Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/1990: Kritik an Kenia - "Falscher" Gast zur Verfassungsfeier eingeladen (SB)


Kenia hat eine neue Verfassung

IStGH-Haftbefehl gegen Sudans Präsident al-Bashir reißt in Kenias Koalitionsregierung kaum verheilte Wunden auf


Ende 2007, Anfang 2008 kam es in Kenia in Folge von Wahlunregelmäßigkeiten zu Unruhen, denen rund 1000 Einwohner zum Opfer fielen. 300.000 bis 600.000 Menschen wurden vertrieben. Ethnische Spannungen, so heißt es gemeinhin, hätten den Konflikt gezündet. Diese Analyse ist unzureichend. Auch wenn sich die gewaltsamen Übergriffe entlang ethnischer Linien Bahn brachen, bildeten ungeklärte Landfragen, Bereicherung der herrschenden Elite mit umgekehrt starker Verarmung der breiten Masse, also mithin sozioökonomische Faktoren, den eigentlichen Brandbeschleuniger.

Am vergangenen Freitag hat sich Kenia eine neue Verfassung gegeben, von der sich Regierung und Bevölkerung einen Abbau des Tribalismus und verkrusteter, korruptionsanfälliger und paternalistischer Strukturen versprechen. Die heutige Regierung wird von den beiden sich ehemals bestreitenden Parteien, Präsident Mwai Kibakis Party of National Unity (PNU) und Premierminister Raila Odingas Orange Democratic Movement (ODM), gebildet. Der Zusammenhalt der Koalitionsregierung gilt als fragil. Um so größer deshalb die Hoffnung, daß mit der neuen Verfassung alte Feindschaften nicht mehr wie in der Vergangenheit das politische Geschehen bestimmen werden.

Doch der feierliche Tag, an dem die Verfassung in Kraft trat, wurde verdorben. Angeblich durch den sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir, der ebenso wie der Präsident der autonomen Region Südsudan, Salva Kiir, eingeladen worden war. Al-Bashir reiste erst sehr kurze Zeit vor Beginn der Feierlichkeiten an, was damit zu tun haben dürfte, daß gegen ihn ein Internationaler Haftbefehl vorliegt, den der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag beantragt hat, und Sudans Präsident um den Aufruhr über seinen Besuch wußte. Kenia hat das Römer Statut unterzeichnet und damit den IStGH anerkannt. Dennoch hat die Regierung al-Bashir nicht verhaften lassen, was internationale Kritik auslöste und nun die Regierung zu spalten scheint.

Alte Rivalitäten rücken in den Vordergrund. Odinga und weitere Parteimitglieder sehen den Ruf Kenias nachhaltig beschädigt, andere hingegen pochen auf die Souveränität des Landes und den gerechten Ansatz, die Regierungschefs sowohl von Nord- als auch Südsudan einzuladen und damit zu vermeiden, daß es im Nachbarland zu Unruhen kommt. Zahlreiche Minister und Staatssekretäre haben deshalb den Besuch al-Bashirs verteidigt.

Wer hat die Feierlichkeiten verdorben, al-Bashir oder diejenigen, die Kenia kritisieren, daß es sich nicht dem IStGH unterworfen hat? Hätten sich die Kritiker nicht eilfertig zu Wort gemeldet, wären die Feierlichkeiten folgenlos über die Bühne gegangen. Nun aber droht der eigentliche Anlaß des Treffens, die Sicherung des friedlichen Zusammenlebens aller Kenianer durch eine neue Verfassung, ausgerechnet durch die Kritiker verdorben worden zu sein.

Man muß es wohl als hinterfotzig bezeichnen, daß US-Präsident Barack Obama der Regierung Kenias gratuliert, aber zugleich seine Enttäuschung über die Einladung al-Bashirs ausgedrückt hat. Wie kommt der Führer eines Landes, das gegen den IStGH opponiert und den Vertrag von Rom nicht unterzeichnet hat, dazu, anderen vorschreiben zu wollen, daß sie sich dem Gericht zu unterwerfen haben? Zur Erinnerung: Die US-Regierung hätte das Statut von Rom nur unter der Option unterzeichnet, wenn eine Ausnahmeregelung für US-Bürger von der Weltgerichtsbarkeit festgeschrieben worden wäre. Niemals sollten sich US-Soldaten vor einem Weltgericht verantworten müssen. Nach dem Motto: Alle Menschen sind gleich, nur US-Bürger sind gleicher. Das ist ein Beispiel für Suprematie, wie es kein Lexikon treffender beschreiben könnte.

