnen Al Dschasira Ägypten, und Mitarbeiter verhaftet.

Im Zuge der Straßenschlachten in der Nacht zum Samstag hatten die Sicherheitskräfte Tränengas und auch scharfe Munition eingesetzt, die Protestierenden warfen mit Steinen und Molotowcocktails. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen wurden auch ein nahegelegenes Polizeiquartier sowie die Botschaft Saudi-Arabiens in Brand gesetzt, bereits am Nachmittag soll es Angriffe auf das ägyptische Innenministerium gegeben haben. Während der nächtlichen Kämpfe wurden bis zu eintausend Menschen verletzt, nach AFP-Angaben mindestens vier getötet. Der Oberste Militärrat kündigte ein hartes Durchgreifen an, und scheint sich dabei der Rückendeckung durch die westlichen Verbündeten sicher sein zu können. Es hat ganz den Anschein, als sei durch die innerhalb der Protestbewegung höchst umstrittene Erstürmung der israelischen Botschaft ein Hebel umgelegt worden, mit dem aus Sicht der Westens aus einer unterstützungswürdigen, den "arabischen Frühling" tragenden und vorantreibenden Demokratiebewegung buchstäblich über Nacht eine anti-israelische Haßhorde wurde, zu deren Niederschlagung der ägyptischen Militärführung völlig freie Hand gelassen wird.

Nachdem israelische Soldaten im August bei einer Verfolgungsjagd auf dem Sinai auf ägyptisches Gebiet vorgedrungen waren und dort aus Versehen, wie es hinterher hieß, fünf ägyptische Offiziere erschossen hatten, hatte die Entschuldigung aus Tel Aviv viel zu lange auf sich warten lassen, um die wegen der Palästinenserfrage ohnehin vorhandene kritische bis ablehnende Haltung der ägyptischen Bevölkerung gegenüber Israel bzw. der israelischen Politik nicht noch weiter anzuheizen. In die Proteste gegen die eigene Militärführung mischte sich dann auch die Verbitterung über deren als allzu nachgiebig empfundene Haltung in dieser Frage.

Der Oberste Militärrat hingegen hatte sofort nach seiner Machtübernahme deutlich gemacht, den 1979 geschlossenen Friedensvertrag mit Israel und damit das Fundament der israelischen Sicherheitsarchitektur in der gesamten Region einhalten zu wollen. Zu diesem Schritt hatte es für die Militärs, wollten sie nicht Gefahr laufen, der US-amerikanischen Militärhilfe, die sich auf jährlich 2,2 Milliarden US-Dollar beläuft, verlustig zu gehen, keine Alternative gegeben, und so kam die verhaltene Reaktion des ägyptischen Militärrats angesichts des für fünf eigene Offiziere tödlichen Zwischenfalls nicht überraschend.

Im Vordergrund der langanhaltenden Proteste einer Demokratiebewegung, die nach dem Sturz Mubaraks in der westlichen Presse kaum noch so genannt wurde, obwohl sich an ihren Forderungen, Vorgehensweisen und Zielvorgaben keineswegs etwas geändert hatte, dürfte auch am vergangenen Freitag die politische und soziale Lage im eigenen Land gestanden haben, mit denen sich Ressentiments gegen Israel aus aktuellem Anlaß bestenfalls gemischt haben mögen. So wurde von Analysten bereits die Vermutung aufgestellt, daß das Beispiel der türkischen Regierung, die den israelischen Botschafter ausgewiesen sowie die militärische Zusammenarbeit ausgesetzt hatte wegen der fehlenden Entschuldigung Israels für den Feuerüberfall auf die Gaza-Hilfsflottille im Mai 2010, bei dem neun türkische Aktivisten getötet worden waren, in dieser Frage die Empörung über die Haltung der eigenen Militärführung angeheizt haben mag. In der westlichen Presse, so auch bundesdeutschen Mehrheitsmedien, wurde alsbald und nahezu unbemerkt eine Neubewertung der ägyptischen Bevölkerung vorgenommen, durch die selbst Mubarak wieder in ein positives Licht gerückt wurde. So war in der "Zeit" nachzulesen [4]:

Aversionen gegen Israel sind in der ägyptischen Bevölkerung weit verbreitet, ungeachtet des 1979 geschlossenen Friedensvertrages zwischen beiden Ländern. Nach dem vom ägyptischen Volk erzwungenen Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak im Februar dieses Jahres hatte die internationale Öffentlichkeit das Verhältnis zu Israel mit besonderer Sorge beobachtet. Mubarak hatte sich stets für die Einhaltung des Friedensvertrages eingesetzt, in weiten Teilen der der Bevölkerung war sein pro-israelischer Kurs hingegen angefeindet worden.

