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AFRIKA/2188: Westsahara - Politik für die Starken ... (SB)



Die Europäische Union hat vor kurzem das umstrittene Fischereiabkommen mit Marokko angenommen. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshof, demzufolge Marokko kein Anrecht auf die Nutzung der Meeresgebiete vor der von ihm besetzten Westsahara hat, sei "berücksichtigt" worden, hieß es seitens der EU. Mit dieser Formulierung soll Kritikern Sand in die Augen gestreut werden. Denn auch wenn europäische Trawler in Zukunft nicht vor der Westsahara fischen sollten, verhindert der Vertrag nicht, daß stattdessen Marokko dort verstärkt Fischfang betreibt und seine eigenen Gewässer den Europäern überläßt. Das ist also gehopst wie gesprungen, und Leidtragende sind die Menschen in der besetzten Westsahara, die an den Rand gedrängt werden und zusehen müssen, wie die Besatzungsmacht Marokko durch solche Verträge internationale Unterstützung erfährt.

Das Europäische Parlament hat das neue Fischereiabkommen mit Marokko im Februar abgesegnet, Vertreter der EU folgten mit ihrem Votum Anfang März. Jetzt muß nur noch Marokko zustimmen, dann tritt das Abkommen, das eine Laufzeit von vier Jahren hat, in Kraft. Der Vertrag sieht vor, daß der Europäischen Union bestimmte Fangquoten zugeteilt werden und sie als Gegenleistung 208 Millionen Euro an Marokko zahlt, wie die "junge Welt" berichtete. [1]

Vor gut einem Jahr hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Urteil gefällt, wonach das Fischereiabkommen mit Marokko nicht für die Meeresgebiete vor der Küste der Westsahara gelten darf. [2] Daß nun die EU dennoch für das Abkommen mit Marokko gestimmt hat, weil darin angeblich das Urteil des EuGH berücksichtigt worden ist, hat die Kritik daran nicht zum Verstummen gebracht. Abgeordnete der Grünen, Linken und Sozialdemokraten des Europaparlaments hatten gegen das Abkommen gestimmt, und zivilgesellschaftliche Organisationen wie Western Sahara Ressource Watch sowie nicht zuletzt die Frente Polisario, die die Interessen des in der Westsahara lebenden Volks der Sahrauis vertritt, lehnen das Abkommen mit Marokko grundsätzlich ab. Bereits die Kooperation mit einer Besatzungsmacht verletze das Völkerrecht, lautet ihr Kernargument.

Das Königreich Marokko vertritt dagegen den Standpunkt, daß es 1975 mit dem sogenannten Grünen Marsch von rund 350.000 Marokkanern in das kurz zuvor von Spanien freigegebene Gebiet der Westsahara lediglich sein ehemaliges Territorium wieder eingenommen habe. Die Frente Polisario, die bereits 1973 gegen die spanischen Kolonialmacht gekämpft hatte, wandte sich damals gegen die neuen Besatzer. Der Befreiungskampf dieses bewaffneten Arms der Sahrauis endete 1991 mit einem Waffenstillstand. Seitdem hat Marokko alle Bemühungen um eine gütliche Einigung mit den Sahrauis abgelehnt, mithin torpediert.

Die Bewohnerinnen und Bewohner der Westsahara sind schweren Repressionen durch die Sicherheitsbehörden Marokkos ausgesetzt, wie lokale und auch internationale Menschenrechtsorganisationen vielfach festgestellt haben. Eben weil Marokko fremdes Territorium besetzt hält, war es lange Zeit das einzige Land des afrikanischen Kontinents, das nicht Mitglied der Afrikanischen Union (AU) werden durfte. Dieser Status endete im Januar 2017 mit der Aufnahme Marokkos als 55. Mitglied.

Das war zugleich ein Zeichen einer neuen Zeit. Obgleich Besatzungsmacht, erfährt Marokko die volle Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft. Völkerrecht verliert an Bedeutung, bzw. wird stets nur da reklamiert, wo es den eigenen Vorteilserwägungen im geopolitischen Ringen dienlich ist. Selbst ein Urteil wie das des Europäischen Gerichtshofs hat keine tiefere Bedeutung und wird in der politischen Praxis umgangen.

Beim Fischereiabkommen von EU und Marokko geht es zwar um Fischfang, aber eigentlich um vieles mehr. Marokko gilt als Hort der Stabilität in der ansonsten unruhigen nordafrikanischen Region, was aus Sicht der EU bedeutet, daß es mit den Europäern erfolgreich in der Flüchtlingsabwehr kooperiert. Käme das Fischereiabkommen nicht zustande, könnte König Mohammed VI. geneigt sein, es dem türkischen Präsidenten Erdogan nachzumachen und die vielen Flüchtlinge im Land als Erpressungsmasse gegen die EU einzusetzen. Darüber hinaus ist der Handelsaustausch zwischen den beiden Vertragspartnern groß, und Marokko lockt als Standort für Investitionen in erneuerbare Energien sowie als Durchleitungspartner für Erdgas aus Nigeria.

Die attraktiven Ressourcen Westsaharas, an erster Stelle Phosphat, werden von Marokko ausgebeutet. Daß der Küstenstreifen am Atlantik einen ausgezeichneten Windstandort abgibt und zudem die hohe Sonneneinstrahlung Solartechnologien attraktiv macht, weiß sich das Königreich ebenfalls zunutze zu machen. Da die EU eine Politik für die Starken betreibt, hat eine kleine Ethnie wie die Sahrauis nicht viel zu sagen. Vor dreißig Jahren nicht, und heute noch viel weniger.

Die erfolgreichen Bemühungen des früheren deutschen Präsidenten Horst Köhler als Sondergesandter der Vereinten Nationen im Dezember 2018 nach sechs Jahren Stillstand Marokko und die Polisario wieder an den Verhandlungstisch zu holen, wären nur dann als Fortschritt zu deuten, wenn dadurch das Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis gestärkt würde und sie volle Kontrolle über ihre Ressourcen erhielten. Alle Abmachungen unterhalb dessen dienen lediglich der Aufrechterhaltung des Status quo und spielen Marokko in die Hände. Das nächste Treffen unter Köhler ist für den 21./ 22. März 2019 in Genf geplant. Marokko kann diese diplomatische Scharade noch viele Jahre betreiben.


Fußnoten:

[1] https://www.jungewelt.de/artikel/350349.eu-staaten-gegen-westsahara.html

[2] https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2018-02/cp180021de.pdf

11. März 2019


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