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AFRIKA/2091: Bergbauboom in Mosambik - Einwohner in die Wüste geschickt (SB)


Hunger, Armut, Entwurzelung

Umgesiedelte Dorfbewohner in Mosambik fordern von Politik und Wirtschaft Einlösung ihrer Zusagen



In Mosambik boomt die Wirtschaft. Seit Jahren verzeichnet das Land im Süden Afrikas ein Wachstum des Bruttoinlandprodukts von durchschnittlich sieben Prozent. Die Aussichten könnten besser nicht sein, wurden doch in der Provinz Tete die größten Steinkohlevorkommen Afrikas (geschätzte 23 Mrd. Tonnen) entdeckt. Seit einigen Jahren vergibt die Regierung fleißig Explorationslizenzen und Abbaukonzessionen. Bergbaukonzerne wie der brasilianische Vale und der anglo-australische Rio Tinto haben vor wenigen Jahren mit der Förderung des nahe der Erdoberfläche liegenden Energieträgers im Tagebaubetrieb begonnen. Das beschert ihnen Millioneneinnahmen, die sie weitgehend einbehalten dürfen, da Mosambiks Regierung ihnen beträchtliche Steuererleichterungen einräumt. Dagegen fallen die Kosten für Programme zur Umsiedlung der Bauern, deren Dörfer und Land devastiert, das heißt dem Bergbau geopfert wurden, kaum ins Gewicht.

Viele der bislang 1429 umgesiedelten Haushalte, die dem Steinkohlebergbau von Vale und Rio Tinto weichen mußten, seien von ernsthaften Beeinträchtigungen ihres Zugangs zu Nahrung und Wasser sowie der Möglichkeit, nebenher Geld zu verdienen, betroffen, berichtete die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in einer Presseerklärung vom 23. Mai 2013. [1] In ihrem aktuellen, 122-seitigen Report mit dem Titel "What is a House without Food? - Mozambique's Coal Mining Boom and Resettlements" (dt.: "Was ist ein Haus ohne Essen? - Mosambiks Kohlebergbauboom und Umsiedlungen") schildert die Organisation, wie den zur Umsiedlung vorgesehenen Einwohnern zunächst große Versprechungen gemacht und diese dann nicht gehalten wurden. [2]

Das Leben in der mosambikanischen Tete-Provinz war für die Bauern, die überwiegend Selbstversorger waren, nie einfach gewesen. Aber ihre Dorfgemeinschaften kamen über die Runden. Das gelingt vielen Umgesiedelten jetzt nicht mehr. Man hatte ihnen fruchtbares Land als Ersatz versprochen - erhalten haben sie jedoch trockene Flächen, auf denen keine auch nur annähernd adäquate Landwirtschaft betrieben werden kann; versprochen wurde ihnen die Zuteilung von zwei Hektar Land pro Haushalt - erhalten haben sie bis jetzt nur einen Hektar; versprochen wurden ihnen Häuser mit deutlichen besserem Komfort als ihre Lehmhütten, in denen sie bisher gelebt haben - erhalten haben sie Häuser, deren Dächer der Hitze nicht standhalten und schon nach ein, zwei Jahren aufgerissen sind, so daß es kräftig hereinregnet; versprochen wurde ihnen eine Anstellung bei einer Baufirma - geschehen ist nichts; versprochen wurde ihnen eine fünf Jahre lange kostenlose Belieferung mit Lebensmitteln - nach einem Jahr versiegte die Versorgung ... Die Beispiele für unerfüllte Versprechungen sind Legion, einige von ihnen wiegen schwer, andere betreffen vielleicht nur Kleinigkeiten. Aber zusammengenommen ergeben sie das deutliche Bild, daß hier Politik und Wirtschaft Entscheidungen über die Köpfe der Dorfbewohner hinweg und zu deren Lasten getroffen haben.