Dies klingt ganz so, als sei der soeben erst als Diktator verschrieene und aus dem Amt gejagte Mubarak doch der Positivposten des Westens gewesen, dem als Wächter und Bewahrer des mit Israel geschlossenen Friedens sein gewaltsames Vorgehen gegen die eigene, diesen Kurs womöglich ablehnende Bevölkerung nachgesehen werden könne. In der Süddeutschen Zeitung werden die Proteste der ägyptischen Straße ebenfalls wieder in schwärzesten Farben ausgemalt mit dem Tenor, daß nun womöglich auch ein Angriff auf die US-Repräsentanz bevorstünde. Unter dem Schlagwort "Nächstes Ziel US-Vertretung" heißt es [5]:

Populismus statt Politik: Das Bild ist erschreckend klar. In den 18 Tagen der Revolution hatte Israel keine Rolle gespielt, antizionistische Parolen waren Ausnahme. Nach dem Sturz Mubaraks kam die Palästinenserfrage auf den Tisch, gesteuert von den Islamisten und unter der Hand von Kräften des alten Regimes. Nachdem sich der Volkszorn nun vor der israelischen Botschaft entladen hat, könnte die US-Vertretung das nächste Ziel sein. Das wäre das totale Fiasko für die Militärs in Kairo, die von Washingtons Geldern abhängig sind.

Begriffe wie "Demokratiebewegung", "arabischer Frühling" und "Revolution", die vor einem halben Jahr noch hoch im Kurs standen, um Vorgänge zu kommentieren oder, was nicht auszuschließen ist, aktiv zu unterstützen, die auf eine politische Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens nach Maßgabe des Westens hinauslaufen, sind aus der aktuellen Berichterstattung verschwunden, ohne daß die Frage abschließend geklärt werden konnte, ob es nicht dieselben Menschen und Organisationen sind, die ihre Proteste gegen die in Ägypten herrschenden Verhältnisse damals wie heute auf die Straße tragen. Das völlige Fehlen jedweder Sympathiebekundung oder Unterstützungserklärung an die Anfang des Jahres noch bestens gelittene "Demokratiebewegung" entlarvt noch im nachhinein die Haltung der westlichen Staaten, die nichts anderes als ihre eigenen Hegemonialinteressen im Sinne haben, wenn sie den Begriff "Demokratie" zur Neuordnung ganzer Regionen im Munde führen.

Wenn es im Westen einhellige Auffassung wäre, daß, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, "Ägyptens Militär das Volk um seinen Sieg betrügt" [5] und dennoch jegliche Protestnote ausbleibt, ließe dies eigentlich nur den Schluß zu, daß der gestürzte Mubarak nicht mehr als ein Bauern- oder in diesem Fall eben Präsidentenopfer war, um einen in Ägypten womöglich bevorstehenden bzw. drohenden Aufstand, der zu einem von der Bevölkerung und damit nach demokratischen Maßgaben dem eigentlichen Souverän selbst bestimmtem neuen politischen System hätte führen können, abzufangen und in für den Westen kontrollierbares Fahrwasser zu manövrieren. Was sonst hätten US-Präsident Obama und Bundesaußenminister Westerwelle gemeint haben können, als sie unmittelbar vor Mubaraks Rücktritt einen "geordneten Übergangsprozeß" forderten gerade so, als wären sie berufen oder auch nur im entferntesten mandatiert, über die Demokratiebewegung und -entwicklung Ägyptens zu befinden?

Anmerkungen

[1] 12.000 Zivilisten vor Armeetribunalen angeklagt, telepolis, 12.09.2011,
http://www.heise.de/tp/blogs/8/150452

[2] Sturm auf israelische Botschaft in Kairo. Von Juliane Schumacher. Neues Deutschland, 12.09.2011,
http://www.neues-deutschland.de/artikel/206515.sturm-auf-israelische-botschaft-in-kairo.html

[3] Israel und Ägypten: Vertrauenskrise. Von Gudrun Harrer, Der Standard, 11.09.2011,
http://derstandard.at/1315006065885/Israel-und-Aegypten-Vertrauenskrise

[4] Unruhen in Kairo. Gefahr in Israels Nachbarschaft, Die Zeit, 12.09.2011,
S. 2: Anti-israelische Aggressionen sind in Ägypten weit verbreitet,
http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-09/aegypten-kairo-israel-botschaft/seite-2

[5] Nach dem Sturm auf Israels Botschaft. Wie Ägyptens Militär das Volk um seinen Sieg betrügt. Süddeutsche Zeitung, von Thomas Avenarius, 12.09.2011,
http://www.sueddeutsche.de/politik/nach-dem-sturm-auf-israels-botschaft-aegyptens-militaer-bedroht-die-fruechte-der-revolution-1.1141777

14. September 2011