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DILJA/1376: Armutszone Griechenland - EU-Statthalter Papademos verkündet Lohnkürzungen (SB)


Anwachsende Massenarmut in einem Staat, der de facto unter der Knute der EU steht


Wenn in diesen Tagen, Wochen und Monaten in den Konzernmedien von Griechenland die Rede ist, enthalten die Schlagzeilen zumeist Begriffe wie "drohende Staatspleite", "Sparmaßnahmen", "Staatsverschuldung" und "EU-Rettungspaket". Wie das Leben für die griechische, in den kerneuropäischen Staaten faktenresistent als arbeitsscheu diskreditierte Bevölkerung aussieht, ist eine Frage, die weder in der Politik noch in den Medien aufgeworfen wird. Die Gründe für die Tabuisierung dieser Thematik dürften nicht in mangelnder Sachkenntnis zu vermuten sein, sondern in der folgerichtigen Überlegung, daß sich das gegenüber der griechischen Regierung in Stellung gebrachte Spardiktat womöglich auch gegenüber den Bevölkerungen der übrigen EU-Staaten nicht durchsetzen bzw. aufrechterhalten ließe, würde in aller Deutlichkeit klargestellt werden, in welch großer Not sich die meisten Griechen längst befinden. Zu erahnen ist dies anhand der eher spärlich verfügbaren Informationen über die soziale Lage des Landes.

So zitierte die griechische Tageszeitung "Ethnos" den Athener Bürgermeister Giorgos Kaminis mit den Worten, daß im Jahr 2011 die Obdachlosigkeit in der griechischen Hauptstadt um 20 Prozent gestiegen ist. Die Armut ist, wie seitens der Sozialverbände und der kirchlichen Armenhilfe übereinstimmend bestätigt wurde, im ganzen Land noch weiter angewachsen. Der Hunger ist kaum noch als versteckt oder latent zu bezeichnen. Die Anzahl derjenigen, die auf Hilfen aus Suppenküchen angewiesen sind, wuchs im zurückliegenden Jahr um 15 Prozent. Die Arbeitslosigkeit ist erzwungermaßen massiv angestiegen, gehört doch die Entlassung von 150.000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in den kommenden Jahren zu den Knebelbedingungen, die die internationale Troika der griechischen Regierung aufzuerlegen imstande war, da diese alternativlos auf die Gewährung weiterer Finanztranchen angewiesen ist bzw. angewiesen zu sein glaubt. Im vergangenen Jahr wurden bereits 320.000 Menschen zusätzlich arbeitslos.

Nach offiziellen Angaben ist die Arbeitslosigkeit im vierten Quartal gegenüber dem vorherigen um 1,4 Prozent weiter gestiegen auf die Rekordmarke von 17,7 Prozent. Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF), der neben der Europäischen Zentralbank (EZW) und der EU-Kommission die ominöse Troika bildet, die de facto die administrative Oberhoheit über Griechenland übernommen hat, wird die Arbeitslosigkeit weiter steigen und 2013 19,5 Prozent erreichen. Diese noch immer dürren Angaben und Zahlen sind bestenfalls geeignet, das tatsächliche und, wie zu vermuten steht, noch kleingerechnete Ausmaß der Lage erahnen zu lassen. Ende Oktober 2011 war die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) mit ihrer neuesten jährlichen Arbeitsmarktanalyse an die Öffentlichkeit getreten und hatte ihre Einschätzung kundgetan, daß in der gesamten Eurozone die Beschäftigung in den kommenden Monaten drastisch zurückgehen werde, wodurch sich soziale Unruhen verschärfen würden.

Damit wurde der Zusammenhang zwischen einer sozialen Verelendung von immer mehr Menschen beileibe nicht nur in Griechenland und Fragestellungen, die die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung unter dem Druck zunehmender Proteste zum Inhalt haben, zumindest schon einmal angedeutet. Die ILO warnte vor einer bis zu zehn Jahre lang andauernden Rezession in den "entwickelten westlichen Volkswirtschaften", sollte jetzt nichts unternommen werden und wies zugleich darauf hin, daß vielen Regierungen infolge des auf ihnen lastenden Spardrucks der Handlungsspielraum fehle. Das Risiko sozialer Unruhen sei, so die ILO-Analyse, in Ländern wie Griechenland, Portugal, Spanien, aber auch Frankreich, Irland, Slowenien und Estland besonders hoch.