Es wird nicht bei 1429 umgesiedelten Haushalten bleiben. Der Bergbauboom in der Tete-Provinz steckt noch in den Anfängen. Die Regierung hat Abbaukonzessionen und Explorationslizenzen für 3,4 Mio. Hektar bzw. 34 Prozent der Fläche der Tete-Provinz vergeben, davon entfällt knapp ein Drittel auf den Kohlebergbau. Rechnet man die Lizenzanträge hinzu, die (nach dem Stand von 2012) noch bearbeitet werden, erhöhen sich die Werte auf 6 Mio. Hektar bzw. 60 Prozent der Provinzfläche. Selbst wenn naturgemäß nicht alle Explorationen tatsächlich zum Bergbau führen, werden in Zukunft noch Tausende Einwohner umgesiedelt. Abgesehen von Vale und Rio Tinto sind auch die Projekte des indischen Bergbauunternehmens Jindal Steel and Power Limited und des britischen Unternehmens Beacon Hill Resources so weit fortgeschritten, daß Umsiedlungen vorgenommen wurden und sich weitere abzeichnen.

Nisha Varia von Human Rights Watch fordert die mosambikanische Regierung auf, mit den Bergbaukonzernen zusammenzuarbeiten und dafür zu sorgen, daß die umgesiedelten Bauern noch vor der nächsten Pflanzsaison produktives Land erhalten. Außerdem sollte die Regierung in Erwägung ziehen, solange auf jede weitere Lizenzvergabe zu verzichten, bis angemessene Schutzmaßnahmen für die Bauern gewährleistet werden können.

Sowohl Vale als auch Rio Tinto haben gegenüber Human Rights Watch eingeräumt, daß das Agrarland in den Umsiedlungsgebieten trocken ist und bewässert werden muß. Zumindest bis April 2013 existierten jedoch keine akzeptablen Bewässerungsmaßnahmen, schreibt die Organisation, die durchaus konzediert, daß sich im vergangenen Jahr Regierung und Konzerne bewegt haben, um einige der Mißstände in Angriff zu nehmen.

Ein grundsätzliches Problem besteht jedoch darin, daß die meisten umgesiedelten Bauern früher in Flußnähe, entweder am Sambesi oder am Revuboé, lebten. Dort konnten sie regelmäßig baden, ihre Wäsche waschen und sich mit der ganzen Familie an den Ufern zum geselligen Beisammensein treffen. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Die beiden Hauptumsiedlungsgebiete - Cateme und Mwaladzi - liegen mindestens 40 Kilometer von einem größeren Fluß entfernt. Lediglich das Umsiedlungsgebiet 25 de Setembro - benannt nach dem 25. September 1964, dem Tag der Revolution, als sich Mosambiks Befreiungsarmee Frelimo (Frente de Libertação de Moçambique) gegen die Kolonialmacht Portugal erhob - wurde ein, zwei Kilometer vom Revuboé entfernt errichtet.

Darüber hinaus sind auch die den Bauern zugewiesenen Flächen weit von den Märkten entfernt, und da die Transport- und Beförderungsmöglichkeiten begrenzt sind, haben die Umgesiedelten schlechte Chancen, neben den oftmals vergeblichen Versuchen, irgend etwas auf dem trockenem Land anzubauen, ein wenig Geld zu verdienen, beispielsweise mit Gold, das in der Region alluvial vorliegt, also angeschwemmt wird. Auch die Produktion von Lehmziegeln erlebte einen Einbruch in Folge der Umsiedlungen, was im April und Mai dieses Jahres zu Demonstrationen führte.

Die "Kommunikation" zwischen Regierung und Bergbauunternehmen auf der einen Seite und den umgesiedelten Gemeinschaften sei "ungenügend", stellte Human Rights Watch fest. Es bestehe kein angemessener Mechanismus, über den die Einwohner an Entscheidungsprozessen zum Kohlebergbau beteiligt werden, oder mittels dessen sie ihre Beschwerden über die Unterkünfte vermitteln können, damit darauf reagiert werden kann.

Die Vernachlässigung der Bauern liegt keineswegs nur in der Verantwortung der Unternehmen, sondern auch der Behörden. So warten die gut 700 Bewohner Catemes, das von Vale neu gebaut und 2009 und 2010 von den Umgesiedelten bezogen wurde, bis heute darauf, daß die Provinzverwaltung ihrer Verpflichtung nachkommt und ihnen den zugesagten zweiten Hektar Land zuteilt. (Womit nicht unterstellt werden soll, daß dadurch das Problem der Bauern, das sie mit dem marginalen Land haben, behoben wäre.) In Cateme wurde sogar schon gezeltet, weil die Häuser renoviert werden sollten.

