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AFRIKA/1907: Niederländisches Gericht nimmt Klage gegen Shell an (SB)


Ölverseuchung in Nigeria

Bewohner des Nigerdeltas und Umweltorganisation Friends of the Earth klagen gegen Erdölkonzern Shell


Ein niederländisches Gericht hat sich für zuständig erklärt, über eine Klage gegen den niederländisch-britischen Erdölkonzern Shell wegen Ölleckagen in Nigeria zu urteilen. [1] Die Klage vor einem Gericht in Den Haag war am 3. Dezember von vier Nigerianern - Bauern und Fischern, deren Erwerbs- und Lebensgrundlage durch die Ölverschmutzung zerstört wurde - in Verbindung mit der Umweltorganisation Friends of the Earth Netherland und Friends of the Earth Nigeria eingereicht worden. Ein Sprecher des Shell-Konzerns bezeichnete die Entscheidung des Gerichts als "enttäuschend". Es hätte gute Gründe gegeben, die Klage aufgrund mangelnder Befugnis zurückzuweisen, sagte er. [2]

Die Unternehmen Shell und Shell Nigeria, die zusammen angeklagt werden, haben bis zum 10. Februar Zeit, eine Stellungnahme zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen, die sich auf mehrere Ölleckagen beziehen, abzugeben.

Erst im Juni 2009 hatte sich Shell nach nunmehr vierzehn Jahren außergerichtlich mit Einwohnern aus dem Ogoni-Land und dem Nigerdelta auf die Zahlung von 15,5 Millionen Dollar wegen mutmaßlicher Mitwisserschaft von Menschenrechtsverletzungen an Mitgliedern des Volks der Ogoni geeinigt. Shell betonte, daß dies kein Schuldeingeständnis sei, sondern daß es den Gerichtsstreit endlich beigelegt haben wolle. Fünf Millionen Dollar der Summe sollen in einen Trust zum Nutzen der örtlichen Gemeinden im Ogoni-Land fließen.

Man kann davon ausgehen, daß jetzt als Folge der Entscheidung des niederländischen Gerichts noch weitere Klagen gegen Shell und andere Erdölkonzerne vor einem Gericht außerhalb Nigerias angestrengt werden. Wobei zu bedenken ist, daß die Annahme einer Klage noch nicht bedeutet, daß sie zugunsten der Kläger entschieden wird. Immerhin kann Shell das Argument für sich reklamieren, daß der Schaden, um den es im Kern der Klage geht, durch Sabotage von Milizen verursacht wurde.

Darüber hinaus scheint Shell nicht bei allen Nigerianern einen schlechten Ruf zu besitzen. Genauer gesagt, es gibt offenbar noch größere Umweltverschmutzer. Zwar sind Shell und der italienische Konzern Agip für 70 Prozent aller Ölleckagen im Nigerdelta zuständig, wie die National Oil Spill Detection and Response Agency (NOSDRA) berichtete, aber acht Kommunen, in denen das Abura-Erdölfördergebiet liegt und die Ende Dezember dem Betreiber Nigerian Petroleum Development Company (NPDC) ein Ultimatum von vierzehn Tagen gegeben haben, um seine Sache zu packen und zu verschwinden, forderten die Regierung auf, das Fördergebiet der NPDC weg- und es Unternehmen wie Shell, Chevron, Agip, Mobil, etc. zu übergeben, da diese eine bessere "Erfolgsbilanz und ein gutes Gefühl für soziale Unternehmensverantwortung" besäßen. [3] Im Abura-Fördergebiet war es binnen eines Monats zu vielfachen Ölleckagen gekommen, ohne daß sich der nigerianische Staatskonzern darum gekümmert hatte.

Selbstverständlich werden die Folgen einer Ölleckage nicht dadurch geringer, nur weil andernorts noch mehr Erdöl aus Bohr- und Fördereinrichtungen und Rohrleitungen austritt. Generell wird auf die nigerianischen Kommunen eine große Last abgewälzt. Faktisch haben sie nur Nachteile davon, daß das schwarze Gold aus ihrem Land heraufgepumpt und exportiert wird, damit der Wohlstand von Menschen in anderen Weltregionen gewahrt bleibt und sich die Einnahmen für eine kleine nigerianische Oberschicht, die selbstverständlich nicht in den Gebieten wohnt, die von Ölleckagen und dem ölhaltigen, rußigen Qualm durch das Gas-Abfackeln bei der Erdölförderung betroffen sind, vergrößern.

Dieses global, aber auch national zu verortende Grundverhältnis zwischen Ausbeutungs- und Nutzungsregionen wird nicht Gegenstand der Verhandlungen vor dem niederländischen Gericht sein. Bestenfalls wird der Shell-Konzern zur Kasse gebeten, weil er Ölleckagen nicht, nicht schnell genug oder nur unzureichend abgestellt hat. Aus der Sicht der von der Umweltverschmutzung Betroffenen ist es ein allzu verständlicher Schritt, wenn sie versuchen, das Recht auf ihre Seite zu ziehen. Am System der Ausbeutung rührt die Klage jedoch nicht. Vielmehr bedienen sich die Kläger eines Instruments, nämlich des Rechts, das wesentlich das innernigerianische wie auch das Nord-Süd-Verhältnis in seiner heutigen Form befestigt hat.


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Anmerkungen:

[1] "Nigeria: Shell Faces More Trials Over Oil Spills", Daily Champion (Lagos), 3. Januar 2010
http://allafrica.com/stories/201001040632.html

[2] "Nigeria: Oil Spills - Dutch Court to Try Shell", This Day (Lagos), 31. Dezember 2009
http://allafrica.com/stories/200912310018.html

[3] "Nigeria: Communities Give Abura Oil 14-Day Ultimatum", Vanguard (Lagos), 29. Dezember 2009
http://allafrica.com/stories/200912290083.html

4. Januar 2010