Nun würden die EU-Oberen und maßgeblichen Administratoren der sogenannten Troika einwenden, daß die von ihnen ergriffenen Maßnahmen und namentlich der Griechenland und anderen Eurostaaten aufgenötigte Sparkurs einzig und allein dem Zweck diente, das andernfalls noch weitaus Schlimmere zu verhüten. Die UN-Arbeitsorganisation rät zur Konsumankurbelung durch Lohnerhöhungen und reproduziert damit wirtschaftswissenschaftliche Annahmen, die zwar auf dem Konsens vorherrschender Marktlehren beruhen, jedoch den Schritt in deren neoliberale Zuspitzung, derzufolge vorrangiges Ziel jeglicher Wirtschaftspolitik die Wahrung der Preisstabilität sein müsse, vermissen läßt. Dazu muß gesagt werden, daß diese Modelle in jedem Fall nicht mehr als Modelle sind und den Nachweis, auch nur zur Analyse der gegenwärtigen Situation in der Lage zu sein, ebensowenig erbracht haben wie die Gewähr, daraus ableitend tatsächlich konstruktive Maßnahmen entwickeln zu können.

Gleichwohl wurden diese Modellvorstellungen in die Lissabonverträge eingearbeitet mit der sich in sozialer Hinsicht absehbar katastrophal auswirkenden Folge, daß nicht nur den Regierungen der unter dem Schuldendruck stehenden Eurostaaten, sondern der Union insgesamt der Spielraum verlorengegangen ist, die Arbeits-, Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik selbst zu bestimmen. In Art. 3 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) wurde zu den Zielen der Europäischen Union in Abs. 3 festgelegt, daß die Union einen Binnenmarkt errichte und auf die nachhaltige Entwicklung Europas hinwirke auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums, von Preisstabilität und einer in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft. Die Hervorhebung der Preisstabilität beinhaltet, was nur zwischen den Zeilen zu erahnen ist, nämlich daß Kürzungen staatlicher Ausgaben jeglicher Art sowie Lohnkürzungen nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern auch im privatwirtschaftlichen Bereich in Kauf zu nehmen und um jeden (sozialen) Preis durchzusetzen sind, um einer Geldentwertung entgegenzuwirken.

In Griechenland kann derzeit studiert werden, welche Folgen eine solche Politik bereits hat und weiterhin haben wird. Das Land sieht dem nächsten, am 15. Januar bevorstehenden Besuch der Troika mit großer Angst entgegen. Gefordert werden, wie der einheimische Statthalter dieser drei, Ministerpräsident Lukas Papademos, in einer Unterredung mit Unternehmen und Gewerkschaften wissen ließ, weitere massive Lohnkürzungen sowie der Abbau von Arbeitnehmerrechten. Papademos droht mit der völligen Katastrophe, die andernfalls eintreten würde, wenn die Bedingungen für den nächsten Finanztransfer nicht erfüllt werden würden. Dem Land drohe dann bereits im März ein "unkontrollierter Staatsbankrott", so Papademos, der lange Zeit Vizepräsident der EZB war und nicht den mindesten Anhaltspunkt dafür liefert, dem Diktat aus Brüssel auch nur den geringsten Widerstand entgegenbringen zu wollen.

Dem Land stehen soziale Kämpfe von womöglich bislang nicht erreichter Härte bevor. Giannis Panagopoulos, Chef der Gewerkschaft GSEE, wies das Ansinnen des Ministerpräsidenten zurück und stellte klar, daß die Arbeiter und Rentner Griechenlands bereits über alle Maßen belastet wurden und keinerlei Spielraum für weitere Kürzungen oder den Abbau von Arbeitnehmerrechten hätten. Da eine Zurücknahme der Forderungen, die die griechische Regierung in Erfüllung der an sie gestellten Bedingungen erhebt, nicht zu erwarten ist aufgrund der prinzipiellen Festlegung der gesamten EU auf eine strikte Austeritätspolitik, stehen die Zeichen in Griechenland - und nicht nur in Griechenland - zu Beginn des neuen Jahres auf Sturm.


5. Januar 2012