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AFRIKA/1864: Landraub und Hunger in Äthiopien (SB)


Äthiopische Regierung kürzt Lebensmittelhilfe

Freigabe von 2,7 Mio. Hektar Land an ausländische Investoren


Nicht einmal die vergleichsweise dünn besiedelten Wüsten Sahara und Kalahari sind vollkommen ungenutzt. Eine Verpachtung von Land durch den Staat und eine Fremdnutzung würden auch dort zu Lasten der örtlichen Bevölkerung gehen. Das betrifft um so mehr Menschen, wenn eine Regierung wesentlich fruchtbarere Landstriche verpachtet, wie es Äthiopien geplant hat. Selbst wenn die insgesamt 2,7 Millionen Hektar Land, die laut Reuters in diesem und in den nächsten Jahren freigegeben werden, [1] bislang nicht intensiv bewirtschaftet worden sein sollten, so dienen sie in der Regel Einheimischen zum Sammeln von Früchten und Feuerholz oder auch als Weidefläche für ihr Vieh. Sollte aber das Land tatsächlich von niemandem genutzt werden, wäre noch immer zu fragen, warum die Regierung nicht entsprechende Maßnahmen ergreift, um über fünf Millionen Einwohner, die auf Lebensmittelhilfe angewiesen sind, ausreichend zu versorgen.

Esaya Kebede, Direktor des kürzlich gegründeten Agricultural Investment Support Office, berichtete, daß 8420 ausländische und heimische Investoren Lizenzen zur Bewirtschaftung kommerzieller Agrarbetriebe erhalten haben, 2000 Projekte seien bislang begonnen worden. [1] Was das für die äthiopische Volkswirtschaft bringt, müsse allerdings noch quantifiziert werden.

Wie in vielen anderen afrikanischen Ländern pachten ausländische Investoren auch in Äthiopien im großen Maßstab Land, um dort Pflanzen für Nahrungs- oder für Treibstoffzwecke anzubauen. Chinesische Unternehmen produzieren Sesam, indische haben sich auf Zuckerrohr, Tee und Baumwolle verlegt, Saudi-Arabien nutzt die tropische Lage und forstet Palmen auf, um deren Öl zu gewinnen. Letztgenanntes Beispiel zeigt, daß die These, arabische Staaten, die selbst nicht genügend Nahrung produzieren könnten, seien gezwungen, Ländereien im Ausland zu pachten, so nicht zutrifft. In diesem Beispiel zumindest nutzt eine Erdölexportnation Land, um Öl zu produzieren, das Erdöl ersetzen soll.

Esaya Kebede rechtfertigt die Ausweisung von Pachtland für ausländische Investoren damit, daß dies ein wirksamer Weg ist, um Hunger und Armut zu bekämpfen, da die Unternehmen technologisches Wissen und Finanzen mitbrächten. Mit Landraub habe das nichts zu tun, es fehle einfach ausländisches Kapital, um die Entwicklung voranzubringen. Das sei immer noch besser als zu betteln. [2] Im übrigen seien 2,7 Mio. Hektar wenig verglichen mit einer landwirtschaftlichen Gesamtfläche Äthiopiens von 74 Mio. Hektar, von denen äthiopische Bauern 17 Mio. Hektar bewirtschafteten.

Aber wird es bei den 2,7 Mio. Hektar bleiben? Möglicherweise nicht. Der indische Botschafter in Äthiopien, Gurjit Singh, kündigte bereits an, daß sein Land noch Großes in Äthiopien vorhabe. Vor drei Jahren betrugen die Investitionen Indiens 300 Mio. Dollar, in diesem Jahr 4,3 Mrd. Dollar, was doppelt so viel ist wie die westliche Hilfe. In einigen Jahren könnten sich nach Einschätzung des Botschafters die Investitionen auf acht bis zehn Milliarden Dollar belaufen. [2] Womöglich wird dann die Landwirtschaft so wie heute mehr als die Hälfte der Investitionen auf sich ziehen.

Wenn aber ein großer Teil der landwirtschaftlichen Erzeugnisse exportiert wird, dann wird dadurch nicht der Hunger in Äthiopien gestillt, sondern es werden die Bankkonten einiger Regierungsmitglieder, Verwaltungsbeamte und Unternehmer gefüllt. Nur aus deren Sicht rechtfertigt diese Entwicklung die Vergabe von Darlehen örtlicher Banken in Höhe von bis zu 70 Prozent der Kapitalinvestition sowie das Angebot von Steuererleichterungen und anderen Anreizen.