So wie der IStGH vor wenigen Jahren durch die Ausstellung von Haftbefehlen gegen mehrere Anführer der LRA-Milizen einen Friedensprozeß in Uganda unterminiert und auch das ohnehin extrem konfliktreiche Zusammenleben in Sudan beschädigt hat, bringt es auch die Führungskräfte von Kenia gegeneinander auf. Und zwar zum einen, indem IStGH-Chefankläger Luis Moreno-Ocampo alte Wunden aufreißt und Ermittlungen gegen die Verantwortlichen der Unruhen von 2007/2008 aufgenommen hat, zum zweiten indem er die politische Führung Kenias, die sich zum Haftbefehl gegen al-Bashir stellen muß, zur Spaltung treibt.

Mit der Anklage gegen einen amtierenden Staatspräsidenten hat Moreno-Ocampo Neuland betreten. Dagegen wäre zunächst nichts zu sagen, wenn sich nicht herausgestellt hätte, daß der IStGH nur afrikanische Politiker und Milizenführer zur Anklage bringt, nicht aber die Verantwortlichen beispielsweise in Washington und London, die sich das Mandat zum Globalen Krieg gegen den Terror selbst erteilt und unter fadenscheinigen Vorwänden, vermeintlich legitimiert allein durch geheimdienstlich gefälschte "Beweise", den Irak überfallen haben. Oder noch immer Krieg gegen Afghanistan führen. Oder ganze Familien, Hochzeitsgesellschaften, Schulkinder und Dorfbewohner in Pakistan mit Hilfe von Drohnen töten. Da die westlichen Staats- und Regierungschefs nicht angeklagt werden, setzt sich das IStGH dem starken Verdacht aus, pure Siegerjustiz zu betreiben.

Es legt zweierlei Maß an, was die Funktion hat, den Unterschied zwischen Menschen bis ins Denken hinein zu befestigen. Die Weltbevölkerung soll akzeptieren, daß einige Menschen wichtiger und wertvoller sind als andere. Diesem Menschenbild leistet der IStGH Vorschub, und er nimmt es in Kauf, daß er bei der Verfolgung seines Anliegens über Leichen geht. Der Uganda-Konflikt konnte bis heute nicht beigelegt werden, die LRA zieht nun meuchelnd vor allem durch den Nachbarstaat DR Kongo. Wenn man bedenkt, daß vor einigen Jahren ein Treffen zwischen Vertretern der ugandischen Regierung und LRA-Führer Joseph Kony höchstwahrscheinlich wegen des auf ihn und seine Stellvertreter ausgestellten Haftbefehls und auch wegen der Unsicherheit hinsichtlich der Haltung, welche die ugandische Regierung in dieser Frage einnehmen würde, im letzten Augenblick geplatzt ist, dann muß man sich schon fragen, ob nicht ohne die Einmischung durch den IStGH ein Friedensschluß zustandegekommen wäre. Selbst viele Einwohner des von der LRA heimgesuchten und übel mißhandelten Nordugandas sprachen sich für den Friedensschluß aus, damit endlich wieder Ruhe herrscht und sie sich nicht mehr nachts in geschützte Dörfer zurückziehen müssen. Unstrittig, die LRA hat schwerwiegende Verbrechen begangen. Aber der IStGH hat mit seinen Haftbefehlen gezündelt und ein Feuer genährt, das bis heute nicht gelöscht werden konnte.

Ob sich in Kenia der Streit innerhalb der Regierung wegen al-Bashirs Besuch ausweitet, läßt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht absehen. Aber womöglich wurde eine üble Saat gelegt, die zu einem späteren Zeitpunkt und zu einer anderen Gelegenheit aufgeht. Dann wäre ein Beteiligter dieses Konflikts, der IStGH, nicht mehr kenntlich, was ihn aber nicht von der Mitverantwortung enthöbe.

Kenia hat eine neue Verfassung, die helfen soll, daß frühere Konflikte ein für allemal beigelegt werden. Durch den Weltrechtsanspruch der selbsterklärten "Guten" - abgesehen von Barack Obama hat sich auch der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan negativ über al-Bashirs Einladung geäußert - wurde ein Keim des Anstoßes gelegt, der irgendwann aufgehen und sein Verderben bringen könnte. Dem kenianischen Volk ist damit nicht gedient, sondern den vorherrschenden Kräften, die das Weltrecht für ihre Zwecke instrumentalisieren.

30. August 2010