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AFRIKA/1784: GRAIN entmystifiziert den "Wunder-Reis" Nerica (SB)


Saatgutmagazin GRAIN nimmt die Reispflanze Nerica kritisch unter die Lupe


In diesem Jahr dürften die Weichen für entscheidende Vorgänge zur Nahrungsversorgung in Afrika gestellt werden. Von den USA ist unter dem afro-amerikanischen Präsidenten Barack Obama eine Neuausrichtung der Afrika-Politik zu erwarten, wobei ein wichtiger Aspekt die Nutzung Afrikas als Ressourcenregion für den Anbau von Pflanzen für die Biospritproduktion sein könnte; die Europäische Union will die Verhandlungen mit den AKP-Staaten über die höchst umstrittenen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) zum Abschluß bringen; China dürfte seine Politik der Diversifizierung und mannigfachen Investitionen in fast allen afrikanischen Ländern weiter ausbauen; und der höchst bedenkliche Trend, daß die Regierungen Afrikas landwirtschaftliche Flächen an ausländische Konzerne verpachten, so daß sie die Früchte des Bodens ausführen können, dürfte gleichfalls fortgesetzt werden.

Angesichts dieser zu erwartenden Entwicklungen wäre es dringend geboten, daß die afrikanischen Regierungen sich nicht noch stärker als bisher gegeneinander ausspielen lassen und eine geschlossene Politik gegenüber sämtlichen Fremdnutzungsinteressen durchsetzen. Schließlich sollte es im alleresten Schritt um nicht weniger gehen, als der eigenen Bevölkerung die bislang vernachlässigten Lebensvoraussetzungen zu erfüllen und ausreichend Nahrung zu produzieren.

Die meisten der oben erwähnten transkontinentalen Trends stehen diesem Ziel diametral entgegen. Über einen möglichen weiteren dieser gegenläufigen Trends zur dauerhaft ausreichenden Nahrungsversorgung berichtete das Journal GRAIN [1] in seiner Januarausgabe. Unter der Überschrift "Nerica - another trap for small farmers in Africa" (Nerica - eine weitere Falle für Kleinbauern in Afrika) wird in einer detaillierten, durch zahlreiche Literaturangaben gestützten Analyse die Propagierung der Reissorte Nerica kritisch unter die Lupe genommen. Einleitend heißt es:

"Nerica-Reissorten, eine Kreuzung zwischen afrikanischem und asiatischem Reis, werden als 'Wunder-Reis', der Afrika seine seit langem versprochene Grüne Revolution für Reis bringen wird, gelobt. Eine einflußreiche Koalition aus Regierungen, Forschungsinstituten, privaten Saatgutunternehmen und Gebern betreibt große Anstrengungen, um Nerica-Saat auf allen Reisfeldern des Kontinents zu verbreiten. Sie behauptet, daß Nerica höhere Erträge liefern und Afrika zu einem Reis-Selbstversorger machen kann. Aber außerhalb der Laboratorien entwickelt sich Nerica nicht zum Renner."

An ausgewählten Einzelbeispielen aus mehreren Ländern zeigt GRAIN auf, daß die Reissorte Nerica nicht die in sie gesteckten Erwartungen der höheren Erträge erfüllt und der Anbau mehr Dünger und mehr Arbeit erfordert. So müßten sich die Frauen, die traditionell mit der Ernte befaßt sind, tiefer bücken, da Nerica kürzere Halme als traditionelle afrikanische Sorten hat. Es fallen geringere Strohmengen an, und die frühere Reife kann dazu führen, daß der Reis vermehrt von Vögeln gefressen wird. Als das Hauptproblem wird jedoch angesehen, daß die Verbreitung nur einer Reissorte, durch die traditionelle Sorten verdrängt werden, Agrounternehmen den Weg bereiten wird. Das gefährde die wahre Grundlage der Nahrungssouveränität Afrikas: die Kleinbauern und ihre örtlichen Saatsysteme.

Nerica (New Rice for Africa) ist eine Hybridpflanze, die nicht mittels gentechnologischer Verfahren gezüchtet wurde. Dennoch weist sie eine Eigenschaft auf, die Biotechkonzerne allzugern mit dem sogenannten Terminator-Gen verbreiten würden. Laut GRAIN gehen die Erträge nach der ersten Ernte deutlich zurück, die Bauern müßten in jeder Saison neue Nerica-Saat erwerben. Gezüchtet wurde der Reis 1994 von WARDA, der West Africa Rice Development Association - heute Africa Rice Center -, die 22 Mitglieder zählt. WARDA verhalte sich immer mehr wie ein Privatunternehmen, moniert GRAIN. Es habe Nerica im Jahr 2002 in den USA als Handelsname eintragen lassen und wolle sich sogar in ein Unternehmen umwandeln, um stärker ins Agrogeschäft einsteigen zu können. Es bestehe die Gefahr, daß die afrikanischen Kleinbauern über den Anbau dieser Pflanze in das übergreifende Netzwerk eingebunden werden, lautet die Befürchtung.

GRAIN wendet sich nicht gegen Investitionen in die Landwirtschaft an sich, und es leugnet auch nicht, daß es Beispiele gibt, bei denen Nerica höhere Erträge bringt als traditionelle Sorten. Aber das Journal wirft einen übergreifenden, auch die negativen Aspekte berücksichtigenden Blick auf die bisherige Entwicklung und leitet daraus seine Prognose ab, daß der Nerica-Reis letztlich das Potential hat, die Ernährungsgrundlage Afrikas, das System der Kleinbauern, zu zerstören.


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Anmerkung:

[1]
Nerica - another trap for small farmers in Africa
Januar 2009
http://grain.org/briefings/?id=215

21. Januar 2009