Ein großer Teil der Bevölkerung bleibt dagegen verarmt. Gegenwärtig müssen schätzungsweise 5,3 Millionen Einwohner, die einen Anspruch auf Lebensmittelhilfe der Regierung haben, Kürzungen ihrer Rationen hinnehmen. [3] Seit ungefähr einem Jahr hatten bedürftige Haushalte 15 Kilogramm Lebensmittelhilfe erhalten, dieser Wert wird nun auf 10 Kilogramm reduziert. Mit einem Ausgleich des Bedarfs ist nicht zu rechnen, hat doch die Regierung noch im Januar um 450.611 Tonnen Lebensmittelhilfe zur Versorgung von 4,9 Millionen Einwohner in diesem Jahr gebeten, bislang jedoch nur 274.611 Tonnen erhalten, wie die Regierungseinrichtung Disaster Risk Management and Food Security Sector (DRMFSS) mitteilt. Das Welternährungsprogramm (WFP) erwartet zwar für die Monate August bis Dezember die Lieferung von 251.878 Tonnen Lebensmittel. Davon werden aber 143.000 Tonnen für Rückzahlungen an die Ethiopian Food Security Reserve Administration (EFSRA) verwendet, so daß nur rund 109.000 Tonnen tatsächlich verteilt werden würden. [3]

Der Nahrungsmangel geht nach Regierungsangaben nicht nur auf zu geringe Spenden, sondern auch auf unzuverlässige Niederschläge, Dürren und Überschwemmungen zurück. Eigentlich hat Addis Abeba ein Förderprogramm für Kleinbauern initiiert, um die Nahrungsproduktion zu steigern. Seit 2004 erlebt die Wirtschaft ein Wachstum von jährlich zwölf Prozent, doch die Landwirtschaft gerät ins Hintertreffen. Die Wasserwirtschaft gilt als unzureichend, der Anbau ist auf regelmäßige, nicht zu starke und nicht zu schwache Niederschläge angewiesen. Experten empfehlen deshalb eine Verbesserung der Wasserbauinfrastruktur mit mehr Rückhaltebecken, ausgewiesenen Überschwemmungsflächen und eine prozentuale Steigerung künstlicher Bewässerungssysteme.

Noch grundsätzlicher wird von Wirtschaftslobbyisten eine Strukturreform der Landwirtschaft gefordert. Im vergangenen Jahr erklärte Assefa Admassie, Direktor der Ethiopian Economic Association, daß Äthiopien immer vor den gleichen Problemen stände, wenn es sich auf Kleinbauern und regelmäßigen Regen verlasse. Die äthiopische Agrarpolitik hat bereits eine Transformation durchlaufen. Vor Jahren wurde jeder rein private Landbesitz unterbunden, der Staat verteilte die landwirtschaftliche Fläche und verhinderte die Entstehung einer Akkumulation. Auch heute noch behält der Staat die Aufsicht über die Landverteilung, läßt aber kapitalstarke private Investoren zu. Eine weitere Deregulierung dürfte die Einkommensschere weiter öffnen.

Auf der anderen Seite wurde das Problem, daß nur unzureichend langfristige Investitionen zur Verbesserung der Strukturen vorgenommen wurden, bislang nicht gelöst. Ein weiterer Faktor, der der Lebensmittelmangel befördert: Äthiopien verzeichnet ein Bevölkerungswachstum von drei Prozent. Die Nahrungsmenge müßte also ständig gesteigert werden, damit die Bevölkerung genügend zu essen hat und das Land den chronischen Hunger beseitigt. Eine Vernachlässigung der Kleinbauern würde sich jedoch fatal auf viele Millionen Äthiopier auswirken.


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Anmerkungen:

[1] "Ethiopia sets aside land for foreign investors", Reuters, 29. Juli 2009
http://www.forexyard.com/en/reuters_inner.tpl?action=2009-07-29T132522Z_01_LT584312_RTRIDST_0_ETHIOPIA-FARMLAND-INTERVIEW

[2] "Ethiopia: Hunger-Ridden Country Defends Land Grabs", Business Daily (Nairobi), 14. August 2009
http://allafrica.com/stories/200908140576.html

[3] "Ethiopia: Food crisis blamed on disastrous policy compounded by killer disease in Amhara region", 12. August 2009
http://en.afrik.com/article16034.html

15. August 2009