Am 10. Januar 2012 war die Geduld der Umgesiedelten, die sich zurecht hingehalten fühlten, zu Ende. Zu mehreren hundert blockierten sie die Eisenbahnverbindung zwischen Vales Kohlemine "Moatize" und dem Hafen Beira, wo die Steinkohle verschifft wird. Eine recht zugespitzte Form der Kommunikation seitens der Dorfbewohner, die rasch "beantwortet" wurde: Die Polizei rückte an, hat einige Bewohner verprügelt und vierzehn Personen verhaftet. Mehrere sollen sogar gefoltert worden sein, berichtete Radio Mundo Real unter Berufung auf die Menschenrechtsorganisation Justiça Ambiental. [3]

Anfang dieses Jahres hätten sowohl Vale als auch Rio Tinto Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserversorgung und -speicherung für den häuslichen Gebrauch der Umgesiedelten ergriffen und wollten auch Vorbereitungen treffen, damit die landwirtschaftlichen Flächen bewässert werden können, räumte Human Rights Watch ein. Außerdem wären Projekte zum Aufbau von Hühnerkooperativen und die Einweisung in neue Anbautechniken begonnen worden.

Beide Maßnahmen zur Veränderung der bisherigen Lebensführung klingen nicht überzeugend. Es scheint, als sollte alter Wein in neuen Schläuchen verkauft werden, denn Hühner gehören von jeher zum Leben afrikanischer Kleinbauern dazu. Daß daraus nun eine Kooperative entstehen soll, scheint eine für die Konzerne sehr kostengünstige Idee zu sein. Und was die Unterrichtung der Bauern in neuen Anbaumethoden betrifft, so deutet das daraufhin, daß sie keine Gebiete, die qualitativ ihren früheren landwirtschaftlichen Flächen ähneln, erhalten sollen. Denn wie man darauf anbaut, wissen die Bauern längst.

Human Rights Watch schreibt, daß die mosambikanische Regierung im August vergangenen Jahres eine Verordnung hinsichtlich der Umsiedlungen in Folge ökonomischer Projekte verabschiedet hat. Damit würden zwar grundlegende Forderungen an den Hausbau und die Infrastruktur sozialer Einrichtungen gestellt, aber keine Schutzmaßnahmen beispielsweise hinsichtlich der Qualität des übertragenen Landes oder des Zugangs zu medizinischen Einrichtungen ergriffen. Die Menschenrechtler mahnen Korrekturbedarf an und appellieren sowohl an die Unternehmen als auch die Regierung, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu berücksichtigen.

Der Titel, den Human Rights Watch seinem Report gegeben hat, ist der Rede einer umgesiedelten Bäuerin namens Maria C. aus dem Rio Tinto-Umsiedlungsgebiet Mwaladzi vom 5. Oktober 2012 entnommen. Wörtlich sagte sie:

"Ich habe immer Hirse angebaut. Genug, um das Lagerhaus zu füllen, vielleicht fünf oder sechs Säcke. Wir hatten auch die Küche voller Mais. Wenn es Probleme gab, kauften wir Lebensmittel hinzu, aber das war gewöhnlich nicht der Fall. Das Ackerland, das wir [durch die Umsiedlung] erhalten haben, ist rot, nicht schwarz wie das, was wir vorher hatten. Ich habe versucht, Mais darauf anzubauen, und er ist eingegangen. Hirse klappte ebenfalls nicht. Das neue Haus ist nur ein Haus. Ich bin nicht zufrieden damit. Ich kann dazu nur sagen: Was ist ein Haus ohne Essen? Ich kann mein Haus nicht essen." [2]

