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AFRIKA/2209: Drohnenmorde - nach Lynch und Laune ... (SB)



Die USA setzen ihre Drohnenmorde in Somalia mit größerer Intensität fort als je zuvor. In diesem Jahr wurden schon 20 Attacken auf das Land am Horn von Afrika durchgeführt. In den Erklärungen der US-Militärs heißt es dazu stets lapidar, daß "Terroristen" ausgeschaltet wurden, eine Bezeichnung, die inzwischen dank propagandistischen Dauerfeuers offenbar keiner weiteren Erklärung bedarf. Die Angehörigen der zahlreichen zivilen Opfer jedoch wissen, daß ihre Familienmitglieder an keinerlei Kämpfen beteiligt waren, und einige von ihnen schließen sich daraufhin dem bewaffneten Kampf gegen die USA an. Das liefert diesen wiederum den fadenscheinigen Vorwand, ihre Politik der Spannung fortzusetzen.

Nachdem US-Präsident Donald Trump im ersten Jahr seiner Amtszeit per Exekutivorder den Schutz der Zivilbevölkerung in anderen Ländern gesenkt und den für die Drohnenmorde zuständigen Militärs freie Hand für ihre Entscheidungen gegeben hat, hat die Zahl solcher Attacken zugenommen. Gleichzeitig entwickelte sich damit auch die Gegenreaktion in Somalia. Zwar zeigt sich die islamistische Milizenorganisation Al-Shabaab nur noch selten in aller Öffentlichkeit, dafür fordern ihre Anschläge auf staatliche Einrichtungen, Hotels und Marktplätze weiterhin zahlreiche Opfer.

Obgleich das Vorgehen der Islamisten Al-Shabaabs von großen Teilen der somalischen Bevölkerung, die von jeher eine moderate Form des islamischen Glaubens praktiziert haben, abgelehnt wird, erhält die Organisation seit Jahren stetigen Zulauf. Folglich handelt es sich um keine ausschließlich vom Ausland gebildete und gesteuerte Armee. Womit nicht geleugnet werden soll, daß ausländische Interessen einen Stellvertreterkrieg auf somalischem Boden führen. Der ist in einigen Aspekten mit dem in anderen Kriegs- und Bürgerkriegsregionen in Afrika vergleichbar.

Die somalische Regierung wie auch ihrer Gegner erhalten Unterstützung aus dem Ausland. Wie nach drei Jahrzehnten Bürgerkrieg die vielschichtige Gemengelage aufgelöst werden kann, weiß wohl niemand zu sagen, doch eine Voraussetzung dürfte dafür unverzichtbar sein: Rückzug bzw. Stopp aller ausländischen Einmischungen. Angetrieben wird der bewaffnete Konflikt am Horn von Afrika zwar nicht allein von den Drohnenexekutionen der USA, aber sie stellen ein wichtiges Moment dar.

Amnesty International (AI) macht seit Jahren auf den Drohnentod in Somalia aufmerksam und hat einige Fälle vor Ort recherchiert. Ohne an dieser Stelle die von der Menschenrechtsorganisation zwar nirgends erklärte, aber nahegelegte Unterscheidung in bewaffnete Kämpfer (schuldig; dürfen also abgeschossen werden) und Zivilisten (unschuldig; Angehörige müßten eigentlich für den Drohnentod ihrer Familienmitglieder entschädigt werden) mitzuvollziehen, zeigen zwei Fallbeispiele die verheerenden Auswirkungen der US-Taktik, aus unangreifbarer Höhe mutmaßliche Feinde per Knopfdruck zu eliminieren.

Am 2. Februar 2020 gegen 20.00 Uhr wird in der Stadt Jilib in der Middle-Juba-Region das Haus einer Familie beschossen, die zu dem Zeitpunkt zu Abend ißt. Die achtzehnjährige Nurto Kusow Omar Abukar wird von einem Metallsplitter des Geschosses am Kopf getroffen und ist auf der Stelle tot. Ihre beiden jüngeren Schwestern Fatuma (12) and Adey (7) werden teils schwer verletzt. Die Großmutter (ca. 70) wurde am Knie getroffen und kann auch nach der Behandlung im Krankenhaus nicht gehen. Kusow Omar Abukar, der Vater der Familie, blieb bei dem Anschlag unverletzt. Nachbarn berichteten AI, daß zum Zeitpunkt der Drohnenattacke keinerlei Kämpfe in dem Gebiet stattfanden.

