Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/2056: Somalia - US-Spezialeinheit befreit gewaltsam Geiseln (SB)


"Weltpolizist" USA befreit Minenräumkommando, aber unterzeichnet nicht das internationale Landminenverbot


Die Lobreden auf die US-Spezialstreitkräfte Navy Seals, die in der Nacht auf Mittwoch zwei entführte Mitarbeiter der Hilfsorganisation DRC (Danish Refugee Council) gewaltsam aus den Händen ihrer Geiselnehmer befreit haben, sind in vielerlei Hinsicht unangebracht. Selbstverständlich können sich die 32-jährige US-Bürgerin Jessica Buchanan und der 60-jährige Däne Poul Hagen Thisted, die am 25. Oktober in der Stadt Galkayo an der Grenze zur halbautonomen Region Puntland von mutmaßlichen Piraten verschleppt wurden, glücklich schätzen, daß sie ihre Befreiung unversehrt überstanden haben. Aber auf alle anderen Geiseln in der Hand somalischer Piraten oder die, die es noch werden könnten, dürfte sich die Befreiungsaktion negativ auswirken. Die Bereitschaft der Geiselnehmer, härter mit ihren Opfer umzugehen oder sie sogar zu töten, ist durch die Aktion um einiges gestiegen.

"Leon, gute Arbeit heute", soll US-Präsident Barack Obama seinem Verteidigungsminister Leon Panetta recht medienwirksam unmittelbar vor seiner Rede zur Nation zugerufen haben. Obama persönlich hat die Geiselbefreiung angeordnet und kurz vor Redebeginn vom Ausgang der Aktion erfahren. Medienberichten zufolge hat es sich bei den Befreiern um das gleiche Navy Seals Team 6 gehandelt, das schon Osama bin Laden getötet hat. Bei der jetzigen Nacht-und-Nebel-Aktion wurden die Piraten, die laut einem AP-Bericht offenbar vom Khat-Kauen schläfrig waren, von dem Überfall überrascht. Neun von ihnen wurden getötet, drei verschleppt.

Aus welchem Herkunftsland die Landminen stammen, die von der dänischen Hilfsorganisation in Somalia geräumt werden, ist nicht bekannt. Aber ausgerechnet der US-Präsident schmückt sich nun mit der Befreiung von Personen, die an einem Minenräumprogramm mitgearbeitet haben. Es war Obama, der die Hoffnung der internationalen Anti-Landminenkampagne zerstörte, die Vereinigten Staaten würden nach der Ära des Republikaners George W. Bush einen anderen Kurs einschlagen und endlich die Ottawa-Konvention zum Verbot von Antipersonenminen (The 1997 Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on Their Destruction) unterzeichnen. Dem hatte Barack Obama einen Monat vor seiner Nominierung zum Friedensnobelpreisträger 2009 eine klare Absage erteilt.

Pikant war das auch deswegen, weil die Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen (ICBL) 1997 der Friedensnobelpreis erhielt und der Nachfolger ihre Arbeit konterkariert hat. Ebenfalls nicht unterzeichnet hat Obama den 2010 in Kraft getretenen internationalen Vertrag zum Verbot von Streumunition (Convention on Cluster Munitions, CCM), die ähnlich verheerende Folgen für die Bewohner der kontaminierten Regionen hat wie Tretminen. Viele der zahlreichen Bomblets, die mit sogenannten Clusterbomben abgeworfen werden, zünden nicht und werden damit zu Sprengfallen.

In Somalia herrscht seit mehr als 20 Jahren Bürgerkrieg. Wer Landminen aus welchem Produktionsland an welcher Stelle ausgelegt hat, weiß niemand mit Sicherheit zu sagen. Aber es spielt auch keine Rolle, ob sie noch aus einer früheren US-Fertigung stammen, aus China, Rußland oder einem der übrigen verbliebenen Länder, die die Ottawa-Konvention nicht unterzeichnet oder noch nicht ratifiziert haben. Die Vereinigten Staaten stricken am Heldenmythos der Navy Seals, aber könnten sehr viel mehr dafür tun, daß die Anlässe weniger werden, weswegen Mitgliederinnen und Mitglieder von Minenräumprogrammen andere Länder aufsuchen. Zu der Entführung wäre es erst gar nicht gekommen, wenn nicht Rüstungsbetriebe aus einer Reihe von Staaten seit Jahrzehnten solche Kriegsmittel produzierten und führende Militärnationen sich weigerten, endgültig Schluß zu machen mit Tretminen und Clusterbomben.

Die USA produzieren seit 1997 keine Landminen mehr. Diese Praxis nicht endgültig durch die Unterschrift unter den Minenverbotsvertrag zu besiegeln, sondern die Prüfung des Vertrags immer mehr in die Länge zu ziehen, wie es schon seit einigen Jahren praktiziert wird, nährt den Verdacht, daß sich die größte Militärnation der Welt nicht die Hände binden lassen will. "Alle Optionen sind auf dem Tisch" ist zwar eine Redewendung, die das Weiße Haus üblicherweise auf den Iran münzt, aber die auch die prinzipielle Einstellung der US-Militärs wiederzugeben scheint. Offenbar sagt man sich, daß solche Sprengfallen eines Tages wieder gebraucht werden könnten, beispielsweise zur Aufstandsbekämpfung.

26. Januar 2012