Sicherlich gibt es in der Provinz Tete mit seiner gleichnamigen Hauptstadt auch Einwohner, die von dem Bergbau profitieren. So berichtete die Deutsche Welle: "Noch vor wenigen Jahren hatte die Stadt gerade mal vier Bankfilialen, 2011 waren es schon 15. Wo früher Brachland war, stehen heute Neubauten. Es gibt neue Restaurants und Cafés, und an jeder Ecke werden Kleidung und Essen verkauft. Fast alle Hotels sind ausgebucht und diejenigen, die noch keine Gäste haben, warten auf die Mitarbeiter der großen Unternehmen. Bis vor kurzer Zeit war es in der gesamten Provinz nicht möglich, ein Handy zu kaufen. Es sei denn, LKW-Fahrer auf der Durchreise brachten eins mit. Inzwischen gibt es sogar Smartphones auf dem örtlichen Markt. Das zieht auch Menschen aus entfernten Orten an - sogar aus dem Ausland." [4]

Der sichtbare wirtschaftliche Aufschwung Tetes als Folge des Bergbaus und die Zunahme bezahlter Arbeitsplätze dürfte jedoch auch negative Begleiterscheinungen mit sich bringen. Von anderen boomenden Städten, die vom Ressourcenabbau profitieren, sind typische Phänomene dieser Entwicklung bekannt: Die Lebenserhaltungskosten steigen, insbesondere die Preise für Wohnungen und Häuser. Ärmere Menschen werden aus der Stadt verdrängt oder müssen ihr Überleben in urbanen Nischen sichern. Prostitution, Kriminalität und Drogenkonsum werden zunehmen. Ein Extrembeispiel hierfür ist sicherlich Luanda, die Hauptstadt des Erdölexportlands Angola. Die Millionenmetropole zählt heute zu den teuersten Städten der Welt.

Im Bericht der Deutschen Welle werden als weitere Negativeffekte die Unverbundenheit des Bergbausektors mit der übrigen Wirtschaft Mosambiks genannt, und daß laut der Nichtregierungsorganisation CIP, die eine Studie zu den Verträgen Vales mit der mosambikanischen Regierung erstellt hat, der Staat mehr Steuern einnehmen könnte: "Das Unternehmen profitiere von einer 15-prozentigen Reduzierung bei der Umsatzsteuer über die ersten zehn Jahre und einer Reduzierung der Grunderwerbssteuer um 50 Prozent beim Kauf von Immobilien. Außerdem sei der Konzern von einem Großteil der Zollgebühren, Stempelsteuern, der Mehrwertsteuer und der Einkommenssteuer für seine ausländischen Mitarbeiter befreit." [4]

Die hier bisher genannten Verluste sind letztlich ökonomisch rechenbar. Damit werden aber nicht alle Aspekte der Umsiedlung erfaßt. In vielen Fällen kann der Verlust der angestammten Lebensverhältnisse und sozialen Bezüge oder allgemein der Heimat durch nichts ersetzt werden. Selbst wenn die neuen Häuser keinen Regen durchließen und jeder Haushalt mit Trinkwasser versorgt wäre: Eine Entwurzelung bleibt eine Entwurzelung. In Mosambiks Nachbarland Südafrika, wo die Regierung ein umfangreiches Hausbauprogramm aufgelegt hat, um die Menschen aus ihren informellen Siedlungsverhältnissen der Townships herauszuholen, haben die Umgesiedelten ein Sprichwort, das den Verlust durch die Entwurzelung auf einen treffenden Satz reduziert: "I've lost my stoopsister." Wörtlich übersetzt heißt das, 'ich habe meine Stufenschwester verloren', und es bedeutet, daß die Frauen nicht mehr vor ihren Häusern sitzen und mit der Nachbarin von gegenüber ein Schwätzchen halten. Das geht sogar noch über die rechenbaren Verluste, die nach Ansicht der Menschenrechtler von Human Rights Watch von Staat und Wirtschaft viel zu ungenügend ausgeglichen wurden, hinaus.


Fußnoten:

[1] http://allafrica.com/stories/201305230825.html?viewall=1

[2] http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/mozambique0513_Upload_0.pdf

[3] http://www.radiomundoreal.fm/Tense-Calm?lang=esdoch

[4] http://www.dw.de/mehr-kohle-f%C3%BCr-alle-in-mosambik/a-16424267

24. Mai 2013