Zwischen Januar und März dieses Jahres hat die für solche Drohnenangriffe zuständige US-Kommandostelle AFRICOM (ansässig in Stuttgart-Möhringen) eigenen Angaben zufolge bereits sieben Luftangriffe auf Jilib geflogen. Die Stadt wird zwar komplett von Al-Shabaab kontrolliert, aber das bedeutet noch lange nicht, daß alle dort lebenden Menschen Mitglied dieser Organisation sind.

Als ein Neffe der verletzten Großmutter, der bei einer staatlichen Nachrichtenagentur arbeitet, den Widerspruch zwischen der offiziellen Verlautbarung - "ein (1) Terrorist getötet, keine zivilen Opfer" - und dem tatsächlichen Geschehen bei einem Kommunikationsworkshop, an dem auch Mitglieder von AFRICOM und AMISOM (Mission der Afrikanischen Union in Somalia) sowie der Regierung, einiger Provinzregierungen und dem Military Information Support (MIS)-Team der USA teilnahmen, angesprochen hat, wurde ihm von einen namentlich nicht genannten amerikanischen Offiziellen zunächst Beileid bekundet. Anschließend hat er das Thema gewechselt. Soviel zur Kommunikationsstrategie des US-Militärapparats.

Am Nachmittag des 24. Februar 2020 wurde der 53jährige Mohamud Salad Mohamud auf seinem Bauernhof nahe des Dorfs Kumbareere, rund zehn Kilometer nördlich von Jilib, mittels einer Hellfire-Rakete getötet. Der Vater von acht Kindern hat Bananen angebaut und war in Jilib Büroleiter der Hormuud-Telekommunikationsgesellschaft, für die er vierzehn Jahre lang gearbeitet hat. Zwei jüngere Brüder des Opfers fuhren mit dem Motorrad zu dem Bauernhof, als sie davon hörten, daß dieser angegriffen worden war. Als sie den Hof erreichten, sahen sie überall Blut. Der Körper ihres Bruder war in Stücke gerissen und in der Gegend verteilt. Sie identifizierten ihn anhand des linken Beins und des Gesichts.

Den Vor-Ort-Ermittlungen von Amnesty International zufolge hatte das Opfer auch für humanitäre Organisationen gearbeitet und war nicht etwa nur kein Mitglied von Al-Shabaab, sondern von den Fundamentalisten bereits dreimal verhaftet worden, weil er sich nicht an ihre Anweisungen gehalten hatte. In der Presseerklärung von AFRICOM zu jenem Tag stand, daß bei einem Luftangriff in der Nähe Jilibs "ein (1) Terrorist getötet wurde". Die am selben Tag herausgegebene Erklärung der somalischen Regierung lautet, daß "ein Al-Shabaab-Kämpfer getötet wurde".

Wundert es angesichts dieser krassen Widersprüche noch, daß Al-Shabaab weiter Zulauf erhält?

Mit dem "Global War on Terror", der von dem früheren US-Präsidenten George W. Bush nach den Anschlägen vom 9. September 2011 ausgerufen worden war, begann die Ära der extralegalen Hinrichtungen mittels bewaffneter Drohnen. Gerechtfertigt wurden diese damit, daß "feindliche Kämpfer" ausgeschaltet werden sollten. Seitdem haben die USA Tausende Menschen in Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten per Joysticksteuerung exekutiert. Das Morden hat sich verstetigt, und beinahe könnte man meinen, daß es zu einem Selbstgänger geworden ist. Doch das würde unterstellen, daß der Drohnentod am Anfang eine andere Funktion besaß als heute, da mit ihm Angst und Schrecken verbreitet und in zahlreichen Ländern Konflikte befeuert werden, die längst hätten beigelegt werden können. Der Nutzen für die USA liegt auf der Hand. Um weiterhin den Anspruch als weltweite Ordnungsmacht Nummer eins aufrechterhalten zu können, muß für Unruhe gesorgt werden. Dazu eignen sich die von "Räuber"-Drohnen abgeschossenen "Höllenfeuer"-Raketen hervorragend.


Fußnote:

[1] https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/04/somalia-zero-accountability-as-civilian-deaths-mount-from-us-air-strikes/

1. April